Bücher mit dem Tag "Matthes & Seitz"

Hier findest du alle Bücher, die LovelyBooks-Leser*innen mit dem Tag "Matthes & Seitz" gekennzeichnet haben.

5 Bücher

  1. Cover des Buches Dunkle Zahlen (ISBN: 9783957575395)
    Matthias Senkel

    Dunkle Zahlen

     (12)
    Aktuelle Rezension von: dj79

    Schon folgender Auszug aus dem Klappentext gibt den intelligenten Humor preis, mit dem Matthias Senkel den Leser durch seinen Roman führt: „Wie willst Du wissen, dass du noch derselbe bist, wenn du aus einem Traum erwachst?“ „Wenn ich es nicht wäre, würde sich doch sofort die Frage stellen, was in eben diesem Moment derjenige macht, der sich am Abend zuvor in mein Bett gelegt hat“, erwiderte Sergei. „Woraus, wenn ich es recht überlege, ein heikles Problem für unser aller Sicherheit erwachsen könnte.“

    Dunkle Zahlen von Matthias Senkel ist ein Roman, der den Leser regelrecht dazu auffordert, neue Wege zu gehen, damit ein interaktives, vielleicht nerdiges Leseerlebnis zu wagen. Es ist nicht lediglich eine geradlinige Geschichte, auch keine Geschichte mit mehreren Erzählsträngen. Behandelt wird die teilweise durch Fiktion ergänzte Historie der Rechnerentwicklung in der Sowjetunion. Als Aufhänger dient die internationale Programmierer-Spartakiade, die im Roman 1985 in Moskau stattfindet. Im Verlauf begegnet man unzähligen Charakteren, von denen ich Leonid Michailowitsch Ptuschkow, Dimitri Frolowitsch Sowakow und Jewhenij Arsenjewna Swetljaschenko mit größerem Interesse in ihrem Werdegang verfolgt habe.

    Bestimmt kann das Buch wie gewohnt von Anfang bis Ende gelesen werden,  ich bin allerdings auf Basis des Programmablaufplans auf Seite 9 vorgegangen. Ich las mal vorn, mal weiter hinten im Buch, es war ein Vor- und Zurückblättern. Trotzdem war das Konstrukt logisch. Nur wusste ich dadurch nicht so genau, wieviel Lesevergnügen mir noch bleibt.

    Matthias Senkel hat in seinem Roman Dinge verbunden, die man in dieser Konstellation eigentlich nicht erwartet. Neben Märchenhaftem und Fantastischem gibt es Fakten wie auf Seite 164 „— etwa, dass zwischen jeder beliebigen Zahl und ihrem verdoppelten Wert mindestens eine Primzahl liegt.“ Ergänzt wird die Geschichte durch Verzeichnisse zu Abkürzungen, Fachbegriffen und Figuren. Ein Witzarchiv und ein Kreuzworträtsel wird als Topping serviert. Als persönliche Highlights bin ich in „Dunkle Zahlen“ über ein paar Kindheitserinnerungen gestolpert. Neben dem Eierfangspiel mit dem Wolf seien hier beispielhaft nur die Kinderreime von Seite 429 erwähnt.

    Natürlich ist es nicht ganz einfach, diesen wechselhaften Singsang zu lesen. Dass ich die gesamte Geschichte korrekt erfasst habe, würde ich ebenfalls nicht behaupten. Was bleibt ist ein Eindruck von Engagement, Leidenschaft und Durchhaltevermögen für ein höheres Ziel, ebenso von Mangel und Tauschgeschäften, aber auch von Spionage, Überwachung und den damit einhergehenden Folgen. Ein wenig konnte ich zudem die sowjetische Seele kennenlernen. Summa summarum, mir hat der Roman gut gefallen.

  2. Cover des Buches Die Tagesordnung (ISBN: 9783957579072)
    Éric Vuillard

    Die Tagesordnung

     (32)
    Aktuelle Rezension von: aktionskuenstler

    Éric Vuillard erzählt vom Aufstieg der Nationalsozialisten. Er erzählt diesen auf eine ungewöhnliche Art und Weise, er wählt insbesondere zwei zentrale Ereignisse als Themen seines Romans. Erzählt wird vom Treffen der führenden Industrievertreter mit Adolf Hitler am 20. Februar 1933, rund einen Monat nachdem dieser zum Reichskanzler ernannt wurde. Und er erzählt vom Anschluss Österreichs an Deutschland im Jahr 1938, wobei diese Erzählung den weitaus größeren Teil des Buches einnimmt. Das Buch erzählt diese historischen Ereignisse nach, schmückt sie mit Details aus. Es verwendet diese beiden Ereignisse als Aufhänger, um immer wieder auch andere dazugehörige Themen anzusprechen, die Ereignisse aus der heutigen Perspektive einzuordnen, immer wieder werden beispielsweise die Nürnberger Prozesse einbezogen.

    Inhaltlich ist das wenig Neues. Doch Vuillard gelingt es, dieses Thema grandios aufzubereiten. Seine sprachlichen Bilder sind grandios und lassen den Roman und seine Figuren durchweg plastisch erscheinen. Das Treffen der Industriellen mit Hitler passiert so geräuschlos, so banal. Der Roman erzählt die Geschichte eines Wegsehens. Und er erzählt die Geschichte eines großen Bluffs und eines Nachgebens, veranschaulicht durch den Anschluss Österreichs. Die Nationalsozialisten setzen die österreichische Regierung gibt bei allen Forderungen irgendwann nach. Die Erzählung offenbart die große Inszenierung, die dahinter steckt. Mit Propaganda, mit Drohungen, mit vorgetäuschten Militärmanövern bei gleichzeitig dysfunktionaler militärischer Austattung.

    Ein brillanter Roman über den Aufstieg Hitlers. Ganz am Ende schlägt noch einmal den Bogen in die Gegenwart und erklärt, man falle zwar nicht zwei mal in den gleichen Abgrund, aber man falle immer auf die gleiche Art und Weise, in einer Mischung aus Lächerlichkeit und Entsetzen. Genau deswegen ist dieser Roman wichtig.

  3. Cover des Buches Das große Spiel (ISBN: 9783957575265)
  4. Cover des Buches Der Große Garten (ISBN: 9783957579645)
    Lola Randl

    Der Große Garten

     (25)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer

    Viele der kurzen Kapitel sind auf schlichte Art ungemein charmant und sprühen vor feinem Humor, andere entpuppen sich als wahre Schatzkästchen des Gartenwissens. Blumen, Gemüse, Setzlinge, Schädlinge, verschiedene Bodenarten – für jemanden, der (wie ich) keinerlei Ahnung von Gartenbau hat, sind das böhmische Dörfer. Bisweilen beschlich mich der Gedanke, dass dieser Teil des Buches an mich verschwendet war, oder dass diese Kapitel sich womöglich besser als Teil der Gartenkolumne einer Tageszeitung eignen würden.


    Gott sei Dank ranken sie sich verspielt um die Menschen herum, die Lola Randl zu Wort kommen lässt: Da ist die Ich-Erzählerin (Lola Randl selber?), die keine Ahnung hat vom Landleben, aber zurückwill zur Natur. Meistens jedenfalls. Da sind ihr Mann und ihr Liebhaber – und ihr Analytiker, der irgendwie ebenfalls ihr Liebhaber ist, und die alte Künstlerin, deren Liebhaberin sie manchmal gerne wäre. Und ihre Therapeutin, die nicht mehr weiterweiß. Da ist ein altes Ehepaar, das Herzblut in die Bestellung von Saatgut steckt und sich jetzt damit auseinandersetzen muss, dass er zum Pflegefall wird. Dann gibt es noch die jungen Japanerinnen, die wieder alle Erwartung sehr viel Erfolg damit haben, mitten in der Uckermark ein japanisches Café aufzuziehen. Und, nicht zu vergessen, da ist die Kommune, die der Liebhaber aus Versehen beherbergt – inklusive seines selbsterklärten Sklaven, der die Freiheit darin sucht, keine Entscheidungen treffen zu müssen.


    Und natürlich die Mutter der Erzählerin, die sich als Expertin für Gartenwissen schwer damit tut, ihrer Tochter in deren Garten den ersehnten Freiraum zu lassen. Bedeutet das doch, dass die Fehler macht und Gewächse kreuz und quer in den falschen Boden und die falschen Lichtverhältnisse setzt. (Der Hinweis, wie gut sich das als Metapher übertragen lässt auf das Tochterleben, erübrigt sich.)


    Lola Randls Garten entpuppt sich als Kaleidoskop des alltäglichen menschlichen Chaos: da wuchern die Befindlichkeiten; da blüht die Hoffnung; da stellt sich heraus, dass Gefühle sich in etwa so gut herausrupfen lassen wie die Gemeine Quecke. Das Leben ist kompliziert, die Sprache schlicht. Bisweilen wirkte sie auf mich wie das literarische Äquivalent zur naiven Bauernmalerei, sodass Inhalt und Sprache ein schlüssiges Gesamtbild ergaben.


    Fazit


    Eine Frau sucht neuen Sinn in ihrem Garten auf dem Land – auch wenn sie keine Ahnung vom Gartenbau hat und einfach kreuz und quer pflanzt, was sie gerade schön findet. Ihre gartenaffine Mutter, händeringend, tut sich schwer damit, ihre erwachsene Tochter Fehler machen zu lassen. Und überhaupt, eigentlich sollte auf dem Land doch alles ruhig und einfach sein, aber die Erzählerin muss feststellen, dass sie sich das Leben schon selber kompliziert macht. Da ist ihr Mann, da sind ihre Kinder, da sind ihr Liebhaber, ihr Analytiker und ihre Therapeutin. Und die ewigen Quecken, Maulwürfe und Wühlmäuse.


    Lola Randl lässt ein kurzes Kapitel auf das nächste folgen, und die sind randvoll mit Gartenwissen und kurzen prägnanten Einblicken in das Leben der Menschen, die ihr Glück im Garten suchen.


    Zugegeben: Manchmal tat ich mich schwer mit Kapiteln, die mit Gartenwissen allzu sehr an die nicht vorhandene Gärtnerin in mir appellierten. Manchmal fand ich die Erzählerin ermüdend in ihrem ewigen Tanz rund um Mann und Liebhaber und Analytiker. Und dennoch, immer zog das nächste kurze Kapitel mich dann wieder mitten rein in den Garten, und dann konnte ich mich dem Charme der Erzählung nicht mehr entziehen…


    Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:

    https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-lola-randl-der-grosse-garten

  5. Cover des Buches Die Nachkommende (ISBN: 9783957577696)
    Ivna Žic

    Die Nachkommende

     (8)
    Aktuelle Rezension von: Gwhynwhyfar

    Der Anfang: «Sie schnarcht. Die junge Frau unter mir schnarcht, eine ganze Nacht hat sie geschnarcht, aus ihrer Liege kippen weiße Waden, Sommermückenstiche, sie schwitzt, ich schwitze, alle Stiche aufgekratzt, an den nackten Sohlen Wundpflaster und Striemen von Sandalen, blaue Venen, Haarstoppeln, Mundgeruch im Raum, Bitterkeit unter den Achseln.»


    Die Protagonistin ist eine Frau um die 30, reist im Zug von Paris nach Zagreb, es ist sommerlich heiß. Sie hat sich von einem Mann getrennt, es muss sein. Sie können nicht voneinander lassen, aber er ist verheiratet, und das wird so bleiben. Im Zug andere Reisende, auch dabei die Ahnen im Kopf: der Großvater, die Großmütter, die Tanten. Immerfort meldet sich das Handy: Wo bist du, wann kommst du?, der Mann, die Verwandten. Die Protagonistin antwortet nicht.


    «Geschichten der letzten Generationen, die an meinem Körper kleben, dranhängen, als wären sie vergessen, und doch pochen sie jeden Tag, wandern sie jeden Tag mit.»


    Die Protagonistin floh als Kind mit ihrer Familie vor dem Krieg auf dem Balkan in die Schweiz. Sie wohnt vielleicht in Paris. Den Sommer verbringt die gesamte Familie jedes Jahr auf einer Insel. Die Gedanken springen kreuz und quer vom Jetzt in die Vergangenheit und wieder Zurück, Bruchstücke setzen sich langsam zusammen. Der Großvater ist immer dabei. Der Maler, der plötzlich aufhörte zu malen, alle Bilder zerstörte, bis auf das eine, von dem niemand weiß, wen die Frau darauf darstellt. Ein Bild, das in seiner Zeit in Paris entstand, wo er Kunst studierte. Nie ein Wort über den Zweiten Weltkrieg. Reisen, ankommen, abreisen, flüchten, den Ort wechseln, die Sprache wechseln, suchend, Grenzen verschwinden, neue Grenzen werden aufgebaut, verschwinden, neue Grenzen – grenzenlos. Verpflichtungen gegenüber der Familie, Tradition, zu Hause sein. Wo ist zu Hause? 


    «Eine Sprache kommt von hier und und kommt nicht von hier. Wie soll sie hierher kommen, wenn sie dort war, wenn sie dort aufgewachsen ist, angewachsen an den Familienküchentisch weit weg, wo sie ein Sprache hinter der Türschwelle ist und sich ins eigene Fleisch frisst und doch ständig weiterspricht, mitspricht, Familiensprache, Küchentischsprache, die gepflegt wird, doch eine aufbewahrte Sprache lebt nicht wirklich, eine aufbewahrte Sprache entwickelt sich nicht, ist ein aufgebahrter offener Sarg, alles noch da, aber nichts passiert, nur der Gestank verbreitet sich langsam.»


    Der Roman ist eine sprachliche Perle. Wer in die Reise mit Zug und Bus von Paris nach Zagreb, nach Zürich und zurück einsteigt, wird nicht aussteigen, sitzenbleiben, bis das letzte Kapitel beendet ist. Aus dem Fenster geblickt huschen Landschaften vorbei, Gedanken ziehen gehetzt von hier zurück und wieder nach vorn, die Ahnen reisen mit und Fantasiegebilde. Die Sprache von Ivna Žic ist prägnant, verdichtet, Textvignetten, Parataxe. Gehetzt, schnell wie der Zug, dann ruhig, entspannt oder lückenhaft. Wenn man einmal zu lesen angefangen hat, kann man sich diesem Text nicht entziehen. 


    «Die Sprache des Großvaters kommt aus einem weißen Bart heraus, der das Gesicht versteckt, der den Mund umrahmt und die Worte dämpft, der sie abfängt, seine wahre Sprache blieb hinter den weißen Barthaaren hängen.»



    Ivna Žic, 1986 in Zagreb geboren, aufgewachsen in Zürich, studierte Angewandte Theaterwissenschaft, Schauspielregie und Szenisches Schreiben in Gießen, Hamburg und Graz. Seit 2011 arbeitet sie als freie Autorin, Dozentin und Regisseurin u. a. am Berliner Maxim Gorki Theater, Schauspielhaus Wien, Luzerner Theater, Theater Neumarkt, Schauspiel Essen, Theater St. Gallen und bei uniT. Žic erhielt für ihre Texte eine Vielzahl von Stipendien und Preisen. Für ihren Debütroman »Die Nachkommende«  wurde sie 2019 sowohl für den Österreichischen Buchpreis als auch für den Schweizer Buchpreis nominiert. Sie lebt in Zürich und Wien. 

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