Bücher mit dem Tag "arisierung"

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16 Bücher

  1. Cover des Buches Wofür es lohnte, das Leben zu wagen (ISBN: 9783958901209)
    Christian Hardinghaus

    Wofür es lohnte, das Leben zu wagen

     (9)
    Aktuelle Rezension von: mabuerele

    „...Angesichts des Todes werden die Werte des Lebens ein Nichts...“


    Das Sachbuch beginnt mit einem Vorwort von Hans Machemer. Dort legt er kurz dar, wie und weshalb es zur Veröffentlichung der Geschichte kam. Es sind die Briefe seines Vaters, die den Inhalt des Buches bilden.

    Anschließend folgen von Christian Hardinghaus eine geschichtliche Beurteilung und die Vorgeschichte.

    Helmut Machemer ist Augenarzt. Mit 36 Jahren und auf Grund seines Berufs wäre er vom Kriegsdienst freigestellt gewesen. Doch seine Frau Erna ist nach Lesart der damaligen Zeit halbjüdisch. Damit gelten sie und die drei kleinen Söhne als Mischlinge. Erna musste deshalb schon ihr Medizinstudium aufgegeben. Da sich Helmut nicht von seiner Familie trennen will, sieht er nur eine Chance. Wenn er sich freiwillig zum Heer meldet und dort alle Tapferkeitsauszeichnungen erhält, kann er damit erreichen, dass seine Familie arisiert wird. Diese Sonderregelung gibt es im Rassengesetz.

    Hans Machemer ist dabei, als die Deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 ohne Kriegserklärung über die sowjetische Grenze marschiert. Er ist Unterarzt der Aufklärungs-Abteilung der 16. Panzerdivision. Gleichzeitig schreibt er in Briefen seine Erlebnisse und Gedanken nieder und fotografiert das Geschehen. Die Vielzahl dieser Briefe bildet den Hauptinhalt des Buches.

    Der erste Brief datiert vom 5. Oktober 1941. Die Deutsche Wehrmacht befindet sich auf einem fast ungebremsten Vormarsch. Deshalb zeigen die ersten Briefe auch seinen Optimismus. Deutlich wird die Überlegenheit der deutschen Truppen herausgestellt. Es ist nicht zu überlesen, dass die Propaganda der letzten Jahre Spuren hinterlassen hat. Das zeigt sich in einer gewissen Überheblichkeit. Andererseits überwiegt auch im Verhalten gegenüber dem Gegner die Menschlichkeit. Das Regiment zieht durch die Ukraine und trifft dabei nicht nur auf Feinde. Exakt werden die Dörfer und das dortige Leben beschrieben. Schnell machen sie Bekanntschaft mit Wanzen und Flöhen.

    Die ganze Widersprüchlichkeit der Gedankenwelt wird hier an einer Stelle besonders deutlich. Helmut möchte, dass seine Familie arisiert wird, nimmt aber den Judenhass in der Ukraine als gegeben hin.

    Mit dem ersten Wintereinbruch ändert sich der Schriftstil leicht. Plötzlich geht es nicht mehr nach vorn. Die Langeweile des Stellungskrieges, erste Erfrierungen, fehlende Winterbekleidung gewinnen zunehmend Raum in den Briefen. Nachdem er im ersten Teil davon berichtet hat, dass die Rote Armee beim Rückzug verbrannte Erde zurückgelassen hat, verwendet nun die Deutsche Wehrmacht ebenfalls diese Taktik. Doch immer überwiegt die Hoffnung auf den Sieg.

    Hinzu kommt, dass Helmut in den Briefen darauf drängt, Maßnahmen zu ergreifen, um die Arisierung der Familie voranzutreiben. Er hat Angst um seine Kinder. Auf seine Beförderung wartet er seit zwei Jahren. Das ärgert ihn, ändert aber wenig an seinem Pflichtbewusstsein.

    Deutlich wird, wie hart das Leben eines Arztes direkt an der Front ist. Es geht um die Erstversorgung der Verwundeten. Die nächste Schwierigkeit besteht darin, sie in ein Lazarett zu bringen. Das ist nur noch bedingt möglich. Der russische Winter lässt nicht nur Wasser gefrieren, sondern auch Füße und Hände. Fahrzeuge fallen aus. Der Stellungskrieg zermürbt. Bisher registrierte Helmut in seinen Briefen die Menge der gefallenen Russen. Nun werden zunehmend eigene Kameraden beerdigt. Außerdem gibt es Probleme mit der Post. Die mit Sehnsucht erwarteten Päckchen aus der Heimat bleiben aus.

    Berührend zu lesen sind die Briefe der Kinder, die sie an ihren Vater schreiben. Im letzten Drittel des Buches sind auch Briefe von Erna veröffentlicht. Dort tauschen sich die Eheleute über Schreibstil und Lesbarkeit aus. Erna schreibt alle Briefe ihres Mannes ab.

    Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch die Hoffnung auf Sieg und Heimkehr. So schreibt Helmut:


    „...Dass der Russe seine letzten Reserven ausschöpft, ist keine Frage...“


    Auch das Eingangszitat stammt aus einem der letzten Briefe. Seine Zeilen sprechen von Kameradschaft selbst in schwierigen Situationen, setzen sich mit Fehlverhalten auseinander und bescheinigen dem Regiment einen Hauch preußischer Disziplin. Doch gerade in der letzten Zeit kommt er auch mit Ärzten in Kontakt, die die Situation wesentlich kritischer sehen. Helmut hat aber nur ein Ziel vor den Augen, und dafür setzt er sich mit ganzer Kraft ein: die Sicherheit seiner Familie. Dabei ahnt er aus meiner Sicht nicht einmal, wie groß die Gefahr für sie wirklich ist. Trotzdem gibt er Verhaltensratschläge, was zu tun ist, falls er nicht zurückkehrt. Die lange Zeit wirkt zermürbend. Heimaturlaub ist nicht in Sicht oder wird gestrichen.

    Und dann stellt er eine Frage, die Monate vorher überhaupt nicht im Raum stand.


    „...Dankt uns die Heimat einmal, was wir für sie tun?...“


    Die Briefe ermöglichen mir als Leser einen Einblick in eine Gedankenwelt, die schwierig nachzuvollziehen ist. Die Soldaten sahen sich als Verteidiger der Heimat. Sie taten ihrer Ansicht nach ihre Pflicht. Dass es zunehmend von beiden Seiten Grausamkeiten gab, wurde registriert, aber kaum bewertet.

    Die politische Beeinflussung des Gegners durch Kommissare wird häufig angesprochen, die Wirkung der eigenen Propagandamaschinerie nicht registriert.

    Eingebunden im Buch sind viele Originalfotos. Sie veranschaulichen die Situation.

    Außerdem gehört zum Buch eine DVD. Auch dort befinden sich bisher unveröffentlichte Bilder. Gut gefallen hat mir der Kommentar des Autors. Unter anderen führt er aus, welchen Gefahren sich Helmut mit diesen Aufnahmen ausgesetzt hat.

    Außerdem sind Originaldokumente dem Buch beigefügt.

    Helmut erreicht sein Ziel. Seine Familie wird deutschblütigen Personen gleichgestellt. Doch er zahlt dafür einen hohen Preis. Seine Söhne werden ohne ihn aufwachsen.

    Ich bin mir bewusst, dass diese Rezension dem Buch nicht allumfassend gerecht werden kann. Sie spiegelt nur einen Teil des Inhalts wider.

    Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist ein wichtiges Zeitdokument, da es ungeschönt die Gedanken eines Arztes an der Front wiedergibt. Der meist sachliche Schriftstil wirkt besonders beeindruckend.

  2. Cover des Buches Die Akte Leopoldskron: Max Reinhardt - Das Schloss - Arisierung und Restitution (ISBN: 9783702509835)
    Johannes Hofinger

    Die Akte Leopoldskron: Max Reinhardt - Das Schloss - Arisierung und Restitution

     (2)
    Aktuelle Rezension von: Sikal

    Der Autor Dr. Johannes Hofinger ist Historiker mit Schwerpunkt „Salzburger Zeitgeschichte“ und hat als Experte seine Recherchen rund um das Schloss Leopoldskron und Max Reinhardt zusammengefasst. Dieses Buch ist nun eine Neuauflage mit neuen Fakten über diese bedeutende „Beute“ der Nationalsozialisten in Salzburg

     

    Das Buch gibt einen Überblick über die Anfänge des Schlossherrn, als Max Reinhardt (Mitbegründer der Salzburger Festspiele) dieses 1918 erworben hat und rundum renovieren ließ. Wie wenig Gedanken er sich darum machte, wie die Rechnungen bezahlt werden, ist wohl am ehesten seiner Künstlerseele zuzuschreiben.

     

    „In seinem Schlosse Leopoldskron mit den großen Kunstgalerien beschäftigt er (der Jude) 15 bis 20 christliche Lakaien, fährt im Salonwagen und lebt auf großem Fuß (Plattfuß).“

     

    Dies zeigt die ambivalente Einstellung der Salzburger und zeigt auch wie der fortschreitende Antisemitismus Reinhardt schließlich zur Auswanderung zwingt. Doch gleich danach beginnt der Kampf um den Besitz Reinhardts, hier stellen verschiedene offizielle Stellen einen Anspruch – sei es die kostbare Bibliothek, die Kunstgegenstände oder auch die Möbel. Erschreckend was Gier aus Menschen macht.

     

    Die Nazis waren ein bürokratisches Volk, die alles genauestens dokumentierten. Doch viele dieser Dokumente sind heute leider nicht mehr auffindbar.

     

    Das Schloss wurde ab 1938 als Repräsentationspalais genutzt und diente den Nazischergen für deren Machtspielchen. Sogar die Prinzessin Stephanie von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst durfte ein kurzes Intermezzo als Schlossherrin auf Leopoldskron geben.

     

    Über die Restitution nach Kriegsende erfährt man einiges, auch Briefe von Max Reinhardt an Helene Thimig sind sehr aufschlussreich. Leider sollte Reinhardt sein Salzburger Schloss nicht mehr wiedersehen. Er starb bereits 1943 verarmt im amerikanischen Exil.

  3. Cover des Buches Das Haus am Himmelsrand (ISBN: 9783492502245)
    Bettina Storks

    Das Haus am Himmelsrand

     (81)
    Aktuelle Rezension von: san_allegra

    das Buch war ganz nett, ich bin mit dem Schreibstil gut klargekommen und es gab wenige Längen. 

    Inhaltlich hat mich das Buch leider nicht vom Hocker gerissen, mir persönlich waren zu wenig historische Fakten verarbeitet. 

    Außerdem bin ich mit Lizzy nicht warm geworden, sie war mir einfach zu realitätsfremd und lebt, wie ihr Bruder ihr auch vorwirft, in ihrer eigenen Welt.

  4. Cover des Buches Der Wein des Vergessens (ISBN: 9783701716968)
    Robert Streibel

    Der Wein des Vergessens

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Bellis-Perennis

    Weinhändler Paul Robitschek, der Eigentümer der berühmten Riede Sandgrube in Krems, ist Jude und schwul. Im Jahr 1938 keine gute Kombination in Österreich.

    Obwohl er auf Anraten ihm wohlgesinnter Freunde das Weingut an seinen arischen Geschäftspartner und Liebhaber August Rieger verkauft, setzt Franz Aigner, der Obmann der neu gegründeten Winzergenossenschaft, alle Hebel in Bewegung, das Weingut für die Genossenschaft zu requirieren. Man schreckt weder vor Denunziation noch vor Verleumdung zurück. Paul Robitschek gelingt auf abenteuerliche Weise zuerst die Flucht nach Triest, dann nach Frankreich bis er schließlich in Caracas landet. August Rieger wird mehrmals verhaftet. 

    Nach Ende des NS-Regimes versucht Rieger das Weingut wieder zu bekommen. Doch die Personen in den Amtsstuben sind dieselben, die die Arisierung durchgeführt haben. Erst nach langen zähen Ringen erhält er eine Entschädigung, die den Bruchteil des tatsächlichen Wertes darstellt. 

    Meine Meinung: 

    Die Buchautoren Robert Streibel und Bernhard Herrmann haben ein sehr eindrückliches Werk geschaffen. Obwohl als Roman erschienen, ist das Buch eine gute Dokumentation der Machenschaften.

    Eine zentrale Rolle in diesem Fall kommt Franz Aigner zu. Aigner bereits seit 1928 (!) illegaler Nazi, hat schon lange den Plan gefasst, die ertragreiche Riede für die Genossenschaft zu bekommen. Man wirft Robitschek neben seinem Judentum und der Homosexualität Unkenntnis im Weinbau, Vernachlässigung der Reben und schlecht gekelterten Wein vor.  Das Weingut soll schlechten Boden und minderwertige Trauben haben. Daher wird der Kaufpreis gedrückt.  Aber, in dem Moment, wo die Winzer Krems die Riede in ihrem Besitz hat, sind diese Reben die besten der Wachau. Sehr seltsam, nicht?

    Der Verkauf an Rieger wird amtlicherseits nicht genehmigt. Die Winzergenossenschaft zahlt einen lächerlichen Betrag an Robitschek, der das Geld natürlich nicht erhält, weil es auf das damals üblich Sperrkonto eingezahlt wird. 

    Doch der wahre Skandal ist, dass durch diverse Verschleierungsaktion bis eben die Autoren zufällig über Dokumente und Tagebücher von Robitschek gestolpert sind, die Vorkommnisse verschwiegen wurden.

    Im Vorwort ist ein Telefonat mit dem aktuellen Obmann der Winzer Krems abgedruckt, der „in Ruhe gelassen werden will“ und von den längst vergangenen Zeiten nichts wissen und hören will. 

    Wenige Tage nach Erscheinen des Buches, das naturgemäß hohe Wellen schlägt, ist der öffentliche Druck auf den Obmann der Winzer Krems so groß, dass er in einem TV-Interview zustimmt, eine Historikerkommission diese unrühmliche und perfide Aktion untersuchen zu lassen … 

    Fazit: 

    Eine beeindruckende Dokumentation eines Unrechts, das bis heute nicht eingesehen wird. Gerne gebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.


  5. Cover des Buches Deutsche Geschichte (ISBN: 9783961281459)
  6. Cover des Buches Fromms (ISBN: 9783596173877)
    Götz Aly

    Fromms

     (2)
    Aktuelle Rezension von: LoK
    Eines der Bücher, die man lesen sollte, wenn man wissen will, wie die Nazis bei der Arisierung von jüdischem Vermögen vorgegangen sind. Insgesamt wurde Fromm, der in Berlin eine florierenee Gummiwarenfabrik betrieb, um 30 Mio. Euro betrogen. Er wrude 1938 vom Deutschen Reichs enteignet und im Jahr 1947 ein zweites Mal von der SBZ Verwaltung. Fromm führte seinen Betrieb nach den damals modernsten Gesichtspunkten. Die Architektur seiner Bürogebäude und der Fabrikhallen war vorbildlich, ebenso wie die hygienischen Bedingungen und die Arbeitsbedingungen. Götz aly und Michael Sontheimer haben glänzend recherchiert. Gerade die kleinen Geschichten von Familienangehörigen erhellen wie in einem Blitzlicht, wie der der NS-Staat funktioniert hat.
  7. Cover des Buches Die Wertheims (ISBN: 9783499622922)
    Erica Fischer

    Die Wertheims

     (4)
    Aktuelle Rezension von: Sokrates
    Warum habe ich mich bei diesem Buch so schwergetan? Ich weiß es nicht. Jedenfalls bin ich lediglich bis in das erste Viertel vorgedrungen und habe danach das Lesen aufgegeben. Ich habe irgendwie das Interesse verloren... Das Buch kann man nur als Lese-Biographie bezeichnen; was ich damit meine ist eine unakademische Informationsbiographie, die der Unterhaltung und groben Information über eine Familie mit überregional bekanntem Namen dient. Und so liest sich das Buch auch: die Qualität des Textes ist so, wie man es sich für ein Buch wünscht, das dem breiten Lesergeschmack entsprechen will. Wer sich demnach für weitergehende Informationen interessiert und nicht bloß einen unterhaltenden Einblick möchte, der sei auf andere Publikationen verwiesen.
  8. Cover des Buches Dunkelzeit (ISBN: 9783839232699)
    Monika Buttler

    Dunkelzeit

     (5)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer
    Werner Danzik, seines Zeichens Hauptkommisar in Hamburg, muss den Mord an drei alten Damen aufklären. Alle drei starben mit jeweils einen Monat Abstand, alle drei waren reich, alle drei lebten in ehemaligen jüdischen Häusern. Hat der "Stolperstein" vor deren Haus für ihren Mord gesorgt? War es vielleicht Rache? Während Werner nicht wirklich daran glauben kann, beginnt seine Lebensgefährtin Laura Flemming, Medizinjournalistin, auf eigene Faust zu forschen. Ihr Zielobekt? Ein bekannter jüdischer Hypnosearzt... Dunkelzeit ist der dritte Fall, der von Werner Danzik handelt. Ich habe die beiden ersten Fälle bei der Lektüre nicht gekannt. Das ist aber nicht unbedingt schlimm, man kommt ganz gut rein in die Geschichte. Werner Danzik ist ein recht sympathischer Ermittler, seine Freundin Laura ist es noch ein wenig mehr. Bei Danzik hat man zwar manchmal das Gefühl, er sei ein wenig dumm, aber es muss ja nicht jeder Ermittler ein Genie sein. Hauptsache der Fall wird gelöst... Die Thematik ist recht anspruchsvoll. Ein sensibles Thema, bei dem die Autorin auch ganz schön hätte ins Fettnäpfchen treten können - was sie aber nicht tat. Es ist ein Krimi, bei dem man hinterher noch ein wenig nachdenkt, gerade wenn man auch in einer Stadt mit "Stolpersteinen" lebt. Der Schreibstil ist flüssig und liest sich gut weg. Was hingegen schade ist, ist dass es nicht so viele Tatverdächtige gibt, was den Krimi eigentlich ein wenig mindert. Für mich ist es mehr ein nachdenkliches Buch mit Krimi - Anteilen, als ein Krimi, der ein schweres Thema hat. Hamburg wahr sehr schön beschrieben und für mich damit noch ein kleines Sonderbonbon. Monika Buttler weiß zu berühren, sei es mit Spannung oder mit Ernst.
  9. Cover des Buches Walter Linse: 1903 - 1953 - 1996 (ISBN: 9783962331139)
    Benno Kirsch

    Walter Linse: 1903 - 1953 - 1996

     (1)
    Aktuelle Rezension von: nordberliner
    Zugegeben: Der Titel dieser Buchbesprechung könnte an breit diskutierte Vorfälle im Spätsommer 2018 in der kreisfreien Stadt im Südwesten des Freistaates Sachsen erinnern. Darum geht es hier aber nicht, sondern um eine Biografie, die eine Vita der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Schauplätzen in Chemnitz und Berlin schildert, eine Vita, die mit nationalsozialistischem Unrecht verknüpft ist - und mit der Frage, wie wir Heutigen die damals Lebenden bewerten. Das tun wir reichlich, und es ist sinnvoll, den Blick für die Grundlagen des eigenen Urteils zu schärfen. Es lohnt sich also, hier weiter zu lesen - vor allem aber das wertvolle Buch von Benno Kirsch über Walter Linse.

    Wir Heutigen haben das Glück, in Westdeutschland seit 1949 und im wiedervereinigten Deutschland seit 1990 in einer als Demokratie und Rechtsstaat verfassten Nation mit politischer Stabilität und weitgehendem Frieden im Inneren und Äußeren zu leben. Dieses Glück hatte Walter Linse nicht: Er hat - wie Viele seiner Zeit - nach 1903 fünf Herrschaftsformen und zwei Weltkriege erlebt und überlebt - bis zu seiner Ermordung 1953 in der damaligen Sowjetunion. Man sollte nicht der Versuchung erliegen, aus allgemeingültigen (?) Werten der zivilisierten Menschheit und unabhängig von der historischen und persönlichen Situation der Handelnden auf stets gleiche moralische Entscheidungen als quasi einzig richtige ("alternativlose") Wertentscheidung zu schließen - allzu leicht würde man aus der Perspektive unserer eigenen, vergleichsweise komfortablen Lebenswirklichkeit übersehen, dass es Zeitläufte und Lebensumstände geben kann, die wir auch auf den zweiten Blick kaum ermessen können.

    Aktuelle repräsentative Studien* der
    Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) zeigen, dass die rückblickende Betrachtung der Zeit des Nationalsozialismus zu verzerrten Urteilen führt: Die Befragten meinten durchschnittlich, dass die deutsche Bevölkerung damals zu je etwa einem Drittel zu den Opfern (35 %) und Tätern (34,0 %) zählte. Ein deutlich geringerer Teil der Deutschen (16 %) hat nach Meinung der Befragten potentiellen Opfern geholfen. Demgegenüber halten es gut zwei Drittel der Befragten (69 %) für unwahrscheinlich, dass sie selbst zu Tätern geworden wären, wenn sie in der NS-Zeit gelebt hätten. Dass sie selbst potentiellen Opfern geholfen hätten, halten knapp zwei Drittel der Befragten (65 %) für wahrscheinlich. Diese bemerkenswert positive Selbsteinschätzung, die sich in den Ergebnissen der Studien widerspiegelt, könnte durchaus auch aus einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte resultieren, aus der die Befragten "gelernt" haben und deswegen weniger anfällig für menschenverachtende Ideologien sind als frühere Generationen. Allerdings darf die Überschätzung der eigenen Courage und der eigenen Handlungsmöglichkeiten bzw. die Unterschätzung des Einflusses gesamtgesellschaftlicher Prozesse auf das eigene Handeln (sog. Attributionsfehler) nicht übersehen werden - die geschilderte Selbsteinschätzung tendiert leider zur Selbstüberschätzung.

    Letztlich steckt der Teufel auch hier im Detail: Was sind die konkreten Umstände, die die eigenen Handlungskompetenzen bzw. den Einfluss gesamtgesellschaftlicher Prozesse auf das eigene Handeln ausmachen? Wären die "mutigen" Antifaschisten unserer Zeit, deren Lippenbekenntnisse man in den sozialen Medien zahlreich besichtigen kann, Widerstandskämpfer gewesen in der Zeit ab 1933? Vorschnelle Antworten kann nur geben, wer sich die damaligen Umstände nicht vergegenwärtigt - soweit das heute auch mit Blick auf die Quellenlage noch möglich ist. Eine Annäherung hieran leistet Benno Kirsch mit dem vorliegenden Buch in zweifacher Weise beispielhaft: nämlich am Beispiel der gründlich recherchierten Vita des Walter Linse und beispielgebend mit seiner Darlegung der Bewertungskriterien des Handelns von Walter Linse.

    Walter Linse wurde 1903 in Chemnitz geboren und ist dort zur Schule gegangen, hat in Leipzig Jura studiert, seine ersten beruflichen Schritte im sächsischen Justizdienst getan und ist 1938 als Referent in die Industrie- und Handelskammer (IHK) Chemnitz eingetreten, wo er bis 1942 mit der Arisierung von Wirtschaftsunternehmen befasst war. Er hat die Befreiung Sachsens von den Nazis durch die Rote Armee, den anschließenden Aufbau der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) und das Erstarken des von der SED errichteten Regimes erlebt. Die Zwänge der Kollektivierungen veranlassten ihn zur Übersiedlung nach West-Berlin, genauer gesagt in den damaligen amerikanischen Sektor der Stadt, die damals noch nicht von der Berliner Mauer (1961 bis 1989) abgeriegelt, aber bereits eine Hochburg von gegenseitiger Infiltration und Spionage im Kalten Krieg war. Dort fand er schließlich Anfang 1951 Anstellung beim Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) und setzte sich aktiv mit dem SEDistischen Unrechtsstaat der DDR auseinander. Das führte letztlich zu seiner Verschleppung und Ermordung durch die Tschekisten. Erst im Mai 1996 wurde Linse durch den Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation als politisches Opfer rehabilitiert.

    Der Öffentlichkeit bekannt war der promovierte Jurist Walter Linse jahrzehntelang als Opfer der stalinistischen Machenschaften des Ostblocks. Es ist das Verdienst von Benno Kirsch, als Erster der Frage nachgegangen zu sein, was eigentlich der Gegenstand des Berufslebens von Linse war, bevor er als fast Fünzigjähriger durch das MfS der DDR verschleppt wurde. Die Offenlegung der Rolle Linses bei der IHK Chemnitz und seiner dortigen Rolle bei der Arisierung unter dem NS-Regime erfolgte in der Erstauflage des vorliegenden Buches im Jahr 2007 - und hat dem Autor zu Unrecht die Anschuldigung einer Verharmlosung der Rolle Linses eingebracht. Benno Kirsch hat dies erfreulicherweise zum Anlass einer Vertiefung seiner Recherchen und zu einer Neuauflage seines Werkes genutzt, die zusätzliche Quellen zur Vita Linses erschlossen hat. Der mit über 600 Fußnoten belegte Befund seiner gründlichen Recherche ist im Ergebnis unverändert geblieben:

    Walter Linse dachte vermutlich eher national und konservativ als sozialistisch, stand dem politischen Betrieb distanziert gegenüber und bewegte sich stets im Mainstream des Akzeptierten. Er war während des Nationalsozialismus weder Parteigenosse, Karrierist oder Richter noch Widerstandskämpfer oder Verfolgter. Linse war Mitläufer, politisch uneindeutig und vermeintlich neutral - womit er letztlich auf der Seite der NS-Diktatur stand, ohne aktivistischer Nazi zu sein. Dass er die Ablehnung des NS-Regimes nicht zum Ausdruck brachte, macht das Verstehen seiner Rolle aus heutiger Sicht, die von anderem Akzeptierten geprägt ist, so schwer. Linses Leben vom Holocaust her zu beschreiben, würde die Aufgabe verfehlen, die Vergangenheit zu verstehen. Linse fällt eher durch seine Normalität auf und hat einen eher geringen Beitrag bei der Arisierung geleistet. Interessanter als die weitere Befassung mit Linses Rolle in der Nazizeit wäre die überfällige Untersuchung der Arisierung in Chemnitz - man würde dann wohl feststellen, wer in Wahrheit die Fäden zog und wer von dem damaligen Unrecht profitierte.

    Benno Kirsch arbeitet heraus, dass heute niemand überzeugt sein sollte, damals nicht selber "mitgemacht" zu haben, denn Linse ist dem Durchschnittsbürger von heute näher, als ihm lieb sein kann. Nebenbei erfährt man etwas über Unterschiede zwischen Burschenschaften und studentischen Korps, begegnet der Figur des von Ernst Fraenkel beschriebenen → Doppelstaats und der gebotenen Differenzierung zwischen Arisierung und Holocaust. Gelegentlich wird der Lesefluss gestört von zahlreichen und wiederkehrenden Abkürzungen, worüber das im Anhang befindliche Abkürzungsverzeichnis hinweghilft. Das Buch ist fast völlig frei von Schreibfehlern und lässt nur eine inhaltliche Unstimmigkeit aufscheinen, wenn dem Protagonisten für eine Tätigkeit bei der Imbal-Niederlassung in Berlin-Grunewald ein Monatsgehalt von 6000 DM zugeschrieben wird - es werden wohl 600 DM gewesen sein. Das gut 260 Seiten umfassende Buch ist ausgestattet mit 22 Abbildungen nebst Abbildungsverzeichnis, dem schon erwähnten Abkürzungsverzeichnis, einer Quellenübersicht und einem Literaturverzeichnis.

    Zu den beiden Hauptschauplätzen Chemnitz und Berlin sind hier noch zwei Notizen angezeigt, die die Vergänglichkeit von akzeptierten Normalitäten zeigen und den historischen Kontext abrunden:
    • Am 10. Mai 1953 wurde Chemnitz umbenannt in Karl-Marx-Stadt. Zu diesem Zeitpunkt war Walter Linse zwar noch am Leben, aber bereits seiner Freiheit beraubt. Bei seiner Rehabilitierung am 8. Mai 1996 trug die Stadt wieder ihren ursprünglichen Namen - die Akzeptanz der Benennung nach Karl Marx hatte → im Frühjahr 1990 per Abstimmung ein deutliches Ende gefunden. Benno Kirsch hat den Namen "Karl-Marx-Stadt" zu Recht kein einziges Mal erwähnt.
    • Der Autor spricht in seinem Buch stets von "Westberlin" - eine Schreibweise, die ihm zu Zeiten des Kalten Krieges den Vorwurf der Nähe zur DDR eingebracht hätte, denn "Westberlin" war die in der DDR erwartete Schreibweise in Abgrenzung zu "Berlin, Hauptstadt der DDR", während man im freien Westen amtlicherseits stets von "Berlin (West)" und im nicht-amtlichen Bereich bestenfalls noch von "West-Berlin" gesprochen hat.

    Mein Resümee: Benno Kirsch legt eine ehrliche und nachvollziehbare Bewertung der Person und Rolle von Walter Linse vor, weil der Autor der Versuchung widersteht, sein Urteil an aktuellen Instrumentalisierungsbedürfnissen auszurichten, und sich statt dessen an die recherchierbaren Fakten hält. Das Zeug zum Helden haben nur die Wenigsten; dazu muss den Menschen ein Impuls zum Handeln ohne Rücksicht auf das eigene Wohl innewohnen. Walter Linse war wohl das, was man einen normalen Menschen nennt: auf Anerkennung bedacht und strebsam, zudem bemüht, sich im eigenen Leben ein Plätzchen am wärmenden Ofen zu sichern. Im Nazismus ist ihm das durch Orientierung am damals Akzeptierten noch gelungen, im SEDismus nicht mehr. Er ist von Chemnitz nach West-Berlin geflohen, um dann von dort - unter Außerachtlassung des Selbstschutzes - gegen den Unrechtsstaat DDR zu arbeiten. Das hat ihn die Freiheit und das Leben gekostet.

    Walter Linse bleibt ein ambivalentes Beispiel für die - letztlich immer ganz persönliche - Auseinandersetzung mit der Frage, was "normal" und "akzeptiert" ist und wie man es mit dem Rechtsstaat hält. Es ist das Verdienst von Benno Kirsch, dieses Beispiel eindrucksvoll und nachvollziehbar sichtbar gemacht zu haben. Und es liegt nahe, den geschärften Blick für die Grundlagen des eigenen Urteils auch auf aktuelles Zeitgeschehen zu richten.

    ___________
    * Die beiden MEMO-Studien sind abrufbar auf der Webseite der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft über folgende Links:
    • MEMO-Studie 2018: https://www.stiftung-evz.de/presse/pressemitteilungen-2018/pm-studie-erinnerungskultur.html 
    • MEMO-Studie II 2019: https://www.stiftung-evz.de/presse/pressemitteilungen-2019/pm-memo-2019.html 
  10. Cover des Buches Die Buchhändlerin (ISBN: 9783871343452)
  11. Cover des Buches Der große Aschinger (ISBN: 9783897737013)
  12. Cover des Buches Das Erbe (ISBN: B07YDYCSCH)
    Ellen Sandberg

    Das Erbe

     (4)
    Aktuelle Rezension von: DanielaN

    In „Das Erbe“ erbt die Bauzeichnerin Mona unerwartet ein 12 Millionen teures Stadthaus in München, das sogenannte Schwanenhaus. Schnell muss Mona feststellen, dass Reichtum Neid und Missgunst anzieht und sich überdies Geheimnisse um das Haus ranken, die in die Zeit des Dritten Reichs zurückführen.

    In einem zweiten Strang lernen die Leser/-innen die Hartz-IV-Empfängerin Sabine aus Hamburg kennen, die gerade ihre demente Oma ins Altenheim gebracht hat, deren Wohnung auflöst und dabei feststellt, dass Oma ein Geheimnis hat, das „auf keinen Fall ans Licht kommen darf“.

    Zwei Handlungsstränge, bei denen ich als Leserin wissen will, ob und wie sie zusammenhängen und welche Geheimnisse aus der Nazi-Zeit als Ursache dahinterstecken. Man hängt am Haken und ich muss sagen: Ellen Sandberg scheint hervorragend recherchiert zu haben und versteht es, historisch Wissenswertes in eine spannende Geschichte zu verpacken. Die Themen, die das Buch aufgreift, machen es auf jeden Fall lesenswert. Und auch einige Figuren sind sehr gut gelungen (leider ausgerechnet nicht die Protagonistin Mona, die bei mir etwas dröge rüberkommt und die Ablehnung, die sie in ihrer Familie erfährt, wird schon arg überzeichnet).

    Leider ist das Buch von der erzählerischen Seite her in meinen Augen an etlichen Stellen recht langatmig geraten bzw. werden überflüssige Details breitgetreten, wo Kürzung der Geschichte keinen Abbruch getan hätte. Besonders im ersten Drittel fiel es mir auf, dann hat die Handlung genug Fahrt aufgenommen, dass mich die Beschreibung des Aussehens von Küchenstudio-Mitarbeitern (die für den Roman null Rolle spielen) oder die Aufzählung jedes einzelnen Produkts, das Mona auf dem Wochenmarkt einkauft u.ä., nicht mehr so gestört haben. Und auch Allgemeinplätze wie „Es wurde ein netter Abend.“ (Diese Abende kamen anfangs häufiger vor) fielen dann nicht mehr so ins Gewicht. Ich war kurz davor, das Hören abzubrechen.

    Aber: Am Ende war ich froh, durchgehalten zu haben. Denn Ellen Sandberg ist zwar mit diesem Buch nicht in ihrer Höchstform. Doch es ist alles in allem eine lesenswerte/hörenswerte Geschichte.

  13. Cover des Buches Betrifft: "Aktion 3" (ISBN: 9783351024871)
  14. Cover des Buches Mann ohne Makel (ISBN: 9783462300215)
    Christian v. Ditfurth

    Mann ohne Makel

     (72)
    Aktuelle Rezension von: Gartenfee-Berlin

    Am Anfang des Buches habe ich noch gedacht, was für ein öder Kram. Nur Geschwafel an der Uni, lediglich die Handlungen um den Kommissar herum waren spannend und interessant.

    Da ich aber alle Folgebände auf dem SuB habe, habe ich mir gedacht, da muss ich jetzt durch und tapfer weitergelesen. Hat sich auch gelohnt. Es wurde immer interessanter, je mehr Dr. Stachelmann in der Vergangenheit grub und sich die Ergebnisse mit den aktuellen Ereignissen in Verbindung bringen ließen. Dennoch kann ich alles in allem für mich maximal 3.5 Sterne vergeben.

  15. Cover des Buches Deutsche Bank - Macht - Politik (ISBN: 9783894382193)
  16. Cover des Buches Ich war Zwangsarbeiterin bei Salamander (ISBN: 9783360013132)
    Vera Friedländer

    Ich war Zwangsarbeiterin bei Salamander

     (4)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer

    Vera Friedländer war eine der letzten lebenden Zwangsarbeiterinnen aus der NS-Zeit. Sie starb im Oktober 2019. Als Zwangsarbeiterin arbeitete sie für den Schuhhersteller Salamander, immer in der Angst lebend durch die Nazis zu Tode zu kommen. In ihrem Buch „Ich war Zwangsarbeiterin bei Salamander“ widerlegte sie die Legenden der offiziellen Salamander-Betriebsgeschichte ...

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