Auch wenn Erwachsene versuchen, Kinder vor Leid zu schützen, sie haben es nicht immer in der Hand. Das gilt heute und das galt in der Zeit des Nationalsozialismus, als Judenhass und Judenverfolgung die Freundschaft von Kindern zerstörte. Darum geht es in diesem einfühlsam aus Kindersicht erzählten Buch von Andrea Behnke. .
Die Geschichte „Die Verknöpften“
Die „Verknöpften“, das sind die drei Freundinnen Liselotte, Hildegard und Minna. Verknöpft sind sie, weil Liselotte, deren Eltern einen Stoffladen besitzen, für alle drei Freundschaftsarmbänder genäht hat, die mit besonders schönen Knöpfen aus ihrem Knopf-Schatz geschlossen werden. Aber in der Zeit, in der die Kinder leben, entscheiden Menschen nicht selbst darüber, ob eine Verknöpfung hält oder nicht. Bis 1938, der Zeit, in der die Geschichte spielt, konnten die drei Freundinnen zusammen mit ihrem Freund Leon halbwegs unbeschwert zusammenspielen. Sie spürten, dass etwas in der Luft lag, aber bis dahin hat sie das im Alltag nicht gestört. Zwar durften Liselotte, Minna und Leon nicht mehr in die gleiche Schule gehen wie Hilli, aber nachmittags waren sie trotzdem zusammen. Bis ihnen eines Tages verboten wurde, sich zu treffen. Und wenig später überfallen auch noch erwachsene Männer den Laden von Liselottes Eltern. Die Welt der Kinder zerbricht, Minna verabschiedet sich von Liselotte, weil sie in ein anderes Land zieht. Der Flötenlehrer ist auf einmal weg und dann wieder da, aber nur ganz kurz. Sogar Leon verreist. Liselotte bleibt zurück mit ihren Eltern, ihrer Flöte und der großen beängstigenden Stille in der Welt, die sie höchstens mit den Melodien in ihrem Kopf für kurze Zeit vergessen kann.
Über die realen Bezüge im Roman„Die Verknöpften“
Die Geschichte von Liselotte, Leon, Hilli und Minna hat Andrea Behnke erfunden. Aber für einige Erwachsene in dem Buch hatte sie Vorbilder. Das Vorbild der Lehrerin Ilse Hirschberg ist Else Hirsch, sie war Lehrerin in der jüdischen Schule in Bochum und ihre Spuren verlieren sich, die letzten Informationen über sie stammen aus dem Ghetto in Riga, wo sie sich um die Kinder und Kranken gekümmert hat. Es wird vermutet, dass sie 1943 ums Leben gekommen ist. Auch für den Flötenlehrer, Herrn Messing, gibt es ein Vorbild, den Schulleiter Erich Mendel, der in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 verschleppt und anschließend freigelassen wurde unter der Bedingung, Deutschland zu verlassen. Und natürlich sind die Orte authentisch, im Anhang des Buches befinden sich Fotos von der jüdischen Schule und der Synagoge in Bochum, an die heute nur noch eine Gedenktafel erinnert.
Und meine Lektüre des Buches
Da ich in Bochum gewohnt habe und das Haus, das dort steht, wo bis zur Reichspogromnat die Synagoge stand, einem früheren Arbeitgeber gehört, konnte ich mir gleich gut vorstellen, wo Liselotte in Bochum unterwegs war. So habe ich mit ihr gelitten, wie immer, wenn ich eine Geschichte über die Judenverfolgung lese. Es ist so schwer, sich vorzustellen, wie unmenschlich die Menschen damals waren, dass Kinder nicht mehr miteinander spielen durften, weil sie unterschiedlichen Religionen angehörten! Aber Andrea Behnke hat das sehr einfühlsam und kindgerecht beschrieben, vielleicht ist es auch das, was uns Erwachsene so anrührt. Ein sehr empfehlenswertes Buch zum Selberlesen ab der 4./5. Klasse, aber auch sehr gut zum Vorlesen geeignet, auch durch die sanften Illustrationen von Inabel Leitner.
Drei Fragen und Antworten zum Buch von der Autorin
Auch Andrea Behnke hatte mir für meinen Blog drei Fragen zum Buch beantwortet:
1. Wie bist du auf die Idee zu diesem Kinderbuch gekommen?
Ich habe vor etlichen Jahren für die Stadt Bochum Porträts über bedeutende zeitgenössische und historische Frauen verfasst. In dem Zusammenhang habe ich auch über Else Hirsch geschrieben, die mich sofort berührt und nicht mehr losgelassen hat. Damals dachte ich, dass ich gerne etwas für Kinder über die Geschichte der jüdischen Schule und Else Hirsch schreiben möchte. So habe ich weiter recherchiert. Bis ich das Konzept für einen Kinderroman im Kopf hatte, hat es gedauert.
2. Wie war das, eine Geschichte in der eigenen Stadt und trotzdem in einer anderen Zeit anzusiedeln?
Ui, das ist eine schwierige Frage. Natürlich sind mir die Orte eigentlich vertraut: die Innenstadt, der Stadtpark, Hohenstein in Witten ... Aber die alte Synagoge zum Beispiel kenne ich auch nur vom Bild, weil sie völlig zerstört wurde. Ohnehin hatte ich bei der Recherche das Gefühl, dass Bochum damals eine mir fremde Stadt war. Ganz anders als die Stadt, in der ich jetzt lebe. Heute ist das Ruhrgebiet von Vielfalt geprägt. Das war damals natürlich ganz anders.
3. Ich kannte den Ariella Verlag vor deinem Buch noch nicht. Wie kommt es, dass dein Buch dort erschienen ist?
Der Ariella Verlag ist ein jüdischer Kinderbuchverlag, der im letzten Jahr mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet wurde. Dass dieses Buch, in dem es um die Shoah geht, dort verlegt wurde, freut mich ganz besonders.