Bücher mit dem Tag "nature writing"
17 Bücher
- Delia Owens
Der Gesang der Flusskrebse
(1.348)Aktuelle Rezension von: panteaIch hatte große Erwartungen, wurde jedoch leider sehr enttäuscht. Die Charaktere wirken wenig tiefgründig, was in gewisser Weise nachvollziehbar ist, da Kaya, die Protagonistin, völlig allein und verwaist aufwächst. Dennoch hätte ich mir einfach mehr Persönlichkeit gewünscht, gerade von den anderen Figuren mit denen Kaya in Kontakt tritt. Aber das passiert nicht wirklich. Und gerade deshalb erscheint es jedoch umso seltsamer, dass zwei Männer ihr derart verfallen und intime Beziehungen mit ihr eingehen. Besonders problematisch finde ich hier auch, dass dies nicht als Grooming thematisiert wird – was es letztlich ist. Denn es wird vielmehr als romantische Beziehungen dargestellt, was bei mir auf Unbehagen stößt. Der Schreibstil von Delia Owens ist im Original englischsprachigen Text recht einfach und leicht zu lesen. Allerdings zieht sich die Handlung besonders zu Beginn stark in die Länge, während der spannendste Teil, das Ende, zu hastig abgehandelt wird.
Das Ende und der „überraschende“ Plot-Twist – einfach nur frustrierend. Es ist nicht wirklich ein Schock, sondern hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Die Autorin verbringt so viel Zeit damit, uns davon zu überzeugen, dass genau das nicht der Fall ist … nur um dann das Gegenteil zu behaupten. Um dann aber auch gar nicht viel weiter darauf einzugehen.
Und wenn wir schon beim Kritisieren sind: Kaya lebt in einem Marschgebiet, hat nie einen Arzt oder Zahnarzt gesehen und scheint nicht einmal Zugang zu einer regelmäßigen Dusche zu haben. Trotzdem sollen wir glauben, dass Männer von ihrer atemberaubenden Schönheit völlig hingerissen sind? Und sie wird plötzlich erfolgreiche Autorin? Ich konnte aus dem Buch leider nichts mitnehmen und kann es daher nicht weiterempfehlen.
- Benjamin Myers
Offene See
(400)Aktuelle Rezension von: galaxauraBenjamin Myers Erfolgsroman „Offene See“, erschienen bei DuMont, ich habe die 5. Auflage gelesen von 2022, hat mich erst einmal ein bisschen herausgefordert. Die Sprache ist eingangs sehr überladen, Natur, Häuser, See, alles wird personifiziert, der kleine Mensch Robert durchwandert seitenlang die Landschaft und es passiert: Nichts. Die Ausgangsfrage „Wo ist das Leben geblieben?“ passte da schon fast zu gut, ich habe mich das auch gefragt, Myers, wo bleibt das Leben? Aber zum Glück taucht auf Seite 35 Dulcie auf und hat mich aus dem Leseabbruch, der kurz bevorstand, gerettet, denn kaum ist sie da, wird alles lebendig und es gibt auf einmal sogar Humor der feinen Sorte. Dulcie ist ein ganz wunderbarer Charakter, trocken, ehrlich, zupackend, dem Leben zugewandt, eine famose Figur. Robert dagegen, von seinem Zuhause geflohen, um der bevorstehenden Ausbildung in der Zeche zum Bergarbeiter zu entkommen, steckt noch sehr in sich fest, auch er erlebt, was viele Menschen im Leben herausfinden: Von etwas wegzugehen heißt noch nicht, irgendwo anzukommen. Die See ist sein Ziel, seine Vorstellung von ihr bar jeder Romantik, eher brachial, kalt, mächtig, wie die See um Großbritannien herum auch oft ist. Dass er sein Leben nicht unter Tage verbringen möchte, absolut nachvollziehbar. Dass der 2. Weltkrieg, der gerade beendet ist, und seine Folgen ihn nachhaltig geprägt haben, obwohl er nicht in ihm aktiv sein musste: Erst recht nachvollziehbar. Myers, selbst 1976 geboren und vom Krieg dadurch so weit entfernt wie ich, findet verblüffend gute Gedanken in diesem ersten Teil zum Thema Krieg und zu den Emotionen, die Menschen damit verbinden. „Krieg dauert an, lange nachdem die Schlachten geendet haben, und damals fühlte sich die Welt an, als wäre sie voller Löcher.“ (S. 15) Oder, ebenda: „Denn niemand gewinnt einen Krieg wirklich; manche verlieren bloß ein bisschen weniger als andere.“ Oder „Krieg ist Krieg: Er wird von wenigen angezettelt und von vielen geführt, und am Ende verlieren alle.“ (S. 48) Wie vielen Herrschenden möchte man das aktuell hinter die Ohren tackern!!!
Die Sprache ist mir zu viel, die vielen unnötigen Adjektive und Nebensätze, nicht ein Satz geht grade raus. Ich bin ein Fan von bildhafter Sprache, aber man kann es auch übertreiben, was teilweise auch unnötige Stilblüten erzeugt, die einfach unangemessen sind, der Vergleich einer dichten Hecke mit den Stacheldrahtrollen von Bergen-Belsen trug in dem Moment weder zur Handlung noch sinnvoll zur Atmosphäre bei, das muss nicht sein, damit wird viel Leid bagatellisiert. (S. 22)
Robert trifft auf seiner Reise zur See wie gesagt auf Dulcie, die zurückgezogen in einem Cottage lebt und ihm anbietet, sich bei ihr etwas von den Reisestrapazen zu erholen. Ich fand es sehr berührend, wie Robert ganz langsam eine zarte Beziehung zu Butler und Dulcie aufbaut. Die Konversationen zwischen den beiden sind zauberhaft, viel wird aneinander vorbeigeredet, viel aber auch aufeinander eingegangen, dabei sind die zwei so unterschiedlich, Robert mit seiner Vorsicht und Dulcie mit ihrer Direktheit.
Um Dulcie rankt sich ein tragisches Geheimnis, das Robert mit der Zeit ergründen kann, Robert wiederum ist relativ orientierungslos in seinem Leben und Dulcie schafft es, ihn mit der Nase auf Kultur zu stoßen, was Robert eine ganz neue Weite eröffnet, eine, die vielleicht noch größer und mächtiger ist als die Offene See, die er sucht.
Wunderschöne Gedanken über Dichtung schenkt uns Myers: „Dichtung ist eine Trittleiter zwischen den Jahrhunderten, vom antiken Griechenland zu morgen Nachmittag.“ Ja verdammt, 100 Prozent! Dann noch ein paar Leseempfehlungen im Buch un ein Buch im Buch, herrlich.
Myers findet immer wieder Bilder für die See, die ich so noch nicht gelesen habe, was ja gerade beim Topos Meer nicht leicht ist. Das Bild vom Meer als einer Sanduhr, die sich immer mit den Gezeiten wieder dreht, das ist eine wirklich starke Schöpfung von ihm. Mit den Kreisbewegungen hat er es, wie die Gezeiten pendelt auch Robert zwischen Meer und Dulcie und kommt aber immer wieder bei ihr an. Irgendwann stellen sie es beide einfach nicht mehr in Frage, wie die Zeit anfängt zu verschwimmen und irrelevant zu werden, wie die Möglichkeit, dass Robert weiterreist, einfach verschwindet und er immer mehr Teil von Dulcies Kosmos wird. Es hat etwas Heilendes. Robert repariert nicht nur die Hütte auf Dulcies Grundstück.
Wach ist Myers auch für die Strömungen unserer Zeit: Seine Spekulation über den 3. Weltkrieg macht mich einfach nur fertig. Das Buch ist ursprünglich von 2019 – da ist Myers ganz schön hellsichtig, vieles, was er beschreibt und durchdenkt, ist leider so 2024/25... „und zu gegebener Zeit wird es wieder einen wütenden kleinen Mann geben“ – gerade gibt es diverse, und das ist einfach schrecklich. Da brauchen wir alle einen Robert und eine Dulcie, um zwischendurch mal abtauchen zu können.
Im Finale des Buches überzieht Myers für mich das Happy End, für Robert: Ein irgendwie möglicher Lebensweg, den er da findet, aber auch ein wirklich sehr unwahrscheinlicher, zumal zu der Zeit. Mich verstimmt so etwas immer, dieses „alles ist möglich“, weil es für so viele Menschen einfach nicht möglich ist, diese Geschichten gaukeln ihnen und denen, die eigentlich ermöglichen sollten, etwas vor, was nicht ist und unter Umständen dann verhindert, dass wir endlich tun, damit solche Lebenswege wirklich und immer möglich sind und nicht nur im Reich der Literatur. Bildungsdurchlässigkeit ist ein Mythos, noch immer. Robert heilt Dulcie, indem er sie zurück zur Kultur uns den Menschen bringt. Für mich hätte das an positivem Kitsch gereicht, er hätte Reisender werden können oder Seefahrer oder Lehrer, all diese Dinge, nicht aber das, was ich jetzt nicht spoilern möchte, auch wenn ich den Kreisschluss verstehe. Die offene See wurde irgendwann im Buch verloren auf den letzten Metern, das fand ich auch ein bisschen schade.
Insgesamt mochte ich die Geschichte um die beiden aber sehr, sie hat mir das Herz gewärmt und die Trockenheit, die sich durch diese zwei etwas sperrigen Charaktere durch das Buch zog, hat mich wirklich erheitert. Die Sprache bei den vielen Naturbetrachtungen war mir bis zum Ende zu opulent. Es ist ein Buch, das viele Themen streift, das größte dabei ist vielleicht das Hinschauen, Chancen geben, Geduld haben, offen sein, was unsere Zeit gerade sehr brauchen kann. Mancher Funke ist tief verborgen. Es ist wichtig, Zeit und Luft zu geben, damit ein Feuer brennen kann.
- Helen Macdonald
Abendflüge
(109)Aktuelle Rezension von: EmmaWinterIch hatte mich schon lange gefragt, wie man ein Buch von über 400 Seiten über das Abrichten eines Habichts schreiben kann und dann wird dieses Buch auch noch ein großer Erfolg.
Vor allem liegt es an der wunderschönen Sprache, die Helen Macdonald für ihr Buch wählt, das sich irgendwo zwischen Sachbuch, Autobiografie und Biografie bewegt. Für mich war es eine Symbiose aus drei Aspekten, zum einen die Verarbeitung eines Verlustes (die Autorin verlor ihren geliebten Vater), zum anderen die intensive Beschäftigung mit dem britischen Autor T.H. White, der 1936 selbst den Versuch unternahm, einen Habicht abzurichten, und schließlich Macdonalds Arbeit mit Mabel, ihrem Habicht. Sehr geschickt verwebt die Autorin das grandiose Scheitern von White, seine falschen und fatalen Entscheidungen bei der Abrichtung seines Falken mit ihren eigenen Bemühungen, Mabel an sich zu gewöhnen und endlich Freiflüge beginnen zu können.
Macdonald vermittelt außerordentlich gut lesbar Sachwissen über Flora und Fauna, insbesondere natürlich über Greifvögel und Habichte. Dies gelingt ihr auf ganz emotionale Art und Weise und so sind wir hautnah dabei, wenn die Autorin mit unendlicher Geduld, frustriert von vielen Misserfolgen, immer wieder fast zärtlich mit ihrem Habicht arbeitet.
Es gibt am Ende einen ordentlichen Anmerkungsapparat, der verdeutlicht, wie umfassend sich Helen Macdonald mit White und seinen Schriften auseinandergesetzt hat.
Insgesamt eine faszinierende Lektüre, die ich auch in Teilen als Hörbuch "gelesen" haben, sehr emphatisch gesprochen von Cathleen Gawlich.
- Charlotte McConaghy
Zugvögel
(277)Aktuelle Rezension von: JessicaImReihenhausDu liest gerne über Natur und Tiere, möchtest gleichzeitig nicht die Augen vor der Klimakrise und den Auswirkungen auf unsere Tierwelt verschließen und willst trotzdem eine spannende und psychologisch fesselnde Geschichte lesen? Dann ist dieses Buch das Richtige!
Eine Frau, die mit ihrer Vergangenheit hadert bzw. ein Trauma zu bewältigen hat, lässt ihr altes Leben hinter sich und heuert auf einem Schiff an. Die Natur und die Tierwelt, der Klimawandel und die Folgen des menschlichen Handelns für die Tiere spielen eine zentrale Rolle. So lernen wir sehr viel über das Verhalten und den Lebensraum der Küstenseeschwalbe (und anderer titelgebender Zugvögel) während wir gleichzeitig einer unglaublich spannenden und psychologisch interessanten Entwicklung der Hauptprotagonistin folgen. Die Geschichte enthält dystopische Züge (beispielsweise sind bereits sehr viele Tierarten ausgestorben oder die Fischerei ist verboten, weil es kaum mehr Fische gibt) und hält uns klar vor Augen, dass das die nahe Zukunft sein wird, wenn wir unser Handeln nicht ändern und Umweltschutz nicht als höchstes Gut priorisieren.
Absolute Leseempfehlung, aber Achtung wenn dich Themen wie Gewalt und Tod triggern!
- Charlotte McConaghy
Wo die Wölfe sind
(155)Aktuelle Rezension von: Anna_BubeZunächst mal finde ich das Cover wunderschön und es passt auch gut zum Buch. Der Schreibstil hat mir gut gefallen und war angenehm zu lesen.
Die Geschichte fand ich sehr fesselnd und berührend. Die ein oder andere unerwartete Wendung sorgt für einen Überaschungseffekt, sodass nicht alles so kommt wie man zunächst erwartet und es immer spannend bleibt.
Es geht dabei nicht nur um die Wölfe, die Inti mit ihrem Team in Schottland wieder ansiedeln will, damit sie für die dringend nötige Renaturierung sorgen, wogegen sich die dortige Bevölkerung zu großen Teilen zur Wehr setzt, sondern auch um häusliche Gewalt und die Spuren die sie bei den Opfern hinterlässt. Das zu lesen ist teilweise schwer zu ertragen und hat mich emotional sehr mitgenommen. Umso schöner ist es die Geschichte der Wölfe zu verfolgen, wie sie die schottischen Highlands als ihr Revier zurückerobern. Die Beschreibung der Natur hat mir sehr gut gefallen. Ein sehr schönes Buch, aber nicht unbedingt für Zartbesaitete.
- Andreas Kieling
Ein deutscher Wandersommer
(37)Aktuelle Rezension von: Marie_Luise2406Sehr individuelle Geschichten aus den verschiedensten schönen Ecken entlang der alten innerdeutschen Grenze - keine Touristenabklatschorte. Man lernt beim Lesen viel neues Wissen über die Tierwelt in Deutschland und auch die DDR Geschichte kommt nicht zu kurz. Macht Lust in die Wälder zu ziehen und unser schönes Deutschland zu entdecken. Vom Süden bis zur Ostsee. Nicht zu vergessen die lustige Anekdoten und Berichte, welche den Leser das ein oder andere Mal zum Schmunzeln bringen. Danke Herr Kieling
- Barbara Newhall Follett
Die Welt ohne Fenster
(28)Aktuelle Rezension von: Sanne54Das Buch wurde von einer 9- bzw. 12-Jährigen verfasst. Das finde ich schon beeindruckend, wenn ich die Naturbeschreibungen lese. Die Geschichte selbst ist eigentlich schnell zusammengefasst: Ein junges Mädchen, Eepersip, flieht vor der Welt der Erwachsenen in die „Welt ohne Fenster“, um dort in der Natur zu lesen, frei über Wiesen zu tanzen, eigentlich alleine, denn nur die Tiere werden zu losen Weggefährten. Sie ernährt sich von Beeren und Wurzeln und wehrt sich dagegen, von den Eltern zurückgeholt zu werden in die zivilisierte Welt.
Diese Sehnsucht nach Natur und Freiheit bzw. das Leben jenseits zivilisatorischer Zwänge ist an sich kein völlig neues Motiv, hier wirkt es fast feenartig und auch etwas naiv umgesetzt, denn die Protagonistin ist alles andere als eine Ronja Räubertochter. Für sie bietet das Leben in der Natur Erfüllung, keine Entbehrung. Das macht Spaß zu lesen, aber die fehlende Handlung und die sich wiederholenden, wenn auch zweifellos entzückenden Beschreibungen der Natur alleine waren nicht ausreichend, dass ich immer mit Leichtigkeit über dem Lesen blieb.
Faszinierend ist ist Parallele zu Folletts Leben: Die Autorin verschwand mit 24 Jahren selbst spurlos in der Natur.
Ganz toll finde ich die Gestaltung des Buches. Solch liebevoll gestaltete Bücher findet man leider viel zu selten.
- Maria Borrély
Das letzte Feuer
(12)Aktuelle Rezension von: KlusiDie gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Marseille geborene Autorin hat vier Romane geschrieben. Ihr zweiter Roman "Das letzte Feuer" wurde erstmals 1931 veröffentlicht und war, wie auch ihre anderen Werke, lange Zeit in Vergessenheit geraten. Nun wurde er, in einer sehr sorgfältigen und einfühlsamen Übersetzung von Amelie Thoma, neu aufgelegt.
Die Geschichte spielt in dem kleinen Bergdorf Orpierre-d'Asse. Das Leben dort ist hart, die Arbeit schwer und das Essen knapp. Als die Asse, vormals ein reißender Fluss, eingedeicht wird, beschließen immer mehr Bewohner von Orpierre-d'Asse, ins Tal zu ziehen, wo der Boden fruchtbar ist und den Menschen einen gewissen Wohlstand verspricht.
Nur die alte Pélagie weigert sich, ihr Haus in dem alten Bergdorf zu verlassen. Sie bleibt allein zurück, auch als ihre Enkelin Berthe heiratet.
Es ist sehr eindrucksvoll beschrieben, wie das Dorf immer leerer und einsamer wird und sich die Natur Haus um Haus zurückholt. Pélagie traut dem Frieden nicht, denn sie ist der festen Überzeugung, dass kein Deich die Asse aufhalten kann und das Klima am Fluss für die Menschen ungesund ist. So begleitet man die alte Frau während ihrer letzten Jahre, die sie immer noch rüstig verbringt und nicht nur einmal den beschwerlichen Weg hinunter ins Tal auf sich nimmt, um ihre Enkelin zu besuchen. Die Handlung schildert weitgehend den Alltag der Menschen in dem kleinen Dorf. Man erfährt, was sie umtreibt, welche Entscheidungen sie treffen und welche Verbindungen sie eingehen.
Was den Roman jedoch ausmacht, ist die Eloquenz, mit der Maria Borrély die Naturgewalten beschreibt. Ihre Schilderungen sind ausdrucksvoll und mächtig und haben mich fasziniert. Dieses literarische Kleinod sollte man vor allem wegen seiner wundervollen Sprache genießen. Daneben hat der Roman auch noch eine Botschaft, denn er zeigt, dass sich die Natur nicht vom Menschen eindämmen lässt, sondern ihre Kraft weiterhin entfaltet.
- Charles Foster
Der Geschmack von Laub und Erde
(19)Aktuelle Rezension von: Tintensport... gegen die leider auch der hochgebildete Dozentenstatus nicht hilft.
Fosters `Versuch eines literarischen Schamanismus' mutet so verkrampft, verkopft und selbstgerecht an, dass es mich graust!
Das Zurück zur Natur gerät zum angestrengten Staffellauf. Pathologisch anmutende Versuche (den Hufen nachzueifern, indem man sich die Nägel wachsen lässt), passen hervorragend zur abstrusen Denke (er müsse sich damit `abfinden', dass er sich nicht mit einer Füchsin kreuzen könne).
Schon als Kind scheint der Autor eine Art Hannibal-Lector-Syndrom ausgelebt zu haben (Amselkörperteile in allen Varianten im Kinderzimmer), das vom Neid auf das was das Tier zu wissen schien (und der kleine Charles Foster nicht) beseelt war; oder vielmehr getrieben ... von Zwängen - wie dem, einem Vogel ins Hirn zu schauen, ihm so nahe wie irgend möglich zu kommen ... indem er ihn tot machte und zerstückelte!?!
Auch der Extremismus des Erwachsenen mutet mich noch immer nicht von Mut beseelt an, wie es andere Rezensenten schreiben. Seine Produkte des exzessiven Performings und der Drucklegung erscheinen mir vielmehr sensations-(schaffungs)-geil und Medien-anbiedernd. Und der philosophische Anstrich ist so fadenscheinig, wie er in der Beliebigkeit aller auffindbaren Allerweltsplätze wühlt. Da wird Wissen demonstriert, auf Teufel-komm-raus, bis es nur noch Geschwätzigkeit ausdünstet.
Als mir von der vorgeblichen Scham (des heute angeblich geläuterten Tofu-Essers und einstigen exzessiven Jägers) berichtet wurde, die mich in ihrer selbstverliebten Koketterie an Teenager gemahnte, die sich mit ihren Straffälligkeitskatalogen gegenseitig zu übertrumpfen versuchen ... hat es mir einfach gelangt!
Da mag es noch so vorbildlich erscheinen, was wir alles über Fuchs und Dachs lernen ... aber die Vorzeichen stimmen einfach nicht!
Wer zurück in die Wälder geht sollte nicht nur wissen WARUM er das will, sondern vor allem WIE ... er das anstellt und sich nicht selbst so dermaßen in Tasche lügen!
Natürlichkeit ... geht anders!!!
Glaubwürdiges über das Zurück-zur-Natur höre man sich besser von einem angenehm nüchternen Rüdiger Nehberg an! Wer etwas tatsächlich fundietes über Schamanismus wissen will lese einen Wolf-Dieter Storl, der - mit dem nötigen selbstironischen Augenzwinkern - die Kunst des Erzählens UND Wissens beherrscht - und dies im Gegensatz zu Foster tatsächlich so meister- wie fabelhaft.
Und wer etwas Wahrhaftiges und Sensationelles über die Natur lernen will, der sollte sich Peter Wohlleben - Das geheime Leben der Bäume - zu Gemüte führen. DAS nämlich IST ein Meilenstein auf dem Weg des Naturverständnisses: kundig, unaufgeregt, sensibel und von tiefer Erkenntnis - und vor allem Achtung - der Natur gegenüber beseelt.
Man kann sich aber auch schlichweg life in den Wald begeben und Kopf aus! Und die Schnüss gehalten!! Und den Originalen zugehört - ohne Hintergedanken, Gemache, Geschwurbel und Gemurkse, sonst wird das nämlich nix.
Denn wenn Natur eines ist und kann, dann ist es das schlichte Sein - ohne Worte - das Wachsen, Werden, Vergehen und Ruhen in sich selbst ... und ohne uns! Wir können allenfalls ehrfürchtige Zeugen sein! Mehr werden wir nie werden. DAS nämlich ist das eigentliche Geheimnis!
Oder - um ganz schlicht mit Janosch zu sprechen -: Ein Vogel braucht nichts über Ornithologie zu wissen ... um fliegen zu können. - Johanna Romberg
Federnlesen
(5)Aktuelle Rezension von: ElinCorinth„Ich will meine Begeisterung für Vögel nicht länger für mich behalten. Sondern sie weitergeben, in einer Form, die möglichst viele erreicht und im Idealfall ansteckt.“
So beschreibt Johanna Romberg in der Einleitung (Seite 16) ihr Anliegen, dieses Buch zu schreiben. Das 2018 im Lübbe Verlag neu erschienene Sachbuch trägt den Untertitel „Vom Glück, Vögel zu beobachten“.
Für sie als Hobby-Beobachterin ging es nie darum, umfassendes Wissen über die Vogelwelt zu erlangen. Somit musste sie bei der Arbeit an dem Buch viel Recherchieren und auf Experten zugehen. Etwas, das ihr als langjährige GEO-Redakteurin und Autorin nicht schwergefallen sein dürfte. Und von dem sie selbst immer wieder im Buch betont, wie bereichernd es für sie war, all diese Menschen getroffen zu haben.
Die schiere Fülle an Informationen veranlasste sie, das Buch in zwölf voneinander unabhängige Kapitel zu gliedern. Jedes dieser Kapitel liest sich wie eine eigene Geschichte. Die Themenbreite reicht von der Identifikation von Vogelstimmen und dem Umgang mit einem Bestimmungsbuch über die Benutzung von Ferngläsern hin zu Artenschutz und kontroversen Themen wie den Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft und den potentiellen Gefahren durch Windkraftanlagen. Daneben widmet sie sich aber auch einzelnen Vogelarten – Spechten, Mauerseglern oder Greifvögeln. Und verliert nie das Glück aus den Augen.
Nie klingt sie belehrend. Sie wägt ab, hinterfragt, wechselt die Perspektive, aus der vor allem die großen Streitthemen wie Artenschutz und Landwirtschaft, Naturschutz und Jagd etc. betrachtet werden müssen. Stets bemüht sie sich um Objektivität, doch oft vermittelt sie durch ihre eigene Meinung den nachdrücklichen Wunsch zu mehr Achtsamkeit und Rücksichtnahme. Dabei geht es ihr nicht vordergründig um Statistiken und Zahlen, obwohl sie nicht müde wird, ihre Recherchen durch Expertenaussagen und Studien zu belegen, doch am Ende steht immer das ganz persönliche Erleben, das eigene Glück am Vögelbeobachten.
Deutlich wird dabei immer, dass es Johanna Romberg um Lebensnähe und Nachahmbarkeit geht, um die Umsetzbarkeit und das Erleben des ornithologischen Hobbys vor Ort. Sie bewirbt durch ihre Recherchen den Artenreichtum in Deutschland und die vielen Möglichkeiten, unkompliziert auf Entdeckertour zu gehen.
Johanna Romberg findet in ihrer Sprache eine schöne Balance zwischen Sachlichkeit und Emotionalität. Trotz der Fülle an Themen, die sich in den 300 Seiten des Buches verstecken, wirkt es strukturiert und klar, auch wenn die Autorin selbst mehr als einmal erwähnt, kein besonders systematischer Typ zu sein. So berichtet sie (Seite 20):
„Immer kam mir etwas dazwischen, oder besser gesagt, es flog mir etwas dazwischen, denn meistens war es ein Vogel, der zwischendurch meine Aufmerksamkeit forderte.“
Diese Zwischendurch-Themen sammelte sie unter der Kategorie Zugeflogen, welche sich zwischen die Kapitel reihen und zum Teil deren Übergänge bilden. Sie heben sich auch farblich vom Buch ab, denn sie sind auf Seiten in hellem Sepia gedruckt.
Überhaupt ist das Layout des Buches eine einzige Freude, was schon mit dem Einband beginnt. Er war es auch, der meine Aufmerksamkeit im Buchladen anzog. Das erste Blättern durch die Seiten ließ mich dann nicht mehr los. Das farbig gestaltete Inhaltsverzeichnis, die wunderschönen Vogelaquarelle von Florian Frick, die federnbesetzten Seiten des Inneneinbands und das glatte, relativ schwere Papier lassen jedes Herz höher schlagen. Die Liebe, die dieses Buch ausstrahlt, macht es unwiderstehlich und mein erster Gedanke war: Das ist ein Buch, wie ich es auch gerne geschrieben hätte.
Das Buch trifft einen Nerv unserer Zeit, denn Vogelbeobachtung, auf Neudeutsch Birding, ist längst auf dem Vormarsch und die Hobby-Ornithologie hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen gewaltigen Imagewandel erfahren. Johanna Romberg formuliert es so (Seite 250):
„Es ist nicht mehr das beschauliche, etwas trutschige Hobby von Wanderern, das es früher war und als das es, in vielen Medienberichten, heute noch dargestellt wird. Vogelbeobachtung ist ein Hightech-Sport geworden, der Aufwand und Einsatz erfordert, jedenfalls dann, wenn man zu den besten des Fachs gehören will.“
Und während des Lesens bekommt man arg Lust darauf, auf Aufwand und Einsatz, auf das Erleben der Vögel mit eigenen Augen und Ohren, und auf das Glück, was sich dabei tief innen drin breitmacht.
Ein Link zur Leseprobe gibt es auf meinem Blog unter:
https://treibholzinsel.wordpress.com/2018/06/08/buchtipp-federnlesen-von-johanna-romberg/ - Anna Bolavá
Der Duft der Dunkelheit
(3)Aktuelle Rezension von: buechermango“Wer die Bewegungsabläufe beim Abernten der Blüten nicht perfekt koordinieren kann, nimmt nicht mehr als die Menge für den Eigenbedarf mit nach Hause. Bei uns in der Gegend beherrscht das niemand außer mir, und das freut mich. Die Linden hier gehören mir.”
Anna weiß genau, was sie tut, mit Pflanzen kennt sie sich aus. In der Natur und auf ihrem Dachboden, wo sie die Pflanzen trocknet, fühlt sie sich am wohlsten. Im Sommer wird gesammelt, alles andere ist nebensächlich. Die eigene Gesundheit, das soziale Umfeld und immer mehr die Realität, werden ausgeblendet.
Gelernt hat sie alles von ihrer Oma, von der sie auch das Haus in einer südböhmischen Kleinstadt geerbt hat, in dem sie jetzt für ihre Heilkräuter lebt. Nebenan die neugierige Cousine, die den Dorfklatsch antreibt und sich in Dinge einmischt, mit denen Anna sich nicht beschäftigen möchte.
So idyllisch Annas Leben in und mit der Natur wirken kann, ist es natürlich nicht. Ihr Körper birgt viele Geheimnisse, die Vergangenheit lässt sie nicht los. Der Duft der Dunkelheit ist ein düsteres Buch. Ungewöhnlich, teils phantastisch und einfach fesselnd.
Anna ist eine wirklich außergewöhnliche Protagonistin. Ihre Leidenschaft hat mich unglaublich gepackt. Ich habe absolut keine Ahnung von Heilkräutern, konnte mich aber wirklich gut drauf einlassen und war unheimlich schnell in der Geschichte gefangen, wollte das Buch kaum weglegen.
“Außer dem Sammeln interessierte mich im Leben nichts mehr. Das Sammeln, das mir alle möglichen Situationen, Menschen und Ereignisse beschert hat und dann alles so kompliziert gemacht hat.”
Gleichzeitig ist es erschreckend zu beobachten, wie Anna immer weiter abrutscht, sich verrennt und verliert. Ihre Handlungen sind nicht immer nachvollziehbar, ihr ganzes Wesen ist außergewöhnlich und bietet viel Interpretationsspielraum. Mich hat ihre Geschichte total fasziniert und bewegt.
Wir erleben Anna wirklich viel beim Sammeln, Trocknen und Verkaufen, aber natürlich nicht nur. Ich wusste überhaupt nicht richtig, was mich erwartet und muss im Nachhinein sagen, dass der Verlag mit “Schnell entfaltet der Roman einen ungewöhnlichen Sog, dem sich die Leser*innen nicht mehr entziehen können” absolut recht hat. Über den weiteren Inhalt möchte ich gar nicht viel verraten, ihr müsst das einfach erleben.
Besonders hervorzuheben ist auch der Schreibstil. Anna Bolavá hat die perfekte Mischung aus Natur-und Charakterbeschreibungen gefunden und hat es geschafft einige Bilder in meinem Kopf zu zeichnen. Der teils poetische Schreibstil lädt zum Träumen ein, während sich die Geschichte immer weiter auf ihren düsteren Höhepunkt zubewegt.
“Alle Menschen haben mich verraten und verlassen, jetzt verlassen mich auch noch meine Kräfte, aber solange etwas blüht, werde ich sammeln.”
Der Duft der Dunkelheit ist ein einzigartiges Buch, das mich absolut überraschen und überzeugen konnte. Wenn ihr Lust auf eine ruhige Geschichte und eine besondere Protagonistin habt, schaut es euch unbedingt an.
- Amy Liptrot
Nachtlichter
(78)Aktuelle Rezension von: HansDurrerAmy Liptrot ist auf den Orkneyinseln aufgewachsen, einer vom Meer umtosten, windgepeitschten Inselgruppe im Norden von Schottland zwischen Nordsee und Atlantik. Der Hof der Eltern liegt auf der Hauptinsel, auf demselben Breitengrad wie Oslo und Sankt Petersburg. Der Vater leidet an Depressionen und landet zeitweise in der Psychiatrie, die Mutter rettet sich in den Glauben, sie selber flüchtet nach London und in den Alkohol. "Ich trank, bis ich wie tot vor mich hin stierte."
Ihr Trinken wird von Jahr zu Jahr schlimmer. "Das Trinken ergriff von mir Besitz. Während andere arbeiteten und auf Pubabende verzichteten, um die nächste Stufe hinaufzuklettern, leerte ich Bierdosen am Telefon und unterdrückte das Geräusch beim Öffnen, während ich von unerfüllten Ambitionen erzählte."
Sie unternimmt ernsthafte Versuche mit dem Trinken aufzuhören, jedes Mal hält sie etwa einen Monat durch. Schliesslich beschliesst sie, das Trockenwerden an die erste Stelle zu stellen. Sie gibt ihren Job auf, geht zum Arzt und wird an die örtliche Drogenberatung weiterverwiesen. In der Therapie, die auf dem Programm der Zwölf Schritte der Anonymen Alkoholiker (AA) basiert, lernt sie unter anderem: "Ich werde meine Leben lang anfällig bleiben für Rückfälle und andere Formen von Sucht."
Das Entzugsprogramm ist hart, die wenigsten schaffen es. Sie lernt: Jedes Verlangen ist temporär, immer geht der Drang zu trinken vorüber. Die Gruppengespräche sind hilfreich. "Zu hören, wie Leute im Gefängnis gelebt hatten, in Krankenhäusern, unter fahrendem Volk, in Grossfamilien in Russland oder in Stepney Green zeigte mir Erfahrungswelten, die Lichtjahre entfernt waren von denen mediengesättigter Hochschulabsolventen und ihrem Genörgel auf Twitter."
Sie schafft den Entzug, doch das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang, denn wirklich schwierig ist es, trocken zu bleiben. Sie merkt, dass London nicht mehr richtig ist, sie geht zurück nach Orkney, dahin, wo sie sich nie zugehörig gefühlt hat – und wird wieder zum mürrischen Teenager. Doch sie trinkt nicht und weiss, dass jedes Mal, wenn sie darauf verzichtet, obwohl ihr danach ist, sie neue Nervenbahnen im Gehirn stärkt.
Sie beschliesst, einen Winter auf Papay zu verbringen, einer der kleinsten bewohnten Inseln im äussersten Norden von Orkney, sechseinhalb Kilometer lang, gut anderthalb Kilometer breit, 70 Einwohner. "Es ist ein Trugschluss zu glauben, Insulaner könnten 'allem entfliehen': An einem so kleinen Ort müssen wir mit unseren Nachbarn mehr Kontakt pflegen als in der Stadt. Im Grossen und Ganzen kommen wir gut miteinander aus."
Die Nachrichten auf der Insel drehen sich ums Wetter, nicht um Politik. Auch wenn sie es gelegentlich vermisst, "zu sehen und gesehen zu werden, und das Gefühl, dicht am Zentrum des Geschehens zu sein", gibt es in Papay jeden Tag einen Moment, an dem ihr das Herz aufgeht. "Wenn ich mich umdrehe zum Beispiel, das Gesicht in den Nordwind halte und den Küstensaum betrachte, an dem ich gerade entlanggelaufen bin. Ich sehe Schwärme von Stärlingen, Hunderte einzelne Vögel, die sich zu fliessenden geometrischen Gebilden formieren und umformieren, um ihre Feinde auszutricksen, und einander folgen, um einen sicheren Platz für die Nacht zu finden."
Von einer Sucht zu genesen, bedeutet mit sich und seiner Umwelt ins Gleichgewicht zu kommen. Dafür ist innere Sammlung nötig und diese ist nicht für alle gleich, den einen helfen AA-Treffen, anderen Meditation und Amy Liptrot tut es vor allem gut, sich in der Natur zu bewegen (man kann das natürlich auch alles abwechselnd tun). "In Bewegung zu sein, beruhigt mich. Mein Körper ist beschäftigt und mein Geist frei."
Sie beginnt sich für Astronomie zu interessieren, geht nachts raus um Sterne zu gucken, lernt Dinge, die ihr gefallen, zum Beispiel, "dass sich peripheres Sehen am besten dazu eignet, in weite Ferne zu sehen – weil ein Gegenstand mitunter verschwindet, wenn man ihn direkt ansieht." Indem sie die Welt kennenlernt, lernt sie sich selber kennen. Es ist eine echte Bereicherung, an Amy Liptrots vielfältigen Entdeckungen teilhaben zu dürfen.
Sie setzt sich auch intensiv mit den Zwölf Schritten der AA auseinander, obwohl sie sich hauptsächlich auf ihre eigenen Therapieformen – Wandern und Schwimmen – verlässt. Sie weiss jetzt, dass Trinken keine Probleme löst und dass 'trocken zu werden' kein Moment ist, "nach dem alles besser wird, sondern ein andauernder, langsamer Prozess des Wiederaufbaus, mit regelmässigen Rückschritten, Schwankungen und Versuchungen."
Sich dem Leben zu stellen, erfordert Mut. Nachtlichter ist ein höchst eindrückliches Dokument dieses Mutes.
- Helen Macdonald
Abendflüge
(13)Aktuelle Rezension von: tigerbeaHelen Mcdonald, bekannt durch ihre Bücher "H wie Habicht" und "Falke", liefert mit "Abendflüge" ein neues grandioses Werk ab. Es geht, wie das Cover verrät, um Mauersegler. Aber in diesem Buch geht es auch um andere Wildtiere, sie berichtet über Märchen und Mythen, man entdeckt die Lebensräume der Tiere und erfährt, wie gefährdet diese sind. Helen Mcdonald zeigt hier auf, wie abhängig die Menschheit von der Natur ist und während des Lesens wird deutlich, daß man etwas wirklich wertvolles im Begriff ist zu verlieren. Durch ihre eindringliche Art, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu drohen, nimmt sie den Leser mit auf eine Reise in die Natur, die sie so intensiv beschreibt, daß man sich diesem Bann nicht mehr entziehen kann. Die Autorin schreibt natürlich auch etwas über Umweltschutz - und dies geschieht auf sehr persönliche Art und Weise. Sie kehrt ihr Innerstes nach außen, so daß man ihr ihre Verbundenheit mit der Natur glaubt. Dabei schreibt sie auf eine Art, die sie deutlich von anderen Autoren hervorhebt. Ihr Stil klingt poetisch und ist dabei trotzdem gut lesbar. Man darf kein Buch erwarten, das man mal zwischendurch lesen kann. Für "Abendflüge" sollte man sich Zeit nehmen, um den ganzen Zauber zu spüren, der in diesem Buch steckt!
- John Lewis-Stempel
Mein Jahr als Jäger und Sammler
(8)Aktuelle Rezension von: Dr_MVerrückte gab es schon immer. Und sie werden vermutlich auch nicht aussterben, weil der Mensch als vernunftbegabtes Wesen gewissermaßen als Ausgleich auch einen Hang zum Irrsinn besitzt. Aber wirklich verrückt ist der gute John nicht. Meine Vermutung ist eher, dass er nach einer Story für ein Buch gesucht hat, denn er lebt von seiner Schriftstellerei. Und Geld hat er dringend nötig. Vor einiger Zeit zog er mit seiner Familie aus London zurück in seine Heimat nahe an Englands Grenze zu Wales. Erst bewohnte die Familie einen kleinen Hof, dann zog es sie zu etwas Größerem, wo sie nun in einer Ruine hausen. Oder im Wohnwagen. Näher beschrieben wird das Elend nicht. Man weiß nur, dass der Baufortschritt in der Ruine recht gebremst ausfällt, die Bank jedoch – wie üblich – neues Geld nur nach Beendigung gewisser Bauabschnitte auszahlt.
Also beschließt John, dass er mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Er spart bei sich und wird sich wenigstens für ein Jahr nur von dem ernähren, was er auf seinen unbestellten Feldern vorfindet oder was er an tierischer Nahrung erlegen kann. Falls jemand auf die Idee kommen sollte, das in Deutschland nachmachen zu wollen, dann wird er sich schnell mit viel restriktiveren Jagdgesetzen konfrontiert sehen. Und überhaupt: Ich hätte eine John einen anderen Vorschlag gemacht: Einfach eine Arbeit annehmen. Denn am Ende stellte sich nicht ganz unerwartet heraus, dass er mit seiner autarken Ernährung gerade einmal 50 Pfund pro Woche einspart. Das kriegt man mit selbst mit einem Nebenjob hin.
Auf seine grandiose Idee kommt John ausgerechnet im Herbst, in dem das Anlegen von Reserven für den kommenden Winter schon etwas schwierig wird. Sein Vorhaben platzt dann auch nicht zufällig im März des folgenden Jahres, als er dann doch einen Supermarkt aufsuchen muss.
Sieht man sich nun Johns Ernährung etwas genauer an, dann besteht sie aus viel laschem Grünzeug, weil Kräuter und Pflanzen nun mal im Herbst und Winter nicht mehr wirklich austreiben. Dazu kommt Kleinvieh, vornehmlich kleine Vögel und Kaninchen. Zu guter letzt gesellen sich noch ein paar Früchte und jede Menge Honig dazu. Ohne Honig wäre John vermutlich schon früher in einen Supermarkt geflüchtet. Sieht man sich seine Rezepte an, von denen es im Buch keinen Mangel gibt, dann findet man fast immer die Zutat Honig. Beobachter seines Tuns stellten sich die Frage, warum er bei seiner sparsamen Ernährung denn nicht abnehmen würde. Nun, die Antwort liegt wieder im Honig. Und im Wein, den er nicht verschmäht. Die Früchte, aus denen er ihn produziert, sind nicht sehr süß, was wieder vermuten lässt, dass er auch dort mit reichlich Honig nachgeholfen hat.
Spätestens bei seinen Rezepten scheiden sich wohl in Deutschland die Geister. Tatsächlich verlassen sie ihn hier wohl fluchtartig, denn es gibt natürlich keine Gewürze. Und seine Fruchtsoßen zum Fleisch (meist Brombeere) treffen wohl auch nicht unbedingt den hiesigen Geschmack.
Was bleibt also von diesem Experiment? Zunächst einmal dieses Buch. Und das war wohl auch der Sinn des Ganzen. Danach kommen seine Erfahrungen. Und die sind sehr speziell und wohl auch nicht unbedingt massentauglich. Wer sich schon einmal im Winter auf die Suche nach Wildkräutern gemacht hat, wird genau bestätigen, was auch John empfunden hat. Es verändert die Sichtweise. Man merkt, wie schwer es ist, sich so zu ernähren. Man bekommt eine gewisse Vorstellung davon, wie es Tieren ergeht. Und damit tritt man in eine andere Welt ein, die normale Zeitgenossen nicht kennen. Ich verstehe auch, dass Töten John keinen Spaß machte, er es aber nicht auslassen konnte. Für Mitleid bleibt ihm dort kein Platz, wohl aber für Respekt.
Was mich an diesem Buch eine ganze Weile wirklich fasziniert hat, ist Johns Erzählkunst. Eigentlich berichtet er immer das Gleiche, doch ziemlich lange wirkt das nicht langweilig. Allerdings hätte ich gerne etwas mehr darüber erfahren, wie seine Frau sein Experiment betrachtet hat. Mit kleinen Kindern in eine Ruine zu ziehen und kein Geld zu haben, ist schon ziemlich verrückt. Und dann auf eine solche Idee zu kommen, anstatt wirklich etwas zum Familieneinkommen beizutragen, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.
Was also lernt man nun aus diesem Buch? In Wirklichkeit nichts, denn hierzulande wird kaum jemand auf eine ähnliche Idee kommen, weil sie erstens so gar nicht zu verwirklichen sein würde und weil sie zweitens nicht wirklich attraktiv, sondern eher ein Schreckensszenario für absolute Notfälle ist.
Aber gut schreiben kann der Mann. Dafür gibt es die Sterne. - Claudia Koppert
Im Vogelgarten
(1)Aktuelle Rezension von: ElinCorinthNistkastenprotokolle nannte Claudia Koppert 2013 das Material zu „Im Vogelgarten“ , das 2019 im Verlag Atelier im Bauernhaus in Buchform erschienen ist. Das wäre auch ein hervorragender Titel gewesen, denn die sechzehn Erzählungen des Buches sind tatsächlich so etwas wie Nistkastengeschichten. Dank dieser Texte erhält der Leser Einblick in Nester und Gelege, erfährt von ihrer Beschaffenheit, ihrer Schönheit, ihrer Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit.
Der tiefe Blick in die gut fünfzig Nistkästen im Garten des ehemaligen Forsthauses, in dem die Autorin seit zwanzig Jahren lebt, wird begleitet von Erzählungen über Gäste und Besucher, menschliche als auch tierische, von Nachbarn, von den Haustieren – drei Schafen, zwei Katzen und einer Hündin – von den Feldern und der Autobahn, von den Bäumen, von Glück und Unglück und allem voran von den Vögeln. Dreiunddreißig Arten halten sich übers Jahr im Vogelgarten auf, sechzehn als Brutvögel.Natürlich, darin ist es schon etwas mehr, als die eingangs erwähnten Nistkastengeschichten. Das Buch spricht zwischen den Zeilen und zuweilen auch ganz offen an, was nicht stimmt am Naturverständnis unserer Zeit. An den Begradigungen und Einebnungen, den Bereinigungen und Vereinheitlichungen der Landschaft. Da geht es um vogelfreundliche Dachsanierungen, um herbstliche Rasenpflege und Laubgebläse, um Insektenschwund und Prädatoren, um Nistmaterial und Massentierhaltung – aber nie unausgewogen, nie anklagend oder belehrend. Eher wie eine Feststellung: „So ist es eben.“
Ja, manchmal klingt auch eine leichte Resignation durch.
„Garten“ ist das Thema des Buches. Garten als Lebensraum und seine Bewohner als Messlatte dessen, was in ihm wachsen und gedeihen soll. Opulenz liest sich da heraus, von üppigen Hecken ist die Rede, von Blütenpracht in jeder Ecke und zu jeder Jahreszeit.
Es ist ein Buch, das von einer großen Freiheit erzählt, einer feinen Balance aus Distanz und Nähe der Gartenbewohner zueinander, einem mal mehr und mal weniger scheuen sich Annähern aneinander. Ein beneidenswert unkompliziertes Miteinander durch Höhen und Tiefen des Gartenjahrs, an dem uns Claudia Koppert teilhaben lässt.Sie schaut in die Nistkästen – mal aus Neugier, mal aus Sorge – und erblickt Tod und Leben darin, manchmal auch nur noch die Überreste des einen oder des anderen. Sie fotografiert, notiert, markiert, dokumentiert. Sie sammelt das ausgebürstete Fell des Hundes, welches sie in allen möglichen Nestern verbaut wiederfindet (ohne dass sich ein Vogel darin verfangen hätte…).
Sie entdeckt Kurioses, wie die akkurat eingearbeitete blaue Plastikschnur in einem Spatzennest, welche zur ersten Brut die Nestkante fein säuberlich umrandet, und etwas später die des erweiterten Nestes der zweiten Brut ebenfalls, wieder fein säuberlich drapiert, und schließlich entdeckt sie diese Schnur noch im Dezember in einem der Kästen, in denen sich das Sperlingspaar ein Schlafnest eingerichtet hat.Während man all diese Geschichten liest, wünscht man sich, auch solche Geschichten erzählen zu können. Zwangsläufig denkt man immer wieder über das eigene Naturverständnis nach. Ich glaube, es ist diese intensive Nähe zu den Gartenbewohnern, die fasziniert, die Sehnsucht weckt nach eigenen Erlebnissen dieser Art, die nämlich etwas wert sind, weil sie etwas kosten. Sie erfordern unseren Fokus, unsere Aufmerksamkeit. Sie verlangen unsere Zeit und Hingabe. Sie erwarten von uns, Prioritäten zu ändern, aufzugeben, loszulassen, anders zu machen.
Und so finden sich auch Erzählungen im Buch, davon, was zählt und was lohnt. Der Garten ist eine Lebensaufgabe, ein Werk der Endlosigkeit, wenn man so will. Ein Ort in dem nichts nur aufwärts strebt, sondern in dem auch verwelkt, verdirbt, stirbt, für das man sich so aufgerieben hat. Er ist ein Ort der Mühsal und was darin gedeiht, könnte man auch andernorts einfacher haben. Aber ist das nicht genau der Punkt? Verliert man dadurch nicht die Nähe zum Garten, zur Natur? Verliert man nicht dadurch auch das Interesse und die Liebe daran? Wie also kann man dann noch erwarten, solche Geschichten erzählen zu können…Claudia Koppert wurde 1958 in Heidelberg geboren und ist studierte Sozialpädagogin, wusste aber nach Studienende, dass das nichts für sie war. Es zog sie ins Verlagswesen, ab 1981 als Lektorin für Verlage in Heidelberg und Berlin, und sechs Jahre später als freie Lektorin, vorwiegend von Sachliteratur und wissenschaftlichen Texten. Neben einer zweijährigen Lehrtätigkeit an der TU Berlin im Bereich Frauenforschung, hielt sie Vorträge und veröffentlichte erste eigene Texte. Der literarische Durchbruch kam 2003 mit ihrem Roman Allmendpfad.
Wir brauchen mehr dieser Bücher. Mehr Nature Writing. Mehr persönliche Erlebnisse und Erfahrungen und den Austausch darüber. Es gibt genug Regeln, die wir einhalten, genug Aspekte, die wir berücksichtigen müssen. Genug Sachbücher und Fachliteratur, die uns die Welt erklären. Was fehlt, ist die Erfahrung des Einzelnen mit alledem.
Wir brauchen aber auch mehr dieser Naturbücher, die uns die Furcht vor der Naturnähe nehmen. Die Furcht, noch mehr zu stören und zu zerstören. Aber auch die Furcht, wieder Teil des Ganzen zu werden. Es braucht Bücher, die uns von der Naturlust erzählen, von den freiwilligen Entbehrungen, von der Abkehr des Überflusses, von der zivilisatorischen Askese, damit wir wieder hinein finden in die Natur. Kein Ort wäre dafür besser geeignet, als der eigene Garten.Die vollständige Rezension mit Textzitaten, Illustrationen aus dem Buch und weiteren Infos gibt es auf meinem Blog: https://treibholzinsel.de/2019/08/16/im-vogelgarten-von-claudia-koppert/
- Maria Borrély
Mistral
(25)Aktuelle Rezension von: reneeMaria Borrély beschreibt hier in „Mistral“ das malerische Leben in einem Dorf in der Haute Provence in einer vergangenen Zeit, sie schreibt sich ihre Liebe für diese Landschaft von der Seele. Aber nicht nur dies beschreibt sie. Sie beschreibt auch wie der Mistral, eine unberechenbare Kraft wütet, dieses beschauliche Leben in dem Dorf in der Haute Provence durcheinanderbringt.
Marie geht wie alle anderen Menschen im Dorf auch ihrer Arbeit nach. Das Dorf floriert. Mehr oder weniger. Denn die Lage des Dorfes ist für seine Bewohner in seiner Hochlage auch anstrengend und so sind manche fortgezogen, haben örtlich weniger anstrengende Lebenssitze gewählt. Die Natur und der Jahreslauf bestimmen die zu erledigenden Arbeiten und die Dorfbewohner haken die Dinge auf ihrer To-Do-Liste ab, mit diesen Arbeiten zieht die Zeit vorbei.
Doch der Jahreslauf bestimmt auch für die Menschen etwas. Und so trifft die Liebe auf Marie. In Gestalt des vom Wind daher gewehten Olivier. Doch Marie verwechselt sein Begehren mit der Liebe, mit ihrer Liebe. Und so weht der Wind ihren herzallerliebsten Olivier wieder weg. Zurück bleibt eine zerstörte Marie, die bis vor kurzem noch straight ihrer Arbeit nachgegangen ist.
Marie wird klar, dass sie einer Lüge aufgesessen ist und Marie ist stolz. Und so geht sie den Weg der Stolzen, sie kann nicht mit ihrer Schande leben, die in dem Dorf sicher ein Dauerthema war. Sie war durch Olivier stigmatisiert worden.
Die Autorin Maria Borrély wurde 1890 in Marseille geboren, „Mistral“ erschien 1930 bei Gallimard unter dem Titel „Sous le Vent“. Ist 1930 die Zeit einen Roman zu veröffentlichen, in dem männliche Eroberungslust angeklagt wird? Mutig von Maria Borrély solch ein Buch zu schreiben, wie ich finde. Und auch schön, dass solch ein Buch bei Gallimard herausgebracht wurde. Denn nicht nur die Liebe zur Haute Provence wird in diesem Buch deutlich. Auch eine Kritik an der patriarchalen Lebens- und Denkweise kommt hier lautstark zum Vorschein, wie ich finde.
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