Einige Worte zum Inhalt
Der Amsterdamer Zoo steht finanziell auf der Kippe. Was also tun? Edo Morell, der Zoodirektor, entwirft einen ehrgeizigen Masterplan, um seinen Zoo bekannter zu machen. Sein erstes spektakuläres Projekt: das Themengebiet Afrika an der Amstel. Um seine Vorstellungen umzusetzen, engagiert er die afrikanisch-niederländische Nashornexpertin Sariah, mit deren Hilfe er die Nashorndamen Angela und Ursula sowie den Bullen Albrecht zu den Stars des Zoos machen möchte.
Meine Meinung
Lodewijk van Oords Roman Das letzte Nashorn habe ich innerhalb weniger Stunden verschlungen. Zu gebannt war ich, um das Buch aus der Hand zu legen, zu nachdenklich, begeistert, traurig und fasziniert. Erwartet habe ich eine witzige, im Grunde jedoch wenig aussagekräftige Geschichte. Was ich bekam, war eine ehrliche, tiefgründige und erstaunlich schonungslose Auseinandersetzung mit dem Aussterben bedrohter Tierarten, die durch clevere Dialoge und eine gewisse Komik untermalt wurde.
Das Leben eines domestizierten Tieres haben wir fast völlig in der Hand, was ein ziemlich guter Ersatz für die nicht vorhandene Kontrolle ist, die wir über unser eigenes Leben haben. – S. 210
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht dreier Personen, die ich hier näher beschreiben möchte, da sie die Grundfeste des Romans darstellen, die es erlaubt, die Handlung aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten: Zum einen wäre da Edo Morell, der leicht größenwahnsinnige Zoodirektor, der mit geschickten Marketingkampagnen versucht, seinen Zoo ins Rampenlicht zu rücken und dessen Ehrgeiz und Rationalität mich sowohl fasziniert als auch erschrocken haben. Der alternde Philosoph Frank Rida, der für Edo wie ein Vater ist, trauert noch immer seiner wissenschaftlichen Karriere nach und leitet nun an Edos Seite den Zoo. Die Frau im Bunde, Sariah Malan, zieht zu Beginn des Romans von Afrika in die Niederlande, um in Edos Zoo als Expertin für afrikanische Tierarten zu arbeiten, und ihre tiefe Liebe zu Tieren und im Speziellen zu Nashörnern gibt der Geschichte eine besondere Atmosphäre.
Während Edo den rationalen, auf Erfolg ausgerichteten Teil des Romans verkörpert, ist Sariah die emotionale, mitfühlende Tierliebhaberin, die Tiere nicht als Attraktion oder Kapital, sondern als individuelle Lebewesen betrachtet. Irgendwo dazwischen befindet sich Frank, der den Roman zwischendrin immer wieder mit wissenschaftlichen Informationen unterfüttert und dessen Gedankengänge mich am meisten gepackt haben.
Den Arten ist es egal, dass sie aussterben. Das letzte Exemplar hat nicht die geringste Ahnung, dass es seiner Art das Licht ausknipst. – S. 212
Manchmal ist es nicht leicht, zu unterscheiden, welche Kapitel aus welcher Sicht geschrieben sind, was es für mich jedoch umso spannender macht: Wem folge ich in diesem Kapitel? Kann ich anhand des Geschriebenen erkennen, welcher Charakter gerade zu Wort kommt? Ich kann mir vorstellen, dass so mancher Leser diese Struktur als zu verwirrend empfindet, ich persönlich bin allerdings positiv überrascht davon, wie interessant die Perspektivenwechsel gestaltet wurden – wozu eben auch gehört, dass manchmal erst einmal eine Unsicherheit darüber besteht, aus welcher Sicht geschrieben wird.
Die Geschichte kommt ins Rollen, als Edo den Schwarzen Nashornbullen Albrecht kauft (kurzer Einwurf: das Schwarze Nashorn, auch Spitzmaulnashorn genannt, gilt seit 2013 als in der freien Wildnis ausgestorben), der die Attraktion des Themengebiets Afrika sein soll. Er ist einer der Letzten seiner Art und dementsprechend wertvoll. Was nun zum perfekten Glück fehlt? Richtig: eine Nashorndame, mit der Albrecht sich paaren kann, um die Welt mit kleinen Babynashörnern zu besiedeln und die Rasse zu erhalten. Doch Edo muss bald erkennen, dass das Ganze nicht so reibungslos abläuft, wie er sich das vorgestellt hat.
Das Afrikanische Nashorn gehört nach Afrika […]. Auch Tiere haben einen Ort, an den sie gehören. Für unsere Nashörner ist das Afrika. Wenn sie Afrika verlassen, hören sie auf, Nashörner zu sein. Was sie dann noch sind, weiß ich nicht. – S. 135
Lodewijk van Oord verbindet meisterhaft moralische Vorstellungen und Kommerz, Menschsein und Tiersein, und hat mich mit seinem Roman zum Nachdenken gebracht und ja, auch irgendwie traurig gemacht. Die Geschichte ist eine Kritik an unserem Umgang mit unseren tierischen Zeitgenossen und betrachtet auch die Seite derer, die Moral zugunsten von Geldgier und Erfolg verwerfen. Dabei tadelt oder urteilt van Oord jedoch nicht, was ich besonders beeindruckend fand. Er fordert den Leser damit zugleich auf, darüber nachzudenken, die einzelnen Standpunkte zu evaluieren und sich eine Meinung zu bilden. Denn nachvollziehbar sind die Gedanken und Handlungen aller drei Charaktere.
Das i-Tüpfelchen bildet das wohlige Setting inmitten eines Zoos, umgeben von Tieren und ihren Ausdünstungen, von Eiscremepatschehändchen und Staunen. Ich gehe sehr gerne in den Zoo (was sich auch nach diesem Roman nicht ändern wird), denn zwischen Tieren fühle ich mich wohl – und genau so habe ich mich auch während des Lesens gefühlt. Die Tiere und ihr Verhalten wurden so eingehend und authentisch beschrieben, dass ich mich direkt in einen Zoo versetzt gefühlt habe.
So entsteht Aberglaube […]. Eine zufällige Beobachtung, eine gehörige Portion Fantasie, abgelöscht mit einem Schuss Unwissenheit. – S. 191
Der Schreibstil des Autors unterstreicht den Charme der Geschichte. Manchmal absurd, manchmal etwas überspitzt, aber immer zur Situation passend. Er lässt sich angenehm und flüssig lesen, was der Grund dafür ist, dass ich den Roman innerhalb so kurzer Zeit durchgelesen habe.
Fazit
Mit diesem erschreckenden und zugleich etwas überspitzten, witzigen Roman hat der Autor es geschafft, ein schwieriges Thema neu aufzuarbeiten, aufmerksam zu machen und zum Nachdenken zu bringen. Eines meiner bisherigen Jahreshighlights!