Bücher mit dem Tag "mahnung"

Hier findest du alle Bücher, die LovelyBooks-Leser*innen mit dem Tag "mahnung" gekennzeichnet haben.

14 Bücher

  1. Cover des Buches Ritus (ISBN: 9783426523384)
    Markus Heitz

    Ritus

     (661)
    Aktuelle Rezension von: Pascal_thewild

    Die Sprünge zwischen vergangenheit und Gegenwart haben mich überzeugt. Das ist wirklich eine spannende Art, etwas zu erzählen. klare empfehlung

  2. Cover des Buches Gottes kleiner Krieger (ISBN: 9783596176908)
    Kiran Nagarkar

    Gottes kleiner Krieger

     (35)
    Aktuelle Rezension von: Wortmagie

    Habt ihr euch schon einmal gefragt, wie ein Mensch zu einem religiösen Extremisten werden kann? Spätestens seit dem 11. September 2001 ist religiös motivierter Terrorismus und der radikale Glaubenskrieg tief und schmerzhaft im öffentlichen Bewusstsein verankert. Wir erleben die Konsequenzen tagtäglich: verschärfte Sicherheitskontrollen an Flughäfen, Überwachung und Kriege in weiten Teilen der Welt. Tatsächlich ist die Anzahl der Kriege auf der Welt aktuell so hoch wie schon seit 1945 nicht mehr. Al-Qaida, die radikal-islamische Hamas, Boko Haram. In regelmäßigen Abständen werden uns die Namen dieser Gruppierungen um die Ohren gehauen. Doch was für Menschen engagieren sich in solchen Netzwerken? Wie ticken sie? Und wie betätigen sich die scheinbar friedlichen Glaubenskämpfer, die eben nicht in den Nachrichten landen?

    Kiran Nagarkars Roman „Gottes Kleiner Krieger“ beantwortet diese Fragen mit der Lebensgeschichte des Inders Zia Khan. Von Kindesbeinen an ist er überzeugt, der nächste Erlöser und Prophet des Islam zu sein. Als Sohn eines erfolgreichen Architekten wächst er behütet auf, steht jedoch in ständiger Konkurrenz zu seinem älteren Bruder Amanat. Als die Firma seines Vaters Konkurs anmelden muss und Zafar Khan die Lizenz entzogen wird, muss die Familie in ein ärmeres Viertel in Bombay umziehen. Dank einer besonderen mathematischen Begabung wird Zia allerdings auf ein englisches Internat geschickt. Dort beginnt die abenteuerliche Geschichte seines Lebens. Zia studiert in Cambridge Wirtschaftswissenschaften, jagt Salman Rushdie, wird in den Bergen Afghanistans zum Terroristen, lechzt nach Vergebung und schließt sich einem christlichen Trappistenorden an. Während all der Zeit hält er Kontakt zu seinem Bruder, doch auch dieser kann ihn nicht von seinen Kreuzzügen abbringen. Denn Zia ist überzeugt, Gottes kleiner Krieger zu sein.

    Zia Khan ist das beste Negativbeispiel für einen religiös überzeugten Menschen, das man sich nur vorstellen kann. Schon als Kind ist er aggressiv und extrem; das Konzept des Fanatismus zieht sich durch sein gesamtes Leben. Kiran Nagarkars Roman hat mich schockiert und aufgewühlt, er gewährte mir einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt eines überzeugten Gläubigen. Nagarkars Erzählstil steht dabei in krassem Gegensatz zu seinem Protagonisten: ruhig und ausgeglichen schildert er die heiß brennende Überzeugung, die Zia sein ganzes Leben begleitet.
    Zia ist ein Einzelgänger, meist wird er respektiert und bewundert, aber nie wahrhaft geliebt, von seiner Familie einmal abgesehen. Alle Menschen, die versuchen, eine echte Bindung zu ihm aufzubauen, hält er auf Abstand; er bleibt innerlich stets für sich selbst und lässt niemanden rein. Im Nachhinein betrachtet überrascht es mich daher nicht, dass auch ich mich nie mit Zia identifizieren konnte. Er ist ein so sturer, verstockter, intoleranter und idealistischer Charakter, dass ich nie die Chance erhalten habe, mich ihm wahrhaft anzunähern. Umso wichtiger ist die Rolle, die Zias Bruder Amanat einnimmt: er erdet die Geschichte, setzt sie in ein realistisches Verhältnis. Amanat macht den LeserInnen erst deutlich, wie abstrakt und surreal Zias Ziele und Pläne sind. Während Zia immer etwas ober- oder außerhalb der Realität zu schweben scheint und seine Entscheidungen oft so weit hergeholt wirken, rackert sich Amanat sein Leben lang mühsam ab; ein Kampf gegen Windmühlen. All sein Tun ist trotz dessen dem Erschaffen gewidmet, wohingegen man Zia kurz als Zerstörer betiteln kann. Ich bin davon überzeugt, einige soziopathische Züge (dissoziale Persönlichkeitsstörung) an ihm entdeckt zu haben. Er ist von allumfassendem Egoismus geleitet, obwohl er beharrlich behauptet, seine Motivation läge darin, andere zu retten und zu bekehren. Das ist schlicht nicht wahr, Zia belügt sich selbst. Es geht ihm nie um das große Ganze, zeitlebens ist sein einziges Anliegen sein eigenes Seelenheil. Dabei schreckt er vor nichts zurück; er ist ein Terrorist, ein Mörder, ein Folterer, Extremist und Radikaler. Auch in diesem Punkt beeindruckte mich Kiran Nagarkar, denn er widerstand der Versuchung all diese Eigenschaften auszuschlachten. „Gottes Kleiner Krieger“ ist vieles, aber niemals voyeuristisch.

    Dieser Roman vermittelte mir einen intensiven Eindruck einer Welt, die ich wohl nie völlig verstehen werde. Kiran Nagarkar hat mir viel über die Bedeutung des Glaubens für einige Menschen beigebracht und ganz nebenbei meine Kenntnisse in Weltgeschichte von unten aufgefrischt. In gewisser Weise war es für mich das Gegenbuch zu „Schiffbruch mit Tiger“ von Yann Martel.
    Es ist schwer, für dieses Buch eine Empfehlung auszusprechen, da es thematisch äußerst speziell ist. In meinen Augen müssen interessierte LeserInnen den festen Vorsatz haben, sich auf Zias krasses Leben einzulassen und sich dabei nicht von seinem Fanatismus abschrecken zu lassen. Zia ist keine sympathische, austauschbare Figur, er ist ein höchst individueller, komplexer Charakter und seine Geschichte ist auf schockierende Weise außergewöhnlich. Überlegt euch gut, ob so ein Buch euren Geschmack trifft, bevor ihr zu „Gottes Kleiner Krieger“ greift.
    Schließen möchte ich mit einem Zitat von Amanat, welches das Buch in meinen Augen punktgenau beschreibt:

    „Auch Du bist […] Deiner Religion treu geblieben: der Religion des Extremismus.“
    („Gottes Kleiner Krieger“, S. 651)

  3. Cover des Buches Draußen vor der Tür (ISBN: 9783872912497)
    Wolfgang Borchert

    Draußen vor der Tür

     (223)
    Aktuelle Rezension von: Orisha

    Ein Mann kommt nach Deutschland. Er kommt zurück, nach drei Jahren Sibirien, nach fünf Jahren Krieg. Zurück in eine Heimat, die nichts mehr für ihn bereit hält. Seine Frau liegt bei einem anderen. Der Oberst kennt ihn nicht mehr. Ein Job wird ihm nicht gegeben. Die Eltern sind tot. Da bleibt für Beckmann nur noch ein Weg - der Gang zur Elbe…

    Bocherts "Draußen vor der Tür" zählt zu Recht zu den Klassikern der Nachkriegszeit. Mit seiner Figur Beckmann fängt Borchert das Leben eines Kriegsheimkehrers ein. Beckmann steht vor den Trümmern seines Lebens und wird mit unserer Gesellschaft konfrontiert. Eine Gesellschaft, die nach dem Krieg die Verantwortung von sich schob, die auf die anderen zeigte - ohne sich selbst zu hinterfragen. Die Anfängern keine Chancen mehr gab. Die dem Elend, draußen vor der Tür, den Rücken kehrt. Selbstmorde stehen an der Tagesordnung. Doch das interessiert niemanden.

    Borchert fängt mit seinem Drama ein Stück Nachkriegsgeschichte ein. Eine Geschichte, die die Situation nach 1945 gut illustriert und den 1000den Schicksalen der Kriegsheimkehrer eine Stimme gab. Sicher in extremer Form, doch die braucht es, um wachzurütteln. 

    Kurzum: Ein Klassiker, den man gelesen haben sollte. Empfehlenswert.


  4. Cover des Buches Rote Kreuze (ISBN: 9783257246131)
    Sasha Filipenko

    Rote Kreuze

     (184)
    Aktuelle Rezension von: petraellen

    Autor

    Sasha Filipenko

     

    Inhalt

    Der junge Alexander ist gerade nach Minsk gezogen. Vor kurzem hat er seine Frau verloren und muss sein Leben mit seiner kleinen Tochter neu ordnen. 

    Auf dem Stockwerk seiner Wohnung lebt noch eine neunzig Jahre alte Frau, alleinstehend und an Alzheimer erkrankt. Nach einer kleinen Stadterkundung kommt er zu seiner Wohnung zurück und stellt mit Erstaunen fest, dass jemand ein rotes Kreuz auf seine Wohnungstür gemalt hat. Es stellt sich heraus, dass seine Nachbarin Tatjana Alexejewna es war. Alexander hält es zunächst für einen Scherz, doch Tatjana Alexejewna erklärt ihm, dass sie das Rote Kreuz braucht, um den Weg nach Hause zu finden. Sie erklärt Alexander, dass bei ihr kürzlich Alzheimer diagnostiziert wurde. Sie weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die Krankheit ihr Gedächtnis zerstört und ihre Erinnerungen ausgelöscht hat. Tatjana bittet Alexander in ihre Wohnung und will ihm ihre Geschichte erzählen. Eigentlich möchte er nicht auf einen Plausch zu ihr kommen, doch dann fesselt ihn die Lebensgeschichte. 

     

    „»… Ich würde Ihnen gern eine unglaubliche Geschichte erzählen. Eigentlich keine Geschichte, sondern eine Biographie der Angst. Ich möchte Ihnen erzählen, wie das Grauen den Menschen unvermittelt packt und sein ganzes Leben verändert.«“  (S. 15)

     

    Sie erzählt von ihrer Vergangenheit, an die sie sich noch gut erinnern kann. Sie erzählt von dem Zweiten Weltkrieg, ihrer Arbeit im Außenministerium. Ihr Mann Ljoscha wurde vermisst und ihre Tochter Assja entriss man ihr, als sie wegen Volksverrat ins Lager kam.

    Sie erzählt ein schockierendes Kapitel der russischen Geschichte, wie die Sowjetunion die russischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg im Stich ließ, wie ihre Familien als Verräter verfolgt wurden.

     

    Sprache und Stil

    Tatjana Alexejewna wird in London geboren. Anfang 1920 zieht sie mit ihrer Familie nach Moskau. Ihr Vater Alexej Alexejewitsch Bely sieht in dem Regierungswechsel „eine Revolution des Geistes! Petersburg und Moskau sind jetzt Städte des kleinen Mannes!“ (S. 23) 

    Tatjana begeistert sich für den Kommunismus. Sie dient ihrem Land und wird doch verhaftet.

    Sie arbeitet als Fremdsprachensekretärin im Außenministerium, als sie einen Brief bekommt, den sie übersetzen soll. Es ist eine Liste mit Namen russischer Kriegsgefangener in Rumänien, auf der sie den Namen ihres Mannes entdeckt. Sie weiß, dass Kriegsgefangene und ihre Familien als Verräter verfolgt und in den Gulag geschickt werden. Sie nimmt den Namen aus der Liste und setzt einen anderen Namen, der bereits schon auf der Liste steht, dazu.

    Die gefährliche Einmischung zum Schutz ihres Mannes hat nicht die Wirkung, die sie sich vorstellt. Sie wird als Verräterin bestraft und verbringt fast zehn Jahre voller psychischer und körperlicher Misshandlungen in einem weit entfernten, entsetzlichen Lager, ohne zu wissen, was mit ihrem Mann und Kind geieht. Erst nach der Haftentlassung erfährt sie, dass beide nicht mehr leben. Zudem plagt sie das schlechte Gewissen, einen Betrug vorgenommen zu haben, von dem sie sich eine Rettung erhoffte. 

     

    Sie ist am Ende ihres Lebens angekommen. Sechzig Jahre später erzählt sie ihre Lebensgeschichte ihrem jungen Nachbarn. Ihre Geschichte beginnt in Moskau 1941, als Russland schon im Krieg gegen das Nazideutschland steht. Sie erzählt von dem Wahnsinn der wütenden, stalinistischen Säuberungen.

     

    Trotz alledem hat sie ihren Kampfgeist bewahrt und kämpft dafür, dass nichts vergessen wird. 

     

    Das Band zwischen Tatjana und Alexander

    Tatjana hat Mann und Tochter verloren.

    Alexander musste eine schwierige Entscheidung treffen. Er konnte wenigstens seine Tochter retten. 

    Beide sind verlassenen und beide werden mit dem Vergessen, Erinnern konfrontiert. Alexander hat kein Alzheimer und muss trotzdem gegen das Vergessen kämpfen.

    Die Metapher „Alzheimer“ ist im Roman „Rote Kreuze“ allgegenwärtig.

     

    Die Alzheimer-Krankheit als Schlüsselrolle 

    Tatjana hat Alzheimerkrankheit. Alzheimer beginnt mit leichten Gedächtnisstörungen und dem Betroffenen fällt es zunehmend schwer, sich in fremder Umgebung zu orientieren.

    Es folgen deutliche Ausfälle bis zum Kontrollverlust. Das weiß Tatjana und kokettiert damit. „Ihr fällt der Vatername nicht mehr ein“ (S. 12).

    Der Autor setzt die Alzheimerkrankheit als Metapher ein. Als Mahnung der Erinnerung und gegen das Vergessen. Es ist ein Aufschrei gegen das Vergessen. Hier insbesondere gegen das kollektive gesellschaftliche Vergessen, der Repressionen in den sowjetischen Republiken.

    Die „Roten Kreuze“ stehen ebenfalls für „Alzheimer.“ Sie zeigen den Weg, dieses Vergessen zu verhindern. Die zahlreichen Dokumente geben Aufschluss darüber, was geschehen ist. Menschen, die davon betroffen waren, bekommen Namen, sie werden namentlich genannt. Die Schicksale werden sichtbar.

    Denn nicht nur die Alzheimerkrankheit lässt vergessen, sondern auch eine Generation, die dies miterlebt hat, wird eines Tages nicht mehr da sein und darüber reden können. Und daher ist es wichtig, dass nichts in Vergessenheit gerät. 

     

    „Aber jetzt, wo in meinem Leben alles vorbei ist…jetzt denkt sich Gott, dieser von mir erdachte Gott, für mich Alzheimer aus, weil er Angst hat! Er hat Angst, mir in die Augen zu schauen! Er will, dass ich alles vergesse.“ (S. 197)

     

    Historische Fakten, die überprüfbar sind  

    Sasha Flilipenko verwendet in seinem Roman „Rote Kreuze“ Dokumente, die er in Genf recherchiert hat, denn in Moskau werden diese Dokumente unter Verschluss gehalten. Das alleine ist schon sehr wertvoll, die Dokumente zu lesen. Sie bilden letztendlich auch die historische Grundlage für seinen Roman. Oftmals kann man aus den Dokumenten entnehmen, dass auf Briefe oder Telegramme keine Antwort kam „unbeantwortet geblieben“.

    Jedes Dokument und jedes Telegramm stellt einen „Stolperstein" dar. Die Aussagen sind gewaltig. Wie wenig war man an Menschen interessiert, diese zurückzuholen. „Wir sind immer davon ausgegangen, dass sich in jeder Regierung und in jeder Organisation ein Mensch finden lässt, der sich zurückmeldet. Neun werden nicht antworten, aber der Zehnte wird das lesen und was unternehmen." (S. 266) 

    Jedes Dokument hat eine eigene Aussagekraft, ein anderes Schicksal. Es geht um Reden des Volkskommissars, Erklärungen des deutschen Botschafters von Schulenburg, Amnestie-Erlass aus der Prada, Einlieferungsschein in die Krankenstation des Gulag, vieles mehr. Eindrucksvoller kann man diese Zeit 1941/42 in diesem Zusammenhang nicht wiedergeben.

     

    Erzählstrategie

    Sasha Filipenko baut seinen Roman auf zwei Erzählsträngen auf. Einmal erzählt Tatjana und dann wieder Alexander. Bei beiden wechselt er zwischendurch die Perspektive mit dem Effekt, dass der Leser direkt das Geschehen verfolgen kann. Diese Strategie erzeugt einen Sog in das Geschehen, dem man sich nicht entziehen kann. 

    Der Text wird zudem durch Gedichte und Liedtexte aufgelockert.

     

    Fazit 

    Sasha Filipenko ist ein außerordentlicher Roman gegen das Vergessen der geschichtlichen Verbrechen gelungen. 

    Tatjanas Schicksal wird in einem erschütternden, mitreißenden Lebensverlauf erzählt.

    Dieser Lebenslauf steht stellvertretend für Millionen anderer Menschen, ist aber nicht fiktiv, sondern real. Genau das macht diesen Roman aus.

  5. Cover des Buches Die dunklen Wächter - Sanfter Mond (ISBN: 9783442473335)
    Rachel Hawthorne

    Die dunklen Wächter - Sanfter Mond

     (47)
    Aktuelle Rezension von: Crazygirl1
    Wie schon gewohnt, schöner, flüssiger Schreibstil. Allerdings schwächelt dieser Teil etwas, wenn man ihn mit seinen Vorgängern vergleicht, aber trotzdem wieder eine schöne Geschichte. 
  6. Cover des Buches Erinnerungen an Europa (ISBN: 9783942503174)
    Herbert Kalmann

    Erinnerungen an Europa

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Simplicio
    Arno Stern ist bekannt als Initiator des Malspiels, das er seit Ende der vierziger Jahre in Paris entwickelte. Mit „Erinnerungen an Europa. 1933-1949“ gibt er nun einen Sammelband der Prosatexte und Lyrik seines verstorbenen Freundes Herbert Kalmann heraus, mit dem er während des 2. Weltkriegs in einem Flüchtlingslager interniert war. Der Band gibt einen eindrucksvollen Einblick in das Schicksal der Menschen in den Flüchtlingslagern, das Stern und Kalmann mit so vielen Menschen dieser Generation teilen. Beide waren noch Kinder, als Hitler die Macht ergriff. Ihre Familien flüchteten zunächst unabhängig voneinander nach Holland und Frankreich, bevor der Ausbruch des 2. Weltkriegs sie zwang, weiter in die Schweiz zu flüchten, wo sich ihre Schicksale schließlich kreuzten. Glücklich nicht wieder ausgewiesen worden zu sein, verbrachten der von Kunst träumende Arno Stern und der junge Dichter Herbert Kalmann ihre Jugendjahre in einem notdürftig umgestalteten Fabrikgebäude, in dem sie zusammen mit ca. 300 anderen Erkorenen untergebracht waren. Der Arbeitsalltag war streng und die Lebensumstände leidlich, doch diesen Unannehmlichkeiten des Lagerlebens setzte Kalmann seinen unbesiegbaren Optimismus entgegen, den er auch in diesen schweren Zeiten bewahrte. Er schrieb zynisch und humorvoll, aber auch politische Mahnungen schwingen in seinen Werken mit. Nicht zu vergessen sind auch die berührenden Erinnerungen an die Heimat, die den Leser gefühlvoll am Schicksal der staatenlosen Internierten teilhaben lassen. Die Texte Kalmanns sind dabei aber weit mehr, als ein bloßes Tagebuch oder eine Reportage des Lageralltags. Als Komponist hätte er wohl eine Emigrationssymphonie geschrieben, aus deren Klängen und Rhythmen die düstere Abgesondertheit vom wahren Leben in das Gemüt des Zuhörers eingedrungen wäre. So sind auch Kalmanns Prosastücke eindrucksvolle Stimmungswerke, stilistisch originell, so wie es auch seine umfangreiche Lyrik ist. Arno Stern leistet mit der Herausgabe von Kalmanns Schriften einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Gefühlswelt von Menschen in Flüchtlingslagern. Das Buch ist ein bedeutendes Stück deutscher Literatur und eine Reminiszenz an die Blütezeit von Schriftstellern wie Tucholsky, Klabund und Polgar, mit denen sich Kalmann verbunden fühlte.
  7. Cover des Buches Finde mich! - Glück in kleinen Dosen (ISBN: 9781503937598)
    Susanne Fletemeyer

    Finde mich! - Glück in kleinen Dosen

     (31)
    Aktuelle Rezension von: Matsch

    Ich tolles Buch! Ich habe vom Geocaching wenig Ahnung - auch wenn ich in dem Buch viel darüber lernen durfte - aber das macht gar nichts. Die Lektüre ist es einfach wert, gelesen zu werden. Susanne Fletemeyer schreibt herrlich erfrischend, hat einen lockeren - nicht seichten! - Schreibstil. Man fliegt nur so durch das Buch und jede Seite ist das Fliegen wert. 

    Die Figuren sind mir allesamt schnell ans Herz gewachsen, denn sie wurden mit jedem Wort fein gezeichnet. So unterschiedlich die Charaktere sind: alle sind besonders. 

    Ich konnte lachen, mitzittern, mitfiebern - alles ist dabei. 

    Von mir gibt es fünf Sterne und eine ganz klare Leseempfehlung. 

  8. Cover des Buches Der Papalagi. Die Reden des Südseehäuptlings Tuiavii aus Tiavea (ISBN: 9783859310148)
    Erich Scheurmann

    Der Papalagi. Die Reden des Südseehäuptlings Tuiavii aus Tiavea

     (22)
    Aktuelle Rezension von: bm_eleonora
    Das Buch ist erstmals 1920 erschienen, und zwar "als geheime Mitteilung" wie Scheurmann seinem Leser erklärt, da er die Reden des Häuptlings Tuiavii "sicherlich gegen seinen Willen“ veröffentlichte. Das Buch ist in 11 Reden untergliedert, was das Lesen und vor allem das Wiederfinden von bestimmten Beschreibungen des Häuptlings leicht macht.
    Die naive Ausdrucksweise zur Darstellung der Weisheiten des Häuptlings wurde oft als rassistisch kritisiert, denn Scheurmann bedient sich des Klischees primitiver Kolonialvölker, in diesem Fall die Bewohner von Samoa. Es ist schnell kritisiert - v.a. wenn man immer wieder in die gleiche Kerbe schlägt.

    Warum sich nicht auf das konzentrieren, was das Buch heute lesenswert macht? Die Message ist Immer noch gültig - vielleicht mehr denn je.
    Die Weisheiten des Häuptlings regen zum Nachdenken über unsere Wertvorstellungen an. Mit einem Augenzwinkern und einer Art Ermahnung gibt er einige Gedanken auf den Weg - Gedanken, die mich seit vielen Jahren begleiten. Immer wieder (nach 30 Jahren ?) habe ich mich an den einen oder anderen Punkt erinnern müssen, musste lachen oder auch den Kopf schütteln. 

    Das Buch ist in jedem Fall auch heute noch top-aktuell, oder gibt es etwa "das runde Metall" oder "das schwere Papier" nicht mehr? 
    Ein Beispiel:
    "Solche Maschine, die sich leicht auf zwei flachen Fingern tragen läßt, sieht in ihrem Bauche aus wie die Maschinen im Bauche der großen Schiffe, die ihr ja alle kennt. Es gibt aber auch große und schwere Zeitmaschinen, die stehen im Innern der Hütten oder hängen auf den höchsten Hausgiebeln, damit sie weithin gesehen werden können. Wenn nun ein Teil der Zeit herum ist, zeigen kleine Finger auf der Außenseite der Maschine dies an, zugleich schreit sie auf, ein Geist schlägt gegen das Eisen in ihrem Herzen. Ja, es entsteht ein gewaltiges Tosen und Lärmen in einer europäischen Stadt, wenn ein Teil der Zeit herum ist."
    Ist das nicht einfach genial? 

    Natürlich müsste Tuiavii heutzutage so Einiges hinzufügen, wie zum Beispiel: 

    "Der Papalagi trägt eine Metallplatte vor sich her, wenn er durch die Straßen geht, wendet seinen Blick fast nie von deren bunt glänzenden Seite ab und streichelt sie immer wieder. Seine Augen leuchten und Speichel tritt auf seine Lippen, wenn er mit einem oder zwei Fingern die bunte Seite in schnellen Bewegungen flüchtig berührt. Sollte der Papalagi die Metallplatte doch einmal in seine Lendentücher gesteckt haben, so zögert er keinen Augenblick, sie beim Vernehmen eines besonderen Klanges wieder ans Tageslicht zu holen - um sie erneut zu streicheln, bei ihrem Anblick zu lächeln oder entsetzt dreinzuschauen. Manchmal hält er die Metallplatte wie eine Muschel an sein Ohr und redet sogar mit ihr, als ob sie ganz und gar lebendig sei."






  9. Cover des Buches Die Hure Babylon (ISBN: 9783426511947)
    Ulf Schiewe

    Die Hure Babylon

     (48)
    Aktuelle Rezension von: Thommy28
    Einen knappen Einblick in das Geschehen ermöglicht die Kurzinfo hier auf der Buchseite. Ich ergänze lediglich meine persönliche Meinung:

    Dies ist der dritte Band der sogenannten "Montalbano-Familien-Saga" und steht den beiden Vorgängerbänden in nichts nach.
    Immer wieder werden "Brücken" eingebaut hin zu Ereignissen und Personen aus den ersten beiden Bänden, die dem Leser schöne Erinnerungen an diese Bücher beschert.

    Es ist nicht unbedingt nötig die vorhergehenden Bücher gelesen zu haben, ich würde es aber dennoch dringend empfehlen. Das Lesevergnügen wird durch Kenntnis der bisherigen Geschehnisse doch deutlich vergrößert.

    Die Geschichte des vorliegenden Bandes strotzt wieder vor prallem, mittelalterlichem Leben und Lieben, von Intrigen und dem Fluch der verführten Religiosität. Darüberhinaus befasst sich das Buch sehr ausgiebig mit dem Leben und Leiden der Menschen auf dem Kreuzzug. Dem Leben im Tross und auf der Wanderschaft und den unfassbaren Gräueln der Schlachten. 

    Die Protagonisten sind hervorragend gezeichnet in all ihrer Unsicherheit, ihrer Zwiespältigkeit und ihren Selbstzweifeln - aber auch in ihrer Liebe, ihrer Lebenslust, ihrer Freude und freundschaftlichen Verbundenheit.

    Sehr interessant und dem Lesevergnügen sehr zuträglich ist es, dass Teile des Buches in Ich-Form aus Sicht von Ermengarde von Narbona heraus geschrieben ist. Dies bietet eine schöne Abwechslung zur ansonsten vorherrschenden Erzählform-

    Wie immer verbindet auch dieser Band wieder echte historische Ereignisse und Figuren mit einer fiktiven Handlung und erfundenen Personen. Dies gelingt dem Autor mühelos - ohne die im Anhang aufgeführte Erläuterung würde man kaum das eine vom anderen unterscheiden können. Sehr gut auch wieder die Erläuterung der Fremdwörter im Anhang. 

    Erneut ein Buch zum Geniessen! 
  10. Cover des Buches Leona (ISBN: 9783453420670)
    Jenny Rogneby

    Leona

     (10)
    Aktuelle Rezension von: PoldisHoerspielseite

     Oslo steht unter Schock, als ein Mann eine Bombe im Parlamentsgebäude zündet. Dieser hat war schwer verletzt überlebt, will jedoch nur mit einer einzigen Person über die Hintergründe sprechen: Leona Lindberg. Pflichtbewusst übernimmt diese zwar den Fall, ist wegen ihres turbulenten Privatlebens aber nicht immer voll bei der Sache. Denn neben dem Scheidungskrieg mit ihrem Mann hat sie auch Geldsorgen, die sie auf unkonventionelle Weise lösen will…

    „Der Zweck heiligt der Mittel“ ist als Titel des zweiten Bandes um die schwedische Polizistin Leona Lindberg ziemlich clever gewählt, lässt es sich doch in mehrerlei Hinsicht auf die Handlung beziehen. Dabei spielt die oben beschriebene Szenerie um das Sprengstoffattentat zwar eine gewichtige Rolle, nimmt aber bei weitem nicht den ganzen Raum ein. Im Gegenteil, in vielen Szenen entfernt sich Autorin Jenny Rogneby stark von diesem Teil der Geschichte und widmet sich dafür ausführlich dem ziemlich turbulenten Leben ihrer Hauptfigur, die noch mehr an Komplexität hinzugewinnt. Charakterlich ist sie ja bereits im ersten Band alles andere als makellos dahergekommen, Scheidung und Geldnöte lassen sie hier aber noch einmal weiter von dem rechtschaffenen Weg abweichen. Mehr über das Seelenleben der Figur erfährt der Leser in einigen Therapiesitzungen, gespickt mit Details aus ihrer Vergangenheit, was einerseits Mitleid erweckt, aber eben doch nicht entschuldigt, wie sie derart auf die schiefe Bahn gekommen ist. Mir gefällt, wie komplex die Figur mit ganz eigenen Wertevorstellungen und moralischem Gewissen ausgestattet ist – dass das aber vielleicht ein paarmal zu oft dick aufgetragen wirkt, muss man mögen.

    Die verschiedenen Elemente der Handlung sind hier eng aneinander getaktet, die einzelnen Handlungsstränge werden zwar konsequent und spannend weitererzählt. Da es aber derer viele gibt, wirkt das Tempo trotz aufkommender Dynamik etwas gebremst. Erst später merkt man, warum dies genau so sein musste und kein Teil ausgelassen oder verkürzt werden konnte, am Ende wird alles zu einem stimmigen und packenden Finale zusammengeführt. Die Stimmung ist wieder dicht und prägnante, die Handlung wirkt aber insgesamt noch überladener als in ersten Band.

    „Der Zweck heiligt die Mittel“ ist spannend und unterhaltsam – besonders wegen der komplexen und durchaus zwiespältigen Hauptfigur. Auf ihr liegt der Fokus, auch wenn der eigentliche Fall fintenreich geschrieben ist. Ihr Privatleben und einiges an krimineller Energie nehmen einen großen Teil der Handlung ein, was sich am Ende zu einem geschickt erzählten Finale verdichtet.   

  11. Cover des Buches Verehrt, verfolgt, vergessen. Schauspieler als Naziopfer (ISBN: 9783886792924)
  12. Cover des Buches Leonhardsviertel (ISBN: 9783954518128)
    Thilo Scheurer

    Leonhardsviertel

     (23)
    Aktuelle Rezension von: MissWatson76
    Beim Lesen dieses Buch hat man das Gefühl, als wäre hier ein Drehbuchschreiber am Werk gewesen und die Geschichte und das Buch liest sich ein wenig als würde man einen Film sehen. 

    Ich bin ja anfangs ein wenig skeptisch beim Lesen von Regionalkrimis, aber hier kann ich nur sagen, war ein Profi am Werk und hat uns einen fantastischen Krimi geschenkt. 
    Ich kann nur sagen, ich bin absolut begeistert. 

    Die Figuren, zuerst die Ermittler Sebastian und Marga sind vielleicht ein wenig sehr außergewöhnlich, aber das passt doch sehr gut in den Krimi und macht dadurch gerade sehr viel Freude. 
    Sowohl Sebastian als auch Marga haben ihre Eigenarten und auch wenn beide ja altersmäßig weit auseinander liegen, sind beide doch eher ähnlich und haben ihre eigene private Geschichte zu verarbeiten, die für mich fast spannender waren als der Fall selbst. 

    Der Cold-Case-Fall ist dabei ein guter Anfang für beide Ermittler und sie finden hierdurch nach und nach einen Weg zueinander und zusammen zu ermitteln. Beide sind direkt und dickköpfig und ehrlich zueinander und längst nicht nett und höflich, aber dadurch haben wir oft unseren Spaß. Und dennoch ist zu merken, dass sich beide in eine neue interessante Richtung entwickeln und ganz sicher irgendwann ein tolles Team abgeben.  

    Der alte Mordfall selbst scheint anfangs ein wenig normal und vorhersehbar, aber das ist dann doch nicht der Fall. Es entwickelt sich anders als erwartet und die Auflösung hätte ich dann auch so nicht erwartet. 

    Alles in allem hat der Autor uns hier einen rundherum tollen Krimi mit sympathischen, interessanten Ermittlern geboten und einem ersten guten Fall. Und ich hoffe doch sehr, dass hier noch viel mehr folgen wird und ich bin sehr gespannt auf die nächste Geschichte. 



  13. Cover des Buches Das Assessorexamen im Zivilrecht (ISBN: 9783800649020)
    Monika Anders

    Das Assessorexamen im Zivilrecht

     (6)
    Aktuelle Rezension von: Holden
    Das Standardwerk in der Referendarausbildung, uU wird erwartet, daß man das Buch bereits vor Beginn des Referandariats gelesen haben soll (so beim Landgericht Münster). Um Längen besser als der schlimme Ausbildungsabschnitt beim LG Bielefeld. Aber in der aktualisierten Ausgabe war nach Aussage eines Kollegen noch nicht mal auf das neue Schuldrecht umgestellt worden.
  14. Cover des Buches Die Toten schauen zu (ISBN: 9783927734746)
    Gerald Kersh

    Die Toten schauen zu

     (5)
    Aktuelle Rezension von: Gwhynwhyfar
    »Heinz Horner erkannte, dass Bertsch phantasierte, und sagte: ›fettes Schwein.‹ Er rüttelte Bertsch an der Schulter. Bertsch versuchte, ihn zu beißen. Einer der drei namhaftesten Chirurgen der Welt sagte: ›Sie tun ihm furchbar weh.‹ Horner zuckte mit den Achseln und Bertschs Qual war solcher Gestalt, dass selbst eine kleine Störung in Form eines Achselzuckens ihn aufheulen ließ wie einen Hund.«

    Gerald Kersh, ein Meister des Noir, dies 1943 geschriebene Buch, neu aufgelegt vom pulp master Verlag sollte Schullektüre sein. Denn kann die Wahrheit zu brutal sein? Sie muss brutal sein, damit wir verstehen und nicht vergessen. Dieser Roman ist eine Abrechnung mit dem Kriegsverbrechen, das die Nazis im tschechischen Lidice begangen hatten, damit diese Taten nicht in Vergessenheit geraten. Die Geschichte geht zurück auf das Attentat auf Reinhard Heydrich, SS-Obergruppenführer, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, im besetzten Prag am 27. Mai 1942, der die Zerstörung des Dorfes Lidice als Vergeltungsmaßnahme am 9. Juni 1942 befahl: Zerstörung, Erschießung, Deportierung.

    Das Dorf nennt sich hier Dudicka. Ein verschlafenes Nest, versteckt in den idyllischen Bergen, wunderschön beschrieben. Wir lernen Anna und Max kennen, die sich zum ersten Mal küssen. Alles ist friedlich. Doch dann wird in der Nähe der SS-Obergruppenführer Bertsch von einem vorbeifahrenden Motorradfahrer erschossen. Am Rand von Dudicka finden die Deutschen ein Motorrad. Der Mörder muss in diesem Dorf stecken. Ziemlich schnell ist auch klar, das Motorrad ist uralt, verrottet, funktioniert nicht mehr. Doch darum geht es schon gar nicht mehr, an den unschuldigen Dorfbewohnern wird ein Exempel zu statuiert.

    »Der Hauptmann deutete auf eine vergilbte Fotografie in einem Rahmen, die einen Mann mit Vollbart zeigte. ›Der Weihnachtsmann?‹, fragte er. ›Oder Karl Mordechai Marx?‹ ›Mein Vater, Herr Hauptmann, ein guter Mensch.‹«

    Häuser werden systematisch durchsucht, sämtliches Metall wird abmontiert, mit dem Kirchendach wird begonnen, die Männer, Kinder, Frauen werden getrennt eingesperrt.

    »›Klang wie ein Maschinengewehr, Onkel Karel“, sagte Max. ›bedeutet es, dass es Probleme geben wird, Vater?‹, wollte Anna wissen. ›Nein. Es bedeutet Untergang‹, erwiderte der Lehrer gelassen.«

    Die Dorfbewohner verstehen nicht, was vorgeht, der Wald mit den Walnussbäumen wird abgeholzt, ihr Vermögen. Max und Anna konnten in eine Höhle fliehen, halten sich an den Händen, ahnen nur in Fragmenten, was unten im Dorf vor sich geht. Kersh beherrscht es, den Leser immer wieder aus wunderschönen, idyllischen Augenblicken ins Grauen zu werfen. Selbst in dieser Situation gibt es unter den eigenen Leuten Verräter, die Glauben, auf diese Weise heil aus der Sache herauszukommen.

    »Anfangs habe ich gedacht, dass sie Menschen sind, schlechte Menschen zwar, aber Menschen. Nun, es sind keine Menschen. Und sie betrachten uns nicht als Menschen. Weißt du, was sie sagen? Ich habe sie das oft sagen hören: Slawen sind Sklaven. Sie würden einen Hund besser behandeln als jeden von uns.«

    Deutsche Gründlichkeit und Genauigkeit kommen zu Tage. Hier wird von Anfang an alles sauber getrennt: Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Messing, durchgerechnet, wie viele Kugelhüllen mit einem Kerzenständer hergestellt werden können. Skurrile, komische Szenen entstehen, denn die Dorfbewohner nehmen den Feind hin als Zerstörer, wissen nicht, was folgen wird. Doch irgendwann ist auch dem Dümmsten klar, weshalb sie eine tiefe Kuhle ausheben sollen.

    »Das wird heute Nacht unser Bett sein. Unsere Körper werden zu Blumen und Gras und unsere Seelen gehen zu Gott. Habt Mut, denn das ist nicht unser Ende. Unsere Toten schauen uns zu, meine Brüder.«

    Am Ende verbleibt keine Menschenseele zurück. Das Dorf liegt in Schutt und Asche. Insgesamt 405 Personen, denen 90 Häuser und eine Kirche, ein Fluss, ein Steinbruch, Obsthaine und Walnussbäume Heimat bedeuten, ist niedergewalzt. Erschossene Männer, deportierte Kinder, alle, die germanisierbar erscheinen, werden in Pflegefamilien gegeben, die Frauen geschunden verschleppt in Armeebordelle oder in Konzentrationslager.

    »Seine elegante, neue Uniform hing an ihm wie an einer Schneiderpuppe. Unter einer geradezu ungebührlich keck aufgesetzten Uniformmütze funkelten Brillengläser, rund wie die Augen einer Eule. Der Schirm der Mütze warf einen Schatten auf die unauffällige Nase, den ebenso unauffälligen Schnurrbart und auf einen Mund, der aussah wie von einem Messer geschlitzt.«

    Beginnt man zu lesen, ist klar, wie die Sache endet. Aber zu lesen, wie es geschieht, lässt den Leser eine Gänsehaut hochkriechen, lässt ihn erschüttert zurück. Ein Buch gegen das Vergessen, das in der heutigen Zeit hochaktuell. Sprachlich gekonnt, mit erzählerischer Kraft, ein Buch, das zur Pflichtlektüre gehört.

    Kersh, 1911 in eine Familie englischer Juden geboren, war während des Zweiten Weltkriegs ein Bestsellerautor. Er starb verarmt 1968 in den USA, ganz vergessen war er jedoch nie. Sein großartiger Noir »Nachts in der Stadt» wurde zweimal prominent verfilmt.

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