Bücher mit dem Tag "challenging"

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8 Bücher

  1. Cover des Buches Dshamilja (ISBN: 9783293005181)
    Tschingis Aitmatow

    Dshamilja

     (286)
    Aktuelle Rezension von: bookstories

    Es gibt kein anderes Buch, das ich so oft gelesen habe wie "Dshamilja".  Auf meinen beiden letzten Ferienreisen, die schon ein paar Jahre zurückliegen, hatte ich es immer bei mir. Nicht nur die angenehme Kürze der Erzählung, vor allem auch die Verträumtheit und Stille dieser "schönsten Liebesgeschichte der Welt", wie Louis Aragon sie in seinem Vorwort nennt, ist Grund dafür, dass ich eine besondere Affinität zu dieser Erzählung entwickelt habe. Übrigens sollte man auch Louis Aragons lobendes Vorwort unbedingt lesen, aber erst nach der Lektüre, wenn man nicht schon zu viel im voraus erfahren möchte. Louis Aragon war ein französischer Dichter und Schriftsteller, der die Geschichte ins Französische übertragen hat.


    Die 1958 entstandene Novelle war die Abschlussarbeit des damals dreissigjährigen Tschingis Aitmatov am Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und wurde erstmals in der Literaturzeitschrift Nowy Mir veröffentlicht. Es gibt zwei Übersetzungen ins Deutsche. Die ursprüngliche und für zahlreiche Auflagen und Neuausgaben des Insel- und Suhrkamp-Verlags verwendete Übertragung stammt von Gisela Drohla, die zweite bekannte Übersetzung besorgte Hartmut Herboth. Ich habe immer nur die Version des Suhrkamp Verlags gelesen. Dieses Mal nehme ich zum Vergleich für gewisse Passagen auch die Übersetzung des Unionsverlags zur Hand und stelle fest, dass mir Gisela Drohlas Übertragung besser gefällt. Irgendwie drückt sie mehr Herzenswärme aus. Es gibt Stimmen, die das anders empfinden und Herboths Übersetzung vorziehen. Das ist eben Geschmacksache. 


    "Dshamilja" ist eine Erzählung, die tief berührt. Sie wird aus der Perspektive des heranwachsenden Said erzählt, wobei hin und wieder Formulierungen darauf hindeuten, dass der Ich-Erzähler heute bereits erwachsen ist und auf das Geschehene zurückblickt. Irgendwo habe ich auch gelesen, dass es sich um eine wahre Begebenheit handeln soll, die Aitmatov in seinem Debüt aufgenommen hat. Die Geschichte spielt im dritten Jahr des zweiten Weltkrieges, im Nordosten Kirgisiens, in einem Gebiet, das an Kasachstan angrenzt, zwischen der Kirgisenkette und der kasachischen Steppe, am Fluss Kukureu. Während die Dschigiten, so werden die jungen Männer und Elitereiter genannt, an der Front gegen die Deutschen kämpfen, arbeiten die Frauen, älteren Männer und Kinder auf den Feldern, ernten, dreschen und verladen das für die Soldaten lebensnotwendige Korn.


    So auch Dshamilja. Um zu verstehen, in welcher Beziehung sie zu Said, dem Erzähler, steht, muss erwähnt sein, dass Saids Vater eine zweite Frau geheiratet hat, deren Mann verstorben ist, denn nach strenger Tradition und Gesetz des Auls (Dorf) darf eine Witwe nicht allein gelassen werden. So kommt der junge Said zu einer zweiten Mutter, deren Söhne an der Front sind, und Dshamilja ist mit einem dieser Söhne verheiratet. Deshalb nennt Said sie "Dshene", Frau des älteren Bruders, und er selbst wird von ihr liebevoll "Kitschine bala" genannt, kleiner Junge, obwohl Said nur wenige Jahre jünger ist als sie. Said ist glühend in Dshamilja verliebt, und sie liebt auch ihn, so seine naive Wunschvorstellung. Als ich das Buch zum ersten Mal las, dachte ich zu Beginn, es handle vom Verliebtsein Saids in Dshamilja, was gewissermassen auch stimmt, denn der Fünfzehnjährige fühlt sich für seine "Dshene" verantwortlich und glaubt, sie vor anderen Männern beschützen zu müssen, will er doch nicht, dass sie belästigt wird. Denn sie ist eine bildhübsche Frau, und mit seinen Gefühlen ihr gegenüber weiss Said noch nicht richtig umzugehen.


    Doch dann tritt Danijar in Dshamiljas Leben. Danijar ist aus dem Krieg mit einer Beinverletzung zurückgekehrt und im Aul aufgenommen worden. Allen begegnet er still und verschlossen, niemand kann sein Wesen ergründen, von allen wird er gemieden. Auch Said erinnert sich an Begegnungen mit Danijar, die ihn mit Fragen zurücklassen. Danijar übernachtet oft allein am Flussufer oder zieht sich auf einen Hügel zurück, wo sein versonnener und doch klarer Blick in die Ferne geht und er auf Laute zu lauschen scheint, die niemand sonst hören kann. Dshamilja lernt ihn kennen, als sie für die Arbeiten auf der Kolchose eingesetzt wird. Von nun an beladen Said, Dshamilja und Danijar gemeinsam ihre Pferdegespanne, fahren täglich durch die Steppe und die Schlucht zur fernen Bahnstation, um dort ihre Kornsäcke abzuliefern und spät in der Nacht wieder zur Dreschtenne zurückzukehren, wo sie in der Scheune im Stroh übernachten.


    Dshamilja und Danijar beginnen, Gefühle füreinander zu entwickeln. Heimliche, versteckte, denn Danijar ist scheu und zurückhaltend, und Dshamilja verheiratet. Das alles darf nicht sein, und um sich selbst zurückzunehmen, und aus ihrer stets zu Scherzen aufgelegten Frohnatur heraus, hat Dshamilja anfänglich nur Spott für den Aussenseiter übrig, den dieser schweigend hinnimmt. Als ein harmloser Streich ernst und demütigend endet, scheint sie sich vor Scham noch mehr von ihm abgrenzen zu wollen. Doch dann beginnt Danijar eines Nachts auf der Heimfahrt zu singen, und diese Stimme, die voller Sehnsucht und Liebe die Stille der Steppe durchdringt, verändert alles.


    Während dieser so liebliche Gesang, von dem sie Nacht für Nacht hingerissen sind, bei Dshamilja die Dämme brechen lässt, scheint Said, dem viel daran liegt, dass die beiden sich verstehen, die Liebe auf einer viel tieferen Ebene zu erfahren. Auf einmal versteht er Danijars Wesen, nimmt ihn als einen zutiefst verliebten Menschen wahr - verliebt in das Leben selbst. Dshamilja hingegen kämpft mit ihrem Gewissen. Schon bald gibt sie Danijar zu verstehen, dass ein Zusammenkommen unmöglich scheint: "Was hast du denn? Oder begreifst du es wirklich nicht? ... Als ob ich die einzige auf der Welt wäre ... Für mich ist es auch nicht leicht." Diese ablehnende Haltung, und ein Brief von Dshamiljas Mann, den ein heimgekehrter Soldat ihr überbringt, löst grösste Enttäuschung in Danijar aus. An jenem Abend kehren alle getrennt von der Bahnstation zur Dreschtenne zurück, und Dshamilja lässt bis spät in die Nacht auf sich warten. 


    Die kurze Novelle ohne Kapiteleinteilung liest sich nahezu wie der Gesang Danijars, der in dem Buch ein zentrales Element darstellt. Während dies bei Dshamilja starke Gefühle für Danjiar auslöst, begegnet Said, Erzähler der Geschichte, einem Schlüsselerlebnis des Erwachens. Staunend, wie durch die Augen eines Kindes, verzückt und überwältigt von der Schönheit des Lebens, der Natur, und der Liebe der beiden, sieht er nunmehr jedem Tag entgegen. Ob es sich bei diesem Buch wirklich um die schönste Liebesgeschichte der Welt handelt, kann man gewiss hinterfragen, sofern man es vom Standpunkt der Personen bezogenen, subjektiven Liebe aus beurteilt. In meinen Augen wird hier aber nicht nur die Beziehung zwischen Dshamilja und dem tief in das Leben verliebten Danijar wundschön in Szene gesetzt, sondern auch die Erleuchtung Saids.


    Said erlebt die Liebe in ihrer bedingungslosen Form, erfährt das Leben selbst, und diese Erfahrung inspiriert ihn zum Malen. Er möchte die beiden Verliebten malen, ihm fehlen sogar die richtigen Farben dazu, wie er am Ende der Geschichte erzählt. Und dass der Erzähler zum Zeitpunkt der Niederschrift der Novelle diese universelle Erfahrung längst verinnerlicht hat, zeigt die Komposition der Geschichte, ihre Sprache, die Art und Weise, wie Dinge wahrgenommen und beschrieben werden. War Said am Anfang noch ein unerfahrener Junge, erfährt er am Ende des Tages die Liebe des Lebens überhaupt, ohne je persönlich geliebt zu haben.


    Für mich ist "Dshamilja" in der Tat die schönste Liebesgeschichte der Welt. Ich werde dieses Buch immer wieder zur Hand nehmen, denn immer wieder begegnet man in diesen Zeilen erneut der Schönheit und der Liebe des Lebens selbst.


    Review mit Zitaten und Bildern auf https://www.bookstories.ch/gelesenes1/dshamilja 

  2. Cover des Buches Der Junge und das Meer (ISBN: 9783293407473)
    Tschingis Aitmatow

    Der Junge und das Meer

     (18)
    Aktuelle Rezension von: Ulenflucht
    Mich beeindruckt, wenn Autoren nur wenige Worte brauchen, um Großartiges zu schaffen. Diesmal ist Tschingis Aitmatow aber sogar über die Novelle herausgekommen und hat mit "Der Junge und das Meer" einen seiner wenigen Romane geschrieben. Es geht um den Jungen Kirisk, der zusammen mit den Männern seiner Familie hinaus auf das Ochotskische Meer zur Robbenjagd fährt, ganz im Nordosten des heutigen Russlands. Es ist seine erste Fahrt und gleichzeitig sowas wie die Schwelle zum Erwachsenenwerden. Aber wie auf der Rückfahrt schnell klar wird, ist die Robbenjagd nicht die einzige Prüfung, denn sie geraten in dichten Nebel und verlieren die Orientierung. Es beginnt ein Überlebenskampf der Männer gegen das Meer und gegen den Durst.

    Wie von Aitmatow gewohnt, erzählt er diese Geschichte als Mischung von Mythen und Realität, eben so, wie viele Völker in diesem großen Land noch heute leben. Wo Realität nie nüchterne Fakten sind, sondern immer gleich interpretiert und zu einer Geschichte verwoben dargestellt wird. Mir gefällt diese etwas andere, sehr alt erscheinende Darstellung der Natur und wie die Menschen sich versuchen zu erklären, wie alles in einem Gleichgewicht steht. Für uns Westler mag es im ersten Moment schrecklich sein, wie der Autor etwa das Abschlachten der Robben schildert, aber es kommt doch als selbstverständlicher Teil dieser Kultur herüber, wo alles ein Kreislauf ist. Das Beeindruckendste an diesem Buch ist aber die Schilderung des Durstes. In dem kleinen Boot im Nebel gibt es ein Fass Wasser, aber drei Männer und Kirisk, die dem Meer, der Strömung, der Natur ausgeliefert sind und schließlich auch dem Zufall. Man fiebert mit, dass Wind aufkommt und den Nebel vertreibt und während des Wartens und des ebenfalls quälenden Zusehens, wie sie alle am Verdursten sind, lässt man sich mit fortnehmen in die Erinnerungen der Männer, während sie Gefangene des Meeres sind, das doch sonst immer Symbol für Freiheit ist.

    Alles in allem ist es ein Buch über den Lauf der Natur und das Opfer der Menschen. Nicht zuletzt jenes, das man für die nachfolgende Generation bringt, auch wenn es das Leben kostet, wie hier. Vor allem aber muss ich an diese Darstellung des Durstes denken, wenn ich an dieses Buch denke. Die Langsamkeit, die Handlungsärme, die ich vorher noch nie in dieser Form kennen gelernt hatte und die mich Aitmatow immer wieder bewundern lässt.
  3. Cover des Buches Die Hälfte der Sonne (ISBN: 9783596035489)
    Chimamanda Ngozi Adichie

    Die Hälfte der Sonne

     (35)
    Aktuelle Rezension von: Sanne54

    Adichie beeindruckt mich nicht nur als Frau, sondern mit einem Erzählstil, der mir sehr liegt. Ihre Themen hingegen sind meist alles andere als einfach. Auch diesmal steht wieder ihre Heimat Nigeria und das Schicksal der Igbo bzw. des Versuchs eines unabhängigen eigenen Staates, Biafra, im Mittelpunkt. Der Roman liest sich dabei mehr wie eine Familiengeschichte, wobei erklärende Worte zur politischen Situation eingeschoben sind, was leider den Lesefluss bremst. Allerdings sind diese Erklärungen an sich für mich schon wichtig gewesen, da ich mit dem Konflikt bzw. dem Bürgerkrieg rund um diese kurze Geschichte Biafras nicht sonderlich vertraut war. Die Ereignisse spielen in den 1960ern und der Untergang Biafras wurde von einem der schlimmsten Bürgerkriege in der afrikanischen Geschichte begleitet. Der Titel des Buches spielt auf die Staatsflagge Biafras an, die eine halbe Sonne zeigte.

    Die Ereignisse werden aus Sicht dreier Personen erzählt:
    Ugwu ist ein ungebildeter Junge aus ärmlichen Verhältnissen, der als Houseboy bei einem Universitätsprofessor und dessen in England studierter Frau Olanna, einer gleichermaßen schönen und intelligenten Soziologin, angestellt ist. Dort wird ihm auch eine entsprechende schulische Bildung zu teil und er wird fast wie ein Sohn behandelt. Olanna stammt aus einer sehr wohlhabenden, aber korrupten Familie und versucht, ihren eigenen Weg zu gehen. An ihrem Mann fasziniert sie vor allem seine Persönlichkeit. Der dritte ist Richard, ein Engländer, der nach Nigeria kam, um ein Buch über nigerianische Kunst zu schreiben. Er lernt Olannas Zwillingsschwester kennen und beginnt eine Beziehung mit ihr. Als europäischer Beobachter erlebt er die grausamen Ereignisse aus einer anderen Sicht.
    Ugwus heile bürgerliche Welt zerbricht schließlich (nicht nur) durch den Bürgerkrieg. Er wird Soldat statt die Universität zu besuchen. Erst später kann er sich wieder seiner Leidenschaft, den Büchern zuwenden und schreibt über diese Ereignisse.

    Ich war schon nach wenigen Zeilen in der Geschichte, allerdings habe ich dennoch sehr lange gebraucht, um ihn zu lesen.
    Das liegt weder an den über 600 Seiten noch am Schreibstil der Autorin, sondern, dass ich ihn immer wieder zur Seite legen musste. Gerade die emotionale Spanne zwischen den überschäumenden Hoffnungen der Menschen auf einen eigenen Staat und die unfassbaren Grausamkeiten, die seiner Gründung vorangingen und die am Ende auch seinen Untergang begleiteten, machen aus dem Roman alles andere als eine leichte Lektüre. Mich hat es auch angeregt, weiter zu recherchieren. Dadurch dass Adichie den Roman als eine Art Familiendrama anlegt, führt sie die Leser sehr nah an die Menschen und ihr Schicksal. Am Ende geht es aber nicht um die Frage der Schuld, sondern um die Menschen und was der Krieg mit ihnen macht. 

  4. Cover des Buches Nur wie ein Gast zur Nacht (ISBN: 9783633540761)
    Samuel Joseph Agnon

    Nur wie ein Gast zur Nacht

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Aldawen
    Der Ich-Erzähler, der hier mit dem Autor ziemlich identisch sein dürfte, reist in seine Heimatstadt. Eigentlich gehörte er zu den frühen Pionieren in dem Land, das später Israel werden wird, aber nach einem Überfall, bei dem sein Haus zerstört wurde, ist seine Frau mit den Kindern zu Verwandten nach Deutschland gezogen und er eben nach Galizien. Fast ein Jahr hält er sich in Szybuscz auf und berichtet ausführlich von dieser Zeit, von den Menschen im Ort und ihren großen und kleinen Sorgen, der Armut, den Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs und der folgenden Progrome gegen die Juden in der Region, von seinen eigenen Bemühungen, sich wieder in die Lehre zu versenken, und vielen theologischen Fingerhakeleien. Ich hatte ja kein amüsantes Buch erwartet, das schlossen die Zeit, der Ort und das Milieu irgendwie schon aus, aber langweilig muß es deshalb doch auch nicht werden. Dem Roman liegt Agnons 1930 unternommene Reise in seine galizische Heimat zugrunde, und tatsächlich bekommt man hier von der Armut der Menschen in dieser abgelegenen Region vieles mit. Auch über die ansässigen Juden und wie sie ihren Glauben leben erfährt man viel. Nur: Mir war das zuviel und zu unverständlich und daher eher langweilig. Das liegt sicher auch daran, daß ich nicht religiös bin: Ich hätte in dieser Detaillierung auch meine Probleme mit dem Verständnis gehabt, wenn es um christliche Rituale und Glaubensansichten gegangen wäre. Aber in Bezug auf den jüdischen Glauben fehlt mir so ziemlich jede Basis um den verschiedenen Gebeten, Ritualen und vor allem den Feinheiten zwischen der einen und der anderen Ausführung oder Interpretation zu folgen. Also habe ich über das meiste schulterzuckend hinweggelesen. Ich will gerne glauben, daß die Nobelpreis-Begründung „für seine tiefgründige charakteristische Erzählkunst mit Motiven aus dem jüdischen Volk“ Berechtigung hat, aber einigermaßen universell scheint mir das zumindest in diesem speziellen Fall nicht zu sein ...
  5. Cover des Buches Das Cafe der Verrückten (ISBN: 9783548243344)
    Felipe Alfau

    Das Cafe der Verrückten

     (2)
    Aktuelle Rezension von: Aldawen
    Klappentext (weil der ausnahmsweise mal treffend ist): Im Café der Verrückten sitzt ein junger Mann – es ist Felipe Alfau – und spielt ein süßes und gefährliches Himmel-und-Hölle-Spiel: das der Grenzgängerei zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Les jeux sont faits – alles ist offen, und es rollen viele Kugeln. Wer spielt hier mit wem? Jeder mit jedem, der Autor mit seinen Figuren, diese mit ihm, und auch der Leser spielt seinen Part als Detektiv, denn was in diesem anarchischen Schelmenroman eigentlich geschieht, das herauszufinden ist seine Aufgabe. Die vielen Gestalten des Romans spielen mit einem traditionsreichen Thema Komödie: dem der Identität. Alfau wirbelt Zeit und Raum in immer neue farbige Bilder, und wohl kein Leser wird dem teuflisch intelligent angelegten Labyrinth dort entkommen, wo er den Ausgang vermutet. Vielleicht landet er wieder im Café der Verrückten, vielleicht auf einem internationalen Kriminalistenkongreß, bei dem ein Stromausfall Madrid in einen Hexenkessel von Gaunereien verwandelt. Man verliebt sich in dieses Buch, wenn man selbst ein Spieler ist, weil man in ihm verlorengehen kann. Weil man wie Gaston – eine der Figuren des Romans – nicht mehr so genau weiß, was Wirklichkeit ist, was Fiktion. ----- Ein geniales Buch! Alfau widmet jeden der acht Hauptabschnitte (ich nenne sie bewußt nicht Kapitel) einer Hauptperson bzw. einer Personengruppe. Jeder dieser Abschnitte steht einerseits für sich allein, andererseits durch das Figurentableau in Beziehung zu den übrigen. Wie Alfau im Prolog selbst anbietet, ist es dadurch völlig unerheblich, in welcher Reihenfolge diese Abschnitte gelesen werden, denn im Grunde müßte man sie alle gleichzeitig lesen, um die vielen Anspielungen und Verweise zwischen ihnen mitzubekommen. Um all dem auf die Schliche zu kommen, reicht eine einmalige Lektüre einfach nicht aus. Ich bin auch ziemlich sicher, daß die gesamten Verwandtschafts- und sonstigen Beziehungen richtig aufgehen, aber im Moment fühle ich mich ähnlich verwirrt und spinnen wie in einem der Bilder von M. C. Escher, bei denen die Treppen im Kreis und gleichzeitig alle in die gleiche Richtung nach oben (oder unten, je nach Blickwinkel) führen ... Besonders reizvoll wird es, wenn Alfau sich als Autor in einer Fußnote dazu äußert, wo die Figuren sich seinen eigenen Planungen für sie widersetzt haben. Da er sich auch in verschiedenen Perspektiven selbst in den Roman eingebaut hat, verschwimmt die Grenze zwischen Fiktion und Realität besonders leicht. Interessanterweise wirkt der Roman, sowohl was den konkreten Inhalt als auch die Sprache angeht, erstaunlich zeitlos. Alfau wurde 1902 in Barcelona geboren und emigrierte mit seiner Familie während des Ersten Weltkriegs in die USA. Dort schrieb er 1928 diesen Roman, der erstmals 1936 veröffentlicht wurde, dann lange in Vergessenheit geriet und in den 1980er Jahren zufällig wiederentdeckt und neu aufgelegt wurde.
  6. Cover des Buches Der Pfeil Gottes (ISBN: 9783596906093)
    Chinua Achebe

    Der Pfeil Gottes

     (8)
    Aktuelle Rezension von: Aldawen
    Ezeulu ist der Oberpriester von Umuaro, einer Gemeinschaft aus sechs Igbo-Dörfern. Noch ist das Leben relativ unbeinflußt von der britischen Kolonialverwaltung, auch wenn es eine Missionsstation und eine Schule gibt. Auch in einen Landstreit zwischen Umuaro und der Nachbargemeinschaft Okperi hat Distriktkommissar Winterbottom schon einmal zugunsten Okperis eingegriffen. Um zu verstehen, was die Weißen so überlegen macht, schickt Ezeulu einen seiner Söhne, Oduche, zur Schule und zur Mission. Es kommt zu einem Eklat, als in einem Kasten, der Oduche gehört, eine eingesperrte Python gefunden wird. Ein Sakrileg! Die Götter werden bestimmt für diesen Frevel strafen. Das eigentliche Verhängnis nimmt aber seinen Lauf, als Winterbottom Ezeulu nach Okperi beordert, um ihn zum Chief von Umuaro zu „befördern“. Ezeulu mißfällt die Form der „Einladung“, macht sich aber gleichwohl schließlich auf den Weg. Als er von Winterbottoms Ansinnen erfährt, lehnt er die angetragene Position aus verschiedenen Gründen ab. Man nimmt ihn quasi in Beugehaft. Als er nach Wochen endlich zurückkehrt, hat Ezeulu einige Neumondbestimmungen verpaßt, und er weigert sich, die Ernte und das Fest des neuen Yams auszurufen, als die Zeit dafür eigentlich gekommen wäre. Eine Hungersnot droht, und die christliche Kirche macht verlockende Angebote ... Chinua Achebe ist vermutlich der meistgelesene Autor Nigerias, und das sicher nicht zu Unrecht. Deshalb denke ich, kann man ihn ohne weiteres unter Weltliteratur einordnen. Über sein Romangesamtwerk hinweg zeigt er die Strukturen, Werte und Normen der Igbo-Gesellschaft und ihren Wandel unter dem Einfluß der Kolonialherrschaft. Dieser Roman ist etwas später angesiedelt als sein Erstling "Okonkwo oder das Alte stürzt", denn das setzt vor dem Auftauchen der Briten ein, während hier schon eine Verwaltung errichtet ist. Gerade diese beiden Romane zusammengenommen ergeben ein sehr plastisches Bild vom Leben im Igbo-Land an diesem Scheidepunkt. Bemerkenswert war für mich, daß die Hauptpersonen beider Bücher, hier Ezeulu, dort Okonkwo, mir nicht im eigentlichen Sinne sympathisch waren. Aber sie sind beide sehr starke Charaktere, die für ihre Überzeugungen und für Traditionen einstehen und dabei auch den eigenen Nachteil in Kauf nehmen. Man kann das einfach nur reaktionär und dumm finden, aber damit unterschlüge man, daß die Gemeinschaften funktioniert haben und durchaus wandlungsfähig und nicht starr waren. Sie funktionierten eben nur nach anderen Prinzipien, die einen mehr egalitären, fast sogar demokratischen Charakter hatten. Die übrigen Personen verblassen sowohl neben Ezeulu als auch neben Okonkwo schon ein wenig, aber das wirkte im realen Leben vermutlich auch nicht viel anders. Interessant für mich waren die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede, die sich zwischen dem Priester Ezeulu und dem angesehenen Dorfbewohner Okonkwo zeigen. Sie kommen wegen ihrer sozialen Prägung zwar zu ähnlichen Ergebnissen, aber auf Grund unterschiedlicher Erwägungen. Nicht alle Ausgaben des Buches scheinen über ein Glossar zu verfügen, in dem die zahlreichen Igbo-Begriffe erläutert werden, in dieser Ausgabe ist dies allerdings der Fall. Hier gibt es auch noch eine graphische Übersicht über Ezeulus Familie und ein lesenswertes Nachwort von Thomas Brückner, in dem er Achebes Leben und Werk kurz in Beziehung zueinander und zu den äußeren Rahmenbedingungen seines Schreibens setzt.
  7. Cover des Buches Die hungrigen Hunde (ISBN: 9783518369470)
    Ciro Alegría

    Die hungrigen Hunde

     (3)
    Aktuelle Rezension von: Aldawen
    Auf den Hochebenen der nordperuanischen Sierra leben Indios und Cholos als Pächter des Großgrundbesitzers Don Cipriano. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie mit Schafzucht, ergänzt durch Ackerbau. Beim Hüten der Schafe helfen Hütehunde, und Simón Robles' Hunde sind als besonders talentiert bekannt. Als in einem Jahr der notwendige Regen ausbleibt, ist das natürlich nicht gut, aber die Menschen retten sich irgendwie über das Jahr, auch Don Cipriano hilft hierbei, indem er z. B. Pächtern Saatgut zur Verfügung stellt. Aber die Dürre hält an, und die folgende Hungersnot mit den vielen Toten gefährdet fragile Gleichgewichte. Nicht nur die hungrigen Hunde vergessen ihre Herren, fallen die eigene Herde an und müssen gewaltsam vertrieben werden, ganz ähnlich lehnen sich auch die Pächter gegen den Hacendero auf, versuchen sein Haus zu stürmen und werden ganz genauso wie die Hunde einfach niedergeschossen. Erst mit dem endlich einsetzenden Regen besteht wieder eine Chance auf Normalisierung, auf die Rückkehr zu früheren Verhältnissen. Unter literarischen Gesichtspunkten weist der Roman für mein Empfinden einige Schwächen auf, vor allem in Konstruktion und Erzählton. Das wirkte streckenweise doch ein wenig bemüht und abgehackt. Und auch die Charaktere sind nicht besonders tief angelegt, sondern wirken eher beispielhaft gestaltet. Als sozialkritische Schrift hat es aber durchaus Qualitäten, ob man so etwas mag, ist dabei eine andere Frage (ich ab und an durchaus). Obwohl sich seit der Entstehung des Romans (hoffentlich) einiges an den beschriebenen Zuständen geändert hat, nehme ich an, daß einige der grundsätzlichen Probleme nach wie vor bestehen – jedenfalls läßt die Berichterstattung nicht nur aus Peru sondern auch den umliegenden Ländern diesen Schluß zu. Geschrieben wurde dieser Roman bereits 1938 im Exil in Chile, veröffentlicht aber wohl erst fast 20 Jahre später. Das dürfte durchaus auch eine Folge der geäußerten Kritik sein, die die herrschende Elite in Peru vermutlich nicht gerne gehört hat. Laut Nachwort hat sich Alegría immer als „Politiker“ verstanden, er wollte mit seinen Schriften die Welt besser machen und kein Verfasser „schöner Literatur“ sein. Er gilt, zusammen mit José María Arguedas, auch als einer der führenden Vertreter des sog indigenismo, was ich mir nach diesem Roman gut erklären kann.
  8. Cover des Buches The Novice (ISBN: 9781743194119)
    Trudi Canavan

    The Novice

     (3)
    Aktuelle Rezension von: vielleserin
    Dies ist der zweite Teil der "The Black Magician" Serie von Trudi Canavan. Ich konnte die Geschichte wieder in einer gekürzten Fassung hören. Leider hab es einen Sprecher wechsel. Meiner Meinung nach ist Samantha Bond nicht genauso gut wie Kellie Bright. Ich fasse nun die ganze Story zusammen, Vorsicht vor Spoilern!!!! Im zweiten Teil geht Sonea auf das Magier College. Auf Grund ihrer Herkunft wird sie mit Misstrauen und Abneigung behandelt. Sie wird gemieden und gebullied vor allem von dem arroganten Regin. Ihr Mentor Lord Rothen meint es gut mit ihr und bringt sie dazu bei ihm einzuziehen, was sie eigentlich schützen soll, aber zu mehr Hänseleien führt. Lord Lorlen schickt Dannyl währenddessen als Botschatfter ins Allied Land, damit er mehr über den High Lord und dessen Wandlung zu einem Schwarzen Magier erfahren kann. Dieser Handlungsstrang unterbricht Soneas Geschichte, denn hier geht es um Dannyl und dessen Homosexualität. Die Attacken gegen Sonea nehmen nun zu und Dorrien Lord Rothens Sohn wird von Lord Rothen geholt um Sonea zu helfen. Lord Rothen hatte wohl seit langem überlegt, das Sonea und sein Sohn gut zusammen passen könnten und so lässt sich Sonea helfen und Mut machen. Bevor Dorrien zurück zu seinem Posten als Heiler, muss küsst er Sonea. Sonea erlebt dann einen großen Schock, sie muss nun den High Lord als Mentor nehmen und bei ihm einziehen. Der High Lord nimmt sie praktisch zu Geisel, denn so versichert er sich, dass weder Lord Rothen noch Sonea sein Geheimnis preisgeben. Dann geschehen lauter unheimliche Morde in den Slums und Sonea entdeckt, dass der High Lord etwas damit zu tun hat, als sie endlich ihre Familie in den Slums besuchen geht. Der High Lord zwingt Sonea außerdem sich ihren Feinden zu stellen, ohne ihr aber zu helfen. Will er sie stärker machen? Dorrien hatte ihr vorher geraten Regin öffentlich herauszufordern. Sonea kämpft mit ihm schließlich vor allen Schülern, Lehrern und vielen anderen und besiegt ihn. Ein großer Triumpf, sie hat aber kaum Zeit den Sieg zu genießen, denn sie wird Zeugin wie der High Lord jemanden eiskalt ermordet. Obwohl der High Lord sagt, dass der ermordete sonst ihn ein Killer gegen ihn war, weiß Sonea nicht, was sie glauben soll und so endet der zweite Teil und lässt Raum für Spekulationen. Mich hat der zweite Teil durchaus interessiert. Vor allem die Rolle des High Lords ist schön schaurig und es wird ein interessanter Villain konstruiert. Teilweise ist die Geschichte aber auch stark wiederholend, nach einiger Zeit weiß der Leser irgendwann zur Genüge, dass es Sonea nicht leicht hat etc. Die Parallelhandlung mit Dannyl führt meines Erachtens die Handlung nicht weiter. Ich hätte sie weggelassen. Wenn Trudi Canavan Dannyls Reise und Probleme mit sich hätte erzählen wollen, hätte es ein Spin Off nur über ihn auch getan. Man ist am Ende des Buch auf jeden Fall gespannt auf den dritten Teil.

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