Bücher mit dem Tag "historische fiktion"
22 Bücher
- Philip K. Dick
Das Orakel vom Berge
(136)Aktuelle Rezension von: Boris_GoroffDeutschland und Japan haben den Krieg gewonnen und Die Vereinigten Staaten unter sich aufgeteilt. Im faschistischen Amerika kursiert im Untergrund ein Buch, wie die Welt aussähe wenn die Alliierten denn Krieg gewonnen hätten...
Erschreckend und faszinierend zugleich, toll geschrieben.
- William Ritter
Jackaby
(10)Aktuelle Rezension von: WortmagieNach der anstrengenden Lektüre von „Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch“ von Aslı Erdoğan hatte ich das dringende Bedürfnis nach einem leichten Buch. „Jackaby“, der Auftakt der gleichnamigen Reihe „Jackaby“, bot sich an, weil das Monatsmotto „Facebook“ lautete und wir demzufolge Bücher mit einem Gesicht auf dem Cover lesen sollten. Eine übernatürliche Detektivgeschichte klang genau richtig, besonders, da der Autor William Ritter ein Experte auf dem Gebiet der Folklore ist. Auf seiner Website findet sich sogar ein informatives Bestiarium, das regelmäßig erweitert wird. Ich freute mich auf die Lektüre und die Chance, ein wenig abzuschalten.
„Starren Sie nicht den Frosch an“ – diese letzte Zeile einer dubiosen Ausschreibung für eine Assistenzstelle in einer Detektei lässt Abigail Rook zwar durchaus stutzen, doch sie kann es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Schließlich fallen Anstellungen 1892 in New Fiddleham, New England, für junge, mittellose Frauen nicht vom Himmel. Ihr Vorstellungsgespräch verläuft allerdings völlig anders als erwartet. Nicht nur ist ihr neuer Arbeitgeber, ein gewisser R.F. Jackaby, ein skurriler Exzentriker, der ihr beiläufig erklärt, dass Aberglaube, Sagengestalten und Magie erschreckend real sind, er führt sie auch ohne Umschweife zu einem grausigen Tatort. Ein Mann wurde brutal ermordet und nahezu ausgeblutet. Während die Polizei einen menschlichen Mörder jagt, ist Jackaby überzeugt, dass es sich bei dem Täter um ein übernatürliches Wesen handeln muss. Abigail und Jackaby müssen das Rätsel schnell lösen, denn eines ist sicher: es wird nicht bei einem Opfer bleiben.
Ich schätze, ich bin nicht das richtige Publikum für „Jackaby“. Grundsätzlich ist das ja nichts Neues und kommt schon mal vor, doch dieses Mal liegt es nicht daran, dass ich zu alt wäre oder keinen Draht zum Autor William Ritter aufbauen konnte. Nein, in diesem Fall hat es mit dem Stil der Geschichte zu tun. Fans der „Sherlock Holmes“-Romane von Sir Arthur Conan Doyle begeistert dieses Buch sicherlich. Leider bin ich kein Fan des berühmten Detektivs. Seit Jahren drücke ich mich davor, die Romane zu lesen, weil ich mich nicht für Krimis erwärmen kann. „Jackaby“ ähnelt „Sherlock Holmes“ zu sehr, als dass ich Spaß mit der Lektüre gehabt hätte. Dadurch fielen sämtliche Mängel schwerer ins Gewicht. Ich sah mich unfähig, diese zu verzeihen und konnte die Geschichte nicht genießen. Ich fand den Reihenauftakt langweilig, flach und dialoglastig. William Ritter ergeht sich in Nebensächlichkeiten und ließ mich die Geschichte lediglich skizzenhaft visualisieren. Ich vermisste Atmosphäre und hatte den Eindruck, dass dieser erste Band eher dazu diente, die Ausgangssituation der Reihe vorzustellen, als einen nervenaufreibenden Kriminalfall zu fokussieren. Vermutlich tappte ich deshalb während der Ermittlungen im Dunklen. Der Fall erschloss sich mir überhaupt nicht; meiner Meinung nach findet kaum Detektivarbeit statt. Das Protagonisten-Paar stolpert über kryptische Hinweise, die Jackaby offenbar mit der Identität des Mörders in Verbindung bringen kann, aber selten erklärt. William Ritter schließt seine Leser_innen zugunsten des Mysteriums aus und schreibt es Jackabys Skurrilität zu, dass er seine Schlussfolgerungen für sich behält. Für mich ist das ungenügende Schriftstellerei. Ritter überspielt auf diese Weise seine Unfähigkeit, seinen Mordfall durch die geschickte Platzierung von Indizien spannend zu gestalten. Er verzichtet einfach auf alle Informationen und bläst das Geheimnis um den Täter künstlich auf, indem er andeutet, normale Menschen könnten die Beweise nicht korrekt interpretieren. Dadurch hatte ich keine Chance, aktiv mitzurätseln und musste dem unzuverlässigen, sprunghaften Hauptcharakter vertrauen. Ich kann mir vorstellen, dass Jackabys Exzentrik bei vielen Leser_innen gut ankommt, doch ich sehe ihn als einen stereotypischen seltsamen Kauz, dessen Figur über keinerlei Originalität verfügt. Er ist eine Blaupause, zu austauschbar, um lebendig und einzigartig zu wirken. Der Witz des Buches fußt ausschließlich auf seinem merkwürdigen Verhalten, was mir maximal ein müdes Schmunzeln entlockte. Seinem klischeebeladenen chaotischen Genie steht die gänzlich durchschnittliche Ich-Erzählerin Abigail gegenüber, die eindeutig einen Gegenpol der Normalität darstellen soll. An ihr sollen sich die Leser_innen orientieren, sie setzt Jackabys Benehmen ins Verhältnis und sorgt für den Zugang zu seiner Verschrobenheit. Mir war sie egal. Sie ist nicht unsympathisch, aber unglücklicherweise so sehr das wehrlose Fräulein in Nöten, dass ich keinen Grund sah, mich um eine emotionale Bindung zu bemühen. Vielleicht soll sie ins Frauenbild des 19. Jahrhunderts passen, doch für mich resultierte diese Charakterisierung darin, dass ich sie ebenso ersetzbar fand wie Jackaby. Selten ist mir ein faderes Ermittlerduo begegnet – kein Wunder, dass mich die einfallslose Lösung ihres Falls dann auch nicht mehr interessierte.
Ich weiß, dass ich mit meiner Meinung über William Ritters Reihenauftakt „Jackaby“ (fast) allein auf weiter Flur stehe. Die meisten Leser_innen liebten das Buch und sie liebten den Protagonisten Jackaby. Das freut mich für sie, ehrlich. Falls ihr euch schon immer gewünscht habt, Sherlock Holmes bei der Auflösung übernatürlicher Rätsel zu begleiten, könnte dieser Wunsch mit der Reihe „Jackaby“ erfüllt werden, obwohl ich sie nicht weiterlesen werde. Ich denke, ich hätte damals, als ich das Buch entdeckte, scharf nachdenken sollen, ob eine Detektivgeschichte in Holmes-Manier tatsächlich das Richtige für mich ist, paranormale Elemente hin oder her. Ich verkannte den starken Krimicharakter. Jackaby hätte es für mich rausreißen können, aber leider ist er zu Mainstream, um mich zu überzeugen. Hätte ihm William Ritter nur ein bisschen mehr individuelle Skurrilität gestattet, hätte es funktionieren können. Schade.
- Alice Hoffman
The Museum of Extraordinary Things
(4)Aktuelle Rezension von: Wortmagie„The Museum of Extraordinary Things” war eine recht ungewöhnliche Wahl, um die Erfolgsautorin Alice Hoffman kennenzulernen. Diesem Roman von 2014 fehlt das Element, das ihre Arbeit normalerweise auszeichnet – die Magie. Hoffman ist eine sehr aktive Vertreterin des Genres des magischen Realismus, die seit den frühen 1970er Jahren über 30 Bücher veröffentlichte. In „The Museum of Extraordinary Things“ verzichtet sie jedoch auf ihr Markenzeichen, weil eine Geschichte, die in New York und Coney Island um die Jahrhundertwende herum spielt, ihrer Meinung nach keinen zusätzlichen Zauber braucht.
Coralie Sardie sieht Eddie Cohan zum ersten Mal in einer kühlen Märznacht 1911 am Ufer des mächtigen Hudson. Aus den Schatten heraus beobachtet sie den jungen Mann und spürt sofort eine Verbindung zu ihm, wagt aber nicht, sich ihm zu nähern. Ihr Vater, der das Museum der Außergewöhnlichen Dinge auf Coney Island betreibt, erklärte ihr, dass lebende Wunder wie sie von einfachen Menschen niemals verstanden werden können. Obwohl Coralie fast erwachsen ist, fällt es ihr schwer, seine Gebote zu brechen. Betrachtet sie ihre Hände, kann sie nicht ignorieren, dass sie anders ist. Sie flieht ungesehen und ahnt nicht, dass die Wege des Schicksals manchmal magisch und seltsam sind. Denn Eddie, der als Fotograf in New York arbeitet, hat eine Gabe: er findet diejenigen, die als verloren gelten. Als ein Freund seines Vaters ihn bittet, seine vermisste Tochter zu suchen, weiß Eddie, dass der Fall alte Wunden aufreißen wird. Heimgesucht von quälenden Erinnerungen folgt er den Hinweisen nach Coney Island – und zu Coralie. Ineinander erkennen sie alles, was sie sich je erträumten. Doch in einer sich wandelnden Welt haben Liebe und Freiheit ihren Preis …
Oh man. Hätte ich geahnt, dass „The Museum of Extraordinary Things” für mich zu einem Schreckgespenst mutieren würde, hätte ich beim Lesen besser aufgepasst. Natürlich habe ich während der Lektüre keineswegs ein mentales Nickerchen eingelegt, doch im Nachhinein stellte ich fest, dass die Geschichte, die Alice Hoffman erzählt, unheimlich schwierig zu beschreiben ist, weil sie sich thematisch nicht festnageln lässt. In diesem Buch geht um vieles. Man könnte zahlreiche Deutungsansätze und Motive hineinlesen, verschiedene Genre-Maßstäbe anlegen und würde dennoch nicht das gesamte Spektrum abdecken. Hoffman behandelt alle Aspekte gleichwertig, sodass ich mich scheue, zu definieren, welche denn nun im Vordergrund stehen und die Frage nach einem thematischen Kern kaum zu beantworten ist. Hinzu kommt, dass sie mit ihrem sanften Schreibstil eine zarte, sepiagetönte Atmosphäre entstehen lässt, die mich einlullte und mich vergessen ließ, wie dicht sie Motive ineinander webt, weshalb mir gar nicht auffiel, dass ich ein bis obenhin vollgestopftes Buch vor Augen hatte. Das merkte ich erst, als ich gezwungen war, eine Inhaltsangabe zu verfassen. Ich halte das für ein deutliches Zeichen ihrer schriftstellerischen Finesse. Da ich euch aber nicht gänzlich unwissend aus dieser Rezension entlassen möchte, werde ich meine vagen Mutmaßungen und Überlegungen zu „The Museum of Extraordinary Things“ trotzdem mit euch teilen. Ich glaube, dass Hoffman in diesem Buch primär das Thema Veränderung fokussiert, das sie durch die individuellen, fiktiven Schicksale ihrer Hauptfiguren Coralie und Eddie und reale historische Ereignisse zum Ausdruck bringt. Sie rahmt die Geschichte mit zwei verheerenden Bränden ein, das Feuer in der New Yorker Triangle Shirtwaist Factory am 25. März 1911, in dem 146 Arbeiter_innen den Tod fanden und den Dreamland Brand am 27. Mai 1911, durch den der letzte originale Vergnügungspark auf Coney Island komplett zerstört wurde. Feuer wird seit jeher mit Veränderung, Reinigung und Neuanfang assoziiert, daher halte ich es nicht für einen Zufall, dass Hoffman diese gut dokumentierten Katastrophen nutzt, um „The Museum of Extraordinary Things“ im damaligen Zeitgeist zu verankern. Der gesellschaftliche und politische Umbruch, den die Brände symbolisieren, hat selbstverständlich Auswirkungen auf Coralie und Eddie, doch für sie findet Wandel auch auf einer ganz persönlichen Ebene statt. Vaterfiguren spielen dabei eine Rolle, ebenso wie die Suche nach Identität, Liebe und Freiheit. Eddie, der als jüdischer Einwanderer nach New York kam, hadert heftig mit seiner Vergangenheit; Coralie hingegen muss entscheiden, ob sie ihre Zukunft als Attraktion in einem Kuriositätenkabinett verbringen möchte. Der Fall der verschwundenen jungen Frau führt die beiden subtil zusammen, ohne die Tragik ihres Schicksals zu verharmlosen und erinnert diskret daran, dass Eddie und Coralie am Rande der Gesellschaft nicht allein sind. Vielleicht kann man sogar resümieren, dass „The Museum of Extraordinary Things“ nicht nur Wandel allgemein thematisiert – sondern den Wandel, den die Ausgestoßenen der Gesellschaft 1911 dringend brauchten.
„The Museum of Extraordinary Things“ ist ein Roman, der mich ein bisschen ratlos zurücklässt. Ich weiß nicht so richtig, was ich mit all den komplexen Themen, die Alice Hoffman darin anspricht, anfangen soll oder wo ich anfangen soll. Ich fand die Lektüre schwer zu verarbeiten und konnte nicht herausfinden, welches Gesamtbild die Autorin anstrebte. Ich begreife noch immer nicht, wie sich die Puzzleteile, die zweifellos formvollendet und einfühlsam beschrieben sind, zusammenfügen sollen. Möglicherweise soll sich auch gar kein rundes Gesamtbild ergeben – schließlich kümmert sich das Leben nicht um Kohärenz und eventuell wollte Hoffman genau diesem wilden, grausamen, wunderschönen Chaos Tribut zollen. Ich kann es wirklich nicht sagen. Verzeiht, falls diese Rezension ein wenig wirr und nicht so aussagekräftig ist, wie ihr es sonst von mir gewohnt seid. Hin und wieder begegnet mir ein Buch, das mir mehr auftischt, als ich verdauen kann – „The Museum of Extraordinary Things“ ist so ein Buch.
- Taylor Jenkins Reid
Daisy Jones & The Six
(326)Aktuelle Rezension von: Buecherwuermchen_1990Daisy Jones möchte unbedingt bemerkt werden und deshalb auf der Bühne stehen und ihre eigenen Songs schreiben. Als sie zum ersten Mal mit The Six auf der Bühne steht, ist das Publikum wie elektrisiert. Nicht nur auf der Bühne spürt man eine Anziehungskeaft zwischen Billy Dunne, dem Leadsänger, und Daisy Jones auch hinter der Bühne knistert es zwischen den Beiden.
Die Art die Geschichte zu erzählen ist aussergewöhnlich und spannend. Durch den speziellen Aufbau, wird die Geschichte aus diversen Blickwinkeln betrachtet, was mir persönlich sehr gefällt, da die Wahrnehmungen sehr verschieden sind.
Zu Beginn war es für mich etwas schwer in die Geschichte hineinzufinden und der Drogen- und Alkoholkonsum sehr exzessiv, aber mit dem Verlauf fühlte es sich authentisch an.
Die Chemie der Charaktere ist spannend und die Entwicklung im Verlauf der Geschichte greifbar.
Daisy mochte ich nicht so sehr, sie wird etwas zu tragisch dargestellt.
Billy fand ich sehr authentisch, vorallem durch die Beschreibungen der Anderen ist sein Verhalten begreiflich.
Alles in allem ist es eine authentische Geschichte, mit einem spannendem und aussergewöhnlichem Aufbau.
- Natasha Pulley
Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit
(142)Aktuelle Rezension von: SunnySueNatasha Pulley hat mit "Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit" einen historischen Zeitreiseroman geschrieben, der es geschafft hat mich insgesamt ganz gut zu unterhalten.
(Übersetzt aus dem Englischen von Jochen Schwarzer.)
Auf der kleinen schottischen Insel Eilean Mòr steht ein geheimnisvoller Leuchtturm. Je nachdem von wo man einen Blick darauf wirft, sieht er entweder wie eine alte Ruine aus oder wie neu gebaut.
Joe ist verwirrt, er kann sich weder an sein Leben noch an seine angebliche Frau Alice erinnern, geschweige denn daran Leibeigener zu sein. Nur an seinen Namen kann er sich erinnern. Und so fügt er sich seinem Schicksal. Als ihn eines Tages eine fast 100 Jahre alte Postkarte mit der Nachricht:
"Lieber Joe,
komm nach Hause, wenn du dich erinnerst.
M."
erreicht, auf dem der Leuchtturm von Eilean Mòr abgebildet ist, macht er sich auf den Weg und übertritt vor Ort eine Zeitenschwelle. Plötzlich findet er sich auf dem einem Schiff der englischen Marine mitten im Krieg zwischen England und Frankreich um 1805 wieder.
Wie anfangs schon erwähnt, hat mich Pulleys Roman insgesamt gut unterhalten, wenn auch nicht komplett überzeugt. Was an verschiedenen Punkten lag. Einerseits haben mich die Zeitsprünge manchmal etwas verwirrt und andererseits wurde es im mittleren Teil etwas seeehr langatmig - wenn auch historisch interessant. Was mich zusätzlich etwas gestört hat, ist der Umstand, dass die Menschen es in der Story einfach so hingenommen haben, dass da jemand aus der Zukunft kam. Kein wirkliches Innehalten, keine Skepsis, nichts. Da würde man sich doch eigentlich wundern und irritiert sein und das nicht einfach akzeptieren. Das war in meinen Augen schon ein wenig unlogisch. Doch sonst konnte mich die Storyline an sich wirklich packen, wollte ich doch unbedingt wissen, ob Joe sich wieder an alles erinnern kann und natürlich auch, was es überhaupt mit seiner Geschichte auf sich hat. Das Ende fand ich dann auch wieder rund und so entließ mich Pulley zufrieden aus ihrer Geschichte. - Kiersten White
And I Darken
(29)Aktuelle Rezension von: Moni2506Bei „And I Darken“ handelt es sich um alternative Geschichte, einem Subgenre der Science-Fiction. Gemeinsam mit Lada und Radu Dracul erleben wir deren Kindheits- und Jugendtage in der Walachei bzw. in ottomanischer Gefangenschaft.
Walachei/Ottomanisches Reich, 15. Jahrhundert: Lada ist keine gewöhnliche Prinzessin. Sie ist brutal, kämpferisch, rücksichtslos und nimmt sich das, was ihr ihrer Meinung nach zusteht. Ihr Bruder Radu ist das genaue Gegenteil. Er ist schön, ängstlich und unauffällig, wenn es sein muss. Nachdem ihr Vater Vlad II. beide Kinder in der Obhut der Ottomanen gelassen hat, sind die Geschwister auf sich alleine gestellt. Sie müssen sich in einem Spiel behaupten, in dem sie nur kleine Figuren am Rande sind. Während Lada ihre Rache für die Zeit plant, in der sie wieder zurück in der Walachei ist, fügt sich Radu immer mehr ein und betrachtet das ottomanische Reich schon bald als seine Heimat. Als beide Mehmed, den Sohn des Sultans, kennenlernen, bildet sich ein Trio mit Personen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Dieses Buch habe ich Ende 2019 gekauft. Der Klappentext klang spannend. Vlad, der Pfähler wird in diesem Buch zu einem Mädchen mit dem Namen Lada. Ich war gespannt, ob ich dieses Buch losgelöst von der echten Historie genießen kann, aber auch, was ich aus der echten Historie wieder erkennen werde, denn ich habe schon den ein oder anderen historischen Roman über Vlad Dracul gelesen.
Der Schreibstil Kiersten Whites lässt sich gut lesen. Ich war vom ersten Satz an in der Geschichte drin. Es ist eine sehr charakterbezogene Geschichte, bei der man weniger Beschreibungen der Landschaft, sondern mehr Beschreibungen der Emotionen von Lada und Radu erhält. Den englischen Wortschatz habe ich zwar nicht als sehr leicht empfunden, allerdings auch nicht als besonders schwierig. Ein geübter Leser fremdsprachiger Lektüre sollte hier gut zurecht kommen.
Die Spannung in diesem Roman ist von Anfang an hoch. Man wird so intensiv in die Geschichte von Lada und Radu hineingezogen. Ich habe gerne die Kindheit der beiden in der Walachei verfolgt, war dabei, wie sie von ihrem Vater in einem fremden Land bei fremden Menschen zurückgelassen werden, wie sie sich mit dieser Situation arrangiert haben, jeder auf eine ganz eigene Weise, wie sie sich mit dem Sohn des Sultans angefreundet haben und das komplexe Geflecht, das daraus entsteht. Insbesondere der Kontrast zwischen Lada und Radu hat mich fasziniert.
Diese Geschichte ist eine sehr charakterbezogene Geschichte. Wenn man mit Lada und Radu nicht mitfühlen kann, dann wird einem dieses Buch glaube ich eher weniger gefallen. Ich hatte damit keinerlei Probleme. Ich habe die Sichtweisen beider Personen sehr gemocht. Ich habe mich mit beiden gefreut, wenn etwas Tolles passiert, habe das Adrenalin gespürt, wenn Gefahr droht, habe Mehmed durch die Augen von beiden betrachtet, habe ihren Schmerz gefühlt, ihre Traurigkeit und was dieses Buch noch alles an Emotionen zu bieten hatte. Die Beziehung der beiden zu Mehmed ist ein zentraler Punkt dieser Geschichte.
Lada ist dabei diejenige, die so manches Mal mit ihrer Brutalität und ihrer Rücksichtslosigkeit schockt. Es wurde in meinen Augen, aber auch gut dargestellt, warum sie die Dinge so macht, wie sie sie macht. Sie hat einen enormen Besitzanspruch. Etwas, das in ihren Augen, ihr gehört, darf ihr von niemanden weggenommen werden und das betrifft auch Menschen. Zuerst meint man, dass Lada eigentlich keine Gefühle hat, aber da täuscht man sich. Sie möchte gerne, dass nichts und niemand ihr etwas anhaben kann, wenige Menschen haben es dennoch geschafft, sich in ihr Herz zu schleichen. Sie ist allerdings auch bereit dazu harte Entscheidungen zu treffen, die unter Umständen auch die verletzten, die ihr wichtig sind.
Radu ist das komplette Gegenteil. Er ist weich, zeigt Gefühle, nimmt sich Dinge zu Herzen und ist so verzweifelt auf der Suche nach Liebe und Anerkennung, dass man das körperlich zu spüren glaubt. Ich wollte Radu so oft in den Arm nehmen und habe mir sehr gewünscht, dass er sein Glück findet. Im Verlauf der Geschichte lernt auch er seine Talente zu nutzen. Seine Methoden sind weitaus subtiler als die von Lada, doch auch seine Bemühungen sind von Erfolg gekrönt. Er lernt sich unsichtbar zu machen, wenn es sein muss und kann Allianzen schmieden, wenn dies vonnöten ist.
Bei den historischen Ereignissen hat sich die Autorin auf jeden Fall sehr viele Freiheiten genommen. Es wurden Daten verschoben, die Protagonisten wurden alterstechnisch angenähert, Vlad Dracul wurde zu Lada Dracul, etc. Man erkennt dennoch einiges aus der Historie wieder. Der Weg zur Macht von Mehmed II wurde im Grunde vom Ablauf her korrekt dargestellt und auch seine Motive wurden in diesen Roman mit eingebracht. Andererseits ist die Zeit, in der der Roman spielt, gerade was Lada und Radu betrifft, sehr gut gewählt. Über die Kindheit und die Gefangenschaft der beiden Geschwister ist so gut wie nichts bekannt, so dass man hier viel Raum hatte und seine eigene Geschichte erzählen konnte.
Der Roman verfügt über einiges an Zusatzmaterial. So finden wir zu Beginn Stammbäume und eine Karte und am Ende ein Glossar mit wichtigen Begriffen sowie ein kurzes Nachwort mit weiterführenden Lesetipps für die eigene Recherche.
Was ich noch kurz erwähnen möchte: Mit der Altersempfehlung ab 12 tue ich mich ein wenig schwer. Für mich hatte dieses Buch nichts von einem Jugendbuch. Ich würde es tatsächlich erst ab 16 empfehlen. Es wird zwar nicht extrem ins Detail gegangen, dennoch sind hier Sachen wie z.B. das Pfählen enthalten oder eben auch Brudermord, um den Thron zu sichern und wenn sich Teil zwei und drei dieser Reihe in gewissen Punkten an die Geschichte halten, dann verspricht es noch brutaler zu werden.
Fazit: Defintiv ein Highlight-Buch in diesem Jahr. Ich war von Beginn an drin, es war spannend bis zur letzten Seite und ich mochte die komplexe Dreiecksbeziehung zwischen Lada, Radu und Mehmed. Empfehlenswert für alle, die dazu in der Lage sind, sich von der echten Historie zu lösen und sich auf eine alternative Geschichte rund um das ottomanische Reich und die Walachei im 15. Jahrhundert einlassen können.
- Jessie Burton
Die Magie der kleinen Dinge
(151)Aktuelle Rezension von: ChaKlappentext:
Die junge Nella wird mit dem Amsterdamer Handelsmann Johannes Brandt verheiratet. Als sie sein herrschaftliches Haus an der Herengracht zum ersten Mal betritt, schlägt ihr kalte Abneigung von Seiten ihrer neuen Familie entgegen. Nur ihr Hochzeitsgeschenk spendet ihr Trost: ein Puppenhaus, das eine exakte Nachbildung ihres neuen Zuhauses ist. Doch bald werden Nella mysteriöse kleine Nachbildungen ihrer neuen Familienmitglieder geschickt – und Hinweise auf das, was diese verbergen. Nella beginnt zu ahnen, dass sich hinter der perfekten Fassade der Brandts tiefe Abgründe verbergen – sowie dunkle Geheimnisse, die sie alle in ihren Sog ziehen werden …
Meinung:
Von diesem Buch hatte ich mir eine gemütliche, mysteriöse Geschichte erwartet, die spannend und auch ein wenig magisch ist.
Das war jedoch überhaupt nicht, was ich bekommen habe. Das Puppenhaus, auf dem für mich laut Klappentext die Geschichte aufbaut, wurde kaum erwähnt und hatte nicht wirklich Teil an der Handlung. Dafür ging es umso mehr um irgendwelche Enthüllungen und Geheimnisse, die irgendwie sehr mittelalterlich behandelt und zu sehr aufgebauscht wurden und mir hat einfach der Umgang mit den angesprochenen Themen überhaupt nicht gefallen.
Vor allem gegen Ende wurde immer mehr aus dem Hut gezaubert und möglichst viel Drama, das mochte ich nicht.
- Jennifer Saint
Elektra, die hell Leuchtende
(128)Aktuelle Rezension von: Nicky_FoxleyIn diesem Buch wird die Geschichte des Krieges um Troja und der Ereignisse danach aus der Sicht dreier Frauen (neu) erzählt: Klytaimnestra, Ehefrau von Agamemnon und Schwester von Helena, Elektra, ihre letztgeborene Tochter, und Kassandra, Prinzessin von Troja und Prophetin, der niemand glaubt.
Ich hatte mich auf dieses Buch gefreut, nachdem ich Saints "Ariadne" gelesen und es mir sehr gut gefallen hat. Leider hat es mich ein wenig enttäuscht.
Vielleicht liegt es daran, dass die Geschichte der Frauen, die in den Trojanischen Krieg verwickelt waren, schon oft erzählt wurde und es schwer ist, etwas Neues zu bieten. Ich habe schon viele davon gelesen, und vielleicht hat sich die Ermüdung an dieser speziellen Geschichte der griechischen Mythologie eingestellt.
Andererseits sind die Figuren ziemlich unsympathisch. Schwächen machen Charaktere interessant, aber Klytaimnestras Besessenheit von ihrer toten Tochter Iphigenie ist schwer zu ertragen. Ebenso wie die unwiderrufliche, wenn auch berechtigte Verachtung und der Hass, den Elektra für ihre Mutter empfindet. Die einzigen sympathischen Figuren, die ich finden konnte, waren die arme Kassandra und Orestes, der nicht einmal zu Wort kam.Neu in Saint's Nacherzählung war die Freundschaft zwischen Elektra und dem Bauernjungen Georgios. Leider trug diese auch nicht dazu bei, sie sympathischer erscheinen zu lassen.
Wenn man noch nicht viele Troja-Nacherzählungen gelesen hast, ist das Buch vielleicht eine gute Lektüre. Wenn man die Geschichten von Haynes, Tóboín oder Miller bereits gelesen hat, trägt diese Geschichte leider nicht so viel zum Gesamtbild bei.
🗡️ Empfohlen für:
- Fans von griechischen Sagen und Mythologie im Allgemeinen
- Liebhaber von Nacherzählungen aus weiblicher Sicht
- diejenigen, die noch nicht allzu viele Nacherzählungen des Krieges um Troja gelesen haben
- Henning Mankell
Die flüsternden Seelen
(39)Aktuelle Rezension von: WortmagieIm Jahre 1972 erfüllte sich der schwedische Autor Henning Mankell einen Kindheitstraum: Er reiste nach Afrika. Diese Reise war der Beginn einer tiefen Liebe zu dem Kontinent, in dem Mankell seine spirituelle Heimat fand. Bis zu seinem Tod 2015 lebte er immer wieder zeitweise in Afrika. Er verbrachte Monate oder sogar Jahre am Stück in Mosambik, setzte sich für die Unabhängigkeit ehemaliger afrikanischer Kolonien ein und baute in der Hauptstadt Maputo eine professionelle Theatergruppe auf.
Selbstverständlich fand diese Verbundenheit auch Eingang in sein literarisches Schaffen. Bereits sein zweiter Roman „Der Sandmaler“ von 1974 zählt zu seinen Afrika-Werken. Über 20 Jahre später veröffentlichte er 1998 „Die flüsternden Seelen“. In der zusammenhängenden Kurzgeschichtensammlung thematisiert er vor allem Begegnungen zwischen Afrikaner_innen und Europäer_innen sowie die Folgen des Kolonialismus. Ich entschied mich für die Lektüre, weil ich hoffte, mit diesem Buch einen Zugang zu dem in meiner Familie sehr beliebten Henning Mankell zu finden, ohne auf seine populären Krimis um Kurt Wallander angewiesen zu sein.
Ein Feuer, irgendwo in der ostafrikanischen Dunkelheit. Das Feuer gehörte einem alten Mann, der Fremden seine Augen anbot und die Hände ausstreckte, um zu geben. Der Mann hieß Felisberto. In dieser Nacht, wie auch in vielen anderen Nächten, erzählte er von seiner Familie. In seine Worte stahl sich das Flüstern des Kontinents. Er berichtete von Samima, die 312 Jahre alt wurde und deren Mal für ihre Nachfahr_innen Glück oder eine Warnung verheißen kann. Sie wacht über sie alle. In dieser Nacht erzählte Felisberto viele Geschichten. Doch jede dieser Geschichten ist letztlich Teil des unendlichen Abenteuers, das uns alle verbindet und das seinen Anfang vielleicht – nur vielleicht – in Afrika nahm: Des Lebens.
Ich konnte mit „Die flüsternden Seelen“ von Henning Mankell weniger anfangen, als ich erwartet hatte. Natürlich sind die fließenden, ineinander verwobenen Kurzgeschichten zauberhaft geschrieben, magisch aufgeladen und vermitteln ihre tiefere Bedeutung mit einer faszinierenden Simplizität. Das Bild, das Mankell von Afrika zeichnet, ist wunderschön und verführerisch. Doch die Botschaft, die er mit nahezu aggressiver Poetik zu vermitteln versucht, eröffnete mir keinen bahnrechenden Erkenntniszuwachs.
Auf mich wirkte sein Ansatz durchschaubar und etwas ausgelutscht, denn alles, was er mir sagen wollte, wusste ich schon: Der Kolonialismus in Afrika war ein Unrecht, das die Seele des Kontinents schwer verwundete und noch immer nachwirkt. Als moderner, sensibilisierter und aufgeklärter Mensch ist es schier unmöglich, Henning Mankell diesbezüglich nicht zuzustimmen. Trotzdem fehlte mir in „Die flüsternden Seelen“ die Differenzierung, das Fingerspitzengefühl für die Darstellung kolonialer und postkolonialer Zustände aus europäischer Perspektive.
Ungeachtet seiner Liebe für Afrika war Henning Mankell Schwede. Kulturell war er Europäer. Seine Wahrnehmung, sein Blick waren europäisch geprägt. Es gelang ihm nicht, sein Porträt von Afrika frei von diesen Einflüssen zu gestalten. Deshalb ertrinkt jede Seite von „Die flüsternden Seelen“ in Idealismus, Romantisierung und Eindimensionalität. Seiner Ansicht nach waren Afrikaner_innen grundsätzlich die besseren Menschen, Punkt.
„Die flüsternden Seelen“ zeigt weder ein Bewusstsein für negative postkoloniale Entwicklungen noch erkennt es die positiven Fortschritte an, die afrikanische Völker in den vergangenen Jahrzehnten hart erkämpften. In seinem Bestreben, europäische Schuld und Verantwortung zu betonen, viktimisierte Mankell den gesamten Kontinent. Die starre Zuschreibung der Opferrolle verneint die Fähigkeit zu Emanzipation und Resilienz. Damit schürte er ungewollt Vorurteile und reproduzierte Narrative, die eher schaden als nutzen.
Mich störte vor allem, dass „Die flüsternden Seelen“ immer auf ganz Afrika bezogen ist. Henning Mankell benannte in den Geschichten keine Völker, keine Nationen, keine Kulturen. Ich fand das schwierig, weil Europäer_innen ohnehin dazu neigen, zu ignorieren, wie vielschichtig und divers der Kontinent ist. Selbst wenn er andeuten wollte, dass willkürlich gesetzte Grenzen irrelevant sind, schien es, als werfe er alle Afrikaner_innen in einen einzigen großen Topf und übergehe kulturelle Identitäten einfach. Ich empfand das als respektlos – sicher genau das Gegenteil dessen, was er erreichen wollte.
Letztendlich ist „Die flüsternden Seelen“ demnach kein authentisches Buch über afrikanische Kulturen und Lebensweisen. Es ist die authentische Perspektive eines weißen Europäers auf afrikanische Kulturen und Lebensweisen. Meiner Meinung nach handelt es nicht davon, was Afrika objektiv in der Realität ist, sondern nur davon, was Henning Mankell subjektiv in Afrika sah und fand. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass er diese Kurzgeschichtensammlung hauptsächlich für sich selbst schrieb.
Sein Anliegen bestand nicht darin, seinen Leser_innen beizubringen, wie Afrika tickt. Er wollte ihnen zeigen, was Afrika ihm persönlich bedeutete, warum er den Kontinent liebte. Obwohl ich das verstehe und spüren konnte, wie erfüllend er diese Verbindung empfand, bewegte er sich damit meines Erachtens auf einem sehr schmalen Grat, den er nicht stolperfrei meisterte. Er hat viel für Afrika und für Mosambik getan. „Die flüsternden Seelen“ gehört meiner Einschätzung nach jedoch nicht dazu.
Die Kurzgeschichten mögen hübsch und poetisch sein, Liebe und Sehnsucht ausdrücken, doch sie sagen mehr über ihn aus als über Afrika. Möchtet ihr Henning Mankell verstehen, einen Einblick in seine Seele erhalten, könnt ihr es gern mit „Die flüsternden Seelen“ versuchen. Verlangt es euch hingegen nach einem Einblick in die Seele Afrikas, seid ihr mit Büchern von afrikanischen Autor_innen wahrscheinlich besser beraten.
- Snorri Kristjansson
Swords of Good Men
(1)Aktuelle Rezension von: WortmagieIch habe eine etwas schwierige Vorgeschichte mit Wikinger-Romanen. Als ich 2015 begann, mich in diesem Subgenre herumzutreiben, hoffte ich, endlich meine Tür zur historischen Fiktion zu finden. Leider waren diese Experimente nicht von Erfolg gekrönt. Deshalb beschloss ich, mich für einen letzten Versuch in die Hände eines echten Nordmannes zu begeben: Snorri Kristjánsson, ein in Island geborener Schriftsteller, der einige Jahre in Norwegen lebte, bevor er mit seiner Frau nach Schottland zog. Sein Debütroman „Swords of Good Men“ sollte es besiegeln – entweder, er würde mich für die Wikinger gewinnen oder verlieren.
Nach zwei Jahren auf Reisen mit seinem Cousin Geiri Alfgeirsson zieht es Ulfar Thormodsson zurück nach Schweden. Noch eine letzte Station müssen sie absolvieren, bevor sie heimkehren: die westnorwegische Hafenstadt Stenvik, deren Fürst Sigurd Aegisson dem norwegischen König Olav Tryggvason die Treue schwor. König Olav ist ein fanatischer Anhänger des Weißen Christengottes und entschlossen, sein Reich bis zum letzten Mann zu missionieren, notfalls mit dem Schwert. Seine Armee nähert sich Stenvik von Osten; er plant, den Hafen einzunehmen, um seinen Feldzug fortzuführen. Von ihrem Lehnsherrn haben die Männer und Frauen nichts zu befürchten – wohl aber von dem Bund legendärer Krieger, der schwor, die alten Götter und Gebräuche zu bewahren. Angeführt von einer mysteriösen Frau mit rätselhaften Kräften segeln sie mit über 60 Schiffen nach Stenvik, um die Stadt zu erobern und Olavs Armee aufzulauern. Plötzlich finden sich Ulfar, Geiri und ganz Stenvik in einer brutalen Belagerung wieder und müssen ausharren, bis König Olavs Truppen eintreffen. Doch Zwietracht und Verrat schwächen die Reihen der Verteidiger, bis nicht mehr eindeutig ist, ob der Feind vor den Mauern steht – oder dahinter.
Okay, das war’s. Ich werde zukünftig nicht mehr gezielt nach Wikinger-Literatur suchen. Wie kommt es, dass dieses grundsätzlich spannende Thema offenbar ausschließlich von Schriftsteller_innen behandelt wird, denen das Talent fehlt, um ihre Geschichten mitreißend, logisch und überzeugend zu erzählen? Gut, ich habe lediglich drei Wikinger-Romane gelesen und gebe zu, dass meine Stichprobe entsprechend klein ist, aber ich war von allen dreien enttäuscht, auch von „Swords of Good Men“. Das Buch hat durchaus Potential, das Snorri Kristjánsson jedoch nicht zur Entfaltung bringen konnte, was wirklich schade ist, weil er sich eine faszinierende Epoche aussuchte, in der die Königreiche des Nordens einen Wandel durchlebten. Der Auftakt der „Valhalla Saga“ spielt 996 nach Christus und fällt damit genau in die Zeit der Christianisierung Norwegens. Der religiöse Konflikt, der als Initiator der Geschichte fungiert, ist folglich plausibel, authentisch und zum Teil sogar historisch belegt, denn Olav Tryggvason war damals tatsächlich König von Norwegen, dessen christliche Missionierung als ausgesprochen grausam und unnachgiebig galt. Es ist vorstellbar, dass er auf Widerstand in der Bevölkerung stieß, obwohl ich keine Hinweise darauf finden konnte, dass es den Kriegerbund, den Snorri Kristjánsson beschreibt, jemals gab. Das Problem mit der Darstellung dieses Konflikts in „Swords of Good Men“ besteht für mich darin, dass dieser gar nicht stattfindet. Der Kriegerbund, der den alten Glauben verteidigt, greift das (scheinbar) fiktive Stenvik an, nicht Olavs Armee. Stenvik ist König Olav längst nicht treu ergeben, die Einwohner_innen verehren heimlich noch immer das Götterpantheon um Odin. Fürst Sigurd unterwarf sich Olav lediglich, um seine Stadt zu schützen. Das heißt, wir erleben in diesem Buch nicht den Zusammenprall zweier Glaubenssysteme, sondern eine Art Stellvertreterkrieg, der meiner Meinung nach unlogisch ist, weil die Eskalation hätte vermieden werden können. Der Kriegerbund wird von einer Frau namens Skuld angeführt, die über paranormale Fähigkeiten verfügt. Unter anderem kann sie Menschen magisch manipulieren. Warum ist es dann nötig, Stenvik gewaltsam zu erobern? Wieso stachelt sie die Stadt nicht gegen den Lehnsherrn auf, der sowieso unbeliebt ist? Für mich ergab die Handlung daher von Vorneherein keinen Sinn und Kristjánssons unstrukturierte, erratische Erzählweise verschloss mir darüber hinaus den Zugang. Die Lektüre stresste mich, weil die Geschichte unter viel zu vielen unmotivierten Perspektiv- und Ortswechseln leidet. Diese Sprunghaftigkeit hinderte mich daran, Bindungen zu den zahlreichen Figuren aufzubauen; alles ging so schnell und ist so oberflächlich gestaltet, dass ich sogar Schwierigkeiten hatte, sie auseinanderzuhalten. Ihre Schicksale berührten mich nicht, was dazu führte, dass mich auch die blutigen Schlachtszenen kalt ließen, denn ich kann nicht mit Figuren fühlen, die mir fremd sind. Ebenso unbeeindruckt war ich vom Ende des Trilogieauftakts, das mir nicht überzeugend erschien und meinen Entschluss festigte, die „Valhalla Saga“ abzubrechen.
Es besteht ein Unterschied zwischen einer temporeichen und einer unruhigen Geschichte. Leider scheint Snorri Kristjánsson dieser Unterschied nicht bewusst gewesen zu sein, als er „Swords of Good Men“ schrieb. Er glaubte offenbar, dass viele Wechsel im Setting und der Perspektive Voraussetzung für eine rasante Handlung sind. Sind sie nicht. Ich denke, hätte er sich auf wenige Perspektivcharaktere beschränkt, statt im Minutentakt ruckhaft von einer Figur zur nächsten zu springen, hätte ich die Mängel bezüglich der Logik verschmerzen können. Unlogisch, aber unterhaltsam kann ich aushalten – unlogisch und unzugänglich hingegen nicht.
Das Experiment „Wikinger-Romane“ ist gescheitert. Ich bedauere, dass es Snorri Kristjánsson nicht gelang, das Ruder herumzureißen und mich für dieses Subgenre zu gewinnen. Ich will nicht ausschließen, dass ich noch mal ein entsprechendes Buch lesen werde, aber meine zielgerichtete Recherche ist hiermit beendet. - Petra Hucke
Die Architektin von New York
(60)Aktuelle Rezension von: engineerwifeHeutzutage denken die wenigsten Menschen darüber nach, was es für die Konstrukteure bedeutet haben muss, wenn wir mir wieder über eine gigantische Fluss- oder Talbrücke fahren. Doch Emily und ihr Mann Washington machen sich sehr wohl darüber Gedanken, nachdem sie mit im Winter im Jahr 1865 mit einer Fähre über den East River im Eis stecken bleiben und kaum mit dem Leben davonkommen. Wie schön wäre es doch, den breiten Fluss bequem über eine Brücke überqueren zu können. Wash, der aus einer Brückenbauer Familie kommt, fängt an Pläne zu schmieden und die intelligente und überaus interessierte Emily ist bald genauso Feuer und Flamme, nicht wissend, dass ihr ihr angeeignetes Wissen bald mehr als gut tun wird, wenn sie sich in der Männerwelt behaupten muss …
„Die Architektin von New York“ gehört in eine Reihe von Büchern über starke Frauen, die mir eigentlich außerordentlich gut gefällt. Einige der Bände hatte ich schon gelesen und freute mich so auch riesig auf Emily und ihre Geschichte. Leider muss ich sagen, dass mich diese erstaunlicherweise wenig berührt hat. Die Charaktere blieben blass und konnten mich nicht wirklich erreichen. Interessante Abzweigungen verliefen oft im Leeren, so dass mich das Buch alles in allem etwas unbefriedigt zurückließ. Lediglich die tollen Details zum Brückenbau an sich waren spannend, so dass ich mir die großen Herausforderungen oft bildhaft vorstellen konnte und nicht nur mit dem Konstrukteur, sondern auch mit den Arbeitern litt, die unter fast unmenschlichen Bedingungen Tag für Tag ihr Leben aufs Spiel setzten. Ich vergebe für diesen Roman drei von fünf möglichen Sternen verbunden mit leider nur einer eingeschränkten Leseempfehlung. Dennoch empfehle ich, sich die Autorin zu merken, denn mit ihrem Buch „Vom Gehen und Bleiben“, das außerhalb dieser „Starke Frauen“ Reihe erschien, hat sie in meinen Augen einen Volltreffer gelandet. Dafür gab es von mir die volle Punktzahl!
- Jean-François Parot
Commissaire Le Floch und der Brunnen der Toten
(22)Aktuelle Rezension von: WortmagieJean-François Parot war ein weitgereister Mann. 1946 in Paris geboren, schloss er sein Studium als anerkannter Experte des 18. Jahrhunderts ab, absolvierte seinen Militärdienst und wurde dann Diplomat. Die Liste der Stationen seiner Karriere ist lang; als er 1999 begann, die historische Krimi-Reihe „Nicolas Le Floch“ zu schreiben, arbeitete er im bulgarischen Sofia. An den Wochenenden hatte er viel Freizeit, also setzte er sich eines Tages hin, zückte seinen neuen Stift, ein Weihnachtsgeschenk seiner Mutter und seines Sohnes, und dachte sich das erste Abenteuer seines Ermittlers aus. Seitdem sind über 20 Jahre vergangen und 13 Bände erschienen, die Blessing ins Deutsche übersetzt. Den zweiten Band „Commissaire Le Floch und der Brunnen der Toten“ erhielt ich vom Bloggerportal als Rezensionsexemplar.
Am Abend des 27. Oktober 1761 wird der Sohn des Grafen de Ruissec tot im Stadtpalais der Familie aufgefunden. Das Bild, das sich Commissaire Nicolas Le Floch am Tatort bietet, wirkt eindeutig: das Zimmer des jungen Vicomtes war von innen verschlossen, unweit seiner Leiche liegt eine Kavalleriepistole und auf dem Schreibtisch entdeckt Nicolas einen Abschiedsbrief. Alles deutet auf Selbstmord hin. Doch einige Details wecken Nicolas‘ Misstrauen. Als sich die Gräfin de Ruissec heimlich an ihn wendet und um ein geheimes Treffen bittet, ahnt der Commissaire, dass sie mehr über die Umstände des Todes ihres Sohnes wissen könnte. Unglücklicherweise erleidet sie einen schrecklichen Unfall, bevor das Treffen stattfinden kann. Nicolas ist alarmiert. Er glaubt nicht an einen Zufall und fürchtet, dass die Gräfin zum Schweigen gebracht werden sollte. Unerschrocken nimmt er die Ermittlungen auf, die ihn bis an den Hof von Versailles führen…
Mit einem Fakt muss ich mich im weiteren Verlauf der Reihe „Nicolas Le Floch“ wohl abfinden: ohne die Führung des Protagonisten bin ich hoffnungslos verloren. Der Kriminalfall, den „Der Brunnen der Toten“ schildert, ist höllisch verzwickt und kompliziert. Ich hatte keine Chance, ihn selbst zu lösen oder auch nur ansatzweise korrekte Vermutungen über die Hintergründe aufzustellen. Ich behaupte, das ist nicht möglich, verfügt man nicht über denselben Wissensschatz wie der Autor Jean-François Parot. Parot war Historiker und Anthropologe, sein Fachgebiet war das Paris des 18. Jahrhunderts. Nur diese spezielle Expertise befähigte ihn, einen Kriminalfall für Kommissar Le Floch zu konstruieren, der die heiklen, unübersichtlichen Dynamiken am französischen Hof unter Louis XV. einbezieht. Es ist vorstellbar, dass sich im Umfeld des Königs zahlreiche Verschwörungen und unerwartete Allianzen formierten, aber ohne Nicolas, der den Leser_innen stets weit voraus ist und geheimniskrämerisch viele Verdächtigungen und Schlussfolgerungen für sich behält, hätte ich die Schuldigen niemals enttarnen können. Selbst mit seiner Hilfe und der Auflösung am Ende von „Der Brunnen der Toten“, die ich tatsächlich mehrfach lesen musste, um sie zu verstehen, war ich völlig aufgeschmissen. Ich frage mich nun, ob diese bewusst lancierte Unkalkulierbarkeit des Falles ein Grund zur Kritik ist. Hätte Parot die Ermittlungen seines Protagonisten nicht verdaulicher gestalten können und müssen? Aus der Perspektive eines normalen Krimis lautet die Antwort Ja. Nun handelt es sich bei den Bänden der Reihe jedoch nicht um normale Krimis. Es handelt sich um historische Krimis. Parot schildert nicht nur eine Mordermittlung, er proträtiert auch das 18. Jahrhundert. Ich bin überzeugt, seine Geschichten zielen primär darauf ab, seinen Leser_innen etwas beizubringen, sein Wissen über und seine Faszination mit dieser Epoche zu teilen. Das gelang ihm hervorragend. Deshalb gefiel mir „Der Brunnen der Toten“ sogar besser als „Das Geheimnis der Weißmäntel“, obwohl ich lernen musste, meine andauernde Ahnungslosigkeit zu akzeptieren. Ich kam viel tiefer in die Geschichte hinein, war sehr schnell durch und genoss die Lektüre, vielleicht gerade weil ich mich in Nicolas‘ fähige Hände begeben musste. Auch hatte ich weniger Schwierigkeiten mit seiner latenten Profillosigkeit, weil ich mittlerweile vermute, dass diese seiner Rolle als Kommissar geschuldet ist. Er transportiert den Fall, nicht mehr und nicht weniger, sein Privatleben ist weitgehend irrelevant. Daher benötigt er keine minutiös ausgearbeitete Charakterisierung; seine Funktion besteht darin, eine Ermittlung zu organisieren, die wiederum die gesellschaftlichen Umstände der Zeit wiederspiegelt. Für den zweiten Band griff Parot die bereits im Volk schwärende Unzufriedenheit mit dem starren Ständesystem auf, was ich äußerst interessant fand. Er zeigt zahllose Kleinigkeiten, deren Summe 28 Jahre später zur Französischen Revolution führt. Soweit ich weiß, wird Nicolas die Unruhen der Revolution auch miterleben – eine spannende Zukunftsperspektive für die Reihe und ein Grund mehr, sie weiterhin zu begleiten.
Es überrascht mich immer noch, wie gut mir Jean-François Parots historische Krimis gefallen. Seine Beschreibungen der Pariser Gegenwart im 18. Jahrhundert sind vorzüglich; kleine, authentische und häufig kulinarische Details hauchen seinen fiktiven, fesselnden Kriminalfällen rund um reelle Persönlichkeiten Leben ein und lassen eine aufregende Epoche des politisch-gesellschaftlichen Umbruchs in Europa auferstehen. Seine Leidenschaft für sein Fachgebiet ist spürbar, denn er erging sich nicht in drögen akademischen Betrachtungen, sondern nutzte seine Begeisterung, um sein Wissen ganz nah zu seinen Leser_innen zu bringen. Diese Kombination knackt sogar meine Schale aus Skepsis hinsichtlich zwei Genres, die es normalerweise schwer haben, mich abzuholen. „Der Brunnen der Toten“ war eine mitreißende Lektüre und ich freue mich auf weitere Abenteuer mit Nicolas Le Floch – trotz der Erkenntnis, dass ich ohne ihn keinen einzigen Fall lösen könnte.
Vielen Dank an den Verlag Blessing und das Bloggerportal von Random House für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!
- Jean-François Parot
Commissaire Le Floch und das Geheimnis der Weißmäntel
(69)Aktuelle Rezension von: MarcLehmannSchönes Buch, obwohl gemordet wird. Interessante Entwicklung der Protagonisten. Alles harmonisch eingebettet in die Geschichte zur Zeit kurz vor der Revolution. Sehr hilfreich war das Glossar sowohl der eingeführten Personen, wie auch deren geschichtliche Bedeutung. Aber auch wem das egal ist, trotzdem lesenswert!
- Amy Stewart
Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück
(22)Aktuelle Rezension von: ArcherConstance Kopp will weder nähen noch als Anhängsel eines Mannes ihren Lebensunterhalt fristen. Sie möchte ein weiblicher Polizist werden - nicht ganz einfach in New Jersey des Jahres 1915, denn Cop kann nur jemand werden, der wahlberechtigt ist, was Frauen nicht sind. Dennoch macht sie sich unersetzlich bei Sheriff Heath, zumindest bis zu dem Moment, als sie einen Sträfling fliehen lässt. Und das Gesetz sagt eindeutig, dass der Sheriff, in dessen Obhut ein Sträfling entkommt, selbst ins Gefängnis geht. Jetzt hat Constance alle Hände voll zu tun, nicht nur ihren Fehler wieder gutzumachen, sondern auch den Sheriff vor dem Knast zu bewahren und en passant einen Mord aufzuklären.
Das ist schon eine interessante Lektüre gewesen, die uns zum Anfang des 20. Jahrhunderts mitgenommen hat. Wobei sich beim Frauenbashing ja auch hundert Jahre später nicht viel geändert hat. Das Ganze hätte sogar ein herausragendes Buch werden können, wenn es ein bisschen spannender geraten wäre. So hatte es ein paar Längen, gerade zwischendrin, auf die ich gut hätte verzichten können. Auch fand ich einige Handlungen von Constance nicht immer nachvollziehbar, gerade in den entsprechenden Situationen. Alles in allem hat es mich jedoch gut unterhalten können. 3,5/5 Punkten.
- Sarah Pinborough
Mayhem
(4)Aktuelle Rezension von: WortmagieJack the Ripper ist wohl der berühmteste Serienmörder aller Zeiten. Über 130 Jahre nach seinen Verbrechen ist die Faszination für ihn ungebrochen und überstrahlt die Tatsache, dass die fünf ihm zugeschriebenen Prostituierten-Morde in London-Whitechapel 1888 nicht die einzigen Taten waren, die die Stadt in Angst und Schrecken versetzten. Zwischen 1887 und 1889 spülte die Themse in verschiedenen Stadtteilen die zerstückelten Körperteile von vier Frauen an. Diese Fälle wurden als „Thames Torso Murders“ bekannt. Trotz Parallelen zu den Ripper-Morden war der Polizei aufgrund des abweichenden Modus Operandi klar, dass sie es wahrscheinlich mit einem zweiten, zeitgleich agierenden Mörder zu tun hatten. Zur Ermittlungseinheit gehörte in beiden Fallserien der Chirurg Dr. Thomas Bond, der als einer der ersten Profiler der Kriminalgeschichte gilt. Dennoch wurden die Themse-Torso-Morde nie aufgeklärt – der ideale Ausgangspunkt für Sarah Pinboroughs historischen Mystery-Krimi „Mayhem“.
1888 treibt ein Mörder sein Unwesen in London. Seine Opfer sind die Schwachen, die Verlorenen, diejenigen, die niemand vermisst. Man nennt ihn Jack the Ripper. Dr. Thomas Bond ist mit der grausigen Aufgabe betraut, die Leichen zu obduzieren. Was er auf seinem Untersuchungstisch sieht, raubt ihm den Schlaf und treibt ihn in die verrufenen Gefilde der Opiumhöhlen. Doch als in der Themse weitere Leichen gefunden werden, zerstückelt und verstümmelt, ergreift ihn ein Entsetzen, das nicht einmal der süße Qualm zu lindern vermag. Ein zweiter Mörder ist am Werk. Während die Polizei nach dem Ripper fahndet, versucht Dr. Bond, das Rätsel um die zweite Mordserie zu lösen. Seine Ermittlungen führen ihn zu einem Priester, der behauptet, der Täter sei kein Mensch, sondern eine uralte Kreatur des puren Bösen. Sagt er die Wahrheit? Jagt Dr. Bond keinen Mann – jagt er ein Monster?
Als ich „Mayhem“ von Sarah Pinborough kaufte und (deutlich) später aus dem Regal zog, reizte mich vor allem die Idee der Geschichte. Die Aussicht, dass sich die Autorin auf die „Thames Torso Murders“ konzentrierte, die neben den wesentlich berühmteren Ripper-Morden wie ein beinahe vergessenes Kapitel der Londoner Historie wirken, machte mich ganz kribbelig. Ich war äußerst neugierig, denn ich wusste zuvor nicht einmal, dass es 1888 eine parallele Mordserie in der englischen Hauptstadt gab. Ich war nur allzu bereit, mich zu gruseln und erschrecken zu lassen. Anfangs schien die Lektüre vielversprechend; ich suhlte mich in der greifbaren Atmosphäre von Hysterie und Angst, die Pinborough aufbaute. Meine Schwierigkeiten begonnen, als ich den Protagonisten Dr. Thomas Bond näher kennenlernte. Ich hoffe inständig, dass der reale Dr. Bond nicht ansatzweise so unsympathisch war wie sein literarisches Abbild. Ich fand ihn unerträglich. Pinborough schildert den Großteil von „Mayhem“ aus seiner Ich-Perspektive, weshalb ich live beobachten konnte, wie ich-zentriert und empathielos der Mann ist. In seinen Gedanken gibt es ausschließlich ein zentrales Wort: „Ich“. Er ist mit abscheulichen Morden an unschuldigen Frauen und später mit der Frage konfrontiert, ob London von einem übernatürlichen Monster heimgesucht wird, aber das beschäftigt ihn nur hinsichtlich seiner Schlaflosigkeit, seines Rufes und seines persönlichen Risikos. All diese Sorgen kann ich nachvollziehen – es brachte mich jedoch auf die Palme, dass sie das einzige sind, was ihm durch den Kopf geht und er sich von ihnen lähmen lässt. Er ist ein Egoist und ein Feigling, der gleichgültig ignoriert, dass sein Verhalten Menschenleben in Gefahr bringt. Nebenbei rutscht er immer tiefer in die Abwärtsspirale einer Suchterkrankung, was ich ebenfalls ziemlich abstoßend fand, weil sich darin seine grundlegende Charakterschwäche manifestiert. Nun muss ich einen Protagonisten allerdings nicht mögen, um von einer Geschichte angetan zu sein. Leider ging diese Rechnung bei „Mayhem“ nicht auf. Im Laufe der Handlung verengt sich der Fokus zunehmend auf Dr. Bond, bis Atmosphäre, Spannungsbogen und Kontextwissen völlig auf der Strecke bleiben. Das Buch ist in drei Teile gegliedert; bereits im zweiten erfuhr ich, wer oder was für die Morde verantwortlich ist. Dadurch war ich den Figuren weit voraus und wartete nur darauf, dass sie es auch schnallen, um herauszufinden, wie sie anschließend auf diese Erkenntnis reagieren. Diese Struktur hätte funktioniert, hätte ich mit ihnen gefühlt – habe ich aber nicht und selbst wenn ich die Barrieren zwischen uns hätte überwinden können, hätte mich der finale Showdown trotzdem enttäuscht. Diesen kann ich lediglich als Totalausfall bezeichnen, der maximal eine Übergangslösung anbietet, zu der sich unsere selbsternannten Helden dann auch noch beglückwünschen. So gern Sarah Pinborough mich vom Gegenteil überzeugen wollte, „Mayhem“ endet zutiefst unbefriedigend.
Ich glaubte ehrlich, dass ich „Mayhem“ von Sarah Pinborough mögen würde. Daher ist es umso frustrierender, dass mir kaum etwas an diesem Buch gefiel. Der Protagonist war mir in jeglicher Hinsicht unangenehm, die Handlungsstruktur führte zu einem abrupten Spannungsabfall und letztendlich fand ich selbst den übernatürlichen Dreh abgegriffen und schal, weil die Geschichte dadurch eindimensional wirkte. Die Motive eines Monsters, das als Ausgeburt des Bösen beschrieben wird, sind nicht subtil, sie müssen nicht erläutert oder analysiert werden. Ich kann Pinborough zugutehalten, dass sie einige wirklich unheimliche Szenen involvierte, doch der Horror dieser Momente hielt nicht lange vor, sodass mich die Jagd nach dem Mörder viel zu schnell wieder langweilte. Ich ahne, dass das missliche Ende von „Mayhem“ den Weg für die Fortsetzung „Murder“ ebnen soll, diese werde ich jedoch nicht lesen. Ich danke der Autorin dafür, dass sie mich auf die „Thames Torso Murders“ aufmerksam machte, das Schließen dieser Wissenslücke war aber auch schon alles, was „Mayhem“ bei mir erreichte.
- Christoph Ransmayr
Die Schrecken des Eises und der Finsternis
(119)Aktuelle Rezension von: BM2TE22aChristoph Ransmayrs "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" entführt seine Leser in die Geschichte der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition im Jahr 1872. Der Autor schildert mit faszinierender Genauigkeit die Herausforderungen, denen sich die Expeditionsteilnehmer stellen mussten. Dabei verknüpft Ransmayr auf geschickte Weise die tatsächlichen Aufzeichnungen der Entdecker mit der fiktiven Geschichte von Josef Mazzini, einem jungen Wanderer, der von den Berichten der Expeditionsteilnehmer begeistert ist und selbst zum Entdecker aufsteigen möchte. Der Leser taucht tief in die Erzählung ein und fühlt die körperlichen und emotionalen Herausforderungen, die die Expeditionsteilnehmer durchleben mussten. Insgesamt ist "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" ein fesselndes Buch, das seine Leser auf eine spannende Reise in eine vergangene Zeit mitnimmt. Eine klare Empfehlung für alle, die sich für Abenteuer und Geschichte begeistern können.
N.W.
- Katharina Münz
Die 13. Jungfrau
(21)Aktuelle Rezension von: AprilsBuecherOh ja, endlich mal wieder eine Reise zu den Wikingern. Da mir die Schreibweise von Katharina schon länger sehr gut gefällt, kam ich auch diesmal wieder gut in die Geschichte rein und hatte viel Freude mit Melwyn. Mir gefiel besonders gut wie sich aus dem kleinen unscheinbaren Wesen eine beeindruckende Persönlichkeit entwickelt hat, und die Autorin ein Thema aufgefasst hat, dass wir Eltern doch selber kennen und fürchten. Unsere Kleinen werde flügge und verlassen das traute Heim. Auf charmante Art ist dies der Autorin gelungen und hat mich mit einem Lächeln diese Geschichte beenden lassen.
Fazit: Protagonistin mit einer wundervollen Wandlung, und auch ein Buch ums Erwachsen werden.
- Jonas Herlin
Krieger des Nordens
(11)Aktuelle Rezension von: Wortmagie„Krieger des Nordens“ von Jonas Herlin erbat ich beim Bloggerportal von Random House, weil ich noch immer die Mission verfolge, endlich meine Nische im Genre der historischen Romane zu finden. Aktuell versuche ich es mit Wikingergeschichten, die meinen generellen Lesevorlieben theoretisch entgegenkommen sollten. Im November 2015 hatte ich mich bereits an „Götter der Rache“ von Giles Kristian herangewagt, war aber leider nur mäßig begeistert. Ich erhoffte mir von „Krieger des Nordens“ den großen Knall, der bei Kristians Trilogieauftakt für mich ausblieb.
Der Raubzug der Nordmänner ins Fränkische Reich versprach, ein voller Erfolg zu werden. Getragen von den Wassern des mächtigen Rheins gelang es den Wikingern, die heikle politische Situation zwischen den drei Enkeln Karls des Großen auszunutzen und bis nach Xanten vorzudringen. Von Gier getrieben segelte Grimr Schädelspalter mit 700 Kämpfern und seinen Söhnen Thorbrand und Olav weiter flussaufwärts. Hier, auf einer Flussinsel mitten im Frankenreich, wendet sich das Blatt. Was als siegreiche Eroberung einer wehrlosen Stadt beginnt, entwickelt sich schnell zu einem Desaster. Als Grimr einer schweren Verletzung erliegt und Thorbrand für seinen Jähzorn verbannt wird, obliegt es Olav, die Verteidigung gegen die Franken anzuführen, die die Plünderung ihrer Ländereien nicht länger tatenlos hinnehmen. Die Nordmänner sind rettungslos unterlegen, die Lage ist aussichtslos. Doch kein Wikinger würde jemals kneifen, wenn es gilt, für Beute und die Leben seiner Kameraden zu kämpfen. Blut tränkt die Ufer des Rheins. Werden die Krieger des Nordens als reiche Männer in ihre Heimat zurückkehren oder dem Tod die Hand reichen?
So viel zu dem erhofften großen Knall. Ihr seht mich mit weit heruntergezogenen Mundwinkeln und einem tiefen Stirnrunzeln vor dem Laptop sitzen. Meine Güte, war dieses Buch furchtbar. Ich fand es grauenvoll. Wenn Jonas Herlin gern Geschichtsunterricht geben möchte, soll er das tun. Aber bitte, bitte, bitte, er soll nie wieder ein Buch wie „Krieger des Nordens“ verfassen. Ich finde keine Worte, um auszudrücken, wie sehr ich mich gelangweilt habe. Es war so… so… dröge. Mein Hirn wollte sich ständig ausschalten und sich angenehmeren Gedanken hingeben, wie der Frage, wann der nächste Abwasch fällig ist oder ob ich für die Staubfluse in der Ecke extra den Staubsauger rausholen sollte. Ich konnte mich nur mit Mühe über die Seiten quälen und habe mich zwingen müssen, am Ball zu bleiben, um dieses literarische Pendant einer Schlaftablette endlich beenden zu können. Ich hatte das Gefühl, Herlin wollte mir unbedingt ganz viel beibringen, was auch funktionierte, aber die Geschichte, die all die Informationen seiner umfangreichen Recherche transportieren sollte, überzeugte mich leider überhaupt nicht, weil sie hinter den zahllosen Fakten nahezu verschwindet und Herlin meiner Meinung nach einfach kein schriftstellerisches Talent besitzt. Da ist kein Gespür für Atmosphäre, kaum inhaltliche Variabilität, kein durchdacht konstruierter Spannungsbogen. Stattdessen kenne ich jetzt wohl jeden der 700 Nordmänner mit Namen. Die Art und Weise, wie Herlin Charaktere etabliert, ist die seltsamste, die mir je untergekommen ist. Wann immer eine Figur mit einer Sprechrolle starb, war er offenbar der Meinung, sie ersetzen zu müssen, damit stets jemand vorhanden ist, der überflüssige Kommentare abgeben und mit anderen Worten wiederholen kann, was bereits dreimal gesagt wurde. Es ist übrigens ganz wichtig, dass die Schiffe auf die Insel gebracht werden, damit die Franken sie nicht zerstören, klar?! Er stellte mir am laufenden Band neue Persönlichkeiten vor, samt Kurzbiografie. Es waren viel zu viele, oberflächliche Figuren, die kaum erkennbaren Wert für die Handlung hatten. Ich kapiere einfach nicht, was das sollte. Wenn man eine Geschichte schreibt, die auf einen blutigen Belagerungskampf hinausläuft, sterben auf beiden Seiten zwangsläufig einige Akteure. Sonst wäre die Belagerung ja kaum blutig, oder? Ein cleverer Autor lässt Figuren, die für die Handlung unverzichtbar sind, allerdings erst dann sterben, wenn er sie nicht mehr braucht, keine Sekunde früher, damit er ihre Rollen eben nicht erneut ausfüllen muss und nicht jegliche Bindung, die die Leser_innen bis dahin aufgebaut haben, zerstört wird. Irgendjemand sollte das Jonas Herlin wohl mal sagen.
Dann haben wir da noch das Motiv der entzweiten Brüder. Thorbrand und Olav. Die beiden sind so gegensätzlich, dass sie schon wieder stereotyp sind. Ich weiß eigentlich nicht so recht, was mir Herlin durch ihre Schicksale mitteilen wollte. Vermutlich ging es abermals darum, möglichst viel historisches Wissen in das Buch zu quetschen, da Thorbrand in seiner Verbannung an der Seite eines Mönches durch das Fränkische Reich reist und die zeitgenössische Politik kennenlernt, während Olav als Anführer der Wikinger Einblicke in ihre Kultur gewährt. In der Theorie nett, in der Praxis jedoch unzusammenhängend und zu viel Input. Außerdem empfand ich es als unvorteilhaft, dass ich den beiden dadurch stets ein Stück voraus war. Es kam keine Spannung auf, kein Hoffen und Bangen, ob die Nordmänner es nun nach Hause schaffen oder nicht. Ich wusste einfach zu viel.„Krieger des Nordens“ war in jeglicher Hinsicht ein Fehlschlag. Es ist ein quälend fantasieloses Buch, trocken und zermürbend, die längste Geschichtsstunde aller Zeiten. Ich glaube nicht, dass ich Jonas Herlin jemals wieder eine Chance gebe. Dazu war diese Lektüre wirklich zu traumatisierend.
Meine Experimente mit Wikingerromanen werde ich an dieser Stelle allerdings noch nicht abbrechen. Einmal werde ich es noch wagen, geht dieser Versuch auch wieder schief, orientiere ich mich neu. Ich begebe mich vertrauensvoll in Hände eines echten Nordmannes, der dann hoffentlich weiß, wovon er schreibt und sein Werk nicht als Zwangsgeschichtsunterricht missbraucht: Snorri Kristjansson.Vielen Dank an das Bloggerportal von Random House für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!
- Christoph Hardebusch
Die Werwölfe
(68)Aktuelle Rezension von: WortmagieChristoph Hardebusch durchlief eine mehr als typische Entwicklung vom Fantasyleser zum Fantasyautor. Nachdem er studiert und einige Zeit als freier Texter in der Werbebranche gearbeitet hatte, gelang es ihm 2005, eine Agentur von seinem literarischen Talent zu überzeugen. Kurz darauf erschien sein Debüt „Die Trolle“ – obwohl ihm die Troll-Szene in „Der kleine Hobbit“ als Kind zu gruselig war. Es folgte die „Sturmwelten“-Trilogie, erneut ein Werk der High Fantasy. Dass Hardebusch auch andere Interessen und einen Abschluss in Geschichte hat, zeigte sich erstmals 2009. Sein damals veröffentlichter Einzelband „Die Werwölfe“ verknüpft den Werwolfmythos mit einer aufregenden historischen Epoche und faszinierenden historischen Persönlichkeiten.
Conte Ercole Viviani möchte seinen Sohn Niccolo in das Familiengeschäft einführen. Der junge Italiener ist von dieser Aussicht jedoch nicht begeistert. Lieber möchte er seine Tage mit Literatur verbringen und davon träumen, ein gefeierter Schriftsteller zu werden. Lediglich ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt ihm. Bevor er sein Erbe antritt, schickt ihn sein Vater auf eine ausgedehnte Europareise. Die erste Station seiner Grand Tour ist das pittoreske Genf. An den Ufern des malerischen Schweizer Sees wird er 1816 in die Gesellschaft eingeführt. Als er eine Einladung in die berüchtigte Villa Diodati erhält, kann er sein Glück kaum fassen, denn dort residiert der Dichter Lord Byron, den Niccolo zutiefst verehrt. Nächtelang diskutiert er über Poesie und Liebe, über Okkultes und Wissenschaft. Aber Lord Byron umgibt ein Geheimnis, das Niccolos Leben für immer verändert. Gejagt von der katholischen Inquisition muss er herausfinden, was es bedeutet, eine Bestie zu sein, die nur in Legenden existieren sollte: Ein Werwolf.
Warum kommen Bücher über Werwölfe eigentlich selten ohne Vampire aus? Ich hatte sehr gehofft, dass „Die Werwölfe“ die Idee einer lykanthropischen Geheimgesellschaft verfolgt, die sich in das Zeitgeschehen einmischt, aber am Ende sind es doch wieder die Blutsauger_innen, die die europäische Politik und in diesem Fall die katholische Kirche beeinflussen. Wieder einmal stehlen sie den Gestaltwandler_innen die Show, sowohl inhaltlich als auch mythologisch. Während Christoph Hardebusch den zentralen Vampir seiner Handlung sehr prominent inszeniert und recht detailliert illustriert, wie Vampirismus seiner Vorstellung nach funktioniert, bleibt die Lykanthropie in seiner alternativen historischen Realität erstaunlich vage. Erstaunlich, da das Buch ja nun mal „Die Werwölfe“ heißt. Tatsächlich präsentiert der Autor überwiegend alte Legenden, über die der Protagonist Niccolo im Rahmen seiner Recherchen stolpert. Er klärt jedoch nie auf, ob diese Legenden wahr sind oder nicht. Dem gegenüber stehen ein paar spärliche Fakten und Niccolos Erfahrungen mit Lord Byron und dessen berühmter Entourage. Ich fand es großartig, dass Hardebusch diesen illustren Zirkel in seinen Roman integrierte. Einerseits passt die kulturhistorische Epoche der Romantik mit ihrer Konzentration auf Leidenschaft und Düsteres hervorragend zum Werwolfmotiv. In diesem Umbruchklima von Tradition zu Moderne einen antiken Aberglauben zu untersuchen, erschien mir sehr aufregend. Andererseits hat es mir großen Spaß bereitet, mir auszumalen, dass Persönlichkeiten wie Byron und Mary Shelley, die zu ihrer Zeit als ausgesprochen verrucht, ja, skandalös galten, ein mystisches Geheimnis hüteten. Ich bedauerte fast, dass ich der Entstehung von „Frankenstein“ nicht beiwohnte – vermutlich hätte dieser Ausflug allerdings zu sehr von Niccolo abgelenkt, der von seinen berühmten Nebenfiguren natürlich nicht überstrahlt werden durfte. Das vermeidet Hardebusch erfolgreich, ein stabiles Profil von Niccolos Charakter konnte ich trotzdem nicht anfertigen. „Die Werwölfe“ umspannt etwa acht Jahre und ist in zwei große Abschnitte unterteilt. Der erste Abschnitt wirkte auf mich kleinteilig und stellenweise arg langgezogen; der zweite Abschnitt hingegen involviert Zeitsprünge, die manchmal Monate oder sogar Jahre ausklammern. Einige dieser Sprünge fand ich schade, andere gerechtfertigt, aber ein Aspekt ist mir in beiden Abschnitten aufgefallen: Niccolo wird von der Handlung erfasst und von ihr getrieben, er verfügt selten über Kontrolle. Dadurch ist es schwierig, seine Persönlichkeit zuverlässig einzuschätzen. Die Hälfte des Romans befindet er sich auf der Flucht vor der Inquisition – genauer, einer Inquisitorin. Dieses Detail ist meiner Meinung nach in jeder Hinsicht unrealistisch. Eine Frau in der katholischen Inquisition? Das klingt in meinen Ohren undenkbar. Außerdem handelt sie die meiste Zeit allein. Hardebusch deutet zwar an, dass ihre Jagd „von oben“ sanktioniert ist, doch was sich dahinter verbirgt, erläutert er nicht. Daher wirkt sie wie eine durchgeknallte, obsessive Einzeltäterin und nicht wie die ausführende Hand einer Verschwörung. Meinem Empfinden nach verschenkte Hardebusch hier am meisten Potential für „Die Werwölfe“, denn die katholische Kirche als Ganzes zu involvieren, hätte seinem Roman einen spannenden Twist verliehen.
„Die Werwölfe“ überzeugte mich eher durch historische als durch fantastische Elemente. Für die Werwolfliteratur ist dieser Roman meiner Meinung nach eine durchschnittliche Ergänzung, die man lesen kann, aber nicht muss. Weder präsentiert Christoph Hardebusch ein originelles Konzept für Lykanthropie noch ist die Geschichte außergewöhnlich. Die Handlung ist zu sehr von Einzelakteur_innen abhängig und bietet zu wenig Überraschungen. Ich fand das Lesen angenehm und unterhaltsam, kann jedoch nicht behaupten, dass das Buch starken Eindruck bei mir hinterließ. Tatsächlich grübele ich seit der Lektüre primär über den Stellenwert von Vampiren in Werwolferzählungen nach – das ist wohl nicht der Effekt, den ein Roman mit dem Titel „Die Werwölfe“ haben sollte.
- Luise Diekhoff
Gezeitenkinder
(12)Aktuelle Rezension von: jackiistzUnter dem Titel "Gezeitenkinder" von Luise Diekhoff konnte ich mir erst einmal nichts vorstellen. Außer, dass es um die See gehen könnte und um Kinder, die vielleicht das ein oder andere, schlechte Schicksal erwischt haben. Auch das Cover des Buches deutet eindeutig darauf hin. Aber was sich wirklich zwischen den Seiten befand, war eine für mich sehr berührende und auch vor allem sehr wichtige Geschichte, die es sich lohnt zu lesen. Es werden Themen wie die Unterdrückung wichtiger Bedürfnisse, problematisches Gedankengut und der Mut einer jungen Frau behandelt. Diese junge Frau ist für mich die Heldin der Geschichte und hat wirklich großartige Arbeit geleistet, auch wenn sie damit vielleicht selbst nicht gerechnet hätte...
Hanna macht sich zusammen mit ihrer Cousine Evi auf den Weg in ein neues Leben. Nicht nur eine ganz neue Umgebung wartet auf die beiden, jungen Frauen. Auch ein neuer Job, der für beide die große Wendung in deren Leben bringen könnte. Obwohl beide aus unterschiedlichen Motiven handeln und sich für ein Jahr einer Klinik für Kinder auf Kur verschreiben, sind sie gemeinsam gekommen. Lange bleiben sich die beiden aber nicht einige, denn Hanna entdeckt große Missstände in der Klinik, welche den Kindern eigentlich ein angenehmeres Leben verschaffen sollte, als sie es in Wirklichkeit tut. Mit der Zeit entdeckt Hanna immer mehr und mehr, was in ihrer Vorstellung von einem guten und kinderfreundlichen Ort abweicht. Und auch nachdem sie die Missstände bei der Leitung und ihren Vorgesetzten angesprochen hat, ändert sich nichts daran. Ganz im Gegenteil, Hanna wird sehr genau beobachtet und bekommt immer wieder Gegenwind zu spüren. Ihre Cousine Evi ist ihr da auch keine große Hilfe, denn diese verfolgt mittlerweile ganz andere Ziele... Hanna möchte das alles aber nicht auf sich sitzen lassen und beginnt weiter in die Geschichte der Klinik vorzudringen und bekommt dabei ungeahnte Hilfe von außerhalb. Sie muss fortan nicht mehr alleine recherchieren und lernt dabei weitere Details kennen, die vielleicht in Zusammenhang mit der Klinik und deren Leitung stehen könnten. In der Zwischenzeit geht es den Kurkindern aber alles andere als gut. Hanna ist ihre letzte Hoffnung auf Aufklärung und manche von ihnen glaube sogar gar nicht mehr daran, dass ihnen irgendjemand helfen kann. Sie beschließen vielmehr ihre Zukunft in der Klinik selbst in die Hand zu nehmen und bringen sich dabei vielleicht sogar in große Gefahr. Wird Hanna es schaffen die Missstände in der Klinik aufzuklären und den Kindern somit zu helfen? Wer sind die Verantwortlichen und warum kann man diesen so schwer das Handwerk legen? Und was ist vor so langer Zeit passiert, was mit all dem heute zusammenhängt?
"Gezeitenkinder" zählt für mich als historischer Roman, da wir uns nicht nur im Jahr 1962 befinden, sondern im Laufe des Buches auch einige Zeitsprünge in das Jahr 1945 machen. Gleich zu Beginn des Buches erfahren wir von einem Jungen, der zu dieser Zeit auf Norderney gelebt und auch überlebt hat. Was er alles erleiden musste und wie sich seine Geschichte in die von Hanna fast zwanzig Jahre später einfügt, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten. Aber man wird direkt am Anfang neugierig auf die damaligen Geschehnisse gemacht und bekommt einen ersten Eindruck, was sich alles in diesem Buch verbergen könnte. Generell ist das Buch nicht auf der Sicht einer einzigen Person geschrieben. Man erfährt in den Kapiteln mehr über die jeweiligen Protagonisten, das stimmt. Allerdings ist die ganze Geschichte aus der Erzählperspektive geschrieben. So erfährt man trotzdem alles über die Gefühle der Figuren wie beispielsweise Hanna, Rita und Wilko. Und alle drei Geschichten sind wichtig für die Handlung des Buches. Besonders Hanna hat es mir als Charakter doch sehr angetan. Sie ist super mutig, furchtlos und hat das Herz am rechten Fleck. Sie möchte alles dafür tun, damit es den Kindern gut geht und sie sich wohlfühlen. Auch, wenn das gegen die Regeln der Klinik ist. Wie dort mit den kleinen Kindern umgegangen wird, hat mir fast mein Herz gebrochen. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, dass es damals wirklich solche Heime gab und vielleicht auch heute immer noch gibt. Wenn man sein Kind als Elternteil auf eine Kur schickt, möchte man ja, dass es dem Kind dort gut geht und es gesund und munter wieder nach Hause kommt... Schrecklich, was dort alles mit den Kindern passiert ist! Und auch, was sich vor Jahren auf der Insel zugetragen hat, hat mich fassungslos gemacht. Auch hier möchte ich nicht spoilern. Ich kann allerdings so viel sagen, dass die Herzlosigkeit der Menschen in diesem Buch deutlich rüberkommt. Es ist gut geschrieben, an manchen Stellen für mich vielleicht ein bisschen zu langatmig (besonders zum Ende hin), aber alles in allem eine wichtige Geschichte! Mir gibt es immer viel, über die damaligen Ereignisse in einem Roman zu lesen. Gleichzeitig bin ich danach immer sehr aufgewühlt und muss die Geschichten erst einmal eine Weile sacken lassen.
- Takis Würger
Stella
(334)Aktuelle Rezension von: herr_hyggeMeine Vorfreude auf STELLA, dem zweiten Roman von @takiswuerger war groß. Aus diesem Grund habe ich ganz bewusst jeden Beitrag und jeden Bericht über dieses Buch ignoriert um mir, ohne jeglichen Einfluss, ein eigenes Bild machen zu können. Dadurch habe ich auch nur am Rande mitbekommen, was für Diskussionen STELLA ausgelöst hat.
Nachdem ich es heute beendet und im Anschluss ein paar Berichte überflogen habe, verstehe ich überhaupt nicht warum so ein Tamtam darum gemacht wird!
Es ist eine fiktive Geschichte, die sich um eine sehr umstrittene Person rankt die wirklich existiert hat. Eine Frau, die Täterin und Opfer zugleich war. Es ist ein Stück Unterhaltungsliteratur und kein Sachbuch das ausschließlich auf Fakten beruht. Und der Roman unterhält von Anfang bis Ende und hat in meinen Augen seine Aufgabe damit mehr als erfüllt.
Der Autor erzählt mit einem Schreibstil der durch seine Schlichtheit überzeugt, aber den Leser gleichzeitig unheimlich viel zwischen den Zeilen entdecken lässt, eine durchweg glaubwürdige Geschichte. Alles Eigenschaften die mich bei seinem Erstlingswerk schon restlos begeistert haben. Natürlich ist es immer wieder Geschmacksache, aber ich für meinen Teil bin mehr als froh darüber das @hanserliteratur diesen Roman herausgebracht hat. Abschließend kann ich nur sagen: Lieber Takis, du tust wirklich gut daran, dich von dem Gerede nicht unterkriegen zu lassen. Bleib weiterhin stolz auf dein Werk, denn es ist großartig! - Katharina Münz
Weihnachten auf Luxulyan
(7)Aktuelle Rezension von: RabiataDer Leser begleitet Melwyn in den Wochen vor Weihnachten im Jahr 880.
Sie ist 18 Jahre alt und lebt in Cornwall auf der Burg ihres Vaters. Ihre Mutter wurde einst aus ihrer dänischen Heimat verschleppt und lebt nun als Köchin auf der Burg. Hin und wieder stattet der Burgherr ihr nachts einen Besuch ab, um seinen "Hunger" zu stillen. Aus einer dieser Begegnungen ist auch Melwyn entstanden. Kurz vor Weihnachten wird Melwyn öffentlich als seine Tochter anerkannt und mit einem seiner Krieger verlobt.
Die Geschichte ist zwar kurz, dennoch sehr gut ausgearbeitet und flüssig lesbar. Sie ist komplett aus der Sicht von Melwyn im Präsens erzählt. Dadurch entsteht eine große Nähe zu den Geschehnissen.Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und wachsen dem Leser schnell ans Herz.
Man ist gefesselt und wird sehr gut unterhalten.
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