Bücher mit dem Tag "galizien"

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26 Bücher

  1. Cover des Buches Nachtzug nach Lissabon (ISBN: 9783442746248)
    Pascal Mercier

    Nachtzug nach Lissabon

     (1.377)
    Aktuelle Rezension von: Gabriel_Scharazadeh

    Vereinfacht: Der Protagonist, ein "Nerd" im Bereich alter Sprachen und Poesie, stößt in einem Antiquariat zufällig auf ein portugiesisches Buch, das Worte enthält, von denen er so ergriffen ist, dass er sein jetziges Leben Hals über Kopf aufgibt und sich auf die Suche nach dem portugiesischen Schriftsteller jenes Buches begibt, dem "Goldschmied der Worte". Die Reise geht nach Lissabon. 

    In Lissabon erfährt er, dass der Schriftsteller schon lange tot ist. Dennoch versucht er, dessen Werdegang, ja dessen Leben insgesamt, zu rekonstruieren, v. a. indem er Personen kontaktiert, die mit ihm seinerzeit zu tun hatten. Zwischenzeitlich packt ihn die Sehnsucht nach dem Bekannten, sodass er kurzzeitig in seine Heimatstadt zurückfliegt. Dort merkt er, dass er sich am völlig falschen Ort befindet. Er verliert seinen Platz in der Welt vollständig. Er fliegt zurück nach Lissabon.

    Die Suche nach jenem Schriftsteller wird viel zu ausführlich beschrieben und, vor allem, lässt sie überhaupt keinen rationalen Sinn erkennen. Warum sollte jemand sein Leben aufgeben, um einen Schriftsteller aus der Ära des Salazar-Regimes zu suchen, der schon seit Jahrzehnten tot ist? Es wird angedeutet, dass der Protagonist Angst davor hat, in seinem Leben nicht das getan zu haben, wonach sein Inneres gerufen hat, ja generell auf seine eigene Seele überhaupt keine Rücksicht genommen zu haben. Das will er jetzt, ad hoc, nachholen. Wie von einer Tarantel gestochen. Beschrieben wird ebenfalls, welche Schwäche er für Sprache und Poesie insgesamt hat. 

    Und dennoch macht das keinen Sinn. Oder doch, und zwar unter folgendem Gesichtspunkt: Der Protagonist spürt unterbewusst, dass sein Leben zu Ende geht, und zeigt Verwirrungssymptomatiken, die in diese überstürzte und sinnfreie Reise nach Lissabon münden. Beschrieben werden Schwindelanfälle, die immer mehr und mehr werden. Der Protagonist geht zum Arzt. Es wird nicht explizit benannt, dass er todkrank ist. Das ist aber, meiner Meinung nach, eindeutig so zu interpretieren, in der Hinsicht, dass ihm am Ende der Geschichte tatsächlich auch bewusst wird, dass er nicht mehr lange zu leben hat. 

    Insgesamt ein trauriger, viel zu ausführlich beschriebener letzter Weg eines todkranken, verwirrten Mannes. 



     



  2. Cover des Buches Ich bin dann mal weg (ISBN: 9783890296005)
    Hape Kerkeling

    Ich bin dann mal weg

     (4.095)
    Aktuelle Rezension von: leseHuhn

    Ich bin dann mal weg - Meine Reise auf dem Jakobsweg, von Hape Kerkeling, erschienen im Malik-Piper Verlag am 14. Oktober 2021
    Jubiläumsausgabe 368 Seiten 

    Klappentext 
    Juni 2001: Es ist ein nebelverhangener Morgen, als Hape Kerkeling, Deutschlands vielseitigster Entertainer und bekennende Couch potato, endgültig seinen inneren Schweinehund besiegt und in Saint-Jean-Pied-de-Port zur Wanderung seines Lebens aufbricht. Sechs Wochen liegen vor ihm, allein mit sich und seinem elf Kilo schweren Rucksack: über die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen, durch das Baskenland, Navarra und Rioja bis nach Galicien zum Grab des heiligen Jakob, seit über 1000 Jahren Ziel für Gläubige aus der ganzen Welt. 

    Meine Meinung 
    Ich traue mich und gehe mit Hape Kerkeling den Jakobsweg, und direkt von Anfang an stimme ich Hape zu. Die Übernachtung im Refugium ist nichts, wer möchte da bitte schlafen? Also eine einigermaßen gut geführte Jugendherberge hat weitaus mehr Charme. Mehrbettzimmer, wo Männlein und Weiblein zusammen übernachten, vollkommen Fremde! Nein, das wäre nicht mein Fall. Aber zum Glück gibt es genügend andere Varianten zum Übernachten. Und zum 11 kg schweren Rucksack sei gesagt, man überdenke bitte mehrmals, ob man das wirklich auf seinen Weg braucht!
    Nun zum interessanten Teil .... der Jakobsweg. Mit vielen ausführlichen Beschreibungen wandert man ihn mal mehr, mal weniger schwungvoll. Es gibt teilweise wunderschöne Landschaften, aber auch genauso monotone Landschaften. Der Weg ist mitunter sehr beschwerlich, es gilt einige hohe Berge zu besteigen und auch wieder runter zu kraxeln. Hier und da nutzt Hape Kerkeling aus Gründen der Erschöpfung auch mal den Bus, das auch erlaubt ist. Lediglich die letzten 100 km müssen gewandert werden.
    Das am Ende jeder Tagesetappe ein Stempel ins Pilgerbuch kommt und am Ziel eine Urkunde, sollte jeder wissen.
    Doch wie hat sich Hape Kerkeling auf dem Jakobsweg geschlagen? Ich würde sagen, sehr gut. Die ersten Etappen hat er still und alleine genossen, mit sich ins Reine kommen, seinen Gedanken freien Lauf lassen. Und das war wirklich unterhaltsam, was wir als Leser hier erfahren. Einen sehr privaten und persönlichen Hape.
    Nach einigen Etappen hat er dann doch etwas Unterhaltung gesucht und gefunden. Manche haben ihn nur sehr kurz begleitet, und man war froh, sie wieder abgehangen zu haben. Aber zwei Frauen haben sich in Hapes Wanderherz geschlichen, das Trio war so toll miteinander, sie haben sich ergänzt. Irgendwie ohne große Worte verstanden, teils ging man gemeinsam, weil das Tempo gerade harmonierte und streckenweise ging auch jeder mal in seinem Tempo. Aber abends hat man immer wieder zusammengefunden. Ich bin fest davon überzeugt, das einige Pilger etwas neidisch auf dieses Trio waren.

    Fazit 
    Für Fans von Hape Kerkeling ein must read, und auch für alle, die den Film darüber gesehen haben, sollten das Buch lesen. Für mich war das ein natürlicher und persönlicher Hape Kerkeling. Authentische Beschreibungen, ernste Gespräche, lustige Zufälle und ganz viel Hape. Ich vergebe 5 🐥🐥🐥🐥🐥 und eine Leseempfehlung.

  3. Cover des Buches Alles ist erleuchtet (ISBN: 9783462304886)
    Jonathan Safran Foer

    Alles ist erleuchtet

     (525)
    Aktuelle Rezension von: Joroka

    Ich habe zuerst den Film gesehen, zu dem das Buch als Vorlage diente; und dieser hat mir ausgesprochen gut gefallen. Normalerweise ist man von der filmischen Umsetzung eines literarischen Werkes enttäuscht, im vorliegenden Fall war es gerade umgekehrt.

    Die Geschichte eines jungen jüdischen Amerikaners (Jonathan Safran Foer), der in die Ukraine fährt und sich dort mit Hilfe eines radebrechenden, machohaften Reiseführers und dessen "blinden" Opa als Fahrer, nebst "Blindenhund" auf die Suche nach der Vergangenheit seines eigenen Großvaters macht, ist im Buch als eine der vier Handlungsstränge enthalten.

    Daneben geht es um die Geschichte von "Brod", die dem gleichnamigen Fluss "entspringt", als ihre Eltern im Jahre 1791 dort mit Fuhrwerk in den Fluten versinken; des weiteren um die Geschichte der Heirat von Jonathans Großvater vor Zerstörung des Schtetls um 1940 und um die Kommentare von Alex, dem ukrainischen Reisebegleiter von Jonathan, der scheinbar diese Geschichten Korrektur ließt.

    Ganz schön verwirrend und so kam es mir beim Lesen auch durchgehend vor. Hätte ich zuvor den Film nicht gesehen, hätte ich bezüglich Orientierung wohl auch gewiss einige Probleme gehabt. Nun, das mag "innovativ" sein, aber meinem Lesevergnügen zumindest nicht zuträglich.

    Natürlich sind alle Geschichten miteinander verwoben und auch Alexs Großvater ist involviert. Ein bisschen dick aufgetragen, wie ich finde.

    Negativ aufgestoßen ist mir auch die unnötig obszöne Sprache, die in manchen Passagen benutzt wird.

    Fazit: Insgesamt kein wirklich schlechtes Buch. Aber es kommt halt wie ein besonders bemühtes Erstlingswerk eines noch nicht ganz ausgereiften Schreiberling rüber.

  4. Cover des Buches Sturmzeit (ISBN: 9783734105982)
    Charlotte Link

    Sturmzeit

     (424)
    Aktuelle Rezension von: dunis-lesefutter

    Es gibt Bücher, da erhofft man sich auf dem Sofa zu legen, drin rum zu schmökern und in ein anderes Leben, eine andere Zeit zu versinken. Wenn man es dann auch noch mit starken Frauen zu tun hat, ist das gerade für Leserinnen oft ein gutes Lese-Erlebnis. So hatte ich mir das auch mit diesem Buch erhofft.


    Charlotte Link startet ihre Trilogie kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Sie stellt Felicia in den Mittelpunkt, eine ehrgeizige, freiheitsliebende und vor allem materiell orientierte Frau, die unsterblich in Maxim verliebt ist. Dieser, den linken Ideen der kommunistischen Revolution verfallen, empfindet nicht mehr als Freundschaft für Sie. Als sie dieses merkt, heiratet sie jemand anderen, den sie nicht liebt, von dem sie sich aber Sicherheit und Anerkennung erhofft und natürlich auch die Vorteile einer angesehenen Ehefrau. Ab hier erleben wir den Aufstieg von Felicia, die sich immer zu ihrem Vorteil entscheidet und verhält. Dafür benutzt sie alle Menschen aus ihrem Umfeld und merkt gar nicht , wie sehr sie sich mit den Jahren isoliert. Einen kann sie nicht vergessen, wahrscheinlich, weil sie nicht besitzen kann und das ist Maxim, in dessen Arme sie immer mal wieder landet.


    Ein Hauch von „Vom Winde verweht“ lässt sich in diesem Roman verspüren. Felicia erinnert mich in manchen Verhaltensweisen und Dialogen sehr an Scarlett O’Hara, die Ashley Wilkes haben möchte und Rhett Butler benutzt und vor allen Dingen eins liebt: Materielle Werte!

    Felicia ist die Hauptfigur, die im Zentrum der vielen Nebendarsteller, die Fäden zieht  - mit ihr erleben wir die harte Zeit des Krieges und den finanziellen Boom der 20er mit allen Umbrüchen und dem großen Absturz am Ende des Jahrzehnts

    Der Unterschied zu dem Südstaaten Epos liegt aber nicht nur in der Epoche, sondern auch in der Tiefe der Figuren. Lange Zeit blieben Sie mir nicht plastisch genug und eine gewisse Oberflächlichkeit führte zu einem wenig emotionalen Leseerlebnis. Ich konnte mich mit keinem so recht verbunden erklären. Der berechnende Charakter von Felicia machte sie mir immer unsympathischer. Am nahesten war mir Alex, der deutlich sagt, was er von ihr hält, sie als erster durchschaut hat und ihr trotzdem wohl dosierte Hilfestellung gibt. 

    Die Zeichnung der Umgebung, der Kleidung, der Ereignisse bleiben leider blass, so dass ich insgesamt ein durchschnittliches Buch gelesen habe, zumal man in der Bandbreite der historischen Romane große Auswahl findet, wenn man etwas Gehaltvolleres sucht . Zum Beispiel hat die Jahrhundert Saga von Ken Follett Besseres zu bieten. Ich werde auf die weiteren 2 Teile dieser Reihe verzichten.

  5. Cover des Buches Hiob (ISBN: 9783520862013)
    Joseph Roth

    Hiob

     (205)
    Aktuelle Rezension von: Herbstrose

    Als Bibellehrer im russischen Zuchnow bestreitet der fromme Jude Mendel Singer den kargen Lebensunterhalt für seine Familie - eine bigotte zänkische Frau, zwei Söhne, eine Tochter und ein spätgeborener zurückgebliebener behinderter Junge. Seine Behandlung im Krankenhaus lehnen sie ab, sie vertrauen lieber auf Gott und ihre Gebete. Jahre in Armut vergehen, die Kinder wachsen heran. Dann bricht Jonas, der älteste Sohn, mit den jüdischen Gesetzen und meldet sich zum Militär, während Schemarjah, der Zweitgeborene, die Familie verlässt und nach Amerika auswandert. Als Tochter Mirjam beginnt sich mit den dort stationierten Kosaken einzulassen, entschließt sich Mendel, mit Frau und Tochter seinem Sohn Schemarjah nach Amerika zu folgen - den immer noch schwer behinderten Jüngsten Menuchim müssen sie zurücklassen. Auch in Amerika ist die Familie weiter vom Pech verfolgt. Es sollen Jahrzehnte vergehen, Mendel ist inzwischen vom Glauben abgekommen, bis ihm das große Wunder widerfährt und er endlich Ruhe und Frieden findet …   

    Joseph Roth war ein österreichischer Schriftsteller und Jounalist, der 1894 im galizischen Brody bei Lemberg (Lwow) geboren wurde. Er studierte zunächst in Lemberg, dann in Wien Germanistik und Philosophie und war danach als Journalist tätig. Sein erster Roman erschien 1923, weitere folgten. „Hiob“ erschien erstmals 1930 und handelt in der Zeit um 1900 bis nach dem I. Weltkrieg. Die Machtergreifung durch die Nazis zwang den Juden ins französische Exil, seine Bücher wurden in Deutschland verbrannt. Roth starb 1939 in Paris an den Folgen einer schweren Alkoholsucht. 

    Wie schon der Titel des Buches vermuten lässt, greift der Autor hier die Geschichte von Hiob aus dem Alten Testament auf, der vielen harten Prüfungen unterzogen wird, an Gott verzweifelt und seinen Glauben beinahe verliert, bis dann das Wunder geschieht. Entgegen der Dramatik und Tragik der Handlung ist die Sprache Roths eher als einfach und erfassbar zu bezeichnen. Es gelingt ihm dadurch, den Leser zu packen und das Geschehen bildhaft entstehen zu lassen, sodass es sich fest im Gedächtnis zu verankert. 

    Fazit: Ein beeindruckender Roman voller Dynamik, ein Klassiker der deutschen Literatur, den man gelesen haben sollte und den ich gerne empfehle. 

  6. Cover des Buches Katzenberge (ISBN: 9783746627984)
    Sabrina Janesch

    Katzenberge

     (35)
    Aktuelle Rezension von: Pongokater
    Notwendiger Geschichtsunterricht darüber, dass die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten des Deutschen Reichs verknüpft war mit der Vertreibung der Polen aus dem Osten ihres Landes. Dies zeigt Sabrina Janesch dadurch eindringlich, dass der Vater der Helding aus einer deutschen Familie stammt, die aus Schlesien vertrieben wurde, die Mutter aus einer Familie, die genau dort nach der eigenen Vertreibung angesiedelt wurde. Besonders eindrucksvoll sind die Passagen der Schilderung des alten und neuen schlesischen Landlebens.
  7. Cover des Buches Da geht ein Mensch (ISBN: 9783442736034)
    Alexander Granach

    Da geht ein Mensch

     (16)
    Aktuelle Rezension von: blueberry7
    Eine enorm interessante Lebensgeschichte von Alexander Granach. Hinzu kommt der lebendige Schreibstil dieses Irrwischs...............
  8. Cover des Buches Alles was ich dir geben will (ISBN: 9783442716197)
    Dolores Redondo

    Alles was ich dir geben will

     (139)
    Aktuelle Rezension von: mellibooks

    Der Roman hat spannend gestartet und ich wurde direkt in die Geschichte genommen. Zu Beginn war noch nicht klar wohin die Geschichte verläuft. Sodass man während des Lesens immer weiter von einer weiteren Wendung überrascht wurde.
    Das Ende habe ich so ebenfalls nicht erwartet und es kam anders als ich dachte.
    Die Charakterbildung ist ebenfalls gut gelungen. Die Charaktere haben sich im Laufe der Zeit entwickelt und man hat sehr mit ihnen mitgefühlt.
    Ebenso war die Welt die geschaffen wurde gut dargestellt und alles hat zusammengepasst.
    Mir hat das Lesen des Romans sehr gefallen und ich wollte nicht mehr aufhören zu lesen. 

  9. Cover des Buches Das falsche Gewicht (ISBN: 9783150188644)
    Joseph Roth

    Das falsche Gewicht

     (22)
    Aktuelle Rezension von: Monsignore
    Ein schwerer, dicht gewobener Stoff aus untergegangener Zeit. Obwohl leicht lesbar und in seinen Bann nehmend, handelt es sich um einen Stoff fast biblischen Gewichts. Unbeirrbar und exakt prüft der neue Eichmeister - einst Artillerie-Unteroffizier - die Gewichte der Kaufleute im äußersten Osten der österreichisch-ungarischen Monarchie. Er bringt Kaufleute vor Gericht, er macht sich Feinde. Bieder, schwerfällig und autorität waltet er seines Amtes, doch in der kalten Fremde gerät sein eigenes Leben aus dem Lot. Eine schöne Zigeunerin wird seine Obsession, ein Schwerkrimineller intregiert erfolgreich, der Alkohol ("Neunziggrädiger"!) richtet ihn nieder. Es kommt zum Mord ... Joseph Roth entwirft hier eine ganze Welt, in die man eintauchen kann. Sein Stil läßt den Leser nah dabei sein, seine Erzählperspektiven sind klarsichtig, seine Menschenkenntnis immens und seine Figuren so menschlich.
  10. Cover des Buches Der Leviathan (ISBN: 9783990280324)
    Joseph Roth

    Der Leviathan

     (16)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer
    Kiepenheuer & Witsch brachte 2005 diesen schmalen Band mit drei Erzählungen des großartigen österreichischen Schriftstellers Joseph Roth heraus. Er beinhaltet die Titelgeschichte "Der Leviathan", welche vom jüdischen Korallenhändler Nissen Piczenik handelt und dessen tragischen und mitreißend erzählten Abstieg aus der Gesellschaft zum Thema hat. Daneben stehen die Geschichten "Triumph der Schönheit" und "Die Büste des Kaisers". Während in erster Novelle die vernichtende Macht der Frau über den Mann im Mittelpunkt steht, vermittelt die letzte Geschichte einen Eindruck von den psychologischen Auswirkungen des Untergangs der k.u.k. Monarchie auf den einfachen, traditionsbewussten und konservativen Menschen. Allen Texten eigen ist Roths Fähigkeit der genauen Beobachtung, der treffsicheren Typisierung der Figuren und schließlich die grandiose Stilistik. "Der Leviathan" bietet für wenig Geld drei Perlen der Erzählkunst Joseph Roths; aus diesem Grund eine eindeutige Empfehlung.
  11. Cover des Buches Heimaterde (ISBN: 9783765086540)
    B. Horst Feuer

    Heimaterde

     (4)
    Aktuelle Rezension von: Viv29
    Ich habe dieses Buch meinem in Galizien geborenen und aufgewachsenen Großvater zum 95. Geburtstag geschenkt und auch gleich ein Exemplar für mich gekauft. Ich habe es fast in einem Rutsch durchgelesen und meinem (sehr kritischen!) Großvater ging es genauso, er meinte, er hätte mit dem Lesen gar nicht aufhören wollen, so akkurat und lebhaft wurde alles geschildert. Er hat sich förmlich in seine Jugend zurückversetzt gefühlt.

    Das Buch beginnt vor der Auswanderung der Familie nach Galizien und zeigt die damalige Situation der Auswanderer, ihre Wünsche, Sorgen und die durchgemachten Strapazen auf der Reise, ganz hervorragend auf. Der historische Hintergrund ist sehr gut recherchiert und durch die Charaktere zum Leben erweckt.

    Die Jugenderinnerungen des Hauptperson im frühen 20. Jahrhundert sind angenehm zu lesen und auch hier fand ich Vieles wieder, was ich von meinem Großvater gehört und in anderen Lebenserinnerungen aus Galizien gelesen habe. Die galizische Welt vor dem zweite Weltkrieg ist gelungen eingefangen.

    Die Erzählung über die Aussiedlung, Kriegs- und Nachkriegszeit hat mich emotional sehr berührt, einfach weil ich weiß, daß es meinen Vorfahren auch so ergangen ist. Hier ist ebenfalls der historische Hintergrund gut recherchiert. In einer Rezension zum Buch werden diese Berichte als langweilig eingestuft - das kann ich persönlich in keiner Weise nachempfinden. Ich habe beim Lesen mitgefühlt, mitgefiebert und hatte an manchen der traurigen Stellen einen Kloß im Hals.

    Zwei kleine Dinge, die mir nicht so gut gefielen: von der Auswanderung springt die Geschichte gleich zum 20. Jahrhundert. Mich hätte das Familienschicksal auch in der Zwischenzeit sehr interessiert, selbst wenn es nur in kleineren Episoden gewesen wären. So fand ich den Sprung etwas abrupt und fand es auch schade, daß dieser Teil völlig ausgelassen wurde.
    Die Geschehnisse der Nachkriegszeit in Polen fand ich manchmal ein wenig verwirrend, auch bzgl. der jeweils vergangenen Zeit und der mir manchmal fehlenden Hintergrundinformationen.

    Die sind aber nur kleinere Abstriche, die das Lesevergnügen nicht merklich beeinträchtigt haben. So kann ich sagen - sowohl mein Großvater, der auf eigene Erinnerungen zurückgreifen kann, wie auch ich haben dieses Buch sehr genossen!
  12. Cover des Buches Das falsche Gewicht (ISBN: 9783863521271)
    Joseph Roth

    Das falsche Gewicht

     (1)
    Aktuelle Rezension von: HeikeG
    Ein Schubert der Prosa "Roth konnte Stimmungen und Erfahrungen, die gewöhnlich nur in Musiken auszudrücken sind, in Sprache übersetzen. Etwas Ähnliches wie ein Schubert der Prosa ist er auf diese Art geworden.", schrieb André Heller in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. So wie der Komponist wohl einzigartig seine Gefühle in Musik einfließen ließ, so drückte sie der 1894 in Brody, einer mittelgroßen Stadt im damals österreichischen Galizien, geborene Roth in seinen Texten aus. Wer war dieser Joseph Roth, von dem solch eindrucksvolle Werke wie "Hiob", "Hotel Savoy", "Radetzkymarsch" oder "Die Legende vom heiligen Trinker" stammen? Ein Poet, ein Journalist und wie alle Juden ein Opfer des Dritten Reiches, außerdem ein stets von neuem enttäuschter Moralist, ein Augenzeuge seiner Zeit, rastlos, empfindsam und aggressiv zugleich, im Grunde seines Herzens ein Träumer und Menschenfreund, verletzlich wie ein Kind, lebensuntüchtig und anfällig für Depressionen, "ein Spezialist für verlorene Menschen", meinte einmal sein Freund Hermann Kesten. Widersprüchlich wie sein Wesen, sind auch die Aussagen seiner Freunde über ihn gewesen. "Roth war schwermütig", sagen die einen. "Er war leichtlebig", behaupten die anderen." "Er liebte das Militär", heißt es weiter und: "Er hasste das Militär", "er war Leutnant in der k. u. k.-Armee", "er war ein Sozialist", "er war ein Monarchist", "er war ein Glaubensjude", "er war ein eifriger Katholik". Von sich selbst sagte er, er sei "böse, besoffen, aber gescheit." "Sie wogen in der Hand und sie maßen mit dem Aug." Seinen ergreifenden Kurzroman "Das falsche Gewicht" schrieb er 1937 im Pariser Exil. Er spielt in der Gegend von Brody, dem Ort seiner Herkunft. Sein Protagonist heißt Anselm Eibenschütz, der Ort der Handlung Zlotogrod. Hier in diese vom Zentrum am weitesten entfernte Region des ehemaligen k. u. k.-Reichs, an der russischen Grenze, vollendet sich das Leben des Eichmeisters Eibenschütz. Seiner Frau Regina zuliebe hat er seinen Dienst bei der Armee quittiert. Aus dieser geregelten, von Befehlen und Ordern bemessenen Welt gerät er in eine Gesellschaft, in der Betrug, Gaunerei und Lüge Notwendigkeit und Folge einer zerbröckelnden Zeit darstellen. Der Not der kleinen Leute - Händler, arme Schlucker, Tagediebe, Deserteure und Halunken, die allesamt nicht wissen, wie und womit sie die kommenden Tage überleben - steht er gesetzesgemäß gnadenlos und hart gegenüber. Doch das Grenzgebiet ist eine düstere, eine "giftige Gegend", in der die Gesetze des Staates keine Gültigkeit mehr zu haben scheinen: "Denn die Leute in dieser Gegend betrachteten alle jene, welche die Forderungen an Recht, Gesetz, Gerechtigkeit und Staat unerbittlich vertraten, als geborene Feinde. Sie wogen in der Hand und sie maßen mit dem Aug. Es war keine günstige Gegend für einen staatlichen Eichmeister." Als er erfährt, dass seine Frau ihn betrügt und ein Kind von seinem Schreiber erwartet, ist auch die Ehe des Eichmeisters Eibenschütz zerstört. In Leibusch Jadlowkers Grenzschenke sieht Eibenschütz die schöne Zigeunerin Euphemia Nikitsch, deren Zauber ihn zur völligen Unterwerfung und willenlosen Hingabe an sie führt: "Als sie auf ihn zutrat, war es ihm, als erführe er zum ersten Mal, was ein Weib sei. Ihre tiefblauen Augen erinnerten ihn, der niemals das Meer gesehen hatte, an das Meer. (...) und ihr dunkelblaues, schwarzes Haar ließ ihn an südliche Nächte denken, die er niemals gesehen, von denen er vielleicht einmal gelesen oder gehört hatte." Er verfällt ihr und dem Alkohol. Das Aufeinanderprallen von Recht, Gesetz und Redlichkeit auf der einen Seite und dem von Not und Armut, aber auch von moralischer Indifferenz und Gewinnsucht geprägten Wesen der Zlotogroder Menschen auf der anderen Seite, lässt den Eichmeister Eibenschütz das "rechte" Maß, die "richtige Gewichtung" nicht finden. "Ach er war in einer gar schlimmen Lage, der Eichmeister Eibenschütz. Weh, sehr weh tat ihm sein eigenes Schicksal. Das Gesetz einzuhalten, war er entschlossen. Redlich war er, redlich und sein Herz war gütig und streng zugleich. Was sollte er machen mit der Güte und Strenge zugleich? Zu gleicher Zeit läutete in seinen Ohren das goldene Läuten der kleinen Ohrringe der Frau Euphemia." Es wird ihm unmöglich, sein Denken und Handeln nach Maßen einzurichten, und letztendlich wird er selbst zu einer zwielichtigen Gestalt, wie die Menschen, die ihn umgeben. Sein Untergang ist nicht aufzuhalten und klingt wie bei einer Schubertschen Sonate wehmütig-elegisch aus. Warmer, ruhig fließender Erzählton "Joseph Roth ist als Schriftsteller ein ausgesprochen visueller Typ. Er sieht vor allen anderen. Sein Auge wird schöpferisch. Ob es ein Mensch, ein Bergwerk, eine Zivilisation ist, zuerst gewahrt er das äußere Bild, die Form, das offen Sichtliche. Er sieht so lange und von soviel Seiten auf sein Objekt, bis er hineinsieht und es durchschaut.", schätzt Hermann Kesten sehr treffend den Autor Joseph Roth ein. Einfach und klar ist sein Stil, sehr anschaulich und detailliert seine Menschen- und Landschaftsbeschreibungen. Der Schriftsteller schafft es, einer leblosen Sache solchen Ausdruck zu verleihen, dass der Leser/Hörer Dinge mit diesem Gegenstand assoziiert: beobachtendes Denken könnte man es nennen. Auch Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki ist des Lobes voll: "Joseph Roth war ein barmherziger und unerbittlicher Erzähler zugleich: Er litt mit seinen Geschöpfen, er verurteilte sie nie. Aber er tauchte sie in das klare Licht, in dem alle Details deutlich werden." Die schwach dialektgefärbte, aber ungeheuer eindringliche Stimme des österreichischen Schauspielers Joseph Lorenz passt wunderbar zu Roths bildhafter Sprache. Sein warmer, ruhig fließender Erzählton, der geradezu prädestiniert für diesen tiefgründigen Roman ist, zieht den Hörer in seinen Bann und versetzt ihn in die Zeit der k. u. k.-Monarchie. Auch er trägt entscheidend dazu bei, dass man bei Roth Farben, Stimmen und Stimmungen psychisch, ja beinahe physisch erfahren kann. Das Buch wurde 1971 unter der Regie von Bernhard Wicki u. a. mit Helmut Qualtinger und Agnes Fink, verfilmt und erhielt 1972 das "Filmband in Gold" für Regie, Kameraführung, Nebenrolle und darstellerische Leistung. Fazit: Ein abgelegenes Grenzdorf Galiziens als Schauplatz einer Tragödie, die den Verfall der Donau-Monarchie in erschütternder Deutlichkeit anhand des tragischen Schicksals des Eichmeisters Eibenschütz zeigt, hervorragend intoniert von Joseph Lorenz. "Jede Seite, jede Zeile ist wie die Strophe eines Gedichts gehämmert mit dem genauesten Bewusstsein für Rhythmus und Melodik." (Stefan Zweig)
  13. Cover des Buches Todo esto te daré: Premio Planeta 2016 (Spanish Edition) (ISBN: 9786070738227)
  14. Cover des Buches Der Pojaz (ISBN: 9783849111779)
    Karl Emil Franzos

    Der Pojaz

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Ferrante
    Den Vergleich mit dem "Wilhelm Meister" braucht dieser wiederentdeckte deutschsprachige Bildungsroman aus dem 19. Jahrhundert nicht zu scheuen - seit langem berührte mich ein Roman, diesmal ein Schnäopchen von Jokers, wieder so richtig, besonders am tragischen Ende. Der Jude Sender wächst inmitten eines kleines Dorfes auf, das von einer fundamentalistischen jüdischen Sekte geprägt ist. Um seinen Wunsch zu erfüllen und Schauspieler zu werden, müsste er Deutsch lernen, was in den Begriffen der Sekte bereits eine Sünde ist. Heimlich strebt er sein Ziel an, verwickelt sich in eine Liebesgeschichte und muss immer wieder mit seiner Adoptivmutter kämpfen, die der leiblichen Mutter noch am Totenbett versprochen hat, dass Sender kein Schausteller wird, wie es der Vater war. Mehrere tragische Verkettungen lassen ihn am Schluss, nachdem er sogar bei einer fahrenden Schauspielertruppe hinter die Kulissen blicken konnte und gar Unschönes entdeckte, jung sterben, bevor er sein Ziel erreicht hat. Ein aufwühlender Roman, dessen Plädoyer für Toleranz besonders in Religionsfragen heute noch genauso aktuell ist wie damals. Ein sehr interessantes Nachwort rundet das Taschenbuch ab.
  15. Cover des Buches Galizische Geschichten (ISBN: 9783518456200)
  16. Cover des Buches Katerina (ISBN: 9783499255106)
    Aharon Appelfeld

    Katerina

     (9)
    Aktuelle Rezension von: Monsignore
    Wuchtige Sprachgewalt, die an die alte untergegangene galizische Schreibkunst erinnert, ich dachte oft an Joseph Roth. Und aus Galizien kommt der heute steinalte Autor, tief im Jüdischen verwurzelt.

    In einem ukrainischen Dorf findet die junge Katerina Arbeit bei Juden. Sie hat eine schwere Kindheit hinter sich und findet erstmals Anerkennung und Zuneigung, sogar Geborgenheit in der Familie. Von außen wird sie angefeindet, weil sie bei Juden lebt und arbeitet. Nach einem Pogrom ist sie wieder auf sich allein gestellt, findet ihre große Liebe, bekommt ein Kind und verliert erneut alles. Rache nimmt jetzt Platz in ihrem Herzen und ihr ohnehin von Katastrophen geprägtes Leben steuert auf ein letztes Desaster zu.

    Es ist mir ein Rätsel, warum Aharon Appelfeld nie im Gespräch für den Literaturnobelpreis ist.
  17. Cover des Buches Joseph Roth (ISBN: 9783462042511)
    Wilhelm von Sternburg

    Joseph Roth

     (3)
    Aktuelle Rezension von: Monsignore
    Joseph Roth war ein begnadeter Polemiker und weitherziger Moralist, sein Lebensweg verschlägt einem den Atem: Kindheit als jüdischer Außenseiter in Ostgalizien, Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg, Starjournalist in der Weimarer Republik, Literat mit Weltruhm. Mit nur 45 Jahren stirbt er als verlorener und verzweifelter Trinker im Pariser Exil. Seine großartigen Romane aus einer untergegangenen Zeit werden heute wieder viel gelesen, die Verfilmungen waren erfolgreich und momentan bringt der Diogenes Verlag hervorragende Hörbuchbearbeitungen auf den Markt. Heinrich Böll brachte es einst auf den Punkt: "In Roth hatte die deutsche Prosa einen schöpferischen Bewahrer, in dem Glanz und Härte, Melancholie und Leichtsinn sich noch einmal fingen." Besonders lesenswert ist die neue Joseph Roth-Biografie von Wilhelm von Sternburg. Schwungvoll und äußerst kenntnisreich wird zum 70. Todestag dieses ungewöhnliche Leben ausgebreitet - ein einzigartiges Zeitbild mit einem einzigartigen Menschen im Mittelpunkt.
  18. Cover des Buches Habsburg (ISBN: 9783406706530)
    Pieter M. Judson

    Habsburg

     (6)
    Aktuelle Rezension von: Andreas_Oberender

    Wenn ein Staat zerfällt und untergeht, dann ist die Versuchung groß, die Geschichte dieses Staates von seinem Ende her zu deuten. Noch größer ist die Versuchung, im Scheitern den Beweis dafür zu sehen, dass der betreffende Staat auf lange Sicht gar nicht überlebensfähig gewesen sei und "zwangsläufig" habe untergehen müssen. Kaum ein anderer Staat der europäischen Geschichte ist so sehr mit dem Stigma des "unausweichlichen" Scheiterns behaftet wie jenes Gebilde in Ostmitteleuropa, das wahlweise als Habsburgerreich, als Donaumonarchie oder – bezogen auf die Zeit von 1867 bis 1918 – als Österreich-Ungarn bezeichnet wird. Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte weithin Einigkeit: Die Habsburgermonarchie war untergegangen, weil sie als Vielvölkerreich im Zeitalter des Nationalstaats "historisch überholt" war, ein Anachronismus, ein Relikt aus vormodernen Zeiten. Die These vom "unvermeidlichen" Untergang des Habsburgerreiches war umso plausibler, als zeitgleich mit Österreich-Ungarn auch zwei andere Vielvölkerreiche zerfielen, das zarische Russland und das Osmanische Reich. Unerbittlich, so schien es, hatte die Geschichte ihr Urteil gefällt: Multiethnische Reiche besaßen keinen Platz mehr in der modernen Welt. Der Nationalstaat mit einer ethnisch möglichst homogenen Bevölkerung galt nach dem Ersten Weltkrieg endgültig als optimale, wenn nicht gar als einzig "zulässige" Staatsform für die Völker Europas.

    Der amerikanische Historiker Pieter Judson wendet sich mit seinem Buch gegen die langlebige Tradition, das Habsburgerreich zu pathologisieren und zum Inbegriff politisch-wirtschaftlicher Rückständigkeit zu stilisieren. Zwar endet auch Judsons Buch mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie im Herbst 1918, aber dieser Zerfall erscheint nicht als längst überfälliger Endpunkt eines jahrzehntelangen Siechtums. Als der Weltkrieg im Sommer 1914 ausbrach, steckte Österreich-Ungarn nicht in einer existenzgefährdenden Krise, wie Judson betont. Erst die Belastungen des Krieges erschütterten das Reich so sehr, dass es sich Ende 1918 binnen weniger Wochen auflöste. Nicht der Untergang der Monarchie steht bei Judson im Vordergrund, sondern die Frage, wie sich das multiethnische Reich der Habsburger im 18. und 19. Jahrhunderte entwickelte und warum es so lange erfolgreich "funktionierte". Drei große Themenkomplexe beherrschen das Buch: Die Entwicklung des Staates und seiner Institutionen (Verfassungsordnung, Verwaltung), das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft und schließlich die Nationalitätenproblematik. Judson spannt einen Bogen von den Reformen Maria Theresias Mitte des 18. Jahrhunderts bis hin zur Gründung der ostmitteleuropäischen Nachfolgestaaten, die aus dem Habsburgerreich hervorgingen. Judson begleitet den habsburgischen Länderkomplex auf seinem Weg vom absolutistisch regierten Fürstenstaat der Vormoderne zum modernen Verfassungsstaat des Industriezeitalters. Er zeichnet die Entwicklung von der Stände- und Untertanengesellschaft zur Klassen- und Bürgergesellschaft nach, und er analysiert, welche Wirkungen Nationalismus und Nationalbewegungen im Habsburgerreich entfalteten.

    Wer das Buch zur Hand nimmt, der sollte sich darüber im Klaren sein, dass es kein zum Schmökern gedachtes "Lesebuch" ist. Der weitgespannte chronologische Rahmen und Judsons Bemühen, allen Regionen und Völkern des Habsburgerreiches gleichermaßen gerecht zu werden, machen das Buch zu einer anspruchsvollen Lektüre. Neben Judsons eigenen Vorarbeiten ist auch die umfangreiche internationale Forschung zur Geschichte des Habsburgerreiches in die Darstellung eingeflossen. Das Buch ist eher analysierend als erzählend angelegt. Informationen zur Ereignisgeschichte sind auf ein Minimum beschränkt. Einen anekdotenreichen und kurzweiligen Spaziergang durch anderthalb Jahrhunderte habsburgischer Geschichte darf der Leser nicht erwarten. Judson stellt das Reich bzw. Imperium in den Mittelpunkt der Darstellung. Der habsburgische Länderkomplex war von alters her eine sogenannte Kompositmonarchie, ein Konglomerat von Territorien, das bis Mitte des 18. Jahrhundert allein von der Dynastie zusammengehalten wurde. Maria Theresia und ihr Sohn, Joseph II., nahmen das große Werk der bürokratischen Zentralisierung und Vereinheitlichung in Angriff, das mehrere Generationen von Herrschern, Ministern und Beamten beschäftigen sollte. Verwaltung, Justiz und Bildungswesen dienten als Instrumente für eine stärkere Integration des Vielvölkerreiches. Wie Judson immer wieder hervorhebt, strebten die Habsburger nie danach, die Nationalitäten der Monarchie zu einem sprachlich und kulturell homogenen Volk zu verschmelzen. Sie begnügten sich mit der administrativen Vereinheitlichung ihrer Länder, während das Recht der einzelnen Völker auf Pflege ihrer Sprachen und Kulturen unangetastet blieb. Ein unparteiischer Verwaltungsapparat, Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz (Allgemeines Gesetzbuch von 1811) sowie das Bekenntnis zur "Einheit in Vielfalt" waren die Grundlagen, auf denen das Reich bis zuletzt ruhte.

    Erschütterungen wie die napoleonischen Kriege und die Revolution von 1848 überstand das Habsburgerreich unbeschadet. Judson verweist immer wieder auf die Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit des Reiches, auf die Flexibilität und Reformbereitschaft der einzelnen Herrscher und ihrer Regierungen. Die Suche nach konstruktiven Lösungen für neue Probleme und Herausforderungen hörte niemals auf, mochte die Komplexität der Verhältnisse im Vielvölkerreich auch bisweilen entmutigend wirken. Selbst die Ära Metternich war keine Zeit bleierner Stagnation wie traditionell behauptet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lösten das Parlament, tatkräftige Kommunalverwaltungen und zivilgesellschaftliche Kräfte die Krone als Impulsgeber für die Weiterentwicklung und Modernisierung der Monarchie ab. Viele Leser dürfte es überraschen, dass Judson die Bedeutung des Nationalismus eher gering einschätzt. Aus Judsons Sicht war es nicht die Nationalitätenproblematik, die dem Reich zum Verhängnis wurde. Die Frage, wer die Träger des Nationalismus waren und welche Wirkung der Nationalismus im politischen Tagesgeschäft und im Alltagsleben entfaltete, nimmt in der zweiten Hälfte des Buches breiten Raum ein. Die Beziehungen zwischen dem tonangebenden "Staatsvolk" der Deutschösterreicher auf der einen und den Ungarn sowie Slawen auf der andere Seite waren nicht spannungsfrei. Während der langen, scheinbar endlosen Herrschaft Kaiser Franz Josephs kam es jedoch nie zu Konflikten, die das Reich hätten sprengen können. Im Gegenteil: Wie Judson an vielen Beispielen zeigt, wurde das Imperium im ausgehenden 19. Jahrhundert über ethnische und nationale Trennlinien hinweg nicht etwa als Völkergefängnis wahrgenommen, sondern als "Beschützer" der in seinen Grenzen lebenden Völker. Peripheren Regionen wie Galizien und Bosnien-Herzegowina bot die Zugehörigkeit zur Donaumonarchie die Chance auf Teilhabe an der europäischen Moderne. Der übernationale Habsburgerstaat galt als Garant für Frieden und Stabilität, zivilisatorischen Fortschritt und wirtschaftliche Prosperität. Als er Ende 1918 die Ansprüche und Erwartungen der Nationalitäten nicht mehr erfüllen konnte, brach er zusammen. Die Loyalität der vielen Volksgruppen gegenüber dem Reich, lange Zeit der wichtigste Aktivposten der Habsburger, hatte sich in den vier zermürbenden Kriegsjahren verbraucht.

    Pieter Judson stellt viele liebgewonnene Vorurteile und Klischees über die Habsburgermonarchie in Frage. Er hebt die positiven Leistungen und Errungenschaften des Reiches hervor, die Fähigkeit zur Integration vieler Völker, Kulturen und Religionen. Gleichzeitig schließt sich Judson einem Forschungstrend an, der die Brisanz des Nationalismus in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg geringer einschätzt, als es lange Zeit der Fall war. Auch in Österreich-Ungarn war der Nationalismus im Wesentlichen eine Herzensangelegenheit von Berufspolitikern und Intellektuellen. Große Teile der Bevölkerung, vor allem die Bauern, waren für nationale Leidenschaften unempfänglich. So wichtig es auch ist, die vermeintlich zentrale, alles beherrschende Stellung des Nationalismus im Europa des 19. Jahrhunderts zu hinterfragen, so drängt sich doch bisweilen der Eindruck auf, dass Judson mit seiner Verharmlosung des Nationalismus zu weit geht. Es ist irritierend, dass Judson die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und den Balkanstaaten am Vorabend des Ersten Weltkrieges gänzlich ausblendet. Ausgehend von ihren neugegründeten Nationalstaaten strebten die Serben und Rumänen nach der "Befreiung" ihrer auf habsburgischem Boden lebenden Landsleute. Damit stellten sie die territoriale Integrität des Habsburgerreiches in Frage. Judson konzentriert sich zu sehr auf die Binnenverhältnisse in der Donaumonarchie. Es hätte nicht geschadet, wenn er das Reich stärker in europäischen Zusammenhängen verortet hätte. Der interne Nationalismus mag für das Reich weniger bedrohlich gewesen sein, als lange angenommen; der externe Nationalismus der Balkanstaaten jedoch war im Juli 1914 der Grund für den Entschluss der Wiener Regierung zum Krieg. Österreich-Ungarn war eine "bedrängte Großmacht" (Konrad Canis). Dieser äußeren Bedrängnis und ihrer destabilisierenden Wirkung auf die inneren Verhältnisse der Monarchie trägt Judson nicht genug Rechnung.

    Das Buch bewegt sich auf einem relativ hohen Reflexionsniveau. Es eignet sich nicht als Gelegenheitslektüre und auch nicht für eine erste Annäherung an die Geschichte des Habsburgerreiches im 18. und 19. Jahrhundert. Fast einhundert Jahre sind seit dem Zerfall des Habsburgerreiches vergangen. Pieter Judson bietet mit seinem Buch einen Anstoß für die wohlwollende Neubetrachtung eines Vielvölkerstaates, der Ostmitteleuropa über Jahrhunderte geformt und geprägt hat. 

    (Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im April 2017 bei Amazon gepostet)

  19. Cover des Buches Joseph Roths Flucht und Ende (ISBN: 9783462040005)
  20. Cover des Buches Woher du kommst (ISBN: 9783990011034)
    Martin Moll

    Woher du kommst

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Alice-33

    Die Tagebuchaufzeichnungen eines kleinen jüdischen galizischen Ausreißers und seiner ebenfalls aus Galizien stammenden späteren Ehefrau: 1. Weltkrieg; Flucht aus Galizien; Kriegswirren ; Ende der Monarchie; Zwischenkriegszeit in Wien und erneute Flucht: diesmal nach Panama und den USA. 
    Ein Geschichtsbuch, das keines ist und doch vieles verständlich macht.
    Authentisch, unmittelbar, informativ, bewegend.
  21. Cover des Buches Fahrendes Volk (ISBN: 9783868582635)
  22. Cover des Buches Auf Reisen (ISBN: 9783104001791)
    Stefan Zweig

    Auf Reisen

     (5)
    Aktuelle Rezension von: Joroka

    Ich bin durchaus kritisch an dieses Buch herangetreten. Was bringt es, über 100 Jahre bis ca. 70 Jahre alte Reiseberichte zu lesen, selbst wenn sie ein Stefan Zweig geschrieben hat? Nach anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten in den Schreibstil von Zweig erschloss sich mir aber zunehmend der Schatz, der dieses Buch zu bieten hat. Es ist ein Blick in eine vergangene Zeit, vielleicht zu Städten/Plätzen, die man selber bereits besucht hat, die aber in der alten Beschreibung vertraut fremd wirken. Ein kleine Zeitreise, mit Liebe zum Detail und mancher poetischer Anwandlung.

    Stefan Zweig reiste gerne. Er nimmt uns mit nach Belgien (Brügge, Lüttich, Löwen, Antwerpen),

    Frankreich (Provence), England (London, Oxford), Indien, Kanada, USA, Italien, Galizien, Österreich (Salzburg, Wien), Schweiz und Russland.

    Schön ist auch die Entwicklung seines Stiles von den Anfängen 1902 bis zum letzten Reisebericht in den späten 30igern zu verfolgen. Die letzte Geschichte 'Das Wien von Gestern' im Jahre 1940 ist der letzte Eintrag und kein Reisebericht im engeren Sinn mehr sondern ein Rückblick in eine schon damals verlorene Welt. Stefan Zweig begab sich Anfang 1942 freiwillig auf seine letzte Reise ohne Wiederkehr.

    Ich habe das Buch größtenteils auf Reisen gelesen. Wie passend.

  23. Cover des Buches Kaiser von Amerika (ISBN: 9783423142656)
    Martin Pollack

    Kaiser von Amerika

     (3)
    Aktuelle Rezension von: WinfriedStanzick
    Zu allen Zeiten der bekannten Geschichte haben sich große Massen von Menschen auf den Weg gemacht, ihren bisherigen Wohnort, ihr altes Land verlassen und oft unter großen Gefahren für Leib und Leben, das Herz voller Hoffnung auf ein besseres Leben, nach einem neuen Land gesucht, eines, von dem sie sich Arbeit und Nahrung und vor allem so etwas wie Zukunft versprachen. In diesen Tagen melden die Nachrichtensender, dass eine Einsatztruppe der EU die griechischen Behörden dabei unterstützt, Flüchtlinge aus aller Herren Länder, die über die türkisch- griechische Grenze in das neue Gelobte Land EU einreisen wollen, abzufangen und zurückzuschicken. Über Jahre vorher waren es die italienischen Inseln vor Sizilien, wie Lampedusa, die im Focus der öffentlichen Wahrnehmung standen, weil Flüchtlinge vor allem aus Afrika, mit ihren Booten dort anlandeten. Jedenfalls die, die nicht vorher im Mittelmeer ertrunken waren, und deren Zahl bis heute niemand kennt. Das vorliegende Buch des Österreichers Martin Pollack erzählt von einer solchen Massenbewegung und dokumentiert sie in Wort und Bild. Um das Jahr 1900 wurden Hunderttausende von Menschen, in ihrer großen Zahl Juden aus Galizien nach Amerika gelockt, dem Gelobten Land, wo jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. „Vor der Kulisse der Häuser ragte eine riesenhafte Frauengestalt aus dem Wasser, mit einen Strahlenkranz um dien Kopf und einer Fackel in der zum Himmel gestreckten Hand. Das sei die heilige Mutter Gottes, sie heiße die geliebten Polen mit einen einladenden Lächeln willkommen.“ Es war vor allem dieses Bild, was zunächst langsam, dann zu einem regelrechten Strom anschwellend, Hunderttausende von Menschen aus dem Armenhaus der Habsburgermonarchie, aus Galizien, nach Amerika lockte. Alle suchten sie ein besseres Leben und glaubten fest daran, der „Kaiser von Amerika“ werde sie dort mit offenen Armen empfangen und willkommen heißen. Und so wie heute die Flüchtlingsbewegungen nach Europa ein lukratives Geschäft sind für allerlei mafiose Netzwerke, so verdienten auch damals viele Agenten, Beamte, Gendarmen, amerikanische Unternehmen und die großen Schifffahrtslinien ein Vermögen mit diesen armen Menschen. Martin Pollack zeichnet diese Geschichte eindrücklich nach in einem Buch, bei dem sich fast auf jeder Seite die Parellelen zur Gegenwart aufdrängen – die Geschichte von den ewigen Verlierern und den ewigen Gewinnern. Und die Geschichte von der nicht auszurottenden Sehnsucht nach einem besseren Leben.
  24. Cover des Buches 1900-1918 (ISBN: 9783471793503)
    Martin Gilbert

    1900-1918

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Jens65
    In Band I ( 1900-1918 ) und Band II (1919-1933 ) zur Geschichte des 20. Jahrhunderts beschreibt Professor Martin Gilbert jedes Jahr nach politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Kriterien geordnet. Dabei wird Geschichte fesselnd erzählt wie ein Roman. Historische Genauigkeit langweilt hier nicht, sondern stellt die Dinge in einen faszinierenden Gesamtkontext.

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