Bücher mit dem Tag "deutscher buchpreis"

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52 Bücher

  1. Cover des Buches Der Turm (ISBN: 9783518461600)
    Uwe Tellkamp

    Der Turm

     (176)
    Aktuelle Rezension von: werthelotte

    Im Jahre 2008 veröffentlicht Uwe Tellkamp seinen dritten Roman „Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land.“ und befasst sich darin mit einer Familiengeschichte in den letzten sieben Jahren der DDR, vor dem Mauerfall. Die Handlung spielt in dem Villenviertel am östlichen Elbgang in Dresden, in dem Tellkamp selbst ab 1977 aufwuchs. Der Roman verfolgt den 17-Jährigen Protagonisten Christian Hoffmann über sein Aufwachsen im bildungsbürgerlichen Milieu der DDR, seine Erfahrungen bei der Nationalen Volksarmee (kurz: NVA) und seinem Wunsch Arzt zu werden um den Erwartungen seines Vaters gerecht zu werden. Neben dem Untergang der DDR, skizziert Tellkamp eine Großfamilie und deren verschiedene Generationen, mit den daraus resultierenden Generationskonflikten.

    Tellkamp gelingt es einen glaubhaften Einblick in die letzten Jahre der deutschen demokratischen Republik zu geben. Seine kritischen Äußerungen gegenüber dem damaligen System und die Veranschaulichung der Notwendigkeit von Anpassung, weckt bei vielen Gleichaltrigen und Generationsvorgängern Erinnerungen an die damalige Zeit und persönliche Schicksale. Doch der Roman beinhaltet noch viel mehr als lediglich die kritische Auseinandersetzung mit dem Sozialismus: Das zahlreiche Auftreten verschiedener Generationen und deren unterschiedliche Werteauffassungen, führen zu einem fast endgültigen Bruch der Familie. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Generationskonflikts wird bei der Behandlung dieses Romans leider zu häufig außer Acht gelassen, verdient aber auf Grund seiner Plausibilität und Zeitlosigkeit mehr Aufmerksamkeit. Denn Generationskonflikte werden zwar erst auf den zweiten Blick richtig wahrgenommen, geschehen aber jeden Tag innerhalb Familie, Beruf oder auf offener Straße.

    Tellkamp hat mit „Der Turm“ ein unglaublich umfangreiches Werk erschaffen, dass eine Vielzahl von Kritikäußerungen und Konflikten innerhalb einer Familie aufzeigt. Die realitätsnahe Schilderung und das Identifikationspotenzial, das dieser Roman aufzeigt, macht es zu einem ganz besonderen und außergewöhnlichen Werk.

  2. Cover des Buches HERKUNFT (ISBN: 9783442719709)
    Saša Stanišić

    HERKUNFT

     (256)
    Aktuelle Rezension von: EmmaWinter

    Was für ein wunderbares Buch! Der Autor schreibt über seine Heimat, seine Herkunft und seine Familie: Das ist Jugoslawien vor und nach dem Krieg. Das ist Heidelberg und die ARAL-Tankstelle. Das ist das Dorf der Großmutter in den Bergen und das Fantasiespiel mit Freunden.

    In nicht allzu strenger Chronologie begleiten wir Ich-Erzähler Saša aus seiner behüteten Kindheit in Jugoslawien heraus nach Deutschland. Der Zufall will es: nach Heidelberg. Hier ist er an seiner Schule ein Flüchtling unter vielen. Er, der die Sprache erst lernen muss, macht Abitur, studiert und schreibt. Von klein an fabuliert er und liebt es Geschichten zu schreiben. Daher ist auch dieser Roman eine Geschichte, bei der man nicht genau weiß, was erlebt und was erfunden wurde. Immer wieder zieht es ihn in die alte Heimat zur Großmutter, die einen großen Teil des Romans ausmacht. Um sie kreist alles. Als ihre Demenz fortschreitet und ihre Erinnerungen verblassen, beginnt der Enkel Erinnerungen zu sammeln.

    Herausgekommen ist ein ganz ungewöhnlicher Roman, der sich mit dem Zufall der Herkunft auseinandersetzt. Ein liebevoller Roman über eine weit verstreute Familie, voll mit Geschichten, Anekdoten und Fantasien. Es macht so viel Spaß dieses Buch zu lesen. Es ist wunderbar witzig, geistreich und kurzweilig. So viele Sätze, die ich mir markiert habe und so vieles über das man nachdenken muss. Dazu eine Schlusspassage, die nochmal völlig überrascht. Eine ganz große Leseempfehlung. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2019.

  3. Cover des Buches Die Mittagsfrau (ISBN: 9783596510993)
    Julia Franck

    Die Mittagsfrau

     (398)
    Aktuelle Rezension von: graphida

    Es ist ein Buch, das lange auf  meiner Buchliste stand, es wurde von vielen Seiten gelobt und ich war sehr gespannt.

    Allerdings ist es auch eines der wenigen Bücher, die ich abgebrochen habe.
    Ein Vater, der sich als Kriegsheimkehrer nicht der Familie sondern einer anderen Frau zuwendet,  ein am Bahnhof von der Mutter zurückgelassenes Kind, vergewaltigte Frauen, eine Sprache die mich überhaupt nicht mitnimmt. 

    Ich möchte eintauchen in eine Geschichte, die durchaus anspruchsvoll sein darf. Viele Bücher aus den Kriegsjahren und der Nachkriegszeit habe ich gelesen, viele waren schwerverdaulich, aber diesem konnte ich nichts abgewinnen.

  4. Cover des Buches Léon und Louise (ISBN: 9783423148108)
    Alex Capus

    Léon und Louise

     (582)
    Aktuelle Rezension von: RebekkaMoser

    Ein ganz persönliches Stückchen Zeitgeschichte mit Wehmut. Eine tolle Liebesgeschichte ohne happy end. Eine wunderbare Geschichte darüber, wie das Leben laufen kann…

  5. Cover des Buches Die Hauptstadt (ISBN: 9783518469200)
    Robert Menasse

    Die Hauptstadt

     (162)
    Aktuelle Rezension von: Wortmagie

    Der österreichische Autor Robert Menasse ist ein glühender Verfechter der europäischen Idee. Er glaubt allerdings nicht an Europa als Nationalstaatenbund, sondern an das Konzept der Europäischen Republik. Seiner Meinung nach muss das langfristige Ziel der Europäischen Union sein, Nationen zu überwinden, Grenzen aufzulösen und gemeinsame demokratische Politik zu betreiben, weil nationaler Egoismus die EU in jeglicher Hinsicht beschneidet. Seine Kritik richtet sich demnach gegen den Europäischen Rat, während er Institutionen wie die Europäische Kommission, die tatsächlich europäische Interessen vertritt, als legitim und positiv betrachtet. Diese recht radikale Einstellung ist mehr als das Produkt halbgarer Stammtischdiskussionen. Menasse lebte einige Zeit in Brüssel und recherchierte vor Ort, wie die EU arbeitet und funktioniert, denn es wurmte ihn, dass er nicht verstand, wie Entscheidungen gefällt werden, die sein Leben direkt beeinflussen und lenken. Dort entwickelte er die Idee für „Die Hauptstadt“, der weltweit erste Roman über die Europäische Kommission, der von der Fachpresse gefeiert wurde und 2017 den Deutschen Buchpreis erhielt.

    Ein Schwein geht um in Brüssel. Ein lebendiges Schwein, das durch die Straßen läuft und Brüsseler_innen wie Medien in Aufruhr versetzt. In den Korridoren der EU geht hingegen eine Idee um. Der 50. Geburtstag der Europäischen Kommission steht bevor. Müsste man feiern. Sollte man auch, für ihr Image, meint Fenia Xenopoulou, Leiterin der Direktion C (Kommunikation) der Generaldirektion Kultur und Bildung. Auschwitz als Geburtsort des europäischen Einheitsgedankens in den Mittelpunkt stellen? Warum nicht. Überlebende müssen her, Überlebende, die sich noch erinnern und Zeugnis ablegen können. Überlebende wie David de Vriend, der in einem Altersheim auf den Tod wartet, dem er vor so langer Zeit in einem Zug nach Auschwitz von der Schippe sprang. Nur möchte er lieber vergessen als zu erinnern. Kommissar Émile Brunfaut wurde indes aufgetragen, zu vergessen. Ihm wurde ein mysteriöser Mordfall in einem Brüsseler Hotel entzogen. Anweisung von oben, politische Gründe. Welche, weiß Brunfaut nicht. Er ermittelt auf eigene Faust weiter und deckt höchst schockierende Verbindungen auf. Schockieren wird auch der emeritierte Volkswirtschaftler Alois Erhart. Er wird den Grünschnäbeln des Think Tanks der Europäischen Kommission zeigen, wie radikal Europa gedacht werden muss. Und das Schwein? Das braucht einen Namen.

    „Die Hauptstadt“ begegnete mir zuerst auf dem Wohnzimmertisch meiner Eltern. Damals war das Buch die aktuelle Lektüre meines Vaters und als ich ihn danach fragte, weckten seine Schilderungen schnell mein Interesse. Doch ich war auch eingeschüchtert. Ein Buch über die Europäische Kommission? Konnte ich das überhaupt lesen? Oder reichte mein Wissen über europäische Politik nicht aus, um zu verstehen, was Robert Menasse zu sagen hatte? Mein Vater beschwichtigte mich und gab sich zuversichtlich, dass ich dem Roman gewachsen sein würde. Ich bin froh, dass ich seinem Urteil vertraute. „Die Hauptstadt“ setzt nicht allzu viel Vorwissen voraus; es reicht völlig, wenn man eine ungefähre Vorstellung davon hat, aus welchen Institutionen die Europäische Union besteht und welche Aufgaben sie erfüllen. Feinheiten, Zusammenhänge und Abhängigkeiten erläutert Robert Menasse gewissenhaft, ohne die Geschichte, die er erzählt, jemals zu einer Lehrstunde verkommen zu lassen. Er verliert nie aus den Augen, dass ein Roman an erster Stelle unterhalten soll und verflechtet Erklärungen geschickt mit dem Erleben seiner Figuren.

    Dadurch erkennen Leser_innen auch mit wenig Hintergrundwissen, dass der Einheitsgedanke, mit dem die Europäische Union einst gegründet wurde, heute beinahe in Vergessenheit geriet, die Mitgliedsstaaten nicht an einem Strang ziehen und alle Hindernisse in der Gestaltung europäischer Politik systemischer Natur sind. So mutiert die Organisation einer harmlosen Jubiläumsfeier zum 50. Geburtstag der Europäischen Kommission zum Kraftakt, weil einfach jedes Projekt von nationalen Interessen torpediert und zu Tode verhandelt wird. Daher wunderte es mich nicht, dass Idealismus in Brüssel nicht überleben kann. Die EU ist ein Ort, an dem Ideale, Hoffnungen und Träume mit jedem neuen Kompromiss ausgehöhlt werden. Dies veranschaulicht Menasse in „Die Hauptstadt“ durch die exemplarische Zusammenstellung seiner Figuren, die in diesem System in allen Ebenen und Institutionen arbeiten. Er zeigt, wie sie alle von der schwerfälligen, undurchsichtigen und frustrierenden Realität europäischer Bürokratie betroffen sind und jeweils mit ihr umgehen.

    Die sensible Balance zwischen Nähe und Distanz, die Menasse dabei herstellt, faszinierte mich. Nach jedem der zahlreichen Perspektivwechsel tauchte ich langsam in den banal wirkenden Gedankenstrom einer Figur ein, der Stück für Stück Fahrt aufnahm und immer tiefer, immer signifikanter wurde. Ich gebe zu, für mich war diese Erzählweise zuerst gewöhnungsbedürftig, ich konnte mich ihrem hypnotischen Sog jedoch nicht entziehen und fühlte mich mitgerissen. Dennoch lässt Menasse niemals zu, dass seine Leser_innen von einem Blickwinkel vereinnahmt werden, indem er sie Querverbindungen sehen lässt, die die Figuren nicht wahrnehmen. Ich hatte den Eindruck, das Gesamtbild aus der Vogelperspektive zu betrachten, ohne meine Verbundenheit zu den Figuren opfern zu müssen. Das Maß an Kontrolle, das Menasse demnach auf seine Handlung ausübt, ist beeindruckend. Scheinbare Zufälle, Kreuzwege und Symboliken setzt er bewusst ein, um bestimmte Aspekte zu verdeutlichen. Nichts in „Die Hauptstadt“ geschieht grundlos. Folglich ist nicht einmal das Schwein, das herrenlos in Brüssel herumläuft und beinahe wie ein Phantom wirkt, eine willkürliche Ergänzung. Es ist eine gezielte Metapher, die sich sowohl auf die gesamte Geschichte als auch auf ihre Einzelteile anwenden lässt. Menasse selbst sprach in diesem Zusammenhang über das Spektrum zwischen „Glücksschwein“ und „Dreckssau“, meiner Meinung nach ist die passendste Assoziation jedoch die der Sau, die durchs Dorf getrieben wird – und wir wissen ja, wie lange diese Aufmerksamkeit generiert: Bis die nächste gefunden ist.

    Schriftstellerisch ist „Die Hauptstadt“ genial. Robert Menasse ist ein hervorragender Autor, der ein bemerkenswertes Gespür für Subtilitäten und Zwischentöne besitzt. Er ist sich der Wirkung von Details allzeit bewusst und schreckt nicht davor zurück, diese unkommentiert zu lassen. Vieles erscheint in diesem Buch absurd und ich bin überzeugt, dass Menasse diese Absurditäten, die am gesunden Menschenverstand des europäischen Verwaltungsapparates zweifeln lassen, gezielt betonte. Ja, „Die Hauptstadt“ vermittelt Humor– doch es ist Galgenhumor, resigniert und fast bitter. Deshalb empfand ich den Roman emotional als schwer verdaulich. Die Lektüre war sehr desillusionierend, trotz all der radikalen, revolutionären und wunderschönen Ideen für Europa, die Menasse präsentiert. Es macht mich unsagbar traurig, dass das Potential der Europäischen Union ungenutzt bleibt und wir nicht daran arbeiten, das Konzept von Nationalitäten zu überwinden, um als wahrhaft geeintes Europa zu wachsen und die Vergangenheit hinter uns zu lassen. Europa ist untrennbar mit den Verbrechen des Nationalsozialismus verbunden und wird es immer sein. Sollte der Anspruch gelebter Erinnerungskultur nicht bedeuten, dass wir versuchen, das Problem an der Wurzel zu lösen und nationale Interessen hinter europäischen Interessen zurückzustellen?

    Die Idee, innereuropäische Grenzen aufzulösen, Staaten abzuschaffen und eine echte europäische Identität für alle Bürger_innen aufzubauen, wirkt auf den ersten Blick heftig, meiner Meinung nach liegen die Vorteile jedoch auf der Hand. Wir würden nicht mehr von Brüssel aus „fremdregiert“, denn wir würden unsere politischen Vertreter_innen in der EU wählen, wie wir jetzt nationale Politiker_innen wählen. Würde der Kontinent Europa als Ganzes begriffen werden, stünde der Weg frei für einheitliche Politik. Ich denke da vor allem an die Ressorts Wirtschaft, Bildung und Außenpolitik. Selbstverständlich ist so ein extremer Schritt kein Garant dafür, dass tatsächlich Einigkeit entsteht. Aber ich glaube, der aktuelle Zustand der EU belegt, dass wir diese Einigkeit unter den herrschenden Bedingungen nie erreichen werden. Der politische Rechtsruck in vielen europäischen Ländern ist ein eindeutiges Signal dafür, dass wir genau jetzt versagen. Um überhaupt eine Chance zu haben, müssen wir mutig sein, umdenken und einen klaren Cut wagen, um anschließend unter neuen Voraussetzungen zusammenzuarbeiten.

    Leider wird das wohl nicht passieren. Auch das vermittelt „Die Hauptstadt“. Robert Menasse mag von einem vereinten Europa träumen, er mag dafür kämpfen, optimistisch gibt er sich allerdings nicht. Wie könnte er auch, nachdem er in Brüssel hautnah erlebte, wie sich die Europäische Union Tag für Tag selbst ausbremst? Sein Roman konnte wahrscheinlich gar nicht mit einer hoffnungsvollen Note enden. Stattdessen transportiert er am Schluss die düstere Prophezeiung, dass es immer so weitergehen und sich niemals Einsicht in den grundlegenden Änderungsbedarf entwickeln wird. Zumindest habe ich es so empfunden. „Die Hauptstadt“ ist kein Hoffnungsschimmer. Es ist eine Bestandsaufnahme, die zeigt, was die EU sein sollte – und was sie in Wahrheit ist.

  6. Cover des Buches Echtzeitalter (ISBN: 9783499010118)
    Tonio Schachinger

    Echtzeitalter

     (86)
    Aktuelle Rezension von: Prinzesschn

    Das Internat, in dem Till ist, scheint wie der perfekte Ort für ein aufregendes Abenteuer: Es liegt mitten in Wien, umgeben von einem Park mit Hügeln, Sportplätzen und einer historischen Grotte. Doch Till fühlt sich dort nicht wohl – weder mit dem Lehrstoff noch mit der elitären Atmosphäre. Seine Leidenschaft sind Computerspiele, besonders das Echtzeit-Strategiespiel „Age of Empires 2“. Unbekannt für seine Umgebung, ist er mit fünfzehn Jahren bereits ein Online-Star, einer der jüngsten Top-10-Spieler der Welt. Doch fragt er sich, wie echt dieses Glück eigentlich ist.

    Ich hab eine Weile gebraucht, um in die Geschichte reinzukommen. Nicht, weil mir die Thematik nicht zugesagt hat, sondern weil ich die Sprache anfangs als sehr artifiziell empfunden hab. 

    Die Charaktere fand ich allesamt faszinierend. Ich mochte Till, seine inneren Konflikte, die Zerissenheit, seine Beziehung zu seinen Freunden, seinen Eltern und schließlich zum weiblichen Geschlecht.
    Ich mocht die Jungenfreundschaften untereinander, die zwar relativ derb, aber auch eben einfach sehr real und rund dahergekommen sind. 

    Ich mocht die Auseinandersetzung des veralteten Drills, der seelischen Grausamkeiten und allgemein dem Umgang am Internat total. Ich fand sie kritisch, aber auf den Punkt gebracht. Besonders gefallen hat mir, dass nicht nur mir als Leserin bewusst wurde, dass dort einiges falsch läuft, sondern auch, dass die Charaktere sich dessen bewusst gewesen sind. Es war schockierend, schmerzhaft, aber auch genau deswegen authentisch und schonungslos ehrlich.

    Mir hat das Aufgreifen der Gaming-Thematik super gut gefallen. Ich mocht die Auseinandersetzung, die Übertragung von Tills Faszination, seiner Begeisterung – ich konnt einfach komplett mitgehen.
    Ich mocht die scharfzüngige Darstellung zwischen Literatur und Politik, Gesellschaft und einfach noch so viel mehr.

    Ich war sehr gern an der Seite der Charaktere und muss ehrlich zugeben, dass ich sie ein wenig vermisse. Auch wenn das Ende für mich ein wenig zu unaufgeregt und plätschernd dahin floss, hab ich mich wirklich gut unterhalten gefühlt.

  7. Cover des Buches In Zeiten des abnehmenden Lichts (ISBN: 9783875363043)
    Eugen Ruge

    In Zeiten des abnehmenden Lichts

     (256)
    Aktuelle Rezension von: EmmaWinter

    1. Oktober 1989: Wilhelm wird 90 und erhält den vaterländischen Verdienstorden in Gold. "Ich hab genug Blech im Karton." Er ist vergesslich geworden, starrsinnig und stößt seine Umwelt vor den Kopf. Wilhelm und Charlotte sind die erste Generation in diesem Familienroman, der sich von den 1950er Jahren bis 2001 erstreckt. Als die beiden aus dem Exil in Mexiko in die DDR zurückkommen, sind beide vom System überzeugt und stürzen sich voller Tatendrang in den Staatsaufbau. Ihr Sohn Kurt hat Jahre in einem Gulag verbracht und sich mit seiner russischen Frau Irina ebenfalls in der DDR "eingerichtet". Deren Sohn Sascha nutzt die Aufbruchstimmung im Herbst 1989 und flieht in den Westen, an Großvaters 90. Geburtstag. Sein Sohn Markus bleibt in Ostdeutschland.

    Eugen Ruge hat einen ganz wunderbaren Roman über eine außergewöhnliche Familie geschrieben. Das Buch hat mir unglaublich gut gefallen. Neben den Charakteren hat mich die Sprache sehr angesprochen. So treffend, humorvoll, sarkastisch und für jede Figur den richtigen Ton anschlagend, ist es ein Vergnügen dieses Buch zu lesen. Die Konstruktion der Geschichte ist sehr kunstvoll und überlegt. Sie findet auf drei Zeitebenen statt: Einmal die Geschichte der Familie, die 1952 bis 1995 fortlaufend erzählt wird, dann das Jahr 2001, das aus der Sicht von Alexander/Sascha erzählt wird und schließlich der 1. Oktober 1989, der von verschiedenen Familienmitgliedern zusammengesetzt wird. Die Zeitebenen wechseln sich ab und so baut sich die Geschichte nach und nach auf. Zweifel, Ängste und Erkenntnisse werden hochgeschwemmt und am Ende, wenn auch Sascha in Mexiko ist, ist er (unwissentlich) seiner Familie so nahe, wie selten zuvor.

    Einen großen Teil des Buches habe ich gelesen, den ganzen Roman habe ich aber auch als Hörbuch gehört und das muss ich unbedingt empfehlen. Ulrich Noethen liest einfach fulminant! Er meistert die verschiedenen Dialekte, Akzente und fremdsprachlichen Einsprengsel ebenso wie die besondere Sprache dieses Roman. Es ist einfach eine Freude ihm zuzuhören. Durch den verschlungenen Aufbau des Buches war es mir aber wichtig, einen Großteil auch selbst zu lesen. Eine klare Lese- und Hörempfehlung.




  8. Cover des Buches Katie (ISBN: 9783946334132)
    Christine Wunnicke

    Katie

     (15)
    Aktuelle Rezension von: parden
    ZUR BLÜTEZEIT DES SPIRITISMUS...

    1870 gingen die Uhren noch anders - auch in London. Hochmodern waren zu jener Zeit Séancen, spiritistische Sitzungen, in denen mit Hilfe eines Mediums versucht wurde, mit dem Jenseits in Kontakt zu treten. Zur Blütezeit des Spriritismus lebte auch Florence Cook, ein berühmtes Medium, das bereits als Jugendliche Berühmtheit erlangte. Ihr gelang es, einen leibhaftigen Geist erscheinen zu lassen, wobei Florence selbst gefesselt und mit den Haaren festgebunden in einem Schrank lag. Die Materialisierung des Geistes entpuppte sich als eine vor 200 Jahren verstorbene junge Frau, Katie: in gleißendes Weiß gewandet (vermutet wurde Ektoplasma), spukte die ehemalige Piratenbraut während der öffentlichen Auftrittte Florence Cooks herum.

    Was für eine blühende Fantasie, dachte ich beim Lesen - doch ein Satz des Klappentextes machte mich stutzig: "Eine herrlich übersinnliche Geschichte. Und das Beste: Es ist alles wahr. Wirklich." Google half wie immer weiter: Florence Cook gab es seinerzeit wirklich, ebenso 'ihren' Geist Katie, dazu noch Sir William Crookes (Physiker, Chemiker, Wissenschaftsjournalist und selbsternannter Parapsychologe) sowie seinen Gehilfen Pratt, die den Nachweis antreten wollten, ob diese geisterhafte Erscheinung real war oder aber betrügerischer Humbug. Alle damals bekannten wissenschaftlichen Untersuchungen wurden herangezogen, um Florence und Katie auf Herz und Nieren zu prüfen. Genau davon handelt dieses Buch.

    Christine Wunnicke schafft hier ein herrliches Panoptikum skurriler Gestalten. Entlang der historisch verbrieften Personen und Geschehnisse führt sie den Leser hinein in eine absurde Geschichte, bei der niemand letztlich genau weiß, ob es sich bei dem Geist des toten Piratenmädchens nun um eine wahre Erscheinung handelt, um eine kollektive Halluzination oder aber um eine geschickte Manipulation. Dabei ist die Geschichte äußerst unterhaltsam - ich habe mich beim Lesen schon lange nicht mehr derart amüsiert! Christine Wunnicke hat jeden der Charaktere auf eine Weise angelegt, dass man keinen davon sonderlich mag oder auch nur ernst nimmt.  Obgleich die sorgfältig recherchierten Details der historischen Darstellung allesamt stimmig sind, kann man angesichts der Geschehnisse oft nur kichernd den Kopf schütteln - wohl wissend, dass viele der damaligen 'wissenschaftlichen Erkenntnisse' genauso Humbug waren wie es der Geist von Florence Cook womöglich zu sein schien.

    Besonders verblüffend und unterhaltsam fand ich den damaligen unfassbar sorglosen Umgang mit Medikamenten und Chemikalien! Herrlich! Quecksilberkügelchen als Spielzeug für zwischendurch, Arsenik in der Wandfarbe, und dann das seinerzeit gängige Chlorodyne: eine Mischung aus Opium, Canabis und Chloroform, ein Allheilmittel, das nahezu jeder wie Bonbons schluckte - auch unsere Helden in dieser Geschichte. Da brauchte es eigentlich keinen Geist mehr, um Absonderliches zu sehen oder zu erleben. Dies aber nur als Anekdote am Rande.

    Nicht alle dargelegten wissenschaftlichen Details aus dem Jahre 1870 habe ich wirklich verstanden, manche Passagen mit längeren Aufzählungen fand ich zudem etwas ermüdend. In der Summe jedoch hat mich dieser Roman, der nun auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2017 steht, aufs Beste unterhalten. Eine tolle Überraschung!


    © Parden
  9. Cover des Buches Kruso (ISBN: 9783518466308)
    Lutz Seiler

    Kruso

     (127)
    Aktuelle Rezension von: Tilman_Schneider

    Kein anderes Buch wird in letzter Zeit so oft besprochen, kritisiert, gelobt und hinterfragt wie Kruso. Soeben ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis und sofort auf allen Bestenlisten.Edgar Bendler ist nach dem Tod seiner Freundin aus der Bahn geraten und er schmeißt sein Studium hin. Die Lyrik liebt er, aber wie soll er ohne seine Geliebte weiter machen? Er geht nach Hiddensee und findet im Klausner eine Anstellung als Abwäscher. Hier kann er abschalten, vergessen, ausschwitzen und doch auch weiter fabulieren. Er lernt hier Kruso kennen und diese beiden Männer entwickeln eine tiefe Freundschaft und sind Beide Getriebene und Suchende und Kruso treibt Ed immer wieder an und hat auch sonst im Klausner das Sagen und Lenken. Hier im letzten Sommer der DDR, begegnen wir vielen Lebenswegen und Schicksalen und im Klausner finden sie eine Insel.Lutz Seiler war bisher als Lyriker bekannt und hat mit diesem Roman ein Werk geschaffen, dass fast nur gelobt wird und eben jetzt mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Literatur ist immer Geschmacksache, Gott sei Dank. Am Anfang fand ich die Sprache fesselnd, frisch, neu und die vielen  lyrischen Anspielungen und großartigen Metaphern ergänzten den wunderbaren Stil. Nach 200 Seiten etwa aber, verlor ich den Faden, die Geduld, das Interesse und es wiederholte sich leider vieles und inmeinen Augen begeisterten die Figuren nicht mehr. Ich lege selten ein Buch weg und bin weiter im Klausner geblieben und wollte doch wissen, was passiert, wenn sich das Jahr 1989 zum Ende neigt? Wo führt der Weg von Ed und Kruso hin? Am Ende kam für mich nochmal Spannung auf und ich konnte die Protagonisten fertig begleiten und sie hallen doch weiter nach. Lutz Seiler verlangt einem einiges ab und ich persönlich hätte in paar Kürzungen besser gefunden. Im direkten Vergleich zum Preisträger der Leipziger Buchmesse 2014  Sasa Stanisic "Vor dem Fest," verliert Lutz Seiler in meinen Augen. Stanisic hat auch einen außergewöhnlichen Erzählstil, aber auch wenn bei ihm nichts passiert, lebt die Geschichte und die Sprache. Denn auch in "Vor dem Fest," geht es genau genommen um eine DDR Geschichte, auch wenn diese da schon länger Geschichte ist, aber sie bebt doch nach. "Kruso" ist kein schlechtes Buch, aber in meinen Augen wird es etwas überschätzt. Aber Gott sei Dank ist Literatur Geschmacksache, bilden Sie sich selbst Ihr Urteil.

  10. Cover des Buches Paradise Garden (ISBN: 9783257072501)
    Elena Fischer

    Paradise Garden

     (230)
    Aktuelle Rezension von: Kathi_Mo

    Dieser Roman hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen und der Schreibstil der Autorin ist mitreißend. Die Geschichte steht dem in nichts nach! Ich finde es einfach beeindruckend wie sehr Billie immer wieder versucht positiv zu bleiben und ich habe mich auch des öfteren dabei ertappt, wie ich schmunzelnd da saß, weil Billie oder ihre Mutter Flausen im Kopf hatten. Dennoch ist es auch eine traurige Geschichte, die jedoch nicht schöner hätte enden können. Alles in allem ein Buch, dass zum nachdenken anregt und einen daran erinnert wie sehr man die Zeit mit seinen Lieben schätzen sollte und die Kleinen Dinge im Leben einem ebenfalls so viel Liebe und Glück schenken können! 

  11. Cover des Buches Die Habenichtse (ISBN: 9783104009391)
    Katharina Hacker

    Die Habenichtse

     (133)
    Aktuelle Rezension von: M__E__U_

    Ja, der Schreibstil ist sehr ungewöhnlich. Ketten - und Schachtelsätze, assoziativ, deskriptiv, atmosphärisch, manchmal stakkatoartig, aber nie sinnlos oder überflüssig. 

    Es geht nicht um Fröhlichkeit, nicht um echte, gelebte Beziehungen, nicht um deren Erfüllung, sondern ganz und gar um deren Gegenteile. Menschen wie Fragmente. 

    Alle suchen permanent etwas - die große Liebe, das zerstörerisch Gefährliche, Sicherheit, Erinnerungen, andere Menschen, Sex mit allen möglichen Personen. Die tiefsten Sehnsüchte und Projektionen einer "heilen" Zukunft von Garten und Kirschbaum. Und im Grunde findet niemand das Gesuchte! 

    Wenigstens wird ganz am Ende ein traumatisiertes, misshandeltes, höchstvernachlässiges Kind endlich gerettet, aber ohne dass auch diese Rettung einen inneren, befriedigenden Abschluss markieren könnte. Dafür ist die Zerstörung an diesem Kind vermutlich schon zu weit fortgeschritten. Das Kind selbst ist nicht süß und liebenswert, sondern inkontinent, arm, auch abstoßend - sich all das Furchtbare in Phantasiegebilden zu "sinnvollen" Konstrukten fügend. Das ist sehr schwer zu ertragen. In den handelnden Personen ruft das kleine Mädchen kaum Schutzinstinkte hervor, eher Abscheu, Widerwillen, Ekel, sogar Schuldzuweisungen. Nur der große Bruder scheint Liebe für sie zu empfinden, ist selbst aber fast genauso hilflos! 

    Ich verstehe zum Schluss den Titel. 

    Trotz der sehr verschiedenen materiellen Grundlagen und Bedingungen stehen die beschriebenen Bewohner:innen der drei Wohnungen in dieser Straße letztlich alle leer da, kein Traum erfüllt, keine Hoffnung erfüllt. 

    Ein sehr künstlerisches Buch, das man nicht in einer depressiven Lebensphase lesen sollte. 

  12. Cover des Buches Widerfahrnis (ISBN: 9783627002282)
    Bodo Kirchhoff

    Widerfahrnis

     (95)
    Aktuelle Rezension von: gst

    Reither hat sich auf seinen Altersruhesitz im Weißbachtal zurückgezogen. Seinen Verlag hat er verkauft, weil er feststellte, „dass es allmählich mehr Schreibende als Lesende gab“ (Seite 10). Noch hat er sich alte Gewohnheiten erhalten: er liebt nach wie vor Bücher, überlegt bei jedem Satz, ob er druckreif ist und spricht dem Rotwein zu. Als er ein Büchlein aus der hauseigenen Bibliothek mitnimmt, wird er von Leonie Palm, der Leiterin des Lesekreises, beobachtet. Da sie es geschrieben hat, wüsste sie gerne sein Urteil. Deshalb besucht sie ihn abends, um für den nächsten Tag einen Termin zu vereinbaren. Doch es kommt anders als gedacht. Zwischen den beiden entwickelt sich ein Gespräch, das sie noch in der Nacht zu einem Ausflug an den Achensee aufbrechen lässt. Der erhoffte Sonnenaufgang ist noch weit und zum Warten darauf ist es zu kalt, also geht die Fahrt weiter. Die beiden kommen sich zögernd näher und das späte Glück scheint zum Greifen nah zu sein.

    Ich habe die beiden gerne auf ihrer Reise über den Brenner und durch Italien begleitet. Ich spürte richtig, wie es nach und nach wärmer wurde und die kalten Tage im Gebirge in den Hintergrund rückten. Die im Alter der Protagonisten ungewohnte Spontanität lud mich zum Träumen ein. Vor allem in der zweiten Hälfte des Buches häuften sich die Überraschungen und ich wollte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.

    Fazit: Kirchhoff ist ein begnadeter Erzähler.

  13. Cover des Buches Die Arbeit der Nacht (ISBN: 9783446243798)
    Thomas Glavinic

    Die Arbeit der Nacht

     (190)
    Aktuelle Rezension von: paperdragon

    Ich bin gleich abgetaucht in die eigenartige Stimmung der Geschichte. Mehr oder weniger subtile Spannung von Beginn an und Neugier darauf, wie die Ereignisse aufgelöst werden. Aber zunehmend wurde es für mich immer deprimierender und das Ende war für mich kein solches. Einfach nicht mein Ding. Als psychologisches Gedankenexperiment interessant und wem offene Enden gefallen.. 

  14. Cover des Buches Adams Erbe (ISBN: 9783257261240)
    Astrid Rosenfeld

    Adams Erbe

     (235)
    Aktuelle Rezension von: Tilman_Schneider

    Edward wächst im Haus seines Großvaters auf. Einst hat hier auch sein Großonkel Adam gelebt. Edwards Mutter und Großmutter schütteln immer wieder den Kopf, wie ähnlich er Adam sieht. Das macht Edward neugierig, aber er erfährt nicht mehr. Es wird immer abgeblockt. Als er älter wird findet er auf dem Dachboden Aufzeichnungen von diesem Adam. Er taucht in dessen Geschichte ein und erfährt endlich, was wirklich in seiner Familie vor sich gegangen ist. Sie sind Juden und der Zweite Weltkrieg machte Adam zu einem anderen Menschen. Seiner großen Liebe Anna hat er seine Aufzeichnungen gewidmet und Edward liest begeistert Seite um Seite.

    Astrid Rosenfeld ist eines der großartigsten Debüts der letzten Jahre gelungen. Seit Benedict Wells >Becks letzter Sommer< gab es keinen Debütroman mehr, der mit einer solchen Erzählwucht und so einer wunderbaren Sprache daher kam. Von der 1977 geborenen Autorin darf man noch viel erwarten. 


  15. Cover des Buches Das Ungeheuer (ISBN: 9783442749591)
    Terézia Mora

    Das Ungeheuer

     (36)
    Aktuelle Rezension von: mabo63

    Darius K. auf der Suche nach der Wahrheit über seine verstorbene Frau.

    Schwierig zu lesen da dass Buch zweigeteilt ist, oben die Erlebnisse seiner Reise durch halb Europa, unten die Tagebucheinträge seiner durch Suizid umgekommenen Frau.

    Musste mich durchbeissen und hat mich nicht leider überzeugt. Vielleicht muss ich es nochmals lesen, die Autorin wird ja vielerorts hochgelobt

  16. Cover des Buches Es geht uns gut (ISBN: 9783423146500)
    Arno Geiger

    Es geht uns gut

     (148)
    Aktuelle Rezension von: Joroka

    Drei-Generationen-Ebene


    Philipp ist dabei, die geerbte Villa vom alten Taubenmist zu befreien. Hier haben seine Großeltern Alma und Richard gelebt. Es gab gute Jahre, es gab schwere Jahre. Mit dem Handlungsverlauf erhalten wir Einblick in das Schicksal einer Familie über drei Generationen, und quasi nebenbei einen kleinen Geschichtslehrgang zu Österreich im 20. Jahrhundert.

    Ingrid, die Mutter von Philipp, ist als er noch ein Kind war bei einem Badeunfall ums Leben gekommen. Auch aus ihrem Leben an der Seite ihres 5 Jahr älteren Mannes Peter wird erzählt.

    Es handelt sich um eine gehoben bürgerliche Familie, der Großvater Richard war nach dem Krieg sogar Minister. Ob sie deshalb glücklicher zu leben wussten?.....


    Eine Familiengeschichte also. Natürlich mit ungewöhnlichen, aber nicht zu außergewöhnlichen Lebensläufen. Es wird beständig zwischen den Zeiten und Akteuren hin und her gesprungen. Einen großen Teil der Erzählung nimmt die Zeit nach der Einverleibung durch das deutsche Reich ein. Die Familie lebt in Wien, doch es könnte auch sonst eine größere Stadt in Österreich sein. Es ist so mancher Schicksalsschlag zu verkraften. Die Großeltern verlieren zum Beispiel beide ihrer Kinder.


    Das Hörbuch wird von Matthias Brandt gelesen. Seiner beruhigenden Stimme ist angenehm zuzuhören. Er spricht bedacht, gut intoniert. Bin mir nicht sicher, ob ich den Roman selber genau so gerne gelesen hätte. Bei diesem Stoff lobe ich mal wieder den Vorteil des Vorlesens. War nicht langweilig, oder langatmig, es ist so im Nachhinein aber auch nicht all zu viel hängen geblieben.


    Der Autor Arno Geiger erhielt für den Roman den Deutschen Buchpreis


    Es handelt sich um eine gekürzte Lesung auf 6 CDs mit ca. 7,5 Stunden.

  17. Cover des Buches Gruber geht (ISBN: 9783499255762)
    Doris Knecht

    Gruber geht

     (56)
    Aktuelle Rezension von: wandablue

    In diesem Roman aus dem Jahr 2011 schildert die Autorin, wie es einem selbstverliebten Topverdiener, weiß, männlich, erfolgreich, rücksichtslos und sexsüchtig geht, wenn er erfährt, dass er todkrank ist. Gut, es ist übertrieben. Der Protagonist, John Gruber ist nicht gerade sex-süchtig, aber er behandelt Frauen wie käufliche Wesen, er nutzt sie aus und hält wenig von ihnen. Ein Sympathieträger ist Gruber nicht. 

    Um Grubers Charakter zu identifizieren und zu entdecken, muss man sich von Gruber distanzieren, was dadurch erschwert wird, dass die Autorin, sehr geschickt gemacht ist das, den Leser in den Bewusstseinsstrom Grubers einschleust. Und da Gruber einen Menschen sehr liebt, über alle Maßen liebt, nämlich sich selbst, ist es nicht so leicht, zu erkennen, was Gruber für ein Mensch ist. Aber natürlich hat auch Gruber weiche Seiten. Na ja. Eigentlich ist er ein selbstverliebter Yuppie ersten Ranges, nur dass er halt keine zwanzig mehr ist. Und auch keine dreißig. Es ist ungerecht, zu behaupten, er liebe nur sich selbst: seinen Porsche mag er auch.

    Trotz der ernsten Thematik liest sich der Roman leicht. Es gibt zwei Bewusstseinsströme, in die man sich als Leser hineinfallen lassen kann, einerseits ist da natürlich Gruber und andererseits ist da Sarah, die er kennenlernt, sofort beschläft, wie es bei ihm üblich ist, und sich dann verliebt. Na ja. Sort of. Was Sarah an Gruber findet, abgesehen davon, dass der Sex mega gewesen ist, die geneigte Leserschaft ist ja quasi dabei gewesen, ist nicht ersichtlich. Dass er Porsche fährt und sein Sofa so viel kostet wie das Monatsgehalt von „normalen“ Menschen, ist es nicht. Irgendwas wars, wir wissen aber nicht, was. Na ja, Liebe ist ja eh ein Geheimnis. Wo sie hinfällt und so. 

     Rein persönlicher Leseeindruck: 
    Ich mag den Stil von Doris Knecht. Er ist so unaufgeregt. Und ein bisschen wie ein Smoothie. Samtig. Aber nicht ölig. 

    Dennoch gibt es einige Kritikpunkte, die ich nicht vorenthalten möchte: 

    nie, nie, nie kann ich mir vorstellen, dass jemand mit Krebsdiagnose während der Chemo (dabei und danach) regelrechte Besäufnisse abhält, - ich mag das von der Autorin in diesem Buch vermittelte Frauenbild nicht, und das liegt nicht an Grubers Stream of consciousness, sondern an der Rolle Sarahs insgesamt und der von Grubers Familie (Schwester und Mutter), die Frauenfiguren sind allesamt schief oder verschwommen oder einfach komplett falsch (verblödet), man erfährt quasi gar nichts von Grubers beruflicher Tätigkeit, es scheint kein Problem zu sein, wenn er wochenlang ausfällt, etc. Na ja. -Und dann das Happyend. Fast hollywoodreif.

    Doris Knecht ist eine Autorin, die sich sensibel einfühlt in Situationen und Menschen. Aber ob sie es diesmal so richtig getroffen hat … ich zweifle. 

    Fazit: Und deshalb (siehe oben) gibt es von mir für ihren Roman, den ich im übrigen trotzdem gerne gelesen habe, „nur“ gediegene drei Sterne. 

    Kategorie: Belletristik. Operation Sub-Befreiung
    Verlag: Rowohlt 2011 

     

  18. Cover des Buches Indigo (ISBN: 9783518464779)
    Clemens J. Setz

    Indigo

     (85)
    Aktuelle Rezension von: Komodowaranin

    Die Inhaltsangabe spare ich mir und komme gleich zur Kritik:

    Der Plot mutet abenteuerlich an und ist es noch mehr, als man ahnen mag. Setz macht in seinen Beschreibungen auch nicht halt vor Ekelgrenzen, ich musste an manchen Stellen die Zeilen überfliegen, weil ich - ähnlich der Hauptfigur Setz - zu zart besaitet bin. Wobei auch die immer wieder vorkommenden kleinen "Horror"-Geschichten sehr virtuos, skurril und ungewöhnlich sind, das ist also kein Negativpunkt, man sollte bloß wissen, dass hier kein Feel-Good-Roman lauert.

    Ich mochte es sehr, dass gerade die kleinen eingestreuten Anekdoten wie bspw. die über die vor England versunkenen Kriegsschiffe, einen kurz zum Innehalten und manchmal auch zum Googlen bringen - denn so selbstbewusst vorgetragen, gerät man in Versuchung, diese "Fakten" erstmal für echt zu halten, bis man dann merkt, dass es herrlicher Mumpitz - und typisch Clemens Setz - ist.

    MINI SPOILER! Leider gab es am Ende nicht die von mir erhoffte Auflösung der ganzen Verwicklungen, es ist dann doch mehr experimenteller Roman als Thriller. Auch hatte ich, wie viele andere Lesende, irgendwann keine Geduld mehr mit den Dialogen, in denen ständig Dinge angedeutet wurden, die sich komplett meinem Verständnis entzogen. 

    Ich hätte den Roman echt gern besser gefunden, weil ich Clemens Setz' Schreibtstil und Gedankengänge wirklich grandios finde (ich empfehle seinen Twitter-Account), aber der Roman war ab dem letzten Drittel für mich nur noch zäh.

  19. Cover des Buches Landgericht (ISBN: 9783442746491)
    Ursula Krechel

    Landgericht

     (65)
    Aktuelle Rezension von: AlexanderPreusse

    Buchvorstellung von meinem Blog schreibgewitter.

    Die Sprache sticht. Entweder ins Auge oder ins Ohr, je nachdem, ob man zum Buch oder Hörbuch greift. Ich habe mich für Letzteres entschieden. „Landgericht“ klingt etwas sperrig, doch hat es nicht lange gedauert, bis mich der Roman für sich eingenommen hat, auch wenn Inhalt und Stil durchaus mit dem Titel harmonieren. Keine Komfortlektüre. 

    Die Autorin Ursula Krechel hat eine Sprache gewählt, die zugleich distanziert und ganz besonders nah, unmittelbar, ja intim wirkt. Der Duktus mutete bisweilen kühl, juristisch, formal an, da er mit einer ungeheuer detaillierten Beobachtung einhergeht und zugleich außergewöhnlich präzise Bilder für die Schilderung nutzt, fühlt sich der Leser ganz dicht am Geschehen, am inneren wie äußeren. Diese Kombination sorgt für eine hohe Intensität.

    „Ich bin in einer Mitläuferfabrik gelandet.“

    Die Themen machen wütend. Richard Kornitzer, promovierter Jurist, zu Zeiten der Weimarer Republik im Amt eines Richters, kehrt nach dem Krieg aus Cuba nach Deutschland zurück. Der nächste Satz wird schwierig, denn würde ich sagen, Kornitzer wäre Jude, entspräche das nicht der Wahrheit. Die Nazis und ihre antisemitische Vernichtungsideologie haben ihn zum Juden gemacht, obwohl er selbst keiner sein wollte und sogar Protestant geworden ist.

    Das mag als kleines Detail erscheinen, ist es allerdings nicht. Die Zuweisung einer einzigen Identität für eine andere Person ist ein signifikantes Merkmal der großen totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts, nicht nur dem der Nazis. Auch in Stalins und Maos Reichen wurde so verfahren, immer mit dem Ziel, Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen, ihrer Rechte zu berauben, einzusperren, zu quälen und zu töten.

    „Die Geschichte war ein Krater.“

    Es gehört zu den großen Vorzügen dieses Romans, dass Krechel einen Protagonisten gewählt hat, der dem Vernichtungsapparat entkommen konnte und wieder zurückgekehrt ist. Diese Rückkehr nach Deutschland steht am Anfang des Romans, der Weg zu seiner Flucht aus dem so genannten „Dritten Reich“ wird als Rückblick im Romanverlauf geschildert. Zunächst einmal geht es um die Ankunft in der ehemaligen Heimat.

    Dort hat Kornitzers Frau Claire ausgeharrt. Sie ist aus der Sicht der Nazis „arisch“, durch ihre Heirat mit Kornitzer jedoch belastet, sodass sie keinen Organisationen beitreten kann, was Voraussetzung für ihre Berufsausübung wäre. Claire Kornitzer ist eine sehr moderne Frau, sie leitet eigenständig eine GmbH, ist erfolgreich, selbstständig, stark und dennoch dem Übel der Nazis  hilflos ausgeliefert, denn sie muss Firma und berufliche Tätigkeit aufgeben.

    Nach dem Krieg und der Gründung eines demokratischen Deutschlands ändern sich manche Dinge nicht unmittelbar zum Guten. Die während der Weimarer Republik bereits erreichte Modernität war durch die gesellschaftliche Steinzeit im Hitlerregime so weit zurückgedreht worden, dass es lange Jahre dauern sollte, ehe der einmal verlorene Stand wieder erreicht wurde. Das ging ganz erheblich zu Lasten der Frauen. Krechel hat das in ein wunderbares Bild gefasst:

    „Es schmerzte sie, als wäre sie an einem anderen Zeitufer stehengeblieben und das Schiff wäre ohne sie abgefahren. Ja, hätte ihr den Zutritt verweigert, nur weil sie eine Frau war. Und was hieß nur? Die Frau eines Landgerichtsdirektors. Jetzt klang es in ihren Ohren wie Hohn.“

    Die Kinder der Kornitzers, Georg und Selma, werden gerade noch rechtzeitig nach England geschickt und entgehen so einem schrecklichen Schicksal im Hitlerreich. Auf der Insel haben sie allerdings ebenfalls mit Widrigkeiten zu kämpfen, was den Roman übrigens brandaktuell macht, wenn etwa von „unbegleiteten Minderjährigen“ die Rede ist, die aus Syrien, Afghanistan oder anderen Regionen nach Deutschland fliehen.

    In seiner Heimat und sieht sich Kornitzer auf allen Ebenen Widrigkeiten ausgesetzt. Beruflich setzt ihm zum Beispiel die skandalöse Behandlung von Philipp Auerbach heftig zu, privat ist es ein extrem schwieriges Unterfangen, die Familie wieder unter einem Hut zu versammeln. Diese Dinge entwickelt Krechel in ihrem typischen Stil vor den Augen des Lesers, der mitgerissen werden kann, wenn er sich darauf einlässt.

    Die „Stunde Null“, der „Neuanfang“ ist eben geprägt von vielen Kontinuitäten, die rückwirkend ebenso verblüffen wie auch verstören. Vor allem der latente, unterschwellige oder auch offene Antisemitismus, das Fortdauern von NS-Ideologie und Denkweise in juristischen (und anderen) Bereichen des Staates und die Hilf- und Wehrlosigkeit der Opfer, insbesondere der Juden, sind eigentlich unfassbar.

    „Es rüttelte an seinem Rechtsempfinden wie eine eisige Sturmböe.“

    Eine ganz besonders bedrückende Episode ist die so genannte „Irrfahrt der St. Louis„, ein Dampfer, der vollgestopft mit jüdischen Flüchtlingen aus dem Reich Cuba angelaufen hatte. Touristenvisa wurden plötzlich nicht mehr anerkannt, nur wenige der Notleidenden wurden von Bord gelassen, der Rest harrte auf dem Schiff zunächst zwischen Cuba und den USA, später von der Küste Kanadas aus, ehe die St. Louis wieder nach Deutschland zurückkehrte.

    Dieser auch aus der Gegenwart sattsam bekannte Vorgang, der den Eindruck verstärkt, dass manche Dinge sich eben doch wiederholen, ist auch in anderen Werken behandelt worden. Der kubanische Autor Leonardo Padura hat ihn in seinem Roman „Ketzer“ aufgegriffen und aus Sicht von Einwohnern Havannas geschildert. Für Kornitzer wird Cuba aber zum Rettungsanker, eine ihm sehr fremde Welt.

    „Tage, mit heißer Nadel aneinandergestichelt, sich gegenseitig überlappend. Ein Sandmückenschleier sirrt in der Luft über der dösenden Bucht. Klares, blaues Licht. Licht, von ruhiger Eindringlichkeit, das einen blass und bleich erscheinen ließ.“

    Mir haben an dem Buch sehr viele Aspekte ganz besonders gefallen. Neben der eindringlichen Sprache vor allem die Vielschichtigkeit der angesprochenen Themen, die Rückblenden und kurzen Ausflüge in Seitenhandlungen, die zusammengenommen auf nachdrückliche Weise aufzeigen, wie die Opfer des NS-Regimes auf verlorenem Posten kämpften, als es darum ging, angemessen entschädigt und anerkannt zu werden. Der Krieg mochte 1945 beendet worden sein, sein verheerendes Wirken dauerte weit darüber hinaus an

  20. Cover des Buches Sechs Koffer (ISBN: 9783462050868)
    Maxim Biller

    Sechs Koffer

     (79)
    Aktuelle Rezension von: dunkelbuch

    „Wäre ich geblieben, wäre ich geflohen, hätte ich selbst meine engsten Freunde und Verwandten verraten, wenn die Kommunisten mich erwischt hätten?“ Der Großvater der Familie wird 1960 auf dem Flughafen von Moskau verhaftet und wegen seiner verbotenen Devisengeschäfte hingerichtet. Kurz danach war einer seiner Söhne, Dima, ebenfalls verhaftet worden, weil er, in Prag lebend, nach Westberlin flüchten wollte. Seither stellt sich in der Familie durch die Jahre und Generationen die Frage, ob es da einen Zusammenhang gibt, war es Dima, der damals den Großvater verraten hatte?

  21. Cover des Buches Hippocampus (ISBN: 9783218011778)
    Gertraud Klemm

    Hippocampus

     (32)
    Aktuelle Rezension von: BeautyBooks

    Irgendwie hat das Unglück der Österreicher mit dem Sonntag zu tun. Mit diesem Nine-to-five, Montag bis Freitag und mit diesen gesetzlichen Feier- und Urlaubstagen. Von einem Feiertag wird zum nächsten gejammert, im Winter zum Frühling hingejammert, im Frühling wird der Sonnenschein herbeigesehnt, und wenn es mal im Mai heißt ist, jammern alle wegen des Klimawandels. Die Menschen vor den Fernsehern und Radios haben immer den Freitag im Blick, damit endlich Samstag und Sonntag folgen. So will er niemals werden. - Seite 8


    Inhaltsangabe:

    Helene Schulze ist tot. Eine vergessene Autorin der feministischen Avantagarde, die ausgerechnet jetzt als Kandidatin für den Deutschen Buchpreis gehandelt wird. Ihre Freundin Elvira Katzenschlager sortiert Helene's Nachlass und findet sich in einer Marketingmaschinerie voll Gier, Sensationsgeilheit und Neid wieder. Als sie sich mitten in einem Nachruf-Interview befindet, bricht sie dieses ab und begibt sich mit dem wesentlich jüngeren Kameramann Adrian auf einen Roadtrip durch Österreich, um die verzerrte Biografie ihrer Freundin richtigzustellen. Was als origineller Rachefeldzug beginnt, wird immer mehr zum Kreuzzug gegen Bigotterie und Sexismus. Sie verkleiden Heldenstatuen, demontieren Bildstöcke und stören Preisverleihungen. Immer atemloser, immer krimineller werden die Regelbrüche der beiden auf ihrem Weg nach Neapel, wo die letzte Aktion geplant ist.

    Und obwohl er das alles weiß und jetzt schon seit zwei Jahren dabei ist, deprimiert ihn immer mehr, wie viel Illusion erzeugt werden muss, um die Zuschauer für eine Naturdokumentation bei Laune zu halten. Vogelkinder mussten ihre Mütter verlieren, Löwenmütter ihren Kindern beim Gefressenwerden zusehen, die Elemente mussten rebellieren und der Lebenskampf toben. Erst wenn Natur mit Storytelling und Mitleidhaschen gespickt wird, ist sie so richtig essfertig für den Durchschnittstrottel vor dem Bildschirm. - Seite 9-10 


    Meine persönliche Meinung:

    Aus diesem Buch habe ich mir so viele Buchzitate herausgeschrieben, die einfach wie eine Faust aufs Auge gepasst haben. Frau Klemm hat uns Österreicher herrlich locker in diese Geschichte miteingebunden. Wie wir so ticken und auch denken. Oder aber auch einfach ein paar Zeilen, die komplett aus dem Leben gegriffen sind, in denen wir uns selbst tagtäglich widerfinden. Buchzitate, die ich euch in diese Rezension miteinbinden werde, damit ihr selbst lesen könnt, was ich meine. 

    Beginnt man diesen Roman zu lesen, spürt man sofort, dass es sich hier um eine sprachlich anspruchsvolle Geschichte handelt. Die Autorin bringt uns die Welt der Literaturbranche näher und weist uns stets daraufhin, wie wichtig feministisches Engagement tatsächlich ist.

    Die beiden Hauptcharaktere werden von der Autorin benutzt, um Geschlechterklischees drunter und drüber zu werfen. Adrian, der junge Fotograf des Interview-Teams, befindet sich in einer typisch weiblichen, dienenden Funktion. Er begleitet Elvira als "Assistent" auf ihrem Road Trip um diesen zu dokumentieren. Adrian hat ganz bestimmte Ansichten, was alte Frauen betrifft. Mit diesen Ansichten wird er tagtäglich von Elvira, die von ihm ja als alt bezeichnet wird, herausgefordert. Sein Leben besteht bisher darin, dass er seinen Alltag als Möchtegern-Liebhaber einer jungen Frau verbringt, während Elvira ihm zeigt, wie lässig sie in Liebesdingen umgeht. Elvira ist eine unglaublich starke Person, der vollkommen egal ist, was andere von ihr denken. Sie hält es nicht aus, wie ihre tote Freundin Helene dargestellt wird und tut alles, um das zu ändern, ohne Rücksicht auf irgendwas oder irgendjemanden. Manchmal musste ich regelrecht schlucken, da sie Aktionen bereithält, die ich fast schon ein wenig zu übertrieben empfunden habe. Damit bekommt sie jedoch ihre Aufmerksamkeit, die sie haben möchte und zieht ihr Ding einfach durch.

    Die Menschen machen Licht, bevor es dunkel ist, sie heizen, bevor es kalt wird, sie sterben, bevor sie leben. - Seite 38 

    Die erste Hälfte des Buches konnte mich noch so richtig packen, während ich die zweite Hälfte eher als anstrengend empfunden habe. Anfangs fand ich den Road Trip von Elvira und Andrian noch ziemlich amüsant, schon bald legte sich dieses Gefühl aber ein wenig und kippte für mich schnell ins übertriebene rüber. Es fühlte sich während dem Lesen einfach an, als käme nichts mehr neues und die Geschichte plätscherte so vor sich hin. Ich habe stets gehofft, dass noch irgendwas spannendes oder anderes passieren wird, dass mich aus dieser Lethargie wieder herausholen wird. Ich habe das Buch wirklich gerne gelesen und auch der Schreibstil gefiel mir richtig gut, aber all die Aktionen die Elvira durchgezogen hat, waren dann einfach irgendwann too much. Man hätte auch anders handeln können, um Helene Schulze's Leben oder sie als Person aufleben zu lassen um all den Menschen zeigen zu können, dass sie anders war, als alle gedacht haben.

    Sie versteht immer mehr, warum Terroristen so brutal werden müssen. Es hört ihnen ja sonst niemand zu. Sie lassen sich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft in Menschenleben bezahlen, sie errichten Installationen aus Schmerz und Leid und nehmen in Kauf, dass man sie hasst und verfolgt und von all den Forderungen, die sie im Zusammenhang mit ihren Aktionen stellen, gar nichts mehr mitbekommt. Terror ist auch nur eine Protest-Kunstform, denkt Elvira verwundert, wenn auch eine sehr widerliche, abstrakte. - Seite 299

    Nichtsdestotrotz konnte mich Gertraug Klemm überzeugen bzw. hat sie mich neugierig gemacht und ich habe mir nun "Muttergehäuse" von ihr gekauft. Von "Hippocampus" sollte sich jeder einfach selbst überzeugen. Ich habe sehr viele ganze positive Rückmeldungen in der Arbeit erhalten. Für mich war die Geschichte irgendwann zu eintönig.

     

  22. Cover des Buches Du stirbst nicht (ISBN: 9783442741137)
    Kathrin Schmidt

    Du stirbst nicht

     (102)
    Aktuelle Rezension von: Sunny225
    Nach 3 Wochen auf der Intensivstation aufgrund eines geplatzten Aneurysmas kommt Helene Wesendahl langsam wieder zu Bewusstsein. Sie ist halbseitig gelähmt und vollkommen auf ihre Mitmenschen angewiesen, muss sich ihre Vergangenheit und vor allem ihre Sprache mühselig wieder erarbeiten. Insbesondere das erste Drittel dieses verdientermaßen 2009 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Buches hat mich sehr beeindruckt. Das erste Kapitel ist passenderweise mit „Wimpernschläge“ überschrieben. Helene kommt immer nur kurz zu Bewusstsein, nimmt ein paar Worte oder Bewegungen auf und versucht, diese zu verarbeiten, sich daraus ihre Situation und ihre Erinnerungen zu erklären, dämmert vor sich hin, träumt. Die Schilderung der Anstrengungen und zum Teil verzweifelten Bemühungen sich Stück für Stück wieder eine gewisse Selbständigkeit zu erarbeiten, merkt man an, dass die Geschichte teilweise autobiografisch ist. Interessant, dass direkt nach dem gewonnenen Kampf ums Überleben am Wichtigsten war, die eigene Identität, die Erinnerungen, Standpunkte und das Verhältnis zu den Mitmenschen wiederzufinden. Wie wichtig dabei die Sprache ist, die richtigen Worte zu finden, und die Verzweiflung - gerade als Schriftstellerin - wenn dies nicht gelingen will. Der Mensch als soziales Wesen ist von den Beziehungen zu seinen Mitmenschen abhängig. Gerade in der Situation, wo er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr oder noch nicht wieder für sich selbst sorgen kann, ist es wichtig, zu wissen, in welchem Verhältnis man zueinander steht. Schade nur, dass mit immer mehr Unabhängigkeit auch wieder immer mehr Egoismus aufkommt. Eine sehr bewegende Geschichte, die mich nachdenklich zurücklässt.
  23. Cover des Buches Der Allesforscher (ISBN: 9783492306324)
    Heinrich Steinfest

    Der Allesforscher

     (75)
    Aktuelle Rezension von: awogfli

    Heinrich Steinfest liefert uns in der ersten Hälfte sein typisches Universum schräg, kuriositätenreich und mit Unwahrscheinlichkeitsantrieb funktionierend. Eine sensationelle Idee jagt die andere gleich einem Feuerwerk an Absurditäten. Der Protagonist und Manager Sixten Braun wird von der daherfliegenden Leber eines explodierenden Wals in Taiwan ins Koma verfrachtet und überlebt anschließend einen Flugzeugabsturz im Südchinesischen Meer. 

    Nach diesen Katastrophen kriegt er als Bademeister in Deutschland sein neues Leben auf die Reihe, das er gemächlich und beschaulich ausgestaltet, also downsized, weil er infolge der Traumata nicht mehr in ein Flugzeug einsteigen kann und auch mit seinem bisherigen Job nichts mehr anfangen möchte. 

    Aus dieser Idylle wird er nach Jahren wieder plötzlich herausgerissen, denn nun ist er mit einem angeblich in Taiwan gezeugten Sohn konfrontiert für den er die Vormundschaft übernehmen soll. Die Behörde hat ihn informiert, dass seine damalige Geliebte und verantwortliche Ärztin während des Komas sehr schnell nach der Geburt des Kindes an Krebs gestorben ist und die beauftragte Pflegemutter nun in der Psychiatrie gelandet ist, sich also auch nicht mehr um das Kind kümmern kann. Sixten Braun fällt aus allen Wolken, übernimmt jedoch Verantwortung, denn die Wahrscheinlichkeit, dass er der Vater ist, ist durchaus nicht unerheblich.

    Als das Kind mit dem Namen Simon aber dann nach Behördendschungel und Überstellung in Deutschland ankommt, ist klar, dass Sixten nicht der Vater sein kann, denn der Bub hat eindeutig asiatische Züge. Seine Geliebte war aber ebenso wie der Protagonist Deutsche. Keiner in der taiwanesischen Behörde hat ein Foto gesendet oder die Vaterschaft in Frage gestellt, denn sie dachten, Sixten sei Asiate. Nun war der Fehler nicht mehr rückgängig zu machen, das entzückende Kind ist vor Ort in Deutschland, Sixten fügt sich in sein Schicksal und adoptiert Simon aus Liebe und Respekt zur Mutter dennoch. Ein weiteres Detail hat die taiwanesische Behörde auch noch unterschlagen, um das Kind loszuwerden, Simon spricht eine komplexe Sprache, die keiner versteht. Nach ausführlicher Recherche wird klar, es ist keine chinesischstämmige Sprache, kein Dialekt, sondern eine eigenständige erfundene in sich logisch konsistente Geheimsprache, die sonst niemand auf der Welt spricht. 

    Ab in etwa der Hälfte des Romans wird das Tempo langsamer, fast schon gemächlich. Vater und Sohn nähern sich nach und nach einander an, aber Simon bleibt bei seiner Sprache und in seiner Welt. Sixten verliebt sich zudem auch noch in die Angestellte der taiwanesischen Botschaft, die die Adoption organisiert hat. Als Simon 8 Jahre alt wird, kommt Sixten drauf, dass der Bube perfekt klettern kann. 

    In einem Nebenstrang wird auch noch die Geschichte von Simons leiblichem Vater geschildert. Gemäß dem typischen steinfestschen Unwahrscheinlichkeitsantrieb kommen alle Protagonisten, die lebenden und die Toten in Tirol auf jenem Berg zusammen, auf dem Sixtens Schwester Astrid bei einem Kletterunfall gestorben ist. 

    Der Buchtitel Der Allesforscher stammt von Steinfests Sohn, der, um einen Universalgelehrten zu beschreiben, dieses Wort erfunden hat. Im Roman spielt dieser Allesforscher fast bis zum Ende eine untergeordnete Rolle, er war ein väterlicher Freund von Sixten. 

    Übrigens den explodierenden Wal gab es tatsächlich. So ein Ereignis ist zweimal passiert 1970 in Oregon und 2004 in Tainan, wie im Buch beschrieben. Solche Situationen sind übrigens gar nicht so ungewöhnlich. Durch die Gärgase tendieren verwesende Wale zu explodieren. Kontrollierte Miniexplosionen durch Schnitte in die Wale in den Niederlanden, in Dänemark und auf den Färöer-Inseln haben den großen Knall verhindert. https://www.youtube.com/watch?v=-4OIYQ6HCnk

    Fazit: Sehr guter Roman, der in der Mitte für meine Gefühle gar zu sehr eine Vollbremsung hinlegt und das Tempo zu viel drosselt.

  24. Cover des Buches Winterbienen (ISBN: 9783406739637)
    Norbert Scheuer

    Winterbienen

     (97)
    Aktuelle Rezension von: NicoleP

    Egidius Arimond lebt 1944 in ständiger Gefahr. Wehruntauglichkeit wegen Epilepsie und diverse Frauengeschichten sind noch harmlos. Er versucht, Juden in speziellen Bienenstöcken nach Belgien zu schmuggeln.

    Die Geschichte besteht in erster Linie aus Tagebuchnotizen von Egidius. Dort ist in erster Linie über seine Arbeit und Tätigkeit als Imker zu lesen. Doch in leisen Zwischentönen erfährt der Leser viel über die damalige Zeit und wie die Menschen versucht haben, irgendwie hindurch zu kommen.

    Dieser ruhig erzählte Roman regt auch zum Nachdenken an. Man sollte beim Lesen bedenken, dass Tagebucheinträge in erster Linie für einen Schreiber selbst als Erinnerung gedacht sind und daher ausführliche Beschreibungen zu Orten, Personen und Begebenheiten selten sind. Dafür bringen sie einem den Verfasser emotional sehr nahe. Mir hat das Buch sehr gefallen, und ich empfehle es gerne weiter.

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