Bewertung zu "DAVE - Österreichischer Buchpreis 2021" von Raphaela Edelbauer
Was gleich vorweggenommen werden muss: Ich bin nicht als ganz „unbeschriebenes Blatt“ an Raphaela Edelbauers neuen Roman „Dave“ herangegangen. Kurz bevor sich in unser aller Leben so vieles änderte, hatte ich bereits das Vergnügen, sie bei einer Lesung ihres Romans „Das flüssige Land“ zu treffen, wobei sie mir sehr sehr sympathisch war.
Diese Sympathie verspürte ich natürlich auch zu dem Zeitpunkt noch, als ich „Dave“ aufschlug und mit der Lektüre begann. Und ganz ehrlich – ohne diese Sympathie wäre ich insbesondere gegen Beginn der Handlung manchmal dazu geneigt gewesen, das Buch zu schließen und nicht mehr aufzumachen.
Eine Welle von Fachausdrücken überschwemmt einen, wenn man sich zunächst in die Welt von „Dave“ begibt. Vor allem für mich, die weder mit technischen noch philosophischen Theorien bislang viel am Hut gehabt hat, war das durchaus gewöhnungsbedürftig. Während wir als Leser:innen den Protagonisten Syz und seine Lebenswelt langsam kennenlernen, tauchen wir in eine Sprache ein, die nicht das Bedürfnis verspürt, ihre Fachsimpelei für uns „Noobs“ herunterzubrechen – im Gegenteil: Die Erzählinstanz genießt das Spiel mit Fremdwörtern und Spezialausdrücken geradezu übergießt uns mit ihrem gesammelten Wissen.
Allen, die nach dieser Beschreibung beschlossen haben, „Dave“ sicher nicht in die Hand zu nehmen, sei versichert, dass sich auch technische Laien wie ich mit der Zeit an diese Fachwortkaskaden gewöhnen und sie nur mehr als Hintergrundrauschen wahrnehmen. Obwohl ich zunächst den Impuls hatte, jedes Wort, das mir unbekannt war, zu recherchieren, habe ich davon schnell wieder abgelassen. Es ist gar nicht notwendig, alles sofort zu verstehen und mit den dahinterstehenden wissenschaftlichen Theorien zu verknüpfen – im Gegenteil. Es hat sogar einen ganz eigenen Reiz, sich von den Wörtern, die durchaus auch erfunden sein könnten, zu berieseln lassen, ohne ihnen sofort auf den Grund gehen zu müssen.
Ganz egal, wie man zu dieser Sprache steht – nach spätestens 50 bis 100 Seiten hatte mich die Geschichte von Syz völlig in den Bann gezogen. Der Protagonist, ein Programmierer unter zahllosen, die gemeinsam an der Verwirklichung einer künstlichen Intelligenz namens „Dave“ arbeiten, die die Lösung für alle menschengemachten Probleme darstellen soll, zeichnet sich zunächst durch eine große Anpassungsfähigkeit in die durchaus dystopische Gesellschaft aus. In dieser ist die verbliebene Menschheit unterteilt: Während die Oberschicht in den oberen Stockwerken vornehmlich geistiger Arbeit nachgeht, die nahezu ausschließlich in der Konzeption von „Dave“ besteht, malocht die Unterschicht im Untergrund, um den Status quo beibehalten zu können.
In Syz‘ Leben, das bislang relativ gleichförmig verlaufen ist, kommt erst dann Bewegung, als er – gerade er! – ausgewählt wird, eine essenzielle Rolle bei der Finalisierung von „Dave“ zu spielen. Der Preis, den er für diese ehrenvolle Aufgabe zahlen muss, sind vorrangig seine Erinnerungen, die er in einem etwas undurchschaubaren Prozess auf „Daves“ Speicher überträgt. Doch je länger er dieser Tätigkeit nachgeht, desto mehr verändern sich sowohl Syz als auch sein gesamtes Umfeld. Irgendetwas geht vor sich in der hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Welt, doch was hat es mit Syz zu tun und welchen Einfluss hat dies auf „Dave“?
Ohne das Ende vorwegzunehmen, sei gesagt, dass Raphaela Edelbauer ein großartiger Roman gelungen ist, der meine Corona-bedingte Zurückgezogenheit definitiv bereichert hat und meine Gedanken zu ungeahnten Experimenten abgelenkt hat.