Würde man mich bitten, Karin Slaughters Roman "Verstummt" mit nur einem Wort zu beschreiben, ich würde antworten: verwirrend. Nicht aber, weil die Autorin ihr Fach nicht versteht oder die Sprache ungeschickt benutzt. Nein, Karin Slaughter verwirrt mit System und bedient sich dabei eines einfachen psychischen Verwirrspiels, indem sie ständig die Perspektive wechselt. Wer gehört zu den Guten? Wer zu den Bösen? Unablässlich stellt man sich diese Fragen und spürt bei jedem Mal den Nackenschlag der Enttäuschung, wenn man denkt, der Antwort auf die Schliche gekommen zu sein. Alles ist so offensichtlich - und dann doch wieder nicht. Lüge und Wahrheit entlarven sich gegenseitig.
Ein beliebtes Beispiel, das man aus diversen Karriere-Ratgebern ist die Geschichte von Caesar und Cleopatra, deren tote Körper neben Glassplittern und Wasserpfützen liegen. Die Aufgabe bei diesem Test liegt darin, mit rhetorischen Fragen dem Erzählenden zu entlocken, was denn mit Caesar und Cleopatra passiert ist. Der Befragte geht in der Regel sofort von den historischen Personen aus und zementiert dadurch seine Perspektive. Ähnlich lässt Slaughter ihre Leser in der Luft zappeln und löst das Spiel erst zum Ende hin auf.
Passend zu Slaughters Verwirrspiel bleibt auch lange unklar, wer eigentlich Hauptcharakter der Geschichte ist. Da ist zum einen Detective Michael Ormewood, liebevoller Vater eines behinderten Sohnes und unglücklicher Ehemann, der ein Verhältnis mit der Nachbarin hat. Dann Special Agent Trent, der schüchtern wirkende Analphabet, der mit der Ermittlerin Angie Polaski eine enge Freundschaft pflegt. Und schließlich John Shelley, der die Hälfte seines Lebens wegen eines Mordes im Drogenrausch im Gefängnis saß, an den er sich nicht erinnern kann. Alle drei Protagonisten haben gleichermaßen das Potenzial, Täter und Opfer zu sein. Schier unerträglich ist dabei das schreckliche Schicksal fast aller Protagonisten. Es geht um tote Prostituierte, drogensüchtige Eltern, Schicksale in Waisenhäusern, sexuelle Missbrauchsfälle, Schändung von Kindern, um kernige Kommissare und einem Ende, dass es in sich hat. Mehr möchte ich aber gar nicht verraten.
Kurzum: Hartgesottene Leser aufregender Thriller kommen in Karin Slaughters "Verstummt" garantiert auf ihre Kosten.
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