Bewertung zu "Den Mund voll ungesagter Dinge" von Anne Freytag
"Den Mund voll ungesagter Dinge" von der deutschen Autorin Anne Freytag habe ich auf der einen Seite geliebt und auf der anderen Seite sind mir einige Dinge negativ aufgestoßen - es hat mich mit gemischten Gefühlen zurückgelassen.
Ich mochte, wie sich die Beziehung der beiden entwickelt hat. Die Liebe entstand langsam und dass Sophie erst nach dem Kuss begonnen hat, ihre Gefühle für Alex zu merken, war für mich auch nachvollziehbar. Zuvor hatte sie es verdrängt, sich eingeredet, sie wären nur gute Freude, doch nach dem Kuss konnte sie die Zeichen nicht mehr leugnen. In der Beziehung der beiden lag viel Gefühl, es war emotional und die Chemie spürbar.
Die lange Auseinandersetzung mit dem Film "Blau ist eine warme Farbe" gehört für mich zu einer der besten Szenen aus dem Buch, die Spannung war greifbar und es
Dennoch gab es einige Punkte, die mir negativ aufgestoßen sind. An dieser Stelle spreche ich eine Spoiler Warnung aus. Ohne Textbezüge kann ich meine Meinung nicht erläutern.
Beginnen möchte ich dort, wo ich bei den positiven Punkten aufgehört habe, mit der Beziehung von Alex und Sophie, denn sie küssen sich und schlafen miteinander, obwohl Alex einen Freund hat. Erst erzählt sie Sophie tränenüberströmt von ihren Familienproblemen und dass ihr Vater seit einiger Zeit ihre Mutter betrogen hat und dann verhält sie sich nicht besser. Keiner der beiden hat deswegen ein schlechtes Gewissen. Es ist das zweite Buch, dass ich in der letzten Zeit gelesen habe, wo in eine Beziehung zwischen zwei Mädchen, ein Drama mit einem Jungen eingebaut wurde. Ich brauche dieses Klischee nicht.
Ein weiterer negativer Aspekt war für mich das Thema Coming Out. Ich brauche es nicht vordergründig in einem Buch und freue mich darüber, wenn eine Liebesgeschichte zweier Frauen auch ohne auskommt. Damit werden zwar die Probleme von der Gesellschaft ausgeklammert, doch ich finde ein Werk kann eine utopische Welt schaffen, in der Hetero-Sein nicht die Norm ist. Es muss nicht immer der Fokus auf die negativen Schattenseiten gelegt werden. Anne Freytag hat ihren Schwerpunkt deutlich auf die Liebesgeschichte von Alex und Sophie. Für mich absolut in Ordnung. Dennoch baut sie ein Coming Out von Sophie ein, dass zu schnell in einem Gespräch abgehandelt wurde. Entweder thematisiert man es richtig oder man lasst es bleiben.
Wenn ich schon beim Thema Repräsentation bin. Wieso ist eine Person entweder hetero oder lesbisch? Was ist mit Bisexualität? Schattierungen zwischen hetero und lesbisch? Sophie fragt sich sofort, ob sie jetzt lesbisch wäre, obwohl sie bisher nur mit Jungen geschlafen hat. Der Begriff Bisexualität fällt nicht. Ebenso nicht bei Alex, die lange in einer Beziehung mit einem Jungen war. Zudem ist es ebenfalls möglich seine Sexualität in Frage zu stellen, ohne vorher mit einer Person egal welchen Geschlechts zu schlafen, nur so am Rande. In "Den Mund voll ungesagter Dinge" wird das Ganze sehr auf Sex bezogen. Und wenn ich schon dabei bin. Sophie sagt von sich aus, dass sie mit vielen Jungen geschlafen hat, was ja per se nichts negatives ist, nur mochte sie es nie. Sie hat zu viel getrunken und sich einem Jungen hingegeben und den Akt dann über sich ertragen. Sie sagt: " Klar, hätte ich Nein sagen können - man kann immer und zu jedem Zeitpunkt Nein sagen, zumindest -, aber dazu hat mir der Mut gefehlt"
Was für ein Bild wird da junge Leserinnen vermittelt? Problematisch wurde es für mich dann besonders am Ende. Sophie macht keine Entwicklung durch, sie reift nicht und bleibt passiv. Bei der Szene auf der Party mit Nik in der Toilette hätte ich sie am liebsten angeschrien und zu Vernunft geschüttelt. Obwohl Sophie denkt: "Du willst das doch gar nicht." (S. 355), lässt sie es wieder mit sich machen und fühlt sich dabei so elendig, dass die Szene mich angeekelt hat. Zwar handelte es sich dabei um einen Racheakt wegen Alex, aber dennoch...
Während ich zu Beginn betont habe, dass ich die langsame Entwicklung von Alex und Sophie mochte, ging es mir am Ende zu schnell. Der Konflikt wurde nicht ausgetragen und von Alex Freund bekommt man nur mit, dass Schluss wäre, weil er "dumme Lesben Witze" gemacht hat. Bis auf Sophies besten Freund ist die Zeichnung von Jungen negativ. Ich hätte es auch besser gefunden, wenn das Buch offen geendet wäre. Es war deutlich emotionaler wie Sophie das Tagebuch von Alex erhalten hat und darin liest, als der kitschige Prolog danach.
Die vollständige Rezension mit mehr Textverweisen ist hier zu finden: https://woerteraufreise.wordpress.com/2019/04/21/meine-hass-liebe-zu-den-mund-voll-ungesagter-dinge/