Wer bisher keine Angst vor Spinnen hatte, hat sie spätestens jetzt.
Ein außergewöhnlich guter Thriller
Am Mannheimer Klärwerk wird eine Leiche angespült - genauer gesagt, die zum größten Teil nur noch knöchernen Überreste einer Frau. Hauptkommissarin Alexis Hall ruft die befreundete Kriminalbiologin Karen Hellstern zur Hilfe. Und tatsächlich findet diese anhand unterschiedlicher Gewebe- und Gewässerproben den ursprünglichen Ablegeort der Leiche heraus. Dort machen Alexis Hall und Karen Hellstern eine grausame Entdeckung. Denn die Tote ist nicht das einzige Opfer eines grausamen Killers, das an diesem Ort begraben wurde. Eines haben alle Opfer gemeinsam: Sie alle tragen ein Spinnen-Medaillon um den Hals. Und sie alle wurden mit dem Gift einer Spinne getötet.
Die Spur führt zu Gabriella Thalberg, der Geliebten des zuerst gefundenen Opfers. Diese ist sich sicher: Der Mörder ist ihr Ex-Mann, der sie und ihre Tochter Merle tyrannisiert. Doch da es keine Beweise gegen ihn gibt, gibt es wenig, was die Polizei gegen ihn tun kann. Beim Versuch Merle zu beschützen, verliert Karen ihre professionelle Distanz, und setzt damit ihre Freundschaft zu Alexis aufs Spiel. Diese hat neben der Aufklärung der Morde mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen, möchte ihr Onkel sie doch für den tragischen Tod ihres Cousins zur Rechenschaft ziehen. Doch die Zeit drängt. Denn der Mörder hat bereits sein nächstes Opfer in der Gewalt. Und die Spinnen warten schon, um mit ihrem Gift auch dieses Leben zu nehmen ...
Bereits in "Die Bestimmung des Bösen" bewies Julia Corbin, dass sie nicht nur Hochspannung zu generieren vermag, höchst vielschichtige Charaktere agieren lässt und eine Auflösung präsentiert, mit der niemand gerechnet hat, sondern dass sie zusätzlich auch noch über fundierte kriminalbiologische Kenntnisse verfügt, die einen gemeinsam mit Karen Hellstern die Larven aus dem verwesenden Fleisch der Toten ziehen lässt. "Das Gift der Wahrheit" steht Julia Corbins erstem Thriller in nichts nach, an manchen Stellen übertrumpft es diesen sogar noch. Besonders eindrücklich waren die Szenen, in denen man sich im Kopf des Killers befand. Es war erschreckend mit zu erleben, wie sich ein unterdrückter Junge, mit dem man eigentlich nur Mitleid haben konnte, zu einem Killer entwickelte - und wie zugleich die Spinne von einem Symbol seiner Befreiung zu einem Mordwerkzeug wurde.
Neben der Hochspannung und der detailreichen Darstellung kriminalbiologischer Untersuchungen zeichnen Julia Corbins Thriller auch ihre starken Frauengestalten aus. Aufgrund ihrer Vergangenheit als Tochter eines Serienkiller-Päarchens und Studienobjekt ihres Adoptivvaters tut Alexis Hall sich schwer damit, anderen Menschen zu vertrauen - und versucht dennoch, über ihren Schatten zu springen, um eine gemeinsame Zukunft mit dem Mann haben zu können, den sie liebt. Diesen Zwiespalt hat Julia Corbin so eindrücklich beschrieben, dass Alexis trotz ihrer Distanziertheit menschlich und verletzlich rüberkam.
Für dieses Buch kann ich nur eine absolute Leseempfehlung geben. Es erfüllt alle Ansprüche, die ich an einen Thriller stelle: spannend, psychologisch ausgereifte Charaktere, ein fieser Killer, ein mindestens ebenso intelligentes (wenn auch lange nicht so krankes Ermittlerduo) und dazu noch eine Sprache, die mich unwiderstehlich in das Buch hineinzieht. Einfach nur großartig!