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mimicharlotte

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Chronoport (ISBN: 9783945713860)

Bewertung zu "Chronoport" von Helge Lange

Chronoport
mimicharlottevor 6 Monaten
Kurzmeinung: Eine amüsante Übung in Ambiguitätstoleranz :-)
... der Autor verlangt von seinen Figuren und von seinen Leserinnen und Lesern, Uneindeutigkeit auszuhalten.

In diesen Zeiten der Verunsicherung, in denen es mancher gerne möglichst klar und übersichtlich (um nicht zu sagen: simpel) hätte, verlangt Helge Lange seinen Figuren und seiner Leserschaft eine hohe Ambiguitätstoleranz ab (wobei dieser hochgestochene Ausdruck der teilweisen Schlichtheit der Sprache nicht gerecht wird), also das Aushalten von Uneindeutigkeit. Die Protagonisten reisen durch Zeit und Raum, wenn auch stets auf den Planeten Erde beschränkt, und wissen von Sprung zu Sprung oft nicht mehr so recht, wer sie sind und worin ihr Auftrag besteht (nichts weniger als die Rettung der Welt). Zum Glück liegt im Safe ihrer beiden Schiffe (sowas wie Zeitreise-Yachten) ein Vademecum, das ihnen immer wieder auf die Sprünge hilft.

Zeitreisen sind für sie durchaus Stand der Technik, aber man switcht gewöhnlich dabei nicht nur in der Zeit, sondern auch jeweils in eine parallele Existenz, womit die klassischen Probleme (z.B. das Großvaterparadoxon) verhindert werden. Doch nun hat irgendeine Zivilisation aus der fernen Zukunft einen linearen Zeitreisestrahl eingerichtet, mit Chronoports in allen möglichen Zeiten und Kulturen, und diese Linearität ruft eben solche Paradoxien hervor und bedroht das Gefüge der Welt, ja des Universums. Im Prolog wurden wir darauf vorbereitet, dass dieser Zeitreisestrahl von beiden Enden her ausgeschaltet werden soll, den Besatzungen der Schiffe wird das erst so allmählich klar; nur wo/wann liegen diese Endpunkte, und wie soll das überhaupt funktionieren? Dürfte es die Installation bei einem zukünftigen Erfolg ihrer Mission in der jeweiligen Gegenwart überhaupt noch geben? 

Der Autor hält sich völlig heraus. Was an Rückblicken auf die Geschichte der besuchten Kulturen zu lesen ist, haben die Besatzungsmitglieder selbst recherchiert. Rein gar nichts wird aus der Perspektive des allwissenden Autors erzählt, und das ist erfrischend konsequent durchgehalten und für mich ein großes Plus dieses Buches. Die Heldinnen und Helden (darunter der sehr saloppe Kapitän Ariman Mellock von der "John Titor", die eher formale Kapitänin Helena Hermelin von der "Rip van Winkle", die Löwenfrau Jiyun, der Roboter 25Bronze11, der Geist Ramesse, der/die zweigeschlechtliche Elnor Meko ...) müssen alles selbst herausfinden – und haben es möglicherweise beim nächsten Sprung wieder vergessen.

Diese Ebene der überaus fantasievollen Story, in der auch Sex und Action nicht zu kurz kommen, macht das Buch zu einem Lesevergnügen. 

Leicht getrübt wurde es mir persönlich lediglich durch die nicht immer elegante Sprache (ich mag es halt, wenn ein Text durchgeschliffen ist und jedes Wort sitzt). Man tendiert ja beim Schreiben dazu, ein eben verwendetes Wort gleich wieder zu bringen, weil es im Geiste präsent ist. Solche – in diesem Buch m.E. auffällig häufige und ungewollte – Wiederholungen bemerkt man selbst oft nicht, es sei denn der Text konnte ruhen und wurde mit etwas zeitlichem Abstand überarbeitet. Diesen Feinschliff vermisse ich hier, trotz des sorgfältigen Lektorats, dem kaum ein "richtiger Fehler" entgangen ist. Entweder fehlte hier die Zeit zur stilistischen Überarbeitung – oder die Erkenntnis einer solchen Notwendigkeit. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht aber auch einfach nur zu pingelig. 

Die Dialoge sind hingegen sehr gelungen, die besuchten Zivilisationen außerordentlich originell. 

Ich habe das Buch zweimal mit Vergnügen gelesen. Die Story und ihre teils schrägen Figuren, die einem zusehends ans Herz wachsen, machen es zu einem empfehlenswerten Schmökerstoff für Science-Fiction-Liebhaber. 

Cover des Buches Kopflos (ISBN: 9783943624830)

Bewertung zu "Kopflos" von Liane Lüthy

Kopflos
mimicharlottevor 10 Monaten
Kurzmeinung: Eine junge Frau befreit sich von traditionellen Rollenerwartungen und macht trotz aller Selbstzweifel ihr Ding.
Aufbruchstimmung

Gertrud Pfister, genannt Trud, kommt als dreizehnjährige Halbwaise auf den Eisernen Hof in Süddeutschland und damit in die Obhut des Hauptmanns Scholl. Die aufklärerischen Gedanken ihres Vormunds und ihre tiefe abergläubisch-katholische Volksfrömmigkeit prallen unvereinbar und schmerzhaft aufeinander, lösen jedoch bei ihr auch den unwiderstehlichen Drang aus, zu neuen Ufern aufzubrechen und mehr zu wissen und zu lernen, als es einem Mädchen ihrer Zeit ansteht. Auch im Denken des wissenschaftsgläubigen Scholl finden sich irrationale Elemente, so wie sich in den christlichen Glauben des Priesters Johannes, einem Zögling aus dem Seminar des Konstanzer Bistumsverwesers Ignaz v. Wessenberg, rationalistische Züge mischen. Die beiden Kontrahenten schätzen indessen die anregenden Gespräche und offenherzigen Diskussionen miteinander. Bei Trud, die zuweilen mithört, lösen sie noch mehr Verwirrung und Zweifel aus. Und immer wieder begegnet ihr der schaurige Reiter ohne Kopf (zu diesem Leitmotiv gestaltete der Karlsruher Maler Jürgen Wiesner das Titelbild).

Eine Beziehung Truds mit dem Jäger Klaus endet im Rausch – und möglicherweise in einer Katastrophe. Es drängt sie, den Hof zu verlassen und in die weite Welt zu reisen, was zu ihrer Zeit für eine alleinstehende junge Frau nicht nur unschicklich, sondern fast unmöglich ist. Da bietet die Ausstellung des Heiligen Rocks in Trier im Sommer 1844 einen willkommenen Vorwand. 

Mit ihrer Abreise am 11. August 1844 setzt nun im zweiten Teil des Romans das Tagebuch als Ich-Erzählung ein. Trud schildert launig Reisebekanntschaften und Gespräche im Postwagen. Das Leben und Treiben unterwegs, allein und in der Pilgergruppe, dann in Trier und endlich die Anbetung der Reliquie hält Trud ausführlich und detailliert in ihrem Journal fest. 

Zwei Begegnungen erweisen sich im Verlauf der „kopflosen“ Reise als schicksalhaft. Da ist einmal der junge Jude Joshua Eller, zu dem sie auf den ersten Blick eine starke Zuneigung fasst. Er plant, nach Amerika auszuwandern. Als sie sich trennen, ist Trud entschlossen, ihm in die neue Welt zu folgen, sobald ihre Wallfahrt nach Trier beendet ist. Noch auf dem Weg dahin begegnet ihr in St. Goar die ebenfalls nach Trier pilgernde Sängerin und Schauspielerin Agathe Küppers, die ihr verblüffend ähnlich sieht. Agathe ist unglücklich, weil ihr Verlobter, mit dem sie auswandern wollte, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist. Sie verfügt nicht nur über einen Reisepass, sondern auch bereits über eine Schiffspassage von Hamburg nach New York. In einer alkoholisierten Stimmung tauschen die beiden Frauen ihre Pässe und ihre Rollen ... 


Die historischen Hintergründe dieses prä-emanzipatorischen Frauenromans sind hervorragend recherchiert, die Begleitumstände bis in die kleinsten Details hinein stimmig und anschaulich dargestellt. Hier ist eine Zeit im Umbruch, im Gasthaus wird von Freiheit geredet, die Eisenbahnarbeiter gelten als politische Wühler, Intellektuelle wittern Morgenluft ... Trud nimmt das alles eher unbedarft und am Rande wahr, aber die Aufbruchstimmung findet ein Echo in ihren Aufzeichnungen. Die Sprache der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mutet heute antiquiert an, doch man liest sich ein und findet in diesem Buch mannigfaltige sprachliche Kleinodien, die unseren nüchtern-modernen Sprachschatz aufs Erfreulichste bereichern. Zum Glück gibt es ja das Grimmsche Wörterbuch online :-)

Cover des Buches Nanopark (ISBN: 9783947619696)

Bewertung zu "Nanopark" von Uwe Hermann

Nanopark
mimicharlottevor einem Jahr
Kurzmeinung: Ein futuristischer Vergnügungspark verwandelt sich in ein Horrorkabinett
Nichts für schwache Nerven!

Wem selbst die traditionellen und konventionellen Fahrgeschäfte auf der Messe oder in fest installierten Vergnügungsparks unheimlich sind, der wird sich in Uwe Hermanns "Nanopark" erst recht so richtig gruseln: Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass der ganze schöne Schein der Attraktionen entsteht, indem durch eingeatmete Nano-Partikel die rein funktionell vorhandenen Installationen für die Besucher mit virtuellen Dekorationen und bewegten, sprechenden und interagierenden Figuren ausgestattet werden. Dahinter ist nichts als Pappmaché und krude Technik.

Und in dieses ohnehin schon fürchterliche Zukunftsszenario bricht nun eine terroristisch agierende Verbrecherbande ein, der es um das ganz, ganz große Geld geht. Ihr perfider Plan wird ohne Rücksicht auf Verluste in Angriff genommen. Der Vergnügungspark verwandelt sich in ein Horrorkabinett, in dem bald nicht nur künstliche Köpfe rollen.

Nichts für schwache Nerven! Die Story ist an mehreren Personen festgemacht, die wir als mehr oder weniger sympathisch näher kennenlernen. Das liest sich flott und spannend, auch wenn sich die Sprache für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr aufs Narrative beschränkt.

Das Buch wurde mit dem 1. Platz beim Kurd Laßwitz Preis 2022 ausgezeichnet.



Cover des Buches Twist (ISBN: 9783945713921)

Bewertung zu "Twist" von Wilko Müller jr.

Twist
mimicharlottevor einem Jahr
Kurzmeinung: "Kein-Scheiß"-Science-Fiction-Roman und höchst unterhaltsamer Crashkurs in Teilchenphysik
Freie Energie aus der fünften Dimension ...

Dr. Harry Mayfield, Physiker am CERN in Genf, wartet auf-Daten aus dem letzten Experiment und grübelt derweil über den Zusammenhang zwischen Dunkler Energie und den höheren Dimensionen, die in der String-Theorie eine Rolle spielen, nach. Eher gelangweilt rechnet er herum und gelangt dabei zu Werten, die ganz überraschend mit den Daten einer unerklärlichen Anomalie in den Ergebnissen eben dieser Experimente mit dem Large-Hadron-Collider übereinstimmen. Seine Entdeckung führt zu einem völligen Umbruch des physikalischen Weltbilds: Es stellt sich heraus, dass der Menschheit eine unendliche Menge freier Energie zur Verfügung stehen könnte, sollte es gelingen, sie aus der fünften Dimension "hereinzudrehen". Mayfields Vertrag am CERN wird nicht verlängert, doch es gelingt ihm, an seiner neuen Wirkungsstätte den zur Energiegewinnung notwendigen "Twister" zu konstruieren. Auf die Idee, dass es gewissen Kräften überhaupt nicht in den Kram passt, wenn Energie, und sei sie noch so sauber, unbegrenzt und beinahe kostenlos zur Verfügung steht, kommt er überhaupt nicht. Doch diese Kräfte scheuen vor nichts zurück, wenn es darum geht, ihre wirtschaftlichen Interessen zu wahren. 

Erfrischend spröde und aufs Wesentliche reduziert kommt dieses handliche Taschenbuch daher: Keine überzogene Actionszenen, kein Heldenpathos, keine Psychologisiererei. Sozusagen ein "kein-Scheiß"-Science-Fiction-Roman, bei dem die Nahtstelle zwischen Science und Fiction wie ein Haarriss durch die Vorstellung von Wirklichkeit geht. Das Ganze kommt zunächst wie eine reportagenhafte Dokumentation über einen CERN-Physiker daher, zum Teil auch wie ein unterhaltsamer Teilchenphysik-Crashkurs. Irgendwo findet dann fast unmerklich der Übergang in die fünfte Dimension statt. 

Stilistisch lapidar, wissenschaftlich fundiert und mit reichlich trockenem Humor gewürzt. 

Wilko Müller jr.: Twist. Science Fiction.

Edition Solar-X, 2022.

ISBN 978-3-945713-92-1





Cover des Buches Das Licht der Hohlwelt (ISBN: 9783945713846)

Bewertung zu "Das Licht der Hohlwelt" von Carlos Suchowolski

Das Licht der Hohlwelt
mimicharlottevor 2 Jahren
Kurzmeinung: Ein merkwürdiges Buch, das einen nicht mehr loslässt.
Ich bin viele ... Wer bin ich?

Das fragt sich Mouil-Agra, seit irgendwelche fremden Stimmen in ihrem Kopf herumspuken. Sie ist total verängstigt und will, dass alles wieder wird wie zuvor. Aber dann rappelt sie sich doch auf und nimmt ihr Schicksal an, und das zwingt sie, andauernd in die Haut dieser anderen Figuren zu schlüpfen. 

Was machen wir beim Lesen denn anderes? Wir schlüpfen in andere Häute und haben so mehr Leben als nur unser eines eigenes. 

Aber während manche Bücher einen halt einfach nur ablenken, stellen sich die Personen in diesem Buch so viele Fragen über den Sinn ihres Lebens und die Herkunft ihrer Zivilisation und geben darauf so viele merkwürdige Antworten, dass man selber ins Grübeln kommt und überlegt, wie die eigenen Antworten bei dermaßen fremdartigen Wesen wohl ankämen ... 

Die Grundstimmung ist oft düster, aber manchmal ist der Ton auch leicht und zuweilen beinahe poetisch ... Eine schöne Sprache, sehr gut übersetzt.

Unbedingt lesenswert, aber keine leichte Kost!

Cover des Buches Elf künftige Zeiten (ISBN: 9783945713600)

Bewertung zu "Elf künftige Zeiten" von Carlos Suchowolski

Elf künftige Zeiten
mimicharlottevor 3 Jahren
Cover des Buches VON ZEIT ZU ZEIT (ISBN: 9783957652447)

Bewertung zu "VON ZEIT ZU ZEIT" von Hans Jürgen Kugler

VON ZEIT ZU ZEIT
mimicharlottevor 3 Jahren
Kurzmeinung: Der Lauf der Welt in Zeitlupe Das Büchlein eignet sich hervorragend zur Unterwegs-Lektüre, nicht nur beim Wanderurlaub am Bodensee.
Eine Zeitanomalie lässt die Welt aus den Fugen geraten

Daniel Damberg, freischaffender Lektor esoterischer und softpornografischer Texte, erwacht zu einem verstörenden Alptraum: Die Welt um ihn herum hat auf extreme Zeitlupe umgeschaltet. Er selbst allerdings bewegt sich in seiner gewohnten "Eigenzeit" zwischen Phänomenen wie zähfließendem Wasser und wie eingefroren wirkenden Menschen, Tieren und Maschinen. Im Schatten ist es tatsächlich empfindlich kalt. Daniel überwindet die anfängliche Panik und beschaut sich diese Welt, bis sie nach ein paar Stunden über eine brandgefährliche Zeitrafferphase wieder zur Normalität zurückkehrt. Aus Angst, für verrückt gehalten zu werden, vertraut er sein Erlebnis nur dem besten Freund an, der zufällig mit einer Teilchenphysikerin verheiratet ist. Immerhin diese beiden nehmen ihn erst.


Zwar liegt die Furcht, das Geschehen könnte sich wiederholen, stets auf der Lauer, doch darüber entspinnt sich im weiteren Verlauf des kurzen Romans eine kleine, schüchterne Liebesbeziehung zwischen Daniel und seiner Jugendflamme Iris, mit der er schließlich einen Urlaub am Bodensee unternimmt.


Und da schlägt die Zeitanomalie wieder zu. Die Situation eskaliert.


Mehr soll über den Plot dieses unterhaltsamen schmalen Bandes nicht verraten werden.


Obwohl für die singulären und lokal begrenzten Zeitanomalien kein detaillierter physikalischer Erklärungsversuch mitgeliefert wird, sind ihre Auswirkungen extrem anschaulich und ebenso überzeugend geschildert wie die Landschaft rund um den Bodensee. Dabei gelingen dem Autor bei allem trockenen Realismus zuweilen auch überraschend poetische Bilder: 


"Einen vielleicht zehn Jahre alten Jungen hatte die Zeitverzögerung gerade in dem Moment eingefroren, da er mit dem Bauch auf dem Wasser aufschlug (…). Lange Minuten später erwuchs daraus in majestätischer Langsamkeit eine anschwellende Corona funkelnder Wasserperlen, die das glücklich strahlende Kind wie eine gigantische Krone umgaben."


Leicht eingetrübt wird der Lesegenuss durch einige Wortwiederholungen und plötzliche Perspektivenwechsel im generell als Ich-Erzählung angelegten Text. Dennoch ist Hans Jürgen Kuglers Roman "Von Zeit zu Zeit" süffig wie ein leichter Sommerwein und mit seinem finalen Twist spritzig im Abgang. 


Das Büchlein eignet sich hervorragend zur Unterwegs-Lektüre, nicht nur beim Wanderurlaub am Bodensee. Aber man wird nicht mehr ganz unbefangen auf plötzliche Lichtwechsel, (eingebildete?) schattenhafte Erscheinungen und in der Luft stehende Insekten reagieren – auch wenn Letzteres bei Libellen, eigentlich, ganz natürlich ist ...







Cover des Buches Pandemie (ISBN: 9783948675592)

Bewertung zu "Pandemie" von Hans Jürgen Kugler

Pandemie
mimicharlottevor 4 Jahren
Kurzmeinung: Ein mutiges, aktuelles und hochprofessionell umgesetztes, überaus gelungenes literarisches Projekt. Sehr empfehlenswert!
Was macht die Pandemie mit uns? Was machen wir in, mit, aus der Pandemie?

"Pandemie", herausgegeben von Hans Jürgen Kugler und René Moreau, ist eine Anthologie mit zahlreichen Kurzgeschichten von Autoren und Autorinnen aus der deutschsprachigen Science-Fiction-Szene sowie einer Übersetzung aus dem Spanischen.


Die Stories entstanden aktuell unter dem Einfluss der Corona-Krise, die unser Leben in kürzester Zeit ziemlich durcheinander geschüttelt und viele Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt hat. Die Autoren spielen alle eine, zum Teil bedeutende Rolle in der professionellen deutschsprachigen SF-Szene, ein Umstand, der sich wohltuend auf die Qualität der Texte auswirkt. Hervorragend lektoriert und mit sehr ansprechendem Layout, übersichtlich und geistreich gegliedert in einzelne Unterthemen.


Die Autoren und Autorinnen (mit 11 zu 22 sind Autorinnen zwar in der Unterzahl, aber für die Verhältnisse der Szene gut repräsentiert) sind David Daubitz, Christian Endres, Bernhard Grdseloff, Anne Grießer, Robert Haubrich-Schweizer, Heidrun Jänchen, Michael Hirtzy, Thomas Kolbe, Michael Kootz, Hans Jürgen Kugler, Marianne Labisch, Christian J. Meier, Armin Möhle, Thomas Neu, Frank Neugebauer, Uwe Neuhold, Monika Niehaus, Vladimir Hernández Pacín (Kuba)/Pia Biundo (Übertragung), Nicole Rensmann, Alexa Rudolph, Renate Schiansky, Karlheinz Schiedel, Rainer Schorm, Michael Siefener, Michael Tillmann, Andrea Timm, Ute Wehrle, Jörg Weigand, Karla Weigand, Wolf Welling, Henrik Wyler und Werner Zillig. Das kluge Nachwort von Dominik Irtenkauf verortet die Texte dieser Anthologie im großen SF-Themenkreis pandemischer Ereignisse. 


Auf die einzelnen Texte kann hier bei der großen Anzahl nicht eingegangen werden, es sind Geschichten im bewährten Short-Story-Stil, häufig mit einer überraschenden Schlusspointe. Viele imaginieren einen Alltag der näheren Zukunft, der den durch die Pandemie veränderten Verhältnissen Rechnung trägt, darunter sind auch düstere Zukunftsprognosen mit viel Überwachung und Entfremdung vom Mitmenschen und der Natur. Manche greifen über die "wirkliche Welt" unseres Erfahrungshorizonts hinaus, so dass es auch zu Begegnungen mit Außerirdischen kommt, mit für uns – oder sie – nicht zwangsläufig erfreulichem Ausgang.


Ein luxuriös ausgestatteter Band, gedruckt auf Hochglanzpapier, das die extra für die jeweiligen Geschichten geschaffenen Illustrationen (Uli Bendick, lebenSwerk, Mario Franke, Jan Hoffmann, David Staege, Michael Vogt) wunderbar zur Geltung bringt. Kleiner Wermutstropfen: So ein Papier ist nicht besonders ökologisch und das Buch ist dadurch arg schwer geworden, was das Vergnügen einer Bettlektüre etwas trübt.


Ein mutiges, aktuelles und hochprofessionell umgesetztes, überaus gelungenes literarisches Projekt. Sehr empfehlenswert!

Cover des Buches Die Eleganz des Igels (ISBN: 9783423429917)

Bewertung zu "Die Eleganz des Igels" von Muriel Barbery

Die Eleganz des Igels
mimicharlottevor 5 Jahren
Kurzmeinung: Mit dem Ich-Erzähler schließt der Autor einen Pakt mit dem Leser: Die Figur lebt bis zu ihrem letzten Satz. Dieser Pakt wird hier gebrochen
Verrat am Leser

Verrat am Leser

Natürlich darf ein Autor machen, was er möchte. Und die Tatsache, dass das hier ein Bestseller ist, dass das Buch überhaupt übersetzt wurde, spricht dafür, dass es vielen Lesern gefällt. Das sagen ja auch die weit überwiegend positiven Rezensionen. Aber ich möchte doch hier einmal sehr kritisch hervorheben, dass es ein Verrat am Leser ist, einen Ich-Erzähler (hier: eine Ich-Erzählerin) den eigenen Tod kommentieren zu lassen. Das letzte Mal ist mir das beim Buch "If I die before I wake" der englischen Autorin Emily Koch widerfahren; das erste Mal bei einem Buch ebenfalls eines französischen Autors (evtl. einer Autorin), leider erinnere ich mich nicht mehr an Autor und Titel, es war ein Krimi, jemand war entführt worden, damit er den Schlüssel zu einem Schließfach herausrückt, den er verschluckt hatte , einschließlich Abführkur ... Vielleicht klingelt's da bei jemandem?

Jedenfalls und zwar mit dem Anspruch, hier RECHT zu haben (Im Sinne von: "Das macht man einfach nicht!"), finde ich es zwar in Ordnung, dass ein Ich-Erzähler am Ende eines Buches tot ist, keine Frage, es gibt in der Literatur massenhaft Beispiele dafür, der Autor schiebt dann "gefundene Aufzeichnungen" vor (wenn es sich nicht um tatsächliche Memoiren etc. handelt).

Aber ich finde es nicht in Ordnung, dass er sein eigenes Sterben beschreibt. Das widerspricht jeder Logik, das haut vielleicht in einem Fantasy-Roman hin, wo Tote wieder auferstehen dürfen. Aber nicht in einem Buch, das sich ansonsten an die Regeln der Realität hält. Da darf der Leser voraussetzen, dass ein Ich-Erzähler am Ende des Textes noch lebt, weil er halt nach dem letzten Satz die Feder aus der Hand gelegt oder den PC ausgeschaltet hat. Auch fiktiv.

Mit der Figur eines Ich-Erzählers schließt der Autor meines Erachtens einen Pakt mit dem Leser: Egal, was passiert, die Figur überlebt bis zur letzten von ihr geschriebenen Zeile.

Um das Sterben und den Tod einer Figur selbst in allen Einzelheiten der Wahrnehmung, des Leidens etc. darzustellen, bleibt die Technik des "auktorialen Erzählers", des allwissenden Autors. Dem frisst der Leser brav aus der Hand, wenn er, der Autor, ganz genau weiß, welche Bilder der Sterbende in den letzten Sekunden seines Lebens vor Augen hat.

Ich jedenfalls fühle mich von Autoren, die den Ich-Erzähler seine eigene Sterbeszene schildern lassen, an deren Ende er dann tot ist, veräppelt und verraten. Emily Koch konnte ich es nachsehen, das Buch ist hinreißend geschrieben und läuft auch unausweichlich auf diese Lösung zu; bei Muriel Barberys Bestseller bin ich da sehr viel kritischer, denn diese Zumutung war nicht notwendig: Die andere Ich-Erzählerin des Romans schreibt Tagebuch, das hätte auch zu der von mir beanstandeten Figur gepasst, deren Tod dann ohnehin nochmal von dieser zweiten Protagonistin kommentiert wird.

Kein Pardon: Das macht man einfach nicht, das ist ein Verrat am Leser.

Cover des Buches If I Die Before I Wake (ISBN: 9781473547728)

Bewertung zu "If I Die Before I Wake" von Emily Koch

If I Die Before I Wake
mimicharlottevor 5 Jahren
Such a good read!

Suspense during five long nights of reading until my husband, tossing and turning next to me, signalled that it was time to switch off the light. And even during the day I often found myself wondering how it would go on, and, being a teacher of the German language in a training school for nurses, I wished the book had been translated into German in order to provide them with another thrilling book about the locked-in-syndrome (the author quotes the famous Tavalaro-book). Then the way she makes the protagonist obtain his information only bit by bit, and his unheard participation in the conversations, all this is very convincing. Wonderful observations. The side characters like the nice nurse Pauline and the mean one, Connie, and, the one I like best, the singing Polish cleaner and the great episode when they watch - only part of - a football match together ... Really very well done, a pleasure to read. His longing for being touched (but not by Connie and Eleanor, though the last one is a friend). The family structures behind it, his sister's behaviour, his inability to speak out feelings - a mixture of guilt and love, it comes over so convincingly. When I was about to read the last 30 pages I started to wonder how the author would finish the book. And, to be true, I was not happy with the end. Luckily I had the chance to discuss it with Emily Koch in a friendly e-mail-exchange. She explained that for her it was the only possible ending, that she had considered other ways (among them solutions I would have preferred) but rejected them. Now, and that's the author's undeniable right, this freedom is both stimulus and reward for undergoing all the long and meticulous work of writing a good story. And no doubt, "If I die before I wake" is a wonderfully written one! 

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