Bücher mit dem Tag "arthur schnitzler"
29 Bücher
- Florian Illies
1913
(294)Aktuelle Rezension von: bibliophilaraGeschichte fand ich früher meistens furchtbar langweilig. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass ich einen Lehrer hatte, der ununterbrochen nur zusammenhanglose Monologe geführt und irgendwelche Daten von unterzeichneten Verträgen in seinen Bart genuschelt hat, ohne jemals etwas an die Tafel geschrieben zu haben. Aber der Kunsthistoriker Florian Illies beweist, dass es auch anders geht. 2012 veröffentlichte er ein historisches Sachbuch, das nur in einem einzigen Jahr spielt: „1913“. In über 300 Seiten entführt er den Leser in ein Zeitalter, das selbst unsere Großeltern nicht miterlebt haben und bietet eine neue Perspektive auf längst vergangene Epochen.
Was ist eigentlich 1913 so alles Wichtiges passiert? Ich wusste vor dem Lesen dieses Buches nur, dass ein Jahr zuvor die Titanic unterging und ein Jahr danach der erste Weltkrieg durch die Ermordung Franz Ferdinands ausgelöst wurde. 1913 selber war für mich aber ein unbeschriebenes Blatt Papier. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich fast alles weiß: Wie Louis Armstrong an seine erste Trompete kam oder Sigmund Freud an seine Katze, welche Intentionen der Kubismus hegte, wie Thomas Mann seine Homosexualität vertuschte und noch vieles mehr. Illies beschäftigt sich mit zahlreichen Themen wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Mode, Musik, Literatur, Architektur, Philosophie und vor allem Kunst. Dabei stellt er die bedeutendsten Persönlichkeiten dieser Zeit vor. Ein besonderes Augenmerk legt er dabei unter anderem auf Franz Kafka, Adolf Hitler, Alma Mahler, Ernst Ludwig Kirchner oder Else Lasker-Schüler und wirft einen Blick hinter die Kulissen dieser großen Namen.
Das Sachbuch ist in insgesamt zwölf Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel steht für einen Monat und beginnt jeweils mit einem Bild und einer Vorschau. Innerhalb dieser Kapitel wird wieder in Abschnitte gegliedert, die nicht mehr unbedingt chronologisch vorgehen. Ihre Länge kann von einem Satz bis zu maximal fünf Seiten variieren und befasst sich entweder mit einem Ereignis oder einer Anekdote über eine Berühmtheit, bei der häufig auch Zitate aus Büchern, Briefen, Tagebüchern oder anderen Niederschriften eingefügt werden.
Illies schreibt optimistisch, humorvoll und manchmal auch sarkastisch, verwendet außerdem den Präsens und wendet sich gelegentlich direkt an den Leser, um Wissenswertes, das inzwischen 103 Jahre auf dem Buckel hat, wieder lebendig zu machen. Sein schriftstellerisches Talent zeigt sich ebenfalls darin, wie geschickt er Verknüpfungen zwischen an sich voneinander unabhängigen Abschnitten mit Wortspielen, Randinformationen, Vergleichen, Wiederholungen oder rhetorischen Fragen schafft und somit aus der episodischen Erzählung, wie aus tausend kleiner Scherben, ein buntes, vollständiges Mosaik kreiert. Der intellektuelle Anspruch wird neben dem Inhalt, der gewisse künstlerische Vorkenntnisse erfordert, mit hoher Eloquenz und komplexem Vokabular fortgeführt. Nicht Wenige werden von Begriffen wie Galopin, exaltieren, Mäzen, Samowar, Clochard, sakrosankt oder Päderastie zumindest einen nicht aus dem Stegreif definieren können.
Bemerkenswert ist ebenfalls der große Aufwand an Recherchen, den Illies über sich hat ergehen lassen. Die Auswahlbibliographie ist klein gedruckt und ellenlang. Es ist demnach nur ein Ausschnitt aus den zahllosen Werken, die er durchwälzt hat, um das Jahr 1913 perfekt zu rekapitulieren. Allein das hat meiner Meinung nach volle Anerkennung verdient. Leider ist ihm dann doch ein kleiner Fehler unterlaufen, denn er verwechselt Kokoswasser mit Kokosmilch. Kokoswasser ist die Flüssigkeit, die im Hohlraum einer Kokosnuss liegt; Kokosmilch wird dagegen aus dem gepressten Fruchtfleisch gewonnen. Die Anekdoten sich gleichermaßen faszinierend, wie auch verstörend. Neben Homosexualität sind auch Inzest, Polygamie, Prostitution, Drogenkonsum und Psychosen keine Tabuthemen.
Warum gerade das Jahr 1913 gewählt wurde, vermag ich lediglich zu mutmaßen. Es könnte einerseits daran liegen, dass der erste Weltkrieg sich bereits anbahnte, das Jahr also historisch betrachtet wie ein Wetterumschwung war und die Menschheit damit gut repräsentiert: Eine Mischung aus Gut und Böse. Künstlerisch gesehen waren die 1910er ein Zusammenprall vieler verschiedener Stile, die facettenreiche und widersprüchliche Kunstwerke zutage brachten. Genau das Richtige also für einen Kunsthistoriker wie Florian Illies. Andererseits liegt das Jahr auch inzwischen weit genug zurück, um keine Zeitzeugen mehr zu haben, die sich noch daran erinnern könnten. Es bleiben uns also nur noch Archive, um Informationen einzuholen.
Falls es jemals eine Fortsetzung von „1913“ geben sollte, würde ich sie definitiv auch lesen, jedoch bezweifle ich, dass es dazu kommen wird. Es würde mich wirklich brennend interessieren, für welches Jahr sich Illies dann entscheiden würde. Aber vielleicht kann sogar er die Frage nicht richtig beantworten.
Wer weder vor Kunstgeschichte noch vor hochgestochener Sprache zurückschreckt, hat mit „1913“ von Florian Illies das perfekte Lesefutter gefunden. Egal wie viel Vorwissen man besitzen mag, niemand wird nach dem Lesen behaupten können, nichts spannendes Neues in Erfahrung gebracht zu haben. Wer sich allerdings eher als Kulturbanause bezeichnet, sollte um dieses historische Sachbuch einen großen Bogen machen. Ich zolle Illies‘ Recherchearbeit und fantastischem Schreibstil höchsten Respekt. Besser hätte man ein Buch zu diesem Thema gar nicht umsetzen können. Der kleine Fehler mit der Kokosnuss ist zu gering, als dass er hier ins Gewicht fallen könnte, deswegen erhält „1913“ von mir verdiente fünf Federn.
- Sabine Anders
Liebesbriefe großer Männer
(107)Aktuelle Rezension von: GingerteabooksAlso besonders die erste Hälfte von Briefen würde ich ja persönlich nicht als Liebesbriefe ansehen. Bei Liebesbrief denke ich nicht an Drohungen gegen die angeblich Geliebte. Victor Hugo's Briefe wären Liebesbriefe, aber Luther eher nicht so. Ist vielleicht mal interessant zu lesen, aber würde ich nicht empfehlen.
- John Irving
Das Hotel New Hampshire
(740)Aktuelle Rezension von: ArgentumverdeJohn Berry ist der mittlere von fünf Geschwistern. Er erzählt die Geschichte seiner Familie, Glück und Unglück, einige schlimme Erfahrungen und Tragödien, aber auch Liebe und starken Zusammenhalt. Es geht ums Erwachsenwerden und das Über-sich-Hinauswachsen. Es geht um Verlust und Hoffnung und Mut nie aufzugeben.
Der Schreibstil ist prägnant, wortgewandt, teils enorm vulgär und meist situationsgenau. Zu Beginn überlädt der Autor den Leser mit Charakteren, unklaren Handlungen und Aneinanderreihung en von Begebenheiten. Die teils skurrilen Begebenheiten bleiben für den Leser wenig greifbar und nur schwer findet er sich im Buch zurecht. Dabei muß er sich nicht nur mit den Wirren der Familie sondern auch mit politischen und gesellschaftlichen Spannungsfeldern US-Amerikas der 1940er bis 1960er auseinandersetzen. Erst Recht spät wird deutlich, dass sich Schreibstil und Dynamik der Geschichte mit den Personen mitentwickeln. Die stilistischen und inhaltlichen Extreme machen den Wachstumsprozess der einzelnen Figuren, wie auch der Geschichte umso deutlicher.
Mein Fazit: Ein für mich schwieriges Buch. Zu Beginn fand ich kaum Zugang, im Weiterlesen war ich kurz davor, es abzubrechen, was ich äußerst selten mit einem Buch tue. Erst zum Schluss hin konnte es mich doch noch erreichen und sogar stellenweise überzeugen. Ich kann es also nur sehr bedingt weiterempfehlen und denke, dass es bessere Werke des Autors gibt.
- Arthur Schnitzler
Traumnovelle
(384)Aktuelle Rezension von: AQuaWieder eine Verfilmung von Schnitzlers Traumnovelle - und neugierig machte mich nicht der neue Film, sondern der Originaltext, der scheinbar in der heutigen Zeit nicht an Anziehungskraft verloren hat.
Faszinierend ist der Blick auf die triebgesteuerten, unzensierten Sehnsüchte des Mannes, auf den Wunsch, allen Begierden nachzugehen und auf den naiven Egoismus, dafür über Leichen zu gehen. Die Figur des Fridolin empfinde ich als zutiefst abstoßend und opportunistisch, zugleich überraschend menschlich. Der ganze Text lässt mich in einem Zwiespalt zurück, einem Ärger über die patriarchalische Organisation und das männliche Begehren nach einer Verfügbarkeit des lustvollen Frauenkörpers, dessen hohen Preis die Frauen selbst zu bezahlen haben. Gleichsam ein Text, der nicht verleugnet, dass dieser Wunsch machtvoll und vorhanden ist und der aufzeigt, in wie vielen Konstellationen Frauen Spielball der Männer sind, sei es als Verlobte, die einen Mann heiraten muss, den sie nicht liebt, als Dirne, als Tochter (deren Lust durch den Vater reguliert wird), als Ehefrau, die still die nächtlichen Eskapaden des Mannes verzeiht. Und warum verzeiht sie ihm? Weil sie sich einredet, dass diese nächtlichen Abenteuer nicht seinem wirklichen Wesen entsprechen, anstatt ihn wirklich als den zu erkennen, der er ist: "...ich ahne, dass die Wirklichkeit einer Nacht (...) nicht zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet."
Es bleibt ein Unwohlsein darüber, dass all diese Frauen nicht aufbegehren, sondern sich in die Strukturen fügen, vielleicht hier und da nach kleinen Eskapaden Ausschau halten, aber das System nicht in Frage stellen, bis hin zur Aufopferung des eigenen Lebens für die Ehrenrettung des Mannes.
Ein eigentlich nicht zeitgemäßer Text, dessen Wiederaufleben nachdenklich stimmt.
- Jutta Jacobi
Die Schnitzlers
(15)Aktuelle Rezension von: GiorgoJutta Jaccobi schreibt eine Familienbiographie über die Schnitzlers. Sie beginnt mit Johann Schnitzler im Jahre 1850 und endet heute mit der 4. Generation.
Die Schnitzlers hatten es nicht immer einfach. Sie waren Juden und zwischen den 1. und 2. Weltkrieg mussten sie oft in ein anderes Land auswandern.
Sie stammten ursprünglich aus Wien. Eines hatten die verschiedenen Genrationen gemeinsam, nämlich die Liebe zum Theater. In jeder Generation war mindestens ein Sohn im Theater aktiv. Auch deren Ehefrauen - es gaben viele Frauen, Heirat und Scheidungen in der Familie Schnitzler - waren oder wollten durch das Schauspielern bekannt werden.
Es gibt viele Zeilen, die aus Tagebüchern stammen. Jutta Jaccobi hat sehr viel recherchiert.
Aber ihr Schreibstil hat mir nicht so gut gefallen. Am Anfang kam ich nicht immer ganz draus, ob die Handlung in der Vergangenheit oder in der Gegenwart spielt. Je weiter ich gelesen habe, desto mehr begann ich ihren Schreibstil zu mögen.
Richtig beurteilen kann ich das Werk nicht, weil ich bisher weder eine Familienbiographie noch ein Buch von Jutta Jaccobi gelesen habe. Im Grossen und Ganzen gefiel mir der Inhalt.
Beim Dank hat sie nicht nur Namen aufgelistet, sondern geschrieben, wie es ihr während dem Schreibprozess erging und wie sie voran kam. Das fand ich schön zu Lesen, endlich stehen nicht nur Dutzende von Namen...! - Arthur Schnitzler
Leutnant Gustl
(141)Aktuelle Rezension von: SternenstaubfeeLeutnant Gustl wird bei einem Theaterbesuch von einem Bäckermeister als "Dummer Bub" betitelt. Daraufhin fühlt sich der Leutnant so in seiner Ehre verletzt, dass er meint, sich umbringen zu müssen.
Das ganze Buch ist eigentlich nur ein innerer Monolog des Leutnants und ich muss sagen, dafür hat mir die Novelle erstaunlich gut gefallen!
In seiner Überspitztheit hat die Geschichte schon wieder Spaß gemacht.
04.12.2023
- Max Haberich
Arthur Schnitzler
(14)Aktuelle Rezension von: awogfliWer mit diesem Sachbuch eine Biografie erwartet hat, die dem Leser den Menschen und Literaten Arthur Schnitzler näherbringt – so wie ich – der wird leider sehr enttäuscht sein.
Irgendwie schaut das Werk auf drei Viertel seines Umfangs so aus, als ob es ursprünglich als literaturwissenschaftliche Arbeit eines Doktoranden konzipiert worden wäre, der seinem Germanistikprofessor beweisen wollte, wie viel er von Schnitzler gelesen hat und wie gut er dessen Werke nacherzählen kann. Das sich wahrscheinlich daraus ergebende ohne wesentliche Änderungen publizierte Buch passt sich so gar nicht an die Bedürfnisse und Erwartungen des Lesers an. Als Werkschau werden im Stakkato die Stücke von Schnitzler im Telegrammstil sinnlos und lähmend zusammengefasst – teilweise drei bis vier Stücke auf einer Seite. Wenn ich als Leserin die Werke Schnitzlers kennenlernen will, geh ich zum Schmied und nicht zum Schmiedl, ergo lese ich entweder vorher oder parallel noch die wichtigsten Stücke des Autors, die mir fehlen, oder an die ich mich nicht mehr so gut erinnern kann.
Als Charakterstudie des Literaten, der im Untertitel auch noch als Anatom des Fin de Siècle bezeichnet wird, ist dieses Sachbuch recht ordentlich misslungen. Lediglich wenn Max Haberich Schnitzlers Identität als Deutsch/Österreicher und als Jude thematisiert und auch den in Europa grassierenden Antisemitismus zeitgeschichtlich aufrollt, wird der Inhalt endlich sehr spannend und leidlich biografisch. Ansonsten wird aber fast gar nichts zur Persönlichkeit Schnitzlers enthüllt: Nebensätze zu seiner Krankheit und Hypochondrie, kurze Anspielungen zu Frauen und Kindern. Das hätte Schnitzler so gar nicht gefallen. Nur auf seine jüdische Identität und auf den Antisemitismus reduziert und nicht als Mensch dargestellt zu werden – da wär dieser literarische Meister und Analyst der menschlichen Psyche total ausgeflippt.
"Ich betrachte mich keineswegs als einen jüdischen Dichter, sondern als einen deutschen Dichter, der, soweit sich so etwas überhaupt nachweisen läßt, der jüdischen Rasse angehört.[…]
Ich schreibe in deutscher Sprache, lebe innerhalb des deutschen Kulturkreises, verdanke gewiss von allen Kulturen der Deutschen am meisten […]
Daran, dass ich ein deutscher Dichter bin, wird mich weder jüdisch-zionistisches Ressentiment, noch die Albernheit und Unverschämtheit deutscher Nationalisten, im geringsten irre machen; nicht einmal der Verdacht, dass ich mich beim Deutschtum oder gerade bei seinen kläglichsten Vertretern anbiedern möchte, wird mich daran hindern, zu fühlen was ich fühle, zu wissen was ich weiß […]
Auch die Parallelen im literarischen Werk durch den ursprünglichen Beruf als Arzt, die Rolle als Militärarzt und einfließende, damals aktuelle Methodiken der Psychoanalyse, Traumdeutung und Hypnose – ergo der Einfluss von Freud und Konsorten auf Schnitzlers Werk – wurden so gut wie gar nicht breiter untersucht.
Erst am Ende des Buches, als seine Tochter Lili Selbstmord begeht, blitzt ein bisschen der Mensch Schnitzler aus dieser Wüste an Werksbeschreibungen und Zeitgeschichte hervor. Dabei bräuchte man hier gar nicht spekulieren, es gibt tonnenweise Material – wie dieses vor den Nazis gerettet und auf abenteuerliche Weise nach Cambridge gebracht wurde, verschweigt uns Haberich natürlich auch geflissentlich. Der Briefverkehr mit seiner Frau, der dem Leser klar die Eheprobleme im Hause Schnitzler darlegt, wird auch nicht analysiert sondern gleich in den Anhang verschoben, soll sich der Leser doch selbst bemühen, die Geschichte zu schreiben und sich eine Meinung bilden. Insofern waren das letzte Kapitel und der Anhang der spannendste Teil des Sachbuchs.
Fazit: Ich bin überhaupt nicht begeistert, da ich mir eine richtige Biografie erwartet habe, dennoch habe ich ein paar Informationen mitgenommen. Erstens habe ich zur Eskalation des Antisemitismus um die Jahrhundertwende in Österreich einige neue Fakten gelernt. Zweitens habe ich durch dieses Buch recherchiert und bin zufällig darüber gestolpert, dass das Theaterstück Prof. Bernardi im November 2017 Premiere in der Josefstadt hat. Da muss ich unbedingt hin. Drittens werde ich die Novellen Der Sohn und die Traumnovelle demnächst lesen. Und viertens und letztens weiß ich endlich, wo das Schnitzlerhaus steht, das in der Praterstraße weder ausgeflaggt, noch auf den offiziellen Tourismuskarten verzeichnet ist, was mich wieder mal in meiner Meinung bestätigt, dass Wien selten sehr nett zu seinen berühmten Söhnen und Töchtern ist, vor allem wenn sie renitent waren bzw. keine Volksmusiksänger oder Wintersportler sind. 😜 2,5 Sterne, da ich die Tendenz zur Mitte habe, auf 3 Sterne mit viel Bauchweh aufgerundet. - Petra Hartlieb
Ein Winter in Wien
(112)Aktuelle Rezension von: Abby1810Marie, ein junges Mädchen vom Land hat bereits eine schwere Vergangenheit hinter sich, als sie das Glück hat im Winter 1910 vom großen Dichter und Autor Arthur Schnitzler als Kindermädchen für seine beiden Kinder Lili und Heinrich angestellt zu werden. Die Freude ist groß, denn zuvor hatte sie eine sehr schwere und arme Kindheit mit einem extrem autoritärem Vater, für den ein Mädchen nichts wert ist, und vor dem sie geflüchtet ist.
Hier bei der Familie Schnitzler wird sie respektiert, bekommt ein eigenes schönes Zimmer, und außerdem sind die Kinder zwar verwöhnt, aber auch wunderbar, und Marie schließt die beiden schnell ins Herz.
Als sie ein Buch für den Hausherren aus dem Buchladen abholen soll, lernt sie Oskar kennen. Dieser scheint sofort sehr angetan von Marie und schenkt ihr ab nun besondere Aufmerksamkeit.
Petra Hartlieb schreibt schön und mit viel Detailwissen. Wien 1910, das Cottageviertel, aber auch die Begebenheiten um diese Zeit, wie arm die Menschen damals waren und mit welchen Entbehrungen sie leben mußten, wird sehr ereignisreich und authentisch dargestellt.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, es war nur leider mit 172 Seiten zu kurz.
- Arthur Schnitzler
Leutnant Gustl /Fräulein Else
(18)Aktuelle Rezension von: AnnesiaElse ist eine junge Frau, die ihrem Vater helfen muss, indem sie Geld von einem anderen Mann leiht. Sonst wird ihr Vater im Gefängnis landen.
Der Mann will ihr jedoch das Geld nur geben, wenn sie sich ihm dafür nackt zeigt. Natütlich hat sie von ihren Eltern gelernt, so etwas niemals zu tun, doch andererseits wollen sie nun, dass sie Geld beschafft. In Else findet ein Konflikt statt, der sie letztendlich in den Tod treibt.
Ich fand Fräulein Else wirklich gut und vor allem nachvollziehbar.
Leutnant Gustl, ein Mann, der sich umbringen möchte, weil er vom Bäckermeister "dummer Bub" genannt wurde, und sich somit seiner Ehre beraubt fühlt, fand ich dann doch etwas überzogen. - Arthur Schnitzler
Therese
(18)Aktuelle Rezension von: SokratesIn trauriger, die schwierigen Verhältnisse der Therese Fabiani fast in dokumentarischem Stil schildernder Objektivität erzählt Schnitzler hier die Geschichte eines "Frauenlebens", das sein Leben irgendwie nicht in sichere Bahnen lenken will. Therese, Tochter eines mit den Jahren verrückt gewordenen und schließlich in der Irrenanstalt landenden Offiziers, soll zunächst - betrieben durch die adlige Mutter - mit einem reichen Grafen verkuppelt werden. Das Unterfangen misslingt; den geliebten Jugendfreund hingegen verlässt Therese und beginnt seltsame, ebenso erfolglose Beziehungen zu Männern. Sie wird Lehrerin und Gouvernante;doch auch hier eher ungücklich. Eines ihrer Abenteuer führt zu einer ungewollten Schwangerschaft; sie quält sich durch die Schwangerschaft und sieht zu, dass das Kind alsbald nach der Geburt in die Obhut von Menschen auf dem Lande kommt. Doch, so muss Therese erkennen: der Sohn wird ein Missratener, er wird Straffälliger; und: der Sohn wird der Mutter am Ende der Geschichte noch zur Gefahr... - Schnitzler hat in diesem Buch eine sehr tragische Frauengestalt gezeichnet, der einfach überhaupt nichts gelingen will, deren Glück auf allen Ebenen immer wieder zunichte gemacht wird. Dass am Ende auch noch der ungeliebte, eigentlich nicht gewollte uneheliche Sohn zum ärgsten Feind wird, bringt die Absurdität dieses Lebens auf die Spitze. Inwieweit Ähnliches in Wiener Verhältnissen um 1900 vorzufinden war, bleibt fraglich; in geringerer Abschwächung wird es hin und wieder ähnliche Fälle im Kleinbürgertum gegeben haben,denn uneheliche Kinder, das erfolglose Streben nach persönlichem Glück mit ebensolchen Abstürzen sind allgegenwärtig gewesen. Schnitzler schreibt klar, streng, unverblümt offen über die Gedanken, Handlungen und Ausdrucksformen der Protagonisten und entlarvt auf diese Weise - auch ohne ihre Gedanken auszubreiten - ihre Motivation und innere Einstellung. Der Stil erinnert eher an einen Dokumentarfilm, der eine Entwicklung ohne Wertung in ihren Nuancen darstellt. Und dennoch kann man ein klein wenig Sympathie Schnitzlers für Therese empfinden, der in all dem arg übel mitgespielt wird. Es will eben einfach nicht gelingen, ihr Leben. - Petra Hartlieb
Wenn es Frühling wird in Wien
(69)Aktuelle Rezension von: StreiflichtVon der Autorin Petra Hartlieb habe ich voller Begeisterung ihr Buch „Meine wundervolle Buchhandlung“ gelesen. Irgendwann bekam ich „Wenn es Frühling wird in Wien“ geschenkt, ahnte aber gar nicht, worum es da geht und dass das Buch eigentlich schon das zweite einer vierteiligen Reihe ist. Eines Tages nahm ich das Buch zur Hand, um mal reinzuschauen und schon war ich weg, im fernen Wien der Vergangenheit.
Das Buch hat mir super gut gefallen und ich habe es quasi in einem Rutsch gelesen. Marie und Oskar sind wunderbare Romanfiguren, mit denen man so herrlich mitfiebern, sich freuen und mitleiden kann. Ich mochte die beiden sehr und war richtig traurig, als ich das Buch weglegen musste. Was für ein Glück, als ich entdeckte, dass es noch drei weitere Bände um die beiden gibt!
Ich mochte die Stimmung im Buch, die meiner Meinung nach gut zu der damaligen Zeit passt. Das Flair Wiens ist wunderbar eingefangen und auch das Leben beim berühmten Schriftsteller Arthur Schnitzler. Man erlebt mit, was damals wichtig ist, wie die Traditionen und Gebräuche waren, wie Männer und Frauen lebten, wie höhergestellte Persönlichkeiten und wie das Personal. Das fand ich richtig super! Ein wunderbares Buch, das einfach nur Spaß macht
- Susanne Schaber
Wien
(1)Aktuelle Rezension von: DuffyDer Insel-Verlag hat in seiner Reihe mit literarischen Städtestreifzügen eine großartige Idee in die (Veröffentlichungs-) Tat umgesetzt. London und Barcelona sind die mir bekanntesten Bände. Da reihen sich hervorragend die Wien- Spaziergänge von Susanne Schaber ein. Sie versteht es, die Stadt und ihre literarischen Protagonisten zu verbinden, man lernt nicht nur ein wenig Geschichte, sondern wird mit der interessanten Vita der großen Wiener Autoren bekannt gemacht. Das alles ergänzt durch eine Auswahl interessanter Bildbeiträge, ergibt unter dem Strich einen wunderschönen kleinen Stadtführer, den man genussvoll nachlaufen und sich von der Atmosphäre der Stadt und der sie begleitenden Lebensläufe gefangen nehmen lassen kann. Ein empfehlendswertes und zudem noch preisgünstiges Vergnügen - Arthur Schnitzler
Das große Lesebuch
(10)Aktuelle Rezension von: DubheArthur Schnitzler war einer der wenigen, die die deutsche Literatur und auch ihre Formen revolutioniert haben. Er ist eine Art Legende im Deutschunterricht und vielmals gefürchtet von den Schülern. In diesem Buch sind seine berühmtesten Dialoge, Nouvellen und Kurgeschichten versammelt, die bis jetzt vielen Schülern das Fürchten gelehrt haben! . Ja, auch ich habe über diesen Mann einige Sachen im Unterricht gelernt und war auch nicht gerade begeistert von ihm. Doch ich muss sagen, dass sein Stil etwas alt, umgangssprachlich und auch leicht ist. Er schwängert die Sprache nicht mit zu vielen Adjektiven und benützt auch keine allzu großen Umschreibungen, für die es oftmals einfache Wörter gibt. Doch trotz all den Loben unseres Deutschprofessor hat er mir nicht so gut gefallen. Sein Stil ist mir zu umgangssprachlich und mittlerweile ist das veraltet. In 100 Jahren kann man ihn wahrscheinlich wieder lesen und sagen, dass es damals die höchste Form der Literatur war, wie nun bei Schiller und Goethe (obwohl ich sagen muss, dass die zwei wirklich gut schreiben haben können). Vielleicht bin ich schon zu verdorben oder zu verwöhnt von den ganzen Romanen und der ganzen Literatur, die ich bereits gelesen habe, doch für die Ergüsse dieses Mannes kann ich mich leider nicht erwärmen. - Arthur Schnitzler
Traumnovelle / Die Braut.
(42)Aktuelle Rezension von: dominonaMan kennt das Buch aus der Kategorie Klassiker und Verfilmungen gibt es auch genug, aber nichts geht über die originale Vorlage. Natürlich denkt man beim Lesen sofort an Freud, was beim Autor aber auch nicht weiter verwunderlich ist. Für uns sind sexuelle Fantasien auf die geschilderte Art nichts Neues, aber für die Literatur ist das ungewöhnlich und trotz des Themas liest es sich angenehm. Defintiv keine verschwendete Zeit. - Arthur Schnitzler
Casanovas Heimfahrt
(3)Aktuelle Rezension von: renieKlassiker sind zeitlos und machen Spaß. Der Sprachstil mag im ersten Moment altmodisch und gewöhnungsbedürftig erscheinen. Doch dann stellt man fest, dass Klassiker anders gelesen werden als "neuere" Bücher. So geht es mir zumindest. Ich lese aufmerksamer und bedächtiger und gebe dieser ungewohnten Sprache eine Chance, ihren ganz besonderen Zauber zu entwickeln. Und schnell stellt man fest, dass auch ein altmodischer Sprachstil seinen Charme hat und den Leser in den Bann ziehen kann. So auch bei Arthur Schnitzler’s „Casanovas Heimfahrt“, erstmalig veröffentlicht im Jahre 1918. Ich habe diese Novelle in einer illustrierten Neuausgabe der Edition Büchergilde gelesen, die Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde.
Worum geht es in dieser Novelle?Casanova ist verarmt und in die Jahre gekommen. Mit 53 Jahren ist er des Reisens müde geworden und sehnt sich nach seiner Heimatstadt Venedig. Doch durch seine Eskapaden ist Casanova vor vielen Jahren verbannt worden und darf Venedig nicht mehr betreten. Nun hofft er auf Begnadigung, damit er seinen Lebensabend in seiner geliebten Heimat verbringen kann. Auf seinen Reisen nähert er sich Venedig "gleich einem Vogel, der aus luftigen Höhen zum Sterben allmählich nach abwärts steigt, in eng und immer enger werden Kreisen"(S. 5). Eines Tage begegnet ihm Olivo und dessen Familie. Casanova hat vor vielen Jahren an der Hochzeit von Olivo und seiner Frau Amalia teilgenommen und dem Paar mit einem großzügigen Geldgeschenk den Weg in die Zukunft versüßt. Seitdem sieht sich Olivo in Casanova’s Schuld. Als er seinem alten Wohltäter wieder begegnet, lädt er ihn ein, einige Tage in seinem Haus zu verbringen. Zu der Familie gehören 3 Töchter sowie die Nichte Marcolina - eine außergewöhnliche junge Dame: hübsch, geistreich, selbstbewusst und klug. Sie ist eine Herausforderung für Casanova und hat sofort seinen "Jagdinstinkt"geweckt. Und schon begibt er sich auf einen "Eroberungsfeldzug", was angesichts seines Alters nicht mehr ganz einfach ist."In der Fremde vermochte er längst nicht mehr ein Glück dauernd an sich heranzuzwingen. Noch war ihm zuweilen die Kraft gegönnt, es zu erfassen, doch nicht mehr die, es festzuhalten. Seine Macht über die Menschen, Frauen wie Männer, war dahin. Nur wo er Erinnerung bedeutete, vermochte sein Wort, seine Stimme, sein Blick noch zu bannen; seiner Gegenwart war die Wirkung versagt. Vorbei war seine Zeit!" (S. 80)Casanova und die AnderenCasanova lebt von seinem Ruf. Er ist ein Narziss, der die Eroberung von Frauen für sein Ego benötigt. Er will das Alter nicht wahrhaben und in den Momenten, wo es ihm doch bewusst wird, empfindet er das Altern als Fluch. Er glaubt immer noch an seine ganz besondere Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Insbesondere die älteren Frauen lassen sich von seinem Ruf als Liebhaber beeindrucken und biedern sich ihm an. An Möglichkeiten würde es Casanova nicht mangeln. Sobald er eine Frau erobert hat, lässt er sie voller Verachtung wieder fallen. Die Frau hat ihren Zweck erfüllt. Er ist an den jungen und unverbrauchten Frauen interessiert. Sein Beuteschema hat sich in den Jahren nicht geändert. Er ist zwar älter geworden, seine Objekte der Begierde sind jedoch jung geblieben.
Andere Männer sehen in ihm einen Rivalen, dem man mit Respekt begegnet, ja sogar mit Bewunderung für die Heldentaten, die er in jungen Jahren vollbracht hat und seinen Ruf, den er sich dadurch erworben hat."Nur eine Sekunde lang überlegte Casanova, an wen ihn Lorenzi erinnerte. Dann wusste er, dass es sein eigenes Bild war, das ihm, um dreißig Jahre verjüngt, hier entgegentrat. Bin ich etwa in seiner Gestalt wiedergekehrt?, fragte er sich. Da müsste ich doch vorher gestorben sein .... Und es durchbebte ihn: Bin ich's denn nicht seit langem? Was ist denn noch an mir von dem Casanova, der jung, schön und glücklich war?" (S. 62)Bei der jungen und schönen Marcolina haben Casanova’s Annäherungsversuche keinen Erfolg. Sie sieht in ihm genau das, was aus ihm geworden ist: ein alter, eitler Mann, der in der Vergangenheit lebt und in der Gegenwart nicht angekommen ist. Wenn sie sich mit ihm auseinandersetzt, merkt man, dass sie ihn nicht ernst nimmt. Bestenfalls begegnet sie ihm mit einer Höflichkeit, die Mitleid und Ekel überdeckt."Aber in Marcolina hatte er eine Gegnerin gefunden, die ihm sowohl an Kenntnissen wie an Geistesschärfe wenig nachgab und ihm überdies, wenn auch nicht an Redegewandtheit, so doch an eigentlicher Kunst und insbesondere an Klarheit des Ausdrucks weit überlegen war." (S. 46)Interessant ist, wie Arthur Schnitzler seine Charaktere präsentiert. Er lässt kein gutes Haar an seinen Protagonisten und hat einen Heidenspaß daran, sie ins Lächerliche zu ziehen: Casanova – der eitle alte MannOlivo – der dümmliche Familienvater, der Casanova umschwänzelt wie ein Hund sein HerrchenAmalia – auch nicht mehr die Jüngste, die sich Casanova an den Hals wirftMarcolina - nicht so tugendhaft, wie sie vorgibt zu sein und die manchmal etwas Durchtriebenes an sich hatLorenzi – der eitle, hochnäsige und ungestüme junge Leutnant, der kein Respekt vor dem Alter hatVertreter des Adels und der Kirche – eitel, habgierig, genusssüchtig
Arthur Schnitzler vermittelt den Eindruck, dass in der damaligen Gesellschaft (18. Jahrhundert, z. Zt. des Rokoko) Ehebruch zum guten Ton zu gehörte. Auch, wenn man nicht darüber sprach, schien es doch jeder zu tun. Insbesondere die Ehefrauen in Schnitzler's Novellen sind ständig auf der Jagd nach besonderen Liebhabern."Dass sich in ihrem Blick nichts von jenem Leuchten zeigte, wie es ihn früher so oft begrüßt, auch wenn er als Nichtgekannter im berückenden Glanz seiner Jugend oder in der gefährlichen Schönheit seiner Mannesjahre erschienen war, das musste Casanova freilich als eine längst nicht mehr neue Erfahrung hinnehmen. Aber auch in der letzten Zeit noch genügte meist die Nennung seines Namens, um auf Frauenlippen den Ausdruck einer verspäteten Bewunderung oder doch wenigstens ein leises Zucken des Bedauerns hervorzurufen, das gestand, wie gern man ihm eine paar Jahre früher begegnet wäre." (S. 26)Der Sprachstil und IllustrationenDie Sprache Schnitzler’s ist lebhaft. Sie lässt den Leser in die Seele der Protagonisten blicken und vermittelt deren Stimmungen. Die Beschreibung seiner Charaktere ist sehr gelungen. Man kann sie sich bildlich vorstellen, was noch durch die wundervollen Illustrationen in dieser Ausgabe unterstützt wird.Die Illustrationen von Cynthia Kittler sind farbenfroh und haben etwas Frivoles an sich. Dabei hat die Illustratorin versucht, eine Verbindung zwischen Casanova’s Lebzeiten – dem Rokoko – und der jetzigen Zeit zu schaffen. Dies ist ihr eindrucksvoll gelungen. Die Illustrationen sind modern, vermitteln aber trotzdem einen Bezug zu der damaligen Zeit.
FazitArthur Schnitzler (1832 - 1931), der sich für das Un- und Unterbewusste interessiert hat, lässt diese Erfahrungen in die Darstellung seiner Charaktere einfließen. Er gewährt dem Leser einen Einblick in die Seele seiner Protagonisten und liefert somit ein eindrucksvolles Bild der damaligen Gesellschaft. Der besondere Sprachstil vermittelt einen Charme, dem man sich nicht entziehen kann und macht daher die Lektüre spannend und unterhaltsam.Ergänzt und abgerundet wird diese Novelle durch die besonderen Illustrationen von Cynthia Kittler, die dem fast 100-jährigen Werk etwas Modernes verleihen. Dieses Buch in der Neuausgabe in bibliophiler Ausstattung der Edition Büchergilde ist ein wahrer Lese- und Augenschmaus!
© Renie
- Arthur Schnitzler
Reigen
(86)Aktuelle Rezension von: awogfliSchnitzler selbst wollte den Reigen ursprünglich nicht veröffentlichen, weil er ihn literarisch für zu wenig anspruchsvoll hielt. Dieser ersten und ursprünglichen Einschätzung des Autors muss ich bedauerlicherweise vollends zustimmen. Ich glaube, ich habe nur einen schlechteren Schnitzler als den Reigen gelesen, und ich hab sehr viele gelesen.
Wenn mal mal vom Skandal, den das Werk zu seiner Zeit verursacht hat, absieht und das Theaterstück im Lichte der heutigen Zeit betrachtet, dann bleiben nur noch extrem platte Dialoge übrig, die der Güte von Schnitzlers Fabuliertalent recht unwürdig sind.
Lediglich eine Geschichte fand ich von der Konstruktion her ansprechender: Die junge Frau und der Ehemann. Als der betrügende Ehemann von der Tugend von Frauen faselt, seine Frau sogar dazu anhält, dass sie sich sogar nicht mit Freundinnen abgeben soll, die ihrerseit ihre Ehemänner betrügen, nichts ahnend dass seine Frau ihm schon längst die Hörner aufgesetzt hat. Einerseits treibt er es selbst mit verheirateten Frauen, kommt aber nie auf die Idee, dass ein anderer Mann so etwas auch tun könnte. Wo sollen denn all diese untreuen Frauen sonst herkommen. Das ist irgendwie naiv und auch köstlich, denn er nimmt sich in der Ehe etwas heraus, was er bei seiner Frau nicht einmal zu denken wagt und bekommt hinterrücks die Rechnung präsentiert.
Ein zweiter innovativer Punkt des Dramas ist die Szenenanordnung. Wie ein Staffelholz der Liebelei oder wie eine Geschlechtskrankheit wird der sexuelle Akt von einem zum anderen weitergegeben - quer durch die Gesellschaftsschichten von Nutte auf Soldat auf Dienstmädchen auf feiner Herr auf feine verheiratete Dame auf Ehemann auf süßes Mädel ... bis wir am Ende wieder auf die Nutte der ersten Szene treffen. Das klingt nach einem seriellen Gang Bang in dem das Token (Ausdruck aus der IT) in einem Ring weitergegeben wird. Token-Ring war übrigens eine Form von Netzwerkstruktur, nicht mehr ganz aktuell aber so passend auf dieses Stück wie nur was.
Diese zwei positiven, beziehungsweise innovativen Aspekte, die ich hervorgehoben habe, sind auch der Grund, warum sich das Werk bei mir das zweite Sternderl verdient hat, ansonsten ist nix dran am Reigen. Nun werde ich mir den Reigen reloaded zu gemüte führen, der das Werk in die heutige Zeit versetzen will - ich bin schon gespannt ob der Remix von heute besser wird als das Original.
Fazit: Lest einen Schnitzler, aber einen anderen! Im Rahmen der Theaterstücke kann ich Das weite Land empfehlen bei Schnitzlers Novellen ist fast alles gut. - Arthur Schnitzler
Reigen / Liebelei
(28)Aktuelle Rezension von: Sandrica89Arthur Schnitzler ist ja bekannt, dass er in dieser Richtung gerne provoziert. "Die Novelle" war mein erstes Stück von ihm und nun wollte ich mich seinem nächsten widmen und war durchaus gespannt, was er kreiert hat.
Im Grunde begegnen sich 5 Paare; 5 Weiblein und 5 Männlein, die aufeinander treffen, ins Gespräch kommen und schliesslich übereinander herfallen. Eine Dirne trifft auf einen Soldaten, dieser geht zum Stubenmädchen und schlussendlich landet der Graf zur Dirne. Jedem von ihnen wird ein Akt gewidmet, wie sie miteinander reden, in welchem Verhältnis sie stehen und was der Grund ist, weshalb sie schlussendlich diesen Schritt tun. Jeder hat seinen eigenen Grund, warum er sich in die Arme einer/s anderen werden und jeder geht dementsprechend anders damit um. Bei jedem endet es gleich, und dennoch ist es nicht das selbe.
Es war wirklich amüsant diese 10 Akte zu lesen. Die Charaktere sind oberflächlich beschrieben, im Mittelpunkt steht eher der Verhältnis zum anderen und die Erklärung, warum sie dem Rausch verfallen. Damals waren ja solche Liaisons nicht gerade gerne gesehen, umso spannender war es zu lesen, wie sie es schliesslich anstellten. Schnitzler hat allerlei Schichten aufeinander prallen lassen (Graf und die Dirne, Stubenmädchen und der junge Herr...) und gezeigt, dass es schlussendlich nicht drauf ankommt, sondern darauf, sich fallen lassen zu können.
Prickelnd, skandalös, amüsant, überraschend. Ein guter Klassiker, den man gelesen haben muss.
- Peter Gay
Das Zeitalter des Doktor Arthur Schnitzler
(3)Aktuelle Rezension von: SokratesPeter Gay widmet sich der Wiener Oberschicht, die er exemplarisch an der Biographie des Schriftstellers Arthur Schnitzler charakterisiert. Herausgekommen ist eine opulente Gesamtschau der Wiener Kultur der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die auch einen Sigmund Freud hervorgebracht hat. Wer sich mit Lebensgewohnheiten, Sitten und Lebensstil der Wiener Oberschicht beschäftigen möchte, dem sei dieses Buch empfohlen; auch demjenigen, der eine fundierte kulturgeschichtliche Biographie zu Arthur Schnitzler sucht. Allen anderen seien Peter Gays sexualgeschichtlichen Werke über das 19. Jahrhundert empfohlen, denn das vorliegende Buch hat doch den Fokus arg eng auf Arthur Schnitzler gerichtet und versteht sich auch als Biographie. - Arthur Schnitzler
Fräulein Else
(134)Aktuelle Rezension von: Sandrica89Ein zeitloser Klassiker, wie ich schon so oft gehört habe. Diese Novelle von Arthur Schnitzler kannte ich noch nicht. Ich lese generell seine Werke nicht, sein Stil macht mir nicht besonders. Dennoch hat mich der Klappentext neugierig gemacht und ich wollte dem Werk eine Chance geben.
Fräulein Else, ein junges, schlaues Mädchen aus gutem Hause macht Urlaub im Ausland. Nach einem Tennis-Spiel erhält sie ein Brief von ihrer Mutter. Ihr Vater ist verschuldet und Else muss den unsympathischen Herrn Dorsday um ein Darlehen bitten. Noch bevor sie ihn darum bittet fragt sie sich selbst, warum sie das nun wieder hinbiegen muss und nicht ihr Vater selbst? Dennoch gibt sie sich einen Ruck und fragt Herrn Dorsday. Dieser willigt zwar ein, jedoch unter der Bedingung, dass Else sich für ihn nackt ausziehen soll.
Der junge Leutnant Gustel wird vom Bäckermeister, nach einem Konzert, beleidigt und lässt sich das auch noch gefallen. Die ganze Nacht ist er nun unterwegs und ist felsenfest von sich überzeugt, dass er sich das Leben nehmen müsse, da ihm seine Ehre genommen wurde. Kurz bevor er zur Tat schreiten kann, wendete sich plötzlich das Blatt.
Zwei Geschichten, ein moralisches Konflikt.
Else ist zwar jung, hübsch und reich, aber noch unerfahren in sexueller Hinsicht. Jedoch flirtet sie gern und ist schlau genug, um die ganzen Oberflächlichkeiten zu sehen. Sie weiss ganz genau, was sie tut, weswegen sie sich so schlagfertig gibt. Als sie jedoch von den Schulden ihres Vaters erfährt, gerät ihre Sichtweise ins wanken. Zwar weiss sie, dass nicht sie das Problem lösen sollte, dennoch fühlt sie sich ihm gegenüber verpflichtet. Als dann noch dieser schmierige Herr Dorsday seine Bedingung ausspricht, gerät sie komplett ins Wanken. Wir begleiten Else, welche Gedanken sie hat. Ob es einen Ausweg gäbe, eine andere Lösung, was es für die Familie bedeuten würde, was es mit ihr selbst machen würde... Ihre Psyche geht komplett mit ihr durch, bis sie schlussendlich ihr Versprechen einhält, aber in Ohnmacht fällt. Und danach nimmt sie sich einfach das Leben. Sehr tragisch. Gerade weil sie so stark und selbstsicher rüberkam, hätte ich doch gedacht, dass sie schlauer reagieren wird. Aber zu dieser Zeit scheint die Ehre und das Ansehen viel wichtiger zu sein. Echt schade um so eine starke Frau. Ihr Vater ist wirklich ein Feigling, dass er seine Schuld auf seine Tochter überträgt. Ich hoffe, dass er nun in Frieden weiterlebt, ohne Schulden.
Bei Gustl lief es ähnlich ab. Gerade weil er ein Leutnant ist, hat er sich die Beleidigung eines Bäckermeisters gefallen lassen. Eigentlich hatte er keine Wahl, dennoch zermürbt ihn dieser Gedanke und auch bei ihm durchleben wir seine Gedankenstränge, was es für ihn bedeutet, was seine Familie dazu sagen würde, wie seine Freunde und Geliebte reagieren würden... Es hat sich vorgenommen sich das Leben zu nehmen, da er eigentlich entehrt wurde. Aber der nächsten Morgen läuft plötzlich anders als erwartet. Denn seine Ehre wurde über Nacht wieder hergestellt. Glück im Unglück.Zwei tragische Geschichten zweier unterschiedlichen Charaktere. Beide kämpfen gegen ihre Zerrissenheit an, beide geraten in moralischen Konflikt und für beide ist nur der Selbstmord die Lösung. Damals nahm man sich immer das Leben, wenn man entehrt wurde, oder sich vor der Gesellschaft blamiert hat. Heute ist es einfach ein unnötiges Drama um Nichts. Schnitzler hat in dieser Novelle gezeigt, wie stark eigentlich unsere eigene Psyche ist und was sie mit uns machen kann. Sobald wir die Kontrolle über sie verloren haben, kann es ganz schnell gehen. Aus psychischer Hinsicht daher ein Meisterwerk. Diesen Monologen zu folgen war schon sehr interessant. Ein Gedanke folgt dem nächsten bis man sich selbst verliert und nicht mehr weiss, wo es begonnen hat. Auch wenn man zuerst denkt, dass es schlimmer nicht sein kann, schlussendlich ist es nicht der Rede wert und weitaus weniger schlimm als gedacht. Aber eben... damals war das eine Schande und die Menschen kamen mit dem hohen Druck gar nicht mehr klar.
Eine sehr interessante und tiefgründige Novelle, die mit unserer Psyche spielt und zum nachdenken anregt. Wer sich dafür interessiert, ist er hier genau richtig. Für Klassiker-Fans definitiv ein Muss.