Der deutsche Verlag hat sich die größte Mühe gegeben, alles aus dem eher moderaten Krimi herauszuholen, was nur ging. Knallige Bonbonverpackung, flottes Design (das von dem nüchternen englischen Original deutlich abweicht), Trailer, und eben Klappentext, Titel und Vermarktung. Dem aufmerksame Leser entgeht jedoch nicht, dass hier eher "aufgehübscht" werden sollte. Kein schlechtes Buch, das nun nicht - aber doch eben anderes, als suggeriert wird.
Die Grundidee ist gut. Eine exzentrische, reiche Frau war zeit ihres Lebens von der Idee besessen, dass sie eines Tages ermordet werden würde. Und zwar aufgrund einer alten Weissagung auf einem Jahrmarkt! Frances stirbt tatsächlich gewaltsam, und hinterlässt per Testament all ihr Vermögen demjenigen, der den Mord aufklärt. Ansonsten würde der Besitz verscherbelt und aufgeteilt.
Es schwächelt allerdings schon beim Titel. Es geht eben NICHT um das Archiv von Frances, nur sehr am Rande! Die Hauptrolle spielen ihre Großnichte Annie in der Gegenwart, und Auszüge aus ihrem Tagebuch von 1966. Der Originaltitel ist da wesentlich zutreffender, "How to Solve Your Own Murder" ("Wie man seinen eigenen Mord aufklärt"). Schade ist das schon - ich hatte viele Szenen erwartet, in denen beschrieben wird, wie die schrullige Frances ihre Nachbarn ausspioniert. Doch leider nein.
Von einem Krimi erwarte ich zudem definitiv mehr Spannung. Dies hier war eher ein netter Dorfroman à la Inspector Barnaby. Die "Ermittlungen" von Annie waren sehr unbeholfen, sie stolperte vielmehr kopflos in der Handlung herum. Oft hätte ich sie schütteln mögen, da sie das eine denkt, dann aber völlig ungeplant das andere tut!
Die Verwandtschaftsverhältnisse haben mich teilweise überfordert - es hätte statt den knalligen Bildchen vielmehr ein Stammbaum ins Cover gehört. Oft musste ich zurückblättern und nachsinnen - wer war das jetzt noch mal? Genauso ging es mir mit dem letztlichen Täter!
Mit der Übersetzung bin ich auch nicht recht glücklich. Oft erschien sie mir unangemessen flapsig, teilweise gar peinlich. Hier wäre ein Blick ins Original zweifellos hilfreich. Fast ein Ärgernis waren jedoch zwei bis drei inhaltliche Fehler! An verschiedenen Stellen des Buches werden sich widersprechende Dinge behauptet. (Ein Foto von 1966 hätte z. B. gar nicht existieren dürfen, weil sich die Personen laut Tagebuch zu dem Zeitpunkt gar nicht gesehen haben.) In einer längeren Dialogpassage werden die Redebeiträge den beiden Gesprächspartnern nicht immer korrekt zugeordnet, widersprechen sich. Es gibt verschiedene Versionen vom Ableben ehemaliger Gattinnen, etc. ...
Und nachdem das Buch längere Zeit eher vor sich hin plätscherte, wurde die Auflösung dann ziemlich übers sprichwörtliche Knie gebrochen. Von "Mitraten" konnte hier bei weitem keine Rede sein!
Ich wüsste wirklich nicht, wem ich dieses Buch empfehlen sollte. Eine gute Grundidee ist meiner Ansicht nach auf halber Strecke stecken geblieben. Am liebsten würde ich 2,5 Sterne vergeben.
rumble-bee
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Rezensionen und Bewertungen
Das ganze Konzept dieses Buch ist neuartig - und zwar so neu, dass es Leseherausforderung versprach. Man kennt natürlich Genre-Überschreitungen, zum Beispiel das Einarbeiten von Tagebucheinträgen und Zeitungsartikeln in Krimis. Hier wurde dies allerdings auf die Spitze getrieben. Zum ersten Mal besteht ein Thriller aus keiner einzigen Zeile fortlaufendem Fließtext, sondern quasi "nur" aus einer nachgestellten Fernsehserie! Es gibt keinerlei übergeordnete Erzählerperspektive, sondern der Leser wird 1:1 mit dem hypothetischen Zuschauer einer Fernsehserie gleichgesetzt. Man liest gewissermaßen ein Drehbuch, dazwischen Mails, Zeitungsausschnitte, und VoiceMails.
Ich kann die Idee dahinter durchaus verstehen - dem Leser wird suggeriert, dass er den Fall selber lösen könne, und hautnah dabei sei. Allerdings finde ich das Ganze durchaus auch anstrengend! Es sprengt einfach klassische Lesegewohnheiten. Man ist permanent und im Akkord gezwungen, Bilder vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. Es gibt keine ruhigen, beschreibenden Passagen; ebenso fehlen innere Monologe und Gedankengänge, die einen Charakter vertiefen könnten. Personen werden einzig und allein aufgrund ihrer Äußerungen vorgestellt, und im geringeren Maße durch ihr Aussehen.
Nun gut, wir haben es mit einer Fernseh-Kultur zu tun, unsere visuellen Gewohnheiten haben sich gewiss verändert. Andererseits - jemand, der visuell geübt ist, also ein Serienfan, ist eben nicht der klassische Leser. Und ein klassischer Leser wiederum wird tendenziell überfordert sein mit der inneren Bilderflut. In puncto Innovation allerdings ist dieses Buch zweifellos einzigartig!
Nun zum Inhalt. Es geht um einen 20 Jahre zurück liegenden Mordfall, einen "Cold Case". Damals wurde ein junger Mann auf dem Grundstück seiner vermögenden Ehefrau erschlagen. Der Fall wurde nie geklärt - bis sich nun der Sohn der Witwe, mittlerweile Regisseur geworden, erneut an die Geschichte wagt. Die Geschichte verspricht Spannung - es werden 6 Experten ins Studio geladen, die sich erneut mit allen Details befassen. Pro ausgestrahlter "Folge" steigt die Spannung kontinuierlich, immer wieder gibt es Twist und Überraschungen. Bis am Ende der Fall tatsächlich vor laufender "Kamera" gelöst wird...
Dem Zuschauer und Leser wird suggeriert, er könne mitraten. Das finde ich aber nur bedingt zutreffend. Eben weil etliche der Beteiligten Informationen zurückhalten. Die eigentlichen "Ermittlungen" werden nicht im Studio angestellt, sondern in der Zeit dazwischen. In der "Sendezeit" werden nur Ergebnisse zusammengetragen.
Der Spannungsbogen ist schon ziemlich großartig angelegt, keine Frage! Man wird als Leser bei der Stange gehalten. Besonders nett ist die Erfindung eines "Fernseh-Journalisten", der eine Kolumne zur "Sendung" schreibt. Ebenso wie ein True-Crime-Forum im "Internet", in dem sich Fans der "Sendung" austauschen. Allerdings werden so dem Leser wiederum Gedanken quasi vorgegeben.
Die eigentliche Geschichte zu kommentieren, ist nicht leicht ohne zu spoilern, eben weil alles so unmittelbar auf den Leser einprasselt. Sagen wir, die Autorin ist erkennbar klassisch sozialisiert, was Krimis betrifft. Die Geschichte bildet - für mich - einen Mix aus "Mord im Orient-Express" und "Zehn kleine Negerlein", beide von Agatha Christie. In der Tat hatte ich allerdings von Anfang an den richtigen Riecher, was den Täter betrifft! (Das hat übrigens Elizabeth George in einem Krimi auch schon mal gemacht.)
Mir kommt die Psychologie in diesem Fall etwas zu kurz - mir reicht es nicht, dass die eingeladene Psychologin in einer einzigen Szene die möglichen Gründe erklärt. Das wäre eben in einem klassischen Krimi besser möglich gewesen, in dem man auch Einblicke in die Gedankenwelt der handelnden Personen hat. (Wiederum möchte ich hier Elizabeth George erwähnen.) Entschädigt wurde man dafür hingegen durch einen netten Epilog, der ein paar Dinge andeutet.
Ich pendle mich ein auf eine Bewertung von vier Sternen. Sobald man sich eingelesen hat, setzt ein Lesesog ein. Nur wie gesagt, man kann sich beim Lesen nicht entspannt zurücklehnen, da das Format viel mehr visuelle Mitarbeit erfordert als üblich. Ich würde dieses Buch einer jungen Generation empfehlen.
Bewertung zu "Glückstöchter - Einfach lieben" von Stephanie Schuster
Dies ist der gelungene zweite Band der "Glückstöchter"-Reihe. Der Kreis schließt sich: man erfährt mehr über die Familiengeschichte von Anna und Eva. Wieder ist alles sehr menschlich, farbig und nachvollziehbar erzählt: das Leben auf einer Alm um 1911 - 1917, sowie eine Bio-WG im Bayern der 1970er Jahre. Dennoch bleiben Leerstellen, und man könnte sich fragen, ob es nicht einen dritten Band hätte geben sollen.
Nach einem sehr starken Beginn, und vor einem dramatischen Ende mit vielen Wendungen, ist das Buch im Mittelteil eher still, was jedoch seinen ganz eigenen Reiz hatte. Der Fokus lag eher auf den Menschen, wie sie tatsächlich täglich gelebt und gefühlt haben. Der Leser sammelt zum Beispiel Kräuter mit Anna, und macht die Alm winterfest. Und man stellt mit Eva Müslis zusammen, oder erfährt mehr über Eifersüchteleien und Stimmungsschwankungen in der WG.
Die Zeitgeschichte wird durchgehend sehr am Rande gehalten. Die Erwähnung des ersten Weltkrieges, sowie der RAF, werden auf ein absolutes Minimum beschränkt. Dies hat dem Buch und der Charakterisierung seiner Protagonisten gut getan!
Die Autorin wollte kein heimliches Geschichtsbuch schreiben, sondern die Gefühlswelt einer Heldin damals und in den 70ern erfahrbar machen, was ihr hervorragend gelungen ist. Besonders im Handlungsteil "Eva" gab es so manchen Schmunzler - wie man zum Beispiel mit unerwarteten Polizeikontrollen umging, oder dass viele doch wesentlich "traditioneller" gedacht haben, als die Sponti-Atmosphäre glauben ließ. Fragen von Vaterschaft und Verwurzelung gibt es auf beiden Handlungsebenen - ein erkennbares Herzensthema der Autorin.
Rein schriftstellerisch muss ebenfalls ein großes Lob ausgesprochen werden. Die Dialoge sind erfrischend, und die Schreibweise abwechslungsreich. Es gibt verschiedenste Texte, wie Tagebücher oder Zeitungsartikel. Herrlich auch die Erwähnung typischer Musiktitel! Man wollte am liebsten gleich mit auf eine Studentenfete!
Das Thema "Naturverbundenheit" und Nachhaltigkeit ist ein weiterer Schwerpunkt, und zwar in beiden Handlungsteilen gleich. Anna lebt ganz nah an und in der Natur, während Eva in den 70ern um Kompromisse nicht herumkommt. Zudem war es erschreckend festzustellen, dass wir heute in vielen Bereichen, was die Bio-Bewegung angeht, noch nicht wirklich weiter sind!
Die Höchstwertung wird nur deshalb knapp verpasst, weil am Ende das Buch doch ein wenig gerafft erscheint. So als habe ein Lektor oder Verlagsmensch entschieden, dass zwei Teile eigentlich reichen. Die Autorin hat sich hier achtbar aus der Affäre gezogen - das Ende wartet trotz seiner Kürze mit ein paar herzerwärmenden Überraschungen auf. Insgesamt ist das Buch sehr empfehlenswert für alle, die schon den ersten Band mochten - kann aber auch unabhängig gelesen werden.
Bewertung zu "Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie" von Anne Stern
Das Buch weiß durchaus gut zu unterhalten. Ich kannte die Autorin bisher nicht, würde mich aber nicht unbedingt nach weiteren ihrer Werke umsehen. Der Schreibstil ist sehr flüssig, teilweise finde ich ihn jedoch zu modern, nicht in die Zeit um 1841 passend. "Sein blaues Wunder erleben"? Sagte man das damals schon? Zufällig weiß ich, dass sich diese Redewendung tatsächlich auf die Stadt Dresden und die Kacheln an einer Brücke bezieht. Aber wie gesagt, der Ausdruck scheint für die Zeit unpassend. Und es gab mehrere solcher Stellen.
Ein wenig enttäuscht war ich auch, weil letztlich die groß angekündigte Semperoper weit weniger vorkommt als gedacht. In weiten Teilen ist es lediglich eine handelsübliche Liebesgeschichte. Es geht um eine damalige Bürgertochter, deren Vater unbedingt an der Hofkappelle spielen möchte, und einem an der Oper angestellten Malergesellen. Alles spricht gegen diese Verbindung, die inneren Kämpfe der beiden Liebenden werden ausführlich behandelt. Die Oper und die Stadt Dresden sind dabei mehr oder weniger Kulisse.
Zugegeben, das Lokalkolorit der Stadt Dresden ist schon recht gut eingefangen. Der vordere Einband enthält sogar eine Karte der Innenstadt. Man kann als Leser die Gänge der Figuren gut nachvollziehen. Auch lokale Köstlichkeiten werden erwähnt, wie die Eierschecke, oder eine "Bemme". Kirchen, Plätze, Straßen, die Bühler Terrassen.
Auch einen Einblick hinter die Kulissen des Opernbetriebs erhält man - welche Dramen sich abspielen, welche Beziehung die Dresdner zu "ihrer" Oper hatten. Wer eigentlich die Fäden zieht. Und dennoch, auch dies erhält im Verhältnis zur Länge des Romans zu wenig Gewicht.
Gewundert hat mich auch die Rolle der Politik. Immer wieder wird von einer Revolution in Sachsen berichtet, die angeblich vorbereitet wird. Auch wird die politische Zersplitterung Deutschlands häufig erwähnt, ebenso wie die Rolle der Zensur, was mir gar nicht bewusst war. Dies lässt mit einiger Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass eine Fortsetzung geplant ist - sonst wäre mir der politische Aspekt des Buches nicht erklärlich.
Mein Fazit bewegt sich im guten Mittelfeld - nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Für Fans der Autorin sicher ein Highlight, ansonsten in Maßen zu empfehlen.
Bewertung zu "Der späte Ruhm der Mrs. Quinn" von Olivia Ford
Man mag kaum glauben, dass dies ein Debütroman sein soll. Wie will die Autorin das noch übertreffen? Sie bewegt sich erzählerisch ganz in der Tradition von Romanen wie "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry" oder der "Köchinnen von Fenley Hall". Ein absoluter Wohlfühlroman, wobei dieses Etikett nicht abwertend gemeint ist, sondern als Qualitätssiegel. Ein spannender Backwettbewerb in der Gegenwart verbindet sich mit Rückblenden, Lebenslügen, und einem angenehm offenen Ende, das Raum für Interpretation bietet. Hier kann man als Leser absolut versinken!
Im Zentrum steht die 77jährige Jennifer Quinn, die sich spontan entscheidet, an einem Backwettbewerb im TV teilzunehmen. Großartig, wie sie mit der modernen Technik kämpft, und den Grund für ihre neu erwachte Backwut vor Ehemann und Nachbarn zu verbergen sucht! Das Ehepaar Quinn ist mit viel Herzblut gezeichnet - die Autorin hat sich an ihren eigenen Großeltern orientiert. Man möchte die Beiden am liebsten besuchen!
Pluspunkt Nummer zwei. Es wird überdeutlich, wie sehr Kochen und Backen mit Erinnerungen, Düften und Ereignissen verbunden ist. Bei jedem Rezept, das Jennifer ausprobiert, entsteht vor dem Auge des Lesers die dazu gehörige Geschichte - der Mutter, der Großmutter, oder auch Jennifers eigene schwierige Vergangenheit. Man schnuppert, kostet und genießt.
Drittens, die Autorin hat das Kunststück vollbracht, Jennifer Quinn ein Geheimnis unterzujubeln, das in die damalige Zeit passt, und in Rückblenden portionsweise enthüllt wird. Kein Detail ist hier zu viel, keine Träne zu wenig. Man leidet und schwankt mit Jennifer! Und wie das Geheimnis in der Gegenwart gelüftet wird, ist wirklich gut gemacht.
Viertens, man merkt, dass die Autorin selber im Unterhaltungsfernsehen tätig war. Man wirft einen lebendigen Blick hinter die Kulissen einer Fernsehshow, mit all ihren Pannen und Aufregungen. Und all das mit einer 77jährigen! Schon eine enorme Belastung.
Ich weiß gar nicht, für welchen Aspekt ich das Buch am meisten loben soll. Es wirkt eben wie aus einem Guss. Dazu noch die wunderschöne Aufmachung samt Lesebändchen - da ist dtv ein wahres Schmuckstück gelungen. Rundum eine klare Leseempfehlung!
Bewertung zu "Kleine Wunder um Mitternacht" von Keigo Higashino
Im Klappentext heißt es, Keigo Higashino, der bekannte japanische Großmeister der Spannung, habe sich hier "neu erfunden". Dem kann man nur zustimmen. Dieses Buch ist so gänzlich anders, als die streng logischen Krimis um Inspektor Kaga oder Professor Yukawa. Gleichzeitig greift es einen derzeit in Japan aktuellen Trend auf - den Episodenroman, doch in diesem Fall kunstvoll verflochten in einer Rahmenhandlung mit vielen Überraschungen.
Drei Kleinganoven brechen nachts in ein verlassenes Ladengeschäft ein, um sich zu verstecken. Schon bald merken sie, dass hier merkwürdige Dinge vor sich gehen - der Laden ist Ausgangspunkt für geheimnisvolle Briefe, die aus dem Nichts kommen, und genauso wieder verschwinden. Zuerst aus Übermut, dann aus Überzeugung, beschließen die Drei, sich in dieses ominöse Spiel einzuschalten. Mit unabsehbaren Folgen...!
Man kann das Buch mit gutem Recht auch als Märchen bezeichnen. Denn schon bald sind die Ereignisse nicht mehr logisch erklärbar. Das Vergangene vermischt sich mit der Zukunft, Hoffnung mit Gewissheit, Lebensrückblicke mit Lebenslügen. Die einzelnen Kapitel sind recht lang, was dem Umstand geschuldet ist, dass die jeweiligen "Fälle" (wie in einem Episodenroman eben üblich) deutlich dargestellt werden. Hinzu kommen immer wieder ausgedehnte Dialoge in der Gegenwart unter den drei Ganoven. Und am Ende gibt es diverse große Überraschungen.
Typisch japanisch ist das Buch auch insofern, als es viele aktuelle Themen behandelt. Den ungeheuren Karrieredruck der jungen Menschen zum Beispiel. Aber auch die Verpflichtung den Eltern gegenüber. Die Wirtschaftskrise der 80er Jahre. Fragen von Abstammung, Lebensziel und Bestimmung. Ein wenig schade ist nur, dass das Buch aus dem Englischen, nicht dem Japanischen übersetzt wurde. So wird der Text gleich zweifach verfremdet. Die Sprache gerät dadurch bisweilen sehr flapsig, was einerseits zu den drei Ganoven passt. Aber man wüsste schon gerne, wie es im Original lautet.
Insgesamt hat mich das Buch durch und durch verzaubert, weil es sehr zum Nachdenken anregt. Und auch das eine oder andere Tränchen ist geflossen. Unbedingte Leseempfehlung an alle, die auch "Die Erinnerungsfotografen" oder "Before the coffee gets cold" mochten.
Bewertung zu "Mord im Christmas Express" von Alexandra Benedict
Mancher Leser mag sich fragen, ob die Referenzen zu Agatha Christies Klassiker "Mord im Orient-Express" zufällig sind. Sind sie nicht. Die Autorin hat dieses Buch ganz bewusst an das berühmte Vorbild angelehnt. Einer der Passagiere hat sogar ein Taschenbuch des "Orient-Express" dabei, was doch schmunzeln lässt. Alexandra Benedict hat aber nicht einfach eine Kopie abgeliefert, sondern das Thema "Mord im liegengebliebenen Zug" interessant variiert, und um aktuelle Themen erweitert. Es geht um Influencer und ihre Follower, Quiz-Sendungen im Fernsehen und das dazugehörige Casting, rivalisierende Studenten, sowie Geschlechterdiversität und Gewalt gegen Frauen. Das alles in einer ansprechenden Handlung unterzubringen, ist schon keine geringe Leistung.
Vor allem die Variationen sind interessant. Beim ersten Todesfall, einer jungen Mode-Ikone und Influencerin, ist lange nicht klar, ob es sich überhaupt um Mord handelt. Ganz klassisch handelt es sich aber um einen "locked room"! Der Hauptermittler ist kein belgischer Detektiv, sondern - eine weibliche, frisch pensionierte Polizistin, die... eventuell überlegt, Privatdetektivin zu werden. Es gibt weitere Todesfälle, die verschiedene Ursachen haben könnten. Der Täter muss mit an Bord sein. Und auch das Ende... bietet, verglichen mit dem Original, eine augenzwinkernde Parallele.
Das Buch verwendet viel Zeit auf Charakterisierung und Einleitung. Erst fast nach der Hälfte der Seiten wird das erste Opfer überhaupt gefunden. Dennoch, um die modernen Themen aufzurollen, ist das von der Autorin geschickt erdacht. Denn im Zug entfalten sich unselige Verflechtungen. Die anwesenden Studenten, unterwegs zu einem Casting, veranstalten ein "Zug-Quiz", und das, zusammen mit der Weihnachtsstimmung und Alkohol, bietet einen Rahmen, in dem sich toxische Beziehungen noch einmal verschärfen können. Das Ganze geschickt gesprenkelt mit dem rasanten Privatleben von Roz, der Ermittlerin wider Willen - ihre Tochter liegt in den Wehen, und die Geburt verläuft dramatisch. Wettläufe gegen die Zeit allerorten!
Man muss berücksichtigen, dass vieles an diesem Buch sehr britisch ist. Das "Pub-Quiz" hat dort eine sehr lange Tradition, ebenso wie traditionelle Verhaltensweisen zu Weihnachten, das Benehmen unter Fremden im Zug, und etliches mehr. Die Sprache ist im Original sehr, sehr modern; das ins Deutsche zu übertragen, war nicht leicht, ist aber gelungen. Nur ein zentraler Punkt um die Identität des Täters wirkt im direkten Vergleich mit dem Englischen etwas bemüht - es geht aber im Deutschen nicht anders.
Das Buch wirkt sehr spielerisch - das Zug-Quiz kann vom Leser in Teilen mitverfolgt werden. Auch hat die Autorin zahlreiche Anspielungen auf ihre Lieblingssängerin Kate Bush versteckt, was amüsant zu entdecken war.
Insgesamt eine herrlich andere Lektüre, die Spaß macht.
Bewertung zu "Kommissar Jennerwein darf nicht sterben" von Jörg Maurer
Man darf davon ausgehen, dass diesen 15. Band der Reihe überwiegend Fans des Kommissars lesen werden. Für genau diese Fangemeinde ist das Buch auch geschrieben, es ist unterhaltsam, flott sprachwitzig, nur eine Spur bemüht um aktuelle Themen. Für ganz neue Leser ist dieser Band jedoch weniger geeignet.
Man merkt dem Autor schon ein wenig an, dass er vom ursprünglichen Konzept abweicht - wird er gar des Jennerweins müde...? Die Handlung spielt nicht mehr im Bindestrich-Kurort, auch die vielen liebenswerten alpenländischen Marotten der dortigen Bewohner fehlen. Jennerwein ist im Urlaub, also spielt auch sein Team diesmal nur eine Nebenrolle, verständlich. Und doch...!
Es ist diesmal fast ein "richtiger" Krimi, der in der Welt eines Großkonzerns und der künstlichen Intelligenz spielt. Wie gesagt, wirken diese Bemühungen eben wie genau das - Bemühungen um Aktualität. Doch bei Maurer musste man nie großen Wert auf eine plausible Handlung legen, daher kann ein Fan darüber wohl hinwegsehen.
Die geplante Ermordung des Kommissars läuft als zweiter Handlungsstrang nebenher. Auch hier schrammt das Buch haarscharf an der Unglaubwürdigkeit vorbei. Es ist einfach zu viel Slapstick, zu viel Konfuses. Relativ gelungen sind noch die Wirrungen um eine präparierte Geburtstagstorte - hier konnte man durchaus Parallelen zu einem Louis-de-Funès-Film sehen. Hübsch auch die unabsichtliche Beteiligung eines Kindes! Doch spätestens bei der Legende vom Teufel im Beichtstuhl fragte man sich, was dies in der Handlung noch sollte.
Recht nett gelungen war die Tatsache, dass Jennerwein mittlerweile geheiratet hat. Bis ganz zum Schluss wird ein Geheimnis um die Identität der Gattin gemacht, was schon den einen oder anderen Schmunzler hervorrief.
Gut gelungen ist ebenfalls die Zusammenstellung der Verschwörer. Hier finden sich Figuren aus allen vorigen Bänden. Der Fan der Reihe wird hier seine Freude haben, sich zu erinnern! Allerdings, dem Neuleser entgeht dies natürlich.
Abschließend betrachtet, kann man sich durchaus fragen, ob nicht langsam der Abschied von Kommissar Jennerwein bevorsteht. Der 15. Band ist zweifellos recht gute Unterhaltung, lässt aber bereits Abnutzungserscheinungen erkennen.
Bewertung zu "Nur eine Lüge – Zwei Familien, eine tödliche Verbindung" von Malin Stehn
Die Ausgangslage und Umsetzung sind bewährt: ein Prolog mit einer rätselhaften Ausgangslage im Jetzt, danach eine Handlung, die zwischen Damals und Heute springt. Wechselnde Perspektiven, von verschiedenen Figuren erzählt. Es geht um einen Unfall, der zwei Familien vor 8 Jahren entzweit hat. Zwei sportbegeisterte junge Männer, ehemals beste Freunde, waren in diesen Unfall verwickelt - und danach ist nichts mehr wie zuvor. 8 Jahre später wollen ausgerechnet zwei Mitglieder dieser Familien heiraten - und auf der Hochzeit kocht unvermeidlich die Vergangenheit wieder hoch.
Damit ist eigentlich alles gesagt, ohne Wesentliches vorwegzunehmen. Die Autorin hat einen griffigen Spannungsroman geschaffen, der von Anfang an viele Fährten streut, und den Leser fast bis zum Schluss im Ungewissen lässt. Angenehm kurze Kapitel, und rasch wechselnde Schnitte, tragen zum durchgehend hohen Spannungslevel bei. Die angedeutete "Romeo und Julia"-Thematik tut ihr Übriges.
Ganz ohne Makel ist dieses Buch aber doch nicht. Wechselnde Perspektiven sind, wie gesagt, bewährt - aber jeden einzelnen Erzähler aus der "Ich"-Perspektive berichten zu lassen, erfordert Feingefühl. Nicht jedes "Ich" in diesem Buch ist gleich gut gelungen - kurioserweise sind es gerade die Männer, die mehr überzeugen. Die Frauen werden eher stereotyp und teils überzogen dargestellt.
Hinzu kommt, dass ein zentrales Element der Handlung ein wenig weit hergeholt scheint - auch für einen Spannungsroman. Der zentrale Konflikt dieses Buches, auf dem die ganze Tragik rund um den Unfall beruht, baut darauf auf. So hätte nur jemand gehandelt, der vorher (!) von dem Ereignis wusste; nicht jemand, der zufällig hineingezogen wird. Oder jemand, der selber bereits Dreck am Stecken hat; kein unbescholtener Bürger. Nun ja. Der eigentlichen Spannung und dem Lesefluss tut dies insgesamt keinen Abbruch.
Fazit: eine gelungene Spannungslektüre, die jedoch nicht zu den herausragenden Exemplaren ihres Genres zählt.
Bewertung zu "Das Glück der Geschichtensammlerin" von Sally Page
Dieses Buch als "Wohlfühlroman" einzuordnen, wird ihm nicht ganz gerecht. Es ist zweifellos leicht zu lesen, aber nicht seicht! Es entpuppt sich im Laufe der Lektüre als literarische Wundertüte, weil viele kleine Geschichten in der großen stecken. Noch dazu sind die Figuren eine Spur exzentrisch, die Umstände und Dialoge sehr britisch. Es entsteht ein farbenprächtiges Panorama, das nebenbei noch eine Lanze bricht für Mut und Unerschrockenheit. Und das schwierige Themen anschneidet.
Die Hauptgeschichte ist leicht zusammengefasst: eine tüchtige, aber daheim ausgenutzte und unterdrückte Putzfrau entdeckt durch die Geschichten ihrer Kunden und einige Wendungen, dass sie mehr wert ist als bisher, und ändert ihr Leben.
Absolut überzeugend ist der Blick der Autorin für sprechende Details, skurrile Situationen, und witzige Dialoge. Sehr oft darf hier geschmunzelt werden. Mrs. B., die über 90jährige ehemalige Spionin (!) ist die heimliche Heldin dieses Romans, mit sehr britischer Art und "Schnauze". Man sieht förmlich schon Maggie Smith in einer Verfilmung vor sich! Ebenso herzergreifend Decius, der "Patenhund" unserer Putzfrau. Ein Hund, der die Handlung kommentiert und begleitet! Auch der Taugenichts von einem Ehemann der Putzfrau hat seine Momente. Gerade in seiner Überzeichnung wirkt er sehr unterhaltsam; ebenso wie die schrillen Kunden mit ihren Spitznamen: Mrs "YeahYeahYeah" und Mr. "NoNoNotNow"...
Ganz nebenbei werden noch schwierige Themen eingeflochten, ohne dass das Buch schwermütig würde. Der Vater eines 12jährigen Jungen hat sich umgebracht; und Mrs. B. soll von ihren Kindern in ein Heim abgeschoben werden. Mit Witz, Tücke und viel Mut findet Putzfrau Janice jeweils eine Lösung. Und auch für ihr eigenes Glück findet sich ein Weg...
Dieses Buch eignet sich wunderbar für eine unterhaltsame Ablenkung vom Alltag, weiß aber auch mit ernsteren Tönen zum Nachdenken anzuregen. Große Leseempfehlung!