Bücher mit dem Tag "marcel proust"
30 Bücher
- Florian Illies
1913
(294)Aktuelle Rezension von: bibliophilaraGeschichte fand ich früher meistens furchtbar langweilig. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass ich einen Lehrer hatte, der ununterbrochen nur zusammenhanglose Monologe geführt und irgendwelche Daten von unterzeichneten Verträgen in seinen Bart genuschelt hat, ohne jemals etwas an die Tafel geschrieben zu haben. Aber der Kunsthistoriker Florian Illies beweist, dass es auch anders geht. 2012 veröffentlichte er ein historisches Sachbuch, das nur in einem einzigen Jahr spielt: „1913“. In über 300 Seiten entführt er den Leser in ein Zeitalter, das selbst unsere Großeltern nicht miterlebt haben und bietet eine neue Perspektive auf längst vergangene Epochen.
Was ist eigentlich 1913 so alles Wichtiges passiert? Ich wusste vor dem Lesen dieses Buches nur, dass ein Jahr zuvor die Titanic unterging und ein Jahr danach der erste Weltkrieg durch die Ermordung Franz Ferdinands ausgelöst wurde. 1913 selber war für mich aber ein unbeschriebenes Blatt Papier. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich fast alles weiß: Wie Louis Armstrong an seine erste Trompete kam oder Sigmund Freud an seine Katze, welche Intentionen der Kubismus hegte, wie Thomas Mann seine Homosexualität vertuschte und noch vieles mehr. Illies beschäftigt sich mit zahlreichen Themen wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Mode, Musik, Literatur, Architektur, Philosophie und vor allem Kunst. Dabei stellt er die bedeutendsten Persönlichkeiten dieser Zeit vor. Ein besonderes Augenmerk legt er dabei unter anderem auf Franz Kafka, Adolf Hitler, Alma Mahler, Ernst Ludwig Kirchner oder Else Lasker-Schüler und wirft einen Blick hinter die Kulissen dieser großen Namen.
Das Sachbuch ist in insgesamt zwölf Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel steht für einen Monat und beginnt jeweils mit einem Bild und einer Vorschau. Innerhalb dieser Kapitel wird wieder in Abschnitte gegliedert, die nicht mehr unbedingt chronologisch vorgehen. Ihre Länge kann von einem Satz bis zu maximal fünf Seiten variieren und befasst sich entweder mit einem Ereignis oder einer Anekdote über eine Berühmtheit, bei der häufig auch Zitate aus Büchern, Briefen, Tagebüchern oder anderen Niederschriften eingefügt werden.
Illies schreibt optimistisch, humorvoll und manchmal auch sarkastisch, verwendet außerdem den Präsens und wendet sich gelegentlich direkt an den Leser, um Wissenswertes, das inzwischen 103 Jahre auf dem Buckel hat, wieder lebendig zu machen. Sein schriftstellerisches Talent zeigt sich ebenfalls darin, wie geschickt er Verknüpfungen zwischen an sich voneinander unabhängigen Abschnitten mit Wortspielen, Randinformationen, Vergleichen, Wiederholungen oder rhetorischen Fragen schafft und somit aus der episodischen Erzählung, wie aus tausend kleiner Scherben, ein buntes, vollständiges Mosaik kreiert. Der intellektuelle Anspruch wird neben dem Inhalt, der gewisse künstlerische Vorkenntnisse erfordert, mit hoher Eloquenz und komplexem Vokabular fortgeführt. Nicht Wenige werden von Begriffen wie Galopin, exaltieren, Mäzen, Samowar, Clochard, sakrosankt oder Päderastie zumindest einen nicht aus dem Stegreif definieren können.
Bemerkenswert ist ebenfalls der große Aufwand an Recherchen, den Illies über sich hat ergehen lassen. Die Auswahlbibliographie ist klein gedruckt und ellenlang. Es ist demnach nur ein Ausschnitt aus den zahllosen Werken, die er durchwälzt hat, um das Jahr 1913 perfekt zu rekapitulieren. Allein das hat meiner Meinung nach volle Anerkennung verdient. Leider ist ihm dann doch ein kleiner Fehler unterlaufen, denn er verwechselt Kokoswasser mit Kokosmilch. Kokoswasser ist die Flüssigkeit, die im Hohlraum einer Kokosnuss liegt; Kokosmilch wird dagegen aus dem gepressten Fruchtfleisch gewonnen. Die Anekdoten sich gleichermaßen faszinierend, wie auch verstörend. Neben Homosexualität sind auch Inzest, Polygamie, Prostitution, Drogenkonsum und Psychosen keine Tabuthemen.
Warum gerade das Jahr 1913 gewählt wurde, vermag ich lediglich zu mutmaßen. Es könnte einerseits daran liegen, dass der erste Weltkrieg sich bereits anbahnte, das Jahr also historisch betrachtet wie ein Wetterumschwung war und die Menschheit damit gut repräsentiert: Eine Mischung aus Gut und Böse. Künstlerisch gesehen waren die 1910er ein Zusammenprall vieler verschiedener Stile, die facettenreiche und widersprüchliche Kunstwerke zutage brachten. Genau das Richtige also für einen Kunsthistoriker wie Florian Illies. Andererseits liegt das Jahr auch inzwischen weit genug zurück, um keine Zeitzeugen mehr zu haben, die sich noch daran erinnern könnten. Es bleiben uns also nur noch Archive, um Informationen einzuholen.
Falls es jemals eine Fortsetzung von „1913“ geben sollte, würde ich sie definitiv auch lesen, jedoch bezweifle ich, dass es dazu kommen wird. Es würde mich wirklich brennend interessieren, für welches Jahr sich Illies dann entscheiden würde. Aber vielleicht kann sogar er die Frage nicht richtig beantworten.
Wer weder vor Kunstgeschichte noch vor hochgestochener Sprache zurückschreckt, hat mit „1913“ von Florian Illies das perfekte Lesefutter gefunden. Egal wie viel Vorwissen man besitzen mag, niemand wird nach dem Lesen behaupten können, nichts spannendes Neues in Erfahrung gebracht zu haben. Wer sich allerdings eher als Kulturbanause bezeichnet, sollte um dieses historische Sachbuch einen großen Bogen machen. Ich zolle Illies‘ Recherchearbeit und fantastischem Schreibstil höchsten Respekt. Besser hätte man ein Buch zu diesem Thema gar nicht umsetzen können. Der kleine Fehler mit der Kokosnuss ist zu gering, als dass er hier ins Gewicht fallen könnte, deswegen erhält „1913“ von mir verdiente fünf Federn.
- Marcel Proust
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Band 1
(37)Aktuelle Rezension von: glowinggloom4185 Seiten; von nun an wird mich kein Buch mehr wegen seiner Seitenzahl zurückzucken lassen. Habe 3 ½ Monate dafür gebraucht. Auf der Handlungsebene geht es in dem Roman u.a. um das gesellschaftliche Leben in französischen Adelskreisen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts (das als unglaublich dünkelhaft geschildert wird), den leidenschaftlichen Antisemitismus in Frankreich (insbesondere im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre), die Homosexualität (vorwiegend die männliche Form), die pathologische Eifersucht des Ich-Erzählers (also von Proust selbst, in diesem autobiografischen Roman). Der Roman folgt der Literatur-Theorie von Proust, die im letzten Band erläutert wird und die aus dem subjektiven Empfinden der Erinnerung an die eigene Vergangenheit schöpft (wobei ich nicht sicher bin, ob ich Proust´s Theorie verstanden habe). Ich finde die Schachtelsätze von Thomas Mann sind Sprachkunstwerke, die man sich ausschneiden und einrahmen möchte. Die langen Sätze von Proust finde ich quälend zäh, manchmal am Rande des Zumutbaren. Ich vermute, dass die Sprache bei der Übersetzung auf der Strecke geblieben ist. Thematisch fand ich den Roman teilweise interessant aber die Sprache hat mir die Lektüre verleidet.
- Christine Féret-Fleury
Das Mädchen, das in der Metro las
(269)Aktuelle Rezension von: herr_hyggeSobald Juliette auf dem Weg zu ihrem langweiligen Makler-Job in die Metro steigt flüchtet sie sich in die bunte Welt der Bücher, oder beobachtet die Menschen um Sie herum. Da ist die Dame mit dem Kochbuch oder der Mann mit dem grünen Hut, der immer in eine Insektenfibel vertieft ist.
Eines Tages, als sie beschließt zwei Stationen vor ihrem eigentlichen Ziel auszusteigen, begegnet Sie Soliman und seiner Tochter Zaïde, die zwischen unzähligen Bücherstapeln in einem Lagerhaus wohnen. Soliman ist fest davon überzeugt, dass jedes Buch die Kraft hat ein Leben für immer zu verändern, wenn es nur an die richtige Person vermittelt wird. Dafür beauftrag er spezielle Kuriere, welche die kostbaren Güter unter die Leute bringen, die es tätig haben. Juliette wird zu einer solchen Botin und erlebt am eigenen Leib wie Bücher ein Leben verändern können.
Eine nette kleine Geschichte die Christine Furet-Fleury in ihrem Roman „Das Mädchen, das in der Metro las“ niedergeschrieben hat. Allerdings wird dieses Buch mein Leben nicht verändern, denn mehr als die Eigenschaft „nett“ kann ich der Handlung nicht zugestehen.
Eigentlich mag ich Geschichten, die leise vor sich hin plätschern sehr gerne, aber diese war mir dann doch etwas zu leisen. Ich kam nicht richtig rein und es fiel mir schwer zu verstehen was die Figuren in ihrem Handeln antreibt. Alles wirkte etwas farblos und wie eine ausführliche Lektüren-Liste um die eine Geschichte gewoben wurde. Es gab wirklich gut geschriebene Szenen, allerdings befürchte ich, dass diese nicht ausreichen werden, damit mir dieses Buch in Erinnerung bleibt. - Marcel Proust
In Swanns Welt
(29)Aktuelle Rezension von: tara_tonksIn diesem Band sind die ersten beiden Bücher von Proust's Werk: "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Der Schreibstil Prousts ist unglaublich schön. Man kann sich leicht in seine Welt hinein träumen. Jedoch sind dieser endlosen Schachtelsätze manchmal sehr schwer zu folgen. Doch wenn man sich Zeit nimmt, und einmal in eine andere Welt, eine Welt der vergangenen Zeit, kennen lernen möchte, dann ist man bei Proust ehr richtig. Vor allem wird die Liebe thematisiert. Die Liebe in allen Variationen. - Alain De Botton
Wie Proust Ihr Leben verändern kann
(25)Aktuelle Rezension von: AQuaWunderbar lässt es sich mit Alain de Botton über Marcel Prousts Weltsicht nachdenken. Erhellende Ausführungen aus dem Leben Prousts ergänzen das literarische Material der Recherche und füllen Lücken aus, die den Lesenden wohlmöglich geblieben sind. Gerne hätte ich noch mehr davon gelesen.
Lediglich das immer wieder angedeutete Format eines Ratgebers wirkt etwas bemüht. Das hätte es nicht gebraucht.
- Arnaldur Indriðason
Kälteschlaf
(167)Aktuelle Rezension von: sommerlese"Kälteschlaf" ist der Band der Erlendur-Reihe von Arnaldur Indriðason, die bei Bastei Lübbe erscheint.
An einem kalten Herbstabend wird an Islands geschichtsträchtigem See von Þingvellir die Leiche einer jungen Frau gefunden. Auf den ersten Blick ein Selbstmord, doch Kommissar Erlendur wird misstrauisch, als ihm der Mitschnitt einer Séance zugespielt wird: Kurz vor ihrem Tod hatte sich die Frau an ein Medium gewandt. Trotz seiner tiefen Skepsis gegenüber spiritistischen Praktiken geht Erlendur den Hinweisen nach und rührt dabei an ein gut gehütetes Familiengeheimnis, das die Jugend dieser Frau überschattet hat Ausgezeichnet mit dem Blóðdropinn, dem Isländischen Krimipreis
Kommissar Erlendur ist ein Eigenbrödler und hängt sich in den Fall einer jungen Frau, die angeblich Selbstmord begangen hat. Die Kollegen sehen keinen Ermittlungsbedarf, aber Erlendur forscht weiter nach, erinnert sich an einen alten Fall, in dem ein junger Mann starb und stellt Verbindungen her. Dabei stösst er auf grausame Erlebnisse und daraus folgenden tiefen Konflikten in den jeweiligen Familien.
Vor Jahren verschwanden junge Menschen und die Spuren wurden nie entdeckt, gibt es hier einen Zusammenhang?
Erlendur geht den Spuren eines Beweisstückes nach, dabei handelt es sich um eine Aufzeichung einer Séance. Mit diesem Medium führt der Krimi in eine mysteriöse Welt, die zwar für Isländer mit ihrem Glauben an Fabeln und mythologische Wesen zu ihrer Denkweise gehören, für mich aber einfach nicht fassbar und glaubhaft sind. Deshalb habe ich die Handlung auch nur halbherzig und ohne Überzeugung gelesen. Auch die Thematik der Nahtoderfahrung hat mich nicht so sehr interessiert.
In den Erlendur-Krimis gefällt mir der nüchterne Erzählstil und man erfährt einiges über die Landschaft und die Bewohner Islands. Gleichzeitig wirft man einen Blick in die persönliche Welt des Ermittlers, was ich normalerweise interessant finde. In Kälteschlaf lassen zahlreiche Dialoge zwischen Erlendur und seiner Tochter familiäre Spannungen sichtbar werden. Zusätzlich ist Erlendurs eigene Vergangenheitsbewältigung ebenfalls ein wichtiges Thema, was in diesem Krimi aber leider für langatmige Szenen sorgt, in denen die Fallaufklärung in den Hintergrund rückt und die Spannung deutlich darunter leidet.
Schade, "Kälteschlaf" konnte mich nicht ganz überzeugen, es gab einfach zu viele langatmige Szenen, die vom eigentlichen Fall abgelenkt haben. In der Reihe gibt es bessere Krimis!
- Jochen Schmidt
Schmidt liest Proust
(6)Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-NutzerSchmidt liest Proust. Die Quadratur der Krise > Von der Quadratur des Kreises, einem klassischen Problem der Geometrie kommen wir heute zur Quadratur der Krise (so der Untertitel von Jochen Schmidts Buch), einem klassischen Problem der interessierten Leserschaft: Wann in meinem Leben werde ich Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ lesen? Nicht eines der insgesamt sieben Bücher, nein. Alle sieben Teile! Wann nur werde ich je Zeit haben, mir diesen Klassiker der Weltliteratur vorzunehmen? Zeit haben, ihn zu lesen, um dazuzugehören. Zu der Welt derjenigen, die den Gipfel dieser schriftstellerischen Erotik bereits erklommen haben. Jochen Schmidt gehört jetzt definitiv dazu. Das beweist nicht nur das vorliegende, bei dem Independent Verlag Voland & Quist erschienene Buch. Der Jungverlag, 2004 gegründet, möchte „Liveliteratur“ machen, lesbar, lebbar, hörbar. Und das ist „Schmidt liest Proust“ auf jeden Fall. Jochen Schmidt nahm sich vor, sechs Monate lang jeden Tag zwanzig Seiten der „Recherche“ (der französische Titel lautet „À la recherche du temps perdu“) zu lesen und über seine Lektüreerfahrungen mit Marcel Proust zu schreiben. Im Jahr 2006 führte Schmidt dazu einen Internetblog. Zwei Jahre später hat er aus dem virtuellen Lektüreblog ein Buch gemacht. Wie muss man sich ein solches Buch denn überhaupt vorstellen? Wie kann jemand einen Klassiker der Weltliteratur in ein Buch zusammenpressen, ohne ihm nicht mehr gerecht oder eine bloße Paraphrasierung zu werden? Das gut 607 Seiten starke Hardcover ist selbst in sieben Bücher unterteilt, bleibt damit den einzelnen Bänden der Recherche treu und befasst sich jeden Tag mit den zwanzig von Schmidt gelesenen Seiten auf eine vor allem persönliche Weise. Der Leser erfährt, wo sich Schmidt geographisch befindet, der erste Eintrag im Proust-Erfahrungsbuch beginnt am 18. Juli 2006 in Berlin. Vor allem erklärt sich Jochen Schmidt selbst, er schildert seine Lese- und Lebensumstände, seine Gedanken, Zweifel und Alltagseindrücke. Dabei will Schmidt keineswegs eine besonders fundierte Interpretation oder Meinung zu Prousts Lebenswerk bieten, sondern einen assoziativen Leseprozess festhalten. Er gibt damit tiefen Einblick in sein eigenes Leben und durch sein eigenes Sympathisieren kann er vielleicht schaffen, was so manches hochliterarische Buch nicht kann: die Verführung zur Leidenschaft mit dem Buch. Besonders bemerkenswert sind dabei die Rubriken: Bewusstseinserweiterndes Bild, Unklares Inventar Verlorene Praxis, Selbständig lebensfähige Sentenz, Katalog kommunikativer Knackpunkte und Erstaunliche Behauptung. Hierbei bezieht sich Schmidt vollkommen auf Prousts Erzählstil. Jochen Schmidt verweist auf bewusstseinserweiternde Bilder wie „Im Winter ist die Seine zugefroren, ‚der nun alle, selbst die Kinder, sich furchtlos näherten wie einem riesigen gestrandeten Wal, der wehrlos seiner Zerteilung entgegensieht‘ “; unklare Inventare wie „Camaïeumalereien“, „Jett-Tropfen“ und „Den Telefonhörer einhängen, und ‚damit die Zuckungen dieses klingenden Stumpfes‘ ersticken“, aber auch so wunderschön melancholische verlorene Praxen wie „Aus Trauer um einen Mann überall seine Initialen mit den eigenen verflechten.“ Vor allem zeigt Jochen Schmidt mit seinen Ausführungen ‚jeden Tag‘ von Neuem, dass auch das Leben eines im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Gewesenen fesseln und beeindrucken, ja große Auswirkungen auf das eigene tägliche Sein haben können. Das stellt eine der größten Stärken dieses Buches dar: diese unverhohlene Liebeserklärung an die Literatur. Sollte man nicht Proust vorher einmal gelesen haben, um dieses Buch überhaupt verstehen zu können? Nicht unbedingt. Sicherlich mag ein gewisser Einblick in die Schreibe Marcel Prousts nicht von Nachteil sein, die sympathische und witzige Sprache des ehemaligen Literaturstudenten und jetzigen Autors und Journalisten Jochen Schmidt aber bilden eine vollkommen eigene und erfahrenswerte Welt. Das optisch sehr ansprechend gestaltete Hardcover mit dem unverzichtbaren Lesebändchen lädt zum Lesen ein und kann einem in durchaus kurzen und übersichtlichen Kapiteln selbst über ein halbes Jahr begleiten. Wenn man denn die lockerleichte Prosa von Jochen Schmidt nach einem Kapitelchen überhaupt noch zur Seite legen kann. „Ich habe mir nie angemaßt, etwas Relevantes zu sagen zu haben, ich wollte nur meine Begeisterung mitteilen und andere zur Lektüre verführen“, schreibt Schmidt in seinem Vorwort des Buches. Das hat er zweifellos getan. Michael Maar bereits hat dieses Buch als eines der originellsten Proust-Bücher seit Alain de Bottons "How Proust can change your life" bezeichnet. Dem ist nichts hinzuzufügen. Fazit: Dieses Buch ist etwas für längere freie Momente, die man dem Lesen eines aberwitzigen, schlauen Autors widmen will, der zwischen dem Reflektieren und Verdauen des Klassiker-Schinkens von Proust vor allem den Blick für sein gegenwärtiges, alltägliches Leben in die Recherche und das Leben mit ihr einbezieht und dadurch gerade ein Bild der gesellschaftlichen Gegenwart entwirft. Aber es ist auch absolut etwas für die kürzeren Momente des Lebens, in denen man sich kolumnistisch gut unterhalten wissen möchte. Das besondere Schmankerl dieses Buches stellt die CD dar, auf der Jochen Schmidt von Tag 55 bis Tag 64 selbst seine Leseerfahrungen vorliest. Einlegen, mitlesen, einen Autor einmal anders kennen lernen. Absolute Leseempfehlung! - Marcel Proust
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Frankfurter Ausgabe
(13)Aktuelle Rezension von: ClariMit Proust auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Mit dem zweiten Band der monumentalen Ausgabe von Marcel Prousts „ Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ begann ich mich mit dem Werk Proust vertraut zu machen. Es ist der Band mit dem Titel „ Im Schatten junger Mädchenblüte.“ Fortan konnte ich von diesem meisterhaften Dichter der Sprache und der Reflexion nicht mehr lassen. Worum geht es? Der Icherzähler lebt zu Ende 19. Jahrhunderts in Paris und gehört zur gehobene Gesellschaftsschicht. Hier und bei seinem Landaufenthalten mit der Familie verkehrt er in den höheren Adelskreisen, erlebt seine erste große Liebe, die unglücklich endet, und lernt viele bedeutende Persönlichkeiten kennen, die in seinem weiteren Leben eine Rolle spielen werden. Immer wieder ist er bestrebt, als Schriftsteller tätig zu werden, woran ihn aber seine Faulheit hindert. In steter Reflexion übt er sich im Beobachten und wird erst zum Ende seines Lebens im Erinnern seine Fähigkeiten als Dichter unter Beweis stellen. Schon bei den ersten Sätzen des Romans ist man mitten im Pariser Gesellschaftsleben angekommen. Charakterisierungen von Menschen, gepflegte Konversation und auch Klatsch und Tratsch werden in einer sublimierten und differenzierten Weise zum Besten gegeben,der man sich sofort verbunden fühlt. Zum Inhalt lässt sich nicht adäquat berichten, denn allzu einmalig und neu waren die Gedanken und Gefühle, mit denen Proust über seine Beobachtungen und Wahrnehmungen im Erfassen der Welt berichtet. Sensibel und feinfühlig sind seine Impressionen, mit denen er uns an seinem tief innerlichen Seelenleben teilnehmen lässt. Eigene Gefühle werden beim Leser der eindrucksvollen und in ausgewählt differenzierter Sprache erlebten Erinnerungen angestoßen, so dass sich Gedanken und Empfindungen zur selbst erlebten Vergangenheit einstellen. Sich dem Fluss von Prousts Sprache zu überlassen bedeutet Hochgenuss und musische Reflexion von Vergangenem und Gegenwärtigem. Da werden Gerüche und symbolische Gegenstände der Kindheit neu entdeckt und Orte und Stimmungen gewinnen Wiederbelebung, die längst vergessen schienen. Man begibt sich selber auf die Suche nach der verlorenen Zeit und erlebt das Glück längst vergangener Seligkeiten. Mit Proust zu leben heißt, das Leben neu zu fühlen und sich dem Strom der Erkenntnisse zu überlassen, die durch seine feine und hoch empfindsame Sprache geweckt werden. Seine Suche nach der verlorenen Zeit ist das Glück der Stunde und die wache Reaktion auf Eindrücke, durch die auch wir die Welt neu entdecken können. Wer Proust noch nicht gelesen hat, sollte es mit dieser Ausgabe versuchen. Sie ist erschwinglich und in der Dünndruckausgabe ästhetisch verarbeitet. - Luzius Keller
Proust 1913
(1)Aktuelle Rezension von: kingofmusicWar mir vor ein paar Tagen „Proust im Engadin“ von Luzius Keller noch zu „in unendlichen Details“ verloren, bin ich von „Proust 1913“ des gleichen Autors recht angetan.
Hier bekommt die geneigte Leserschaft nämlich einen (teils amüsanten) Einblick in die Arbeit von Marcel Proust an seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ - mit besonderem Augenmerk auf den ersten Band „Unterwegs zu Swann“, der nach unendlichen Überarbeitungen von Proust und einigen Absagen verschiedener Verlage Ende 1913 erschien.
Bei den beschriebenen Verschrobenheiten von Marcel Proust musste ich teilweise herzhaft grinsen und man bekommt eine Ahnung davon, was für eine Person er war. Auf der einen Seite von sich und seiner Arbeit überzeugt, auf der anderen Seite aber auch von Selbstzweifeln geplagt, die ihn immer dazu gebracht haben, sich ständig bei anderen Leuten bzgl. seines Textes abzusichern, was manch einen auch mal zum sprichwörtlichen „Augenrollen“ gebracht hat (so liest es sich zwischen den Zeilen) und ihn (den Text) öfter zu revidieren. Hier wird schon der Hang von Marcel Proust zu überlangen Passagen und Sätzen deutlich.
Darüber hinaus lernen die Leserinnen und Leser etwas über die Pariser Kunst-, Literatur-, Theater- und Musikszene im Jahr 1913.
All das macht „Proust 1913“ zu einem kurzweiligen und interessanten Büchlein, das jede(r), der sich näher mit Marcel Proust beschäftigt, gelesen haben sollte.
Ich freue mich auf mein „Proustjahr“ 2019 *g*.
- Luzius Keller
Proust im Engadin
(2)Aktuelle Rezension von: kingofmusic„Das Lesen liegt an der Schwelle des geistigen Lebens; es kann uns darin einführen, aber es ist nicht dieses Leben.“ (Marcel Proust)
Luzius Keller ist ein ausgewiesener Marcel Proust-Kenner und (wie mir scheint) ein Nerd in Bezug auf eben diesen Autor. Wobei das jetzt keinesfalls negativ verstanden werden soll – eher als „Erklärung“ dafür, dass er sich in seinem Band „Proust im Engadin“ an der ein oder anderen Stelle etwas in Details verliert, wo die geneigte Leserschaft evtl. denkt „Okay, ganz so ausführlich und episch hätte man es jetzt nicht ausbreiten müssen…“. Aber gut – der eine mag es, die andere nicht.
Interessant ist das bei aller wissenschaftlicher Epik ausgebreitete und entsprechend manchmal etwas schwierig zu lesende Büchlein immer dann, wenn der Leser direkt etwas über die literarische Herangehensweise von Marcel Proust erfährt. Z. B. welche Bezüge des realen Lebens sich in seinem literarischen Oeuvre finden, welche Rolle Richard Wagner in seinem Leben und seiner Literatur spielt und die Entwicklung seiner literarischen Anfänge in Literaturzeitschriften in Paris hin zu seinem Opus Magnum „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Die ersten prosaischen Texte von Marcel Proust lassen schon ein wenig erahnen, was für ein Schriftsteller später aus ihm wird.
Die übertrieben genaue Beschreibung Kellers der verschiedenen Zugverbindungen nach St. Moritz, der allererste Satz „Auf seiner Suche nach Spuren großer Schriftsteller, Maler und Musiker in Graubünden hat Kurt Wanner eine Entdeckung gemacht, die das Herz jedes Literaturliebhabers höher schlagen lässt.“ oder die penible Aufdeckung von Fehlern in den Proust-Biografien von Jean-Ives Tadié und George D. Painter wirken an der ein oder anderen Stelle auf mich etwas „oberlehrerhaft“ und haben mich tatsächlich auch ein paar Mal „querlesen“ lassen, da es mich eher wenig interessiert, wer wann im Jahr 1893 oder 1894 in einem Hotel in St. Moritz abgestiegen ist, wo die einzelnen Hotels und Pensionen genau gestanden haben und ob die literarischen Beschreibungen Proust´s Reise ins Engadin 100%ig mit der realen Landschaft übereinstimmen.
Aber gut, vielleicht bin ich auch einfach zu wenig „Literaturwissenschaftler“. Im Großen und Ganzen habe ich mit „Proust im Engadin“ einen kleinen, teils informativen Vorabblick auf Marcel Proust bekommen und ich freue mich jetzt umso mehr auf mein Vorhaben, im nächsten Jahr die angesprochene Tadié´sche Biografie zu lesen, bevor ich mich dann auf die Suche nach der verlorenen Zeit mache :-).
3*
- Stéphane Carlier
Clara und die Poesie des Lebens
(17)Aktuelle Rezension von: DajobamaClara und die Poesie des Lebens – Stephane Carlier
Clara liest Proust. Man sollte sich wirklich ein wenig für Proust und sein Werk interessieren, denn Clara liest viel.
Im ersten Teil dieses Romans wird Claras Alltag vorgestellt – als Friseurin, mit ihrem Freund, von dem sie sich etwas entfernt hat, mit ihrer ängstlichen Katze. Nichts spektakuläres. Und dann entdeckt sie Proust für sich, was den Rest des Buches füllt.
Also im Grunde ist es ein Plädoyer dafür, Proust zu lesen. Proust in allen Lebenslagen, mit vielen Zitaten. Ich muss ja sagen, dass es dem Autor bzw. Clara bei mir in gewisser Weise gelungen ist, meine Neugier zu wecken. Tatsächlich habe ich schon lange den ersten Band daheim und habe ihn mir nun zur weiteren Prüfung bereitgelegt.
Das Problem an diesem Roman ist nur, dass die restliche Geschichte drum herum viel zu dünn ist. Die Figuren sind nicht ausgereift, sondern nur Beiwerk. Es gibt kaum eine runde Handlung. So wäre dieses Proust-Thema vielleicht in einem Sachbuch besser aufgehoben gewesen.
Mit Müh und Not gibt es von mir 3 Sterne.
- Isolde Ohlbaum
Lesen
(12)Aktuelle Rezension von: Tilman_SchneiderDies ist ein wunderschöner Band zum verschenken oder selbst genießen. Isolde Ohlbaum hat wunderschöne Bilder fotografiert die alles das Thema Lesen verarbeiten. Begleitet werden sie von wunderschönen Texten und machen das ganze zu einem einzigartigen Vergnügen. Eine Homage an das Lesen und ein besonderes Geschenk
- Marcel Proust
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Bd. 8. Sodom und Gomorra 2
(1)Noch keine Rezension vorhanden - Eric Karpeles
Marcel Proust und die Gemälde aus der Verlorenen Zeit
(2)Aktuelle Rezension von: GillGartenstadtAls ich begann die Verlorene Zeit zu suchen und im ersten Band, Unterwegs zu Swann, in die Beschreibung einer französischen Landschaft eintauchte, hatte ich plötzlich die Seerosenbilder von Claude Monet in ihrer schillernden Klarheit vor Augen. Es berührte mich sehr, als ich im Anhang las, dass sich Marcel Proust genau an dieser Stelle (Seite 248, Taschenbuchausgabe Suhrkamp) tatsächlich auf Monets Nymphéas bezieht, die ich 2004 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin gesehen habe.
Als fleißige Fußnotenleserin spürte ich noch mehr Gemälde in Prousts Romanwelt auf und suchte sie mir im Internet zusammen oder besuchte das Mauritshuis in den Haag, um das kleine gelbe Mauerstück in Vermeers Ansicht von Delft zu suchen.
Welch ein Genuss, nun viele dieser Meisterwerke europäischer Malerei im Druck betrachten zu dürfen und mit ihnen Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit erneut zu erleben. Wie Sterne aus der Verlorenen Zeit senden uns die Gemälde ihr strahlendes Licht! Jedes Gemälde ist mit einer kurzen zeitlichen Zuordnung im Roman und der jeweiligen prägnanten Textstelle abgebildet. Weitere interessante Informationen über die Bilder und ihre Bedeutung für Proust finden sich im Anhang, die sollte man sich trotz der leider winzigen Schrift nicht entgehen lassen!
Dank Eric Karpeles lässt sich eine ganz besondere Dimension in Prousts Werk vertiefen; die der Kunst. Figuren, Gesichter, Kleidung, Landschaften und Stimmungen ausgewählter Gemälde flicht er geschickt in seinen Roman, was sooft mit Witz gschieht. Zum Beispiel beschreibt er den Anzug einer fiktiven Figur, die des Monsieur de Charlus, mit dem Portrait seiner realen Vorlage, gemalt von James Abbot McNeill Whistler. Arrangement in Schwarz und Gold: Graf Robert Montesquiou-Fezensac, 1891/92 (Seite 199 im vorliegenden Bildband). Jedoch zitiert Proust nicht einfach nur dieses Bild, sondern setzt noch eine Winzigkeit, einen roten Farbtupfer, hinzu: das Kreuz des Malteserordens. Es ist ein wenig so, als würde er einem Bild einen Bart aufmalen. Mit seiner Romanfigur, dem Maler Elstir (Anagramm für Whistler), schwingt Proust sogar selber den Pinsel. Diese Kreationen hätte ich auch ganz gerne noch in diesem Bildband wiedergefunden:)