"Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken." -Georg Christoph Lichtenberg
Manchmal ist es der mangelnde Intellekt, manchmal eine nicht gemachte Erfahrung, die einen beim lesen gelangweilt oder ratlos zurücklässt. Zu so mancher Zeit ist man für bestimmte Bücher noch längst nicht so weit, zu Anderer mögen diese genau richtig sein.
Eine Erfahrung - bei Weitem nicht das erste Mal - die mir demletzt mit Franz Kafkas 'Die Verwandlung' widerfuhr. Das erste Mal angefangen vor Jahren, doch blieb mir jegliches Verständniss für Gregor Samsas Situation auf den ersten Seiten verschloßen. Vor kurzem wieder in die Hände genommen und verschlungen, dank der erlangten Reife durch den neuartigen Blick auf das Leben nach den dargebotenen bequemlichkeiten der Schule.
So beschränkt sich das Buch natürlich nicht nur auf die Problematik der immer höher werdenen Belastung durch die Arbeitswelt, dem Druck nie krank zu sein und viel Geld nach Hause zu scheffeln, doch kam ich erst jetzt über dies hinaus. Hätte ich schon früher weitergelesen, so hätte ich doch schnell gemerkt, dass Gregor Samsas Gedankenwelt mir keineswegs fremd ist, genausowenig wie die Situation zu Hause, wenn auch in anderer Art und Weise.
Ich kann nicht behaupten, dass ich mich mit Gregor Samsa identifizieren kann, dafür sind wir zu verschieden, doch empfinde ich tiefstes Mitgefühl für die Ausnutzung seines warmherzigen Charakters durch seine Familie und den späteren Verstoß des verwandelten Gregors, da dieser keinen Nutzen mehr für sie darbot, sondern nur noch Belastung sowie Scham bedeutete. In meinen Augen ist die Familie das Untier und nicht Gregor, wenn auch misslicher Weise gefangen in den Körper desselbigen.
Umso erschütterter war ich im Nachhinen auch, als ich bei Recherchen zu dem Buch auf die Parallelen Kafkas Familienverhältnisses und seiner dadurch resultierenden Gefühle im Vergleich zu Gregor Samsa stieß. Es scheint fast überdeutlich, dass er in diesem Buch seine Rolle als gefühltes Ungeziefer in seiner Familie verarbeitete, so war sein Verhältniss zu seinem Vater immer Anerkennungssuchend - vergeblich - und das zu seiner Schwester zu der Zeit auch gespannt. So wie sich Gregors Schwester im Buch gegen ihren Bruder und für die Seite ihres Vaters entscheidet, fühlte sich Kafka verraten.
Franz Kafka gab mir nach langer ungewollter Abstinenz die Fähigkeit zu lesen wieder; und auch wenn das nach einer banalen Kleinigkeit für Menschen klingen mag, die sich zu Büchern nicht verbunden fühlen, so hat mir das in größter Trauer ein Stück Lebensfreude erhalten und vor allem ganz viel Selbstwertgefühl.
"Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns." - Franz Kafka