Bücher mit dem Tag "ns-täter"

Hier findest du alle Bücher, die LovelyBooks-Leser*innen mit dem Tag "ns-täter" gekennzeichnet haben.

18 Bücher

  1. Cover des Buches Die Wohlgesinnten (ISBN: 9783833306280)
    Jonathan Littell

    Die Wohlgesinnten

     (160)
    Aktuelle Rezension von: Tilman_Schneider

    Nach der großen Ankündigung und dem großen Erfolg in Frankreich konnte man sehr gespannt sein. Der Autor hat wohl die nötige Distanz um dieses >Eisen< anzupacken. Leider passiert dann sehr wenig. Lobenswert ist die genaue Recherche und das Aufarbeiten von Zahlen und Orten, aber Ereignisse werden zum Teil nur gestreift und das Buch wird bald langweilig. Es ist sehr enttäuschend, man kann fast von einem Machwerk sprechen denn von all dem angekündigten, versprochenen ist nichts übrig. Es wird soviel angepackt, aber dann plötzlich fallen gelassen und der Autor nimmt seine Erzählfäden oft nicht mehr auf und so ist es nicht interessant, nicht brisant, nicht aufklärend oder aufrüttelnd, sondern einfach nur langatmig, langweilig und überhaupt nichts sensationelles.

  2. Cover des Buches Im Krebsgang (ISBN: 9783423252898)
    Günter Grass

    Im Krebsgang

     (204)
    Aktuelle Rezension von: Farbwirbel

    Günther Grass' Novelle 'Im Krebsgang' lag schon Jahre auf meinem SuB und nun habe ich es endlich geschafft, sie zu lesen.

    Inhaltlich war ich tatsächlich überrascht, denn ich dachte, dass es ein historienbezogenes Werk ist und wusste nicht, dass er auch hochgradig aktuell ist.

    In der Novelle geht es um Paul Pokriefke, der selbst als Journalist arbeitet und dem Leser einen Schweinsgalopp durch Vergangenheit und Gegenwart eröffnet.

    Zu Beginn geht es um Gustloff, Frankfurter und Marinesko, drei historische Personen, die im Zusammehang mit dem NS-Regime stehen. Dabei sei kurz erklärt, dass Gustloff als Nazi von Frankfurter, einem Juden, erschossen wurde. Später, als Hitler die KDF-Fahrten eingeführt hatte, wurde eines der Schiffe Gustloff genannt. Wie es der Zufall so will, ist eben jene Gustloff das Boot, mit dem Mutter Pokriefke später mit ihrem Sohn Paul im Bauch vor den Russen flüchtet. An dem Abend, als die Gustloff abgeschossen wird, wird Paul geboren und Mutter Pokriefke erzählt diese Geschichte ein ums andere Mal ihrem Sohn und später auch ihrem Enkel Konrad.

    Wie sich im Lauf der Geschichte herausstellt, ist Konrad sehr vereinamt von dieser Geschichte und entwickelt sich Stück für Stück zu einem Neonazi. Sein Vater beobachtet im Web diese Entwicklung, denn Konny schreibt auf einer Website darüber, doch wirklich einzugreifen wagt er nicht, hat er doch nicht wirklich Kontakt zu ihm.

    Die Geschehnisse spitzen sich zu und die Geschichte wird wiederholt. Am Ende kann man tatsächlich die letzte Phrase der Novelle als Kern dieser erkennen:

    Das hört nicht auf. Nie hört das auf. - S. 216

    Grass fragt in seiner Novelle nach der Idiotie, die Menschen inne haben, die nationalsozialistisches Gedankengut in sich tragen. Vor allem aber trägt er hier einen Sachverhalt vor, der gar nicht so oft thematisiert wird: Intelligtente Menschen und wie diese so denken können und auch, was die Geschichte der Familie in einem jungen Menschen machen kann, wie sie sich weiterträgt. Das war hochinteressant.

    […] Wolfgang Stremplin, der sich online David genannt hatte, einen, wie er sagte, „Nachweis arischer Herkunft“ vorlegte und sich dabei ironisch gab. Den Kommentar zu dem, was er ohnehin wußte, lieferte mein Sohn aus ruhiger Gewißheit: „Das ändert nichts am Sachverhalt. Allein ich mußte entscheiden, ob die mir als David bekannte Person als Jude sprach und handelte.“ - S. 182

    Auf der anderen Seite habe ich das Werk nur schleppend fertig bekommen. Gerade der Einstieg mit all den historischen Persönlichkeiten und dem fast abgehackten Schreibstil war für mich nur schwer anzunehmen. Das Buch wurde zum Schluss hin immer interessanter und dennoch blieb der erste Eindruck für mich sehr präsent. Da ist der Titel dann aber wieder sehr genial gewählt. Im Krebsgang. Genau so wird die Geschichte nämlich erzählt.

    Den Ich-Erzähler Paul mochte ich sehr gern. Gefangen in dem Rahmen seines Lebens und mit einer großen Schippe Ironie erzählt er daraus.

    Schluß mit Gernegroß! Wer sich mit funfunddreißig und beginnendem Haarausfall noch ein Kind andrehen läßt, ist nicht zu retten. Was heißt hier Liebe! Die gibt’s allenfalls wieder ab siebzig, wenn ohnehin nichts mehr läuft. - S. 42

    Seine Mutter war für mich so etwas wie das Ebenbild der Nachkriegsgeneration, die danach in der DDR lebte. Irgendwie politsch verwildert im Kopf, wenn man das so sagen kann.

    Da ich vom Schreibstil und dem Aufbau der Geschichte nicht zu 100 % überzeugt bin, ich aber mit der Aussage d'accord gehe, bin ich mal wieder im Sternekonflikt. Ich vergebe drei Sterne und würde gerne noch einen imaginären, halben Sternd dazugeben.

  3. Cover des Buches Hinter den Türen warten die Gespenster: Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit (ISBN: 9783827013316)
    Florian Huber

    Hinter den Türen warten die Gespenster: Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit

     (6)
    Aktuelle Rezension von: HEIDIZ

    Dieses Buch erzählt authentisch lebendig beim Zusammenbruch des Dritten Reiches beginnend davon, wie Familie einfach wieder normal leben wollte. Der Alltag der Familien war nicht mehr der, wie er vor dem Krieg war, aber er sollte einfach wieder normal werden. Die Väter sollten nicht vom Krieg gezeichnet sein, sie sollten für ihre Familien keine Fremden sein und auch nicht für ihre Frauen. Straßenkrawalle waren schließlich an der Tagesordnung, weil man einfach nicht sprach, weil man schwieg und die Kinder in diesem Klima aufwuchsen.


    Verschiedene Menschen, Charaktere werden beleuchtet, die jeder für sich von Florian Huber betrachtet wird. Kriegsheimkehrer, Schulkinder, Mütter .... Schicksale, die zu Herzen gehen. der Autor macht spür- und begreifbar, wie die Menschen damals zu denen wurden, die sie in Zeiten des Aufbaus waren, sie konnten dem praktisch nicht entfliehen. Die Geschichten bewegen - sie machen auch nachdenklich.


    Das Buch ist mit einem edlen Lesebändchen versehen.


    Das Buch gestattet einen Blick hinter die Kulissen der Nachkriegszeit und hinter die Charaktere, die diese Zeiten erlebten und durchlebten. Wundervoll geschrieben, emotional und informativ, glaubwürdig, lebendig, als wäre man dabei und in die Figuren blickend - fragend und erklärend. Der Autor hat sich mit der Psyche beschäftigt, das ist klar, ein wirklich rundherum gelungenes Buch !!! Sollte man gelesen haben. 

  4. Cover des Buches Schweigen tut weh (ISBN: 9783548608266)
  5. Cover des Buches Der lange Schatten der Täter (ISBN: 9783492312134)
    Alexandra Senfft

    Der lange Schatten der Täter

     (4)
    Aktuelle Rezension von: Starbks
    Lockeres Geplauder

    Von den eher verhaltenen Rezensionen wollte ich mich nicht davon abhalten lassen, Alexandra Senfft Sachbuch „Der lange Schatten der Täter“ zu lesen. Das Thema interessiert mich sehr, spätestens, seit ich mit den Büchern von Sabine Bode auf die Nachwirkungen des Krieges auf die Folgegenerationen aufmerksam geworden sind. Diese verlaufen oft nach erstaunlich ähnlichen Mustern und sind nicht nur hochinteressant, sondern auch sehr plausibel. Bei Alexandra Senfft sieht dies anders aus, und vielleicht ist es auch nur ihre Art der Aufbereitung des Themas 'Täterkinder' oder 'Täterenkel', die den Leser etwas ratlos und auch etwas verärgert zurücklässt.

    Zum Inhalt: Alexandra Senfft, selbst die Enkelin eines Kriegsverbrechers, hat viele Menschen, getroffen, die sich mit der Tatsache auseinandergesetzt haben, dass es in ihrer Familie, oft unter den Großeltern, einen Täter mit Nazivergangenheit gibt. Sie hat auch Opfer des Nationalsozialismus getroffen. Jeder Begegnung widmet sie ein Kapitel im Buch. Dabei beschreibt sie die Tätervergangenheiten ebenso wie die Aufarbeitung (oder auch manchmal das Schweigen) der Kinder- und Enkelgeneration. Die Lebenswege der Täternachkommen, meist enkel, wird in direkten Kausalzusammenhang mit der Familienvergangenheit gestellt. Das heißt: Egal, was die Nachkommen machen, Senfft findet eine Erklärung in der Vergangenheit, auch, wenn die Nachkommen m.E. doch alle sehr verschiedene Wege eingeschlagen haben. Dabei sind die Rückschlüsse schon nachvollziehbar, und die Schilderungen sind spannend und aufschlussreich, aber ob z.B. eine Enkelin nur als Wiedergutmachung oder aus dem Ausgleichsgedanken heraus zur Wohltäterin wird, finde ich fraglich.

    Soweit ist die Idee hinter dem Buch dennoch gerechtfertigt. Die Aufbereitung des Stoffes hat mich allerdings nicht überzeugt. Senfft schildert Details rund um die Treffen, die mit dem Thema nichts zu tun haben, z.B. dass die Frau des Besuchten Tee und Kekse bringt, obwohl sie doch soviel zu tun hat. Für laute Schulklassen im KZ hat Frau Senfft leider auch kein Verständnis. Stattdessen schilder sie in jedem Kapitel, was für eine tolle Freundschaft und Vertrautheit sich mit den Interviewten über die Jahre ergeben hat. Jedes Kapitel zeugt quasi davon, wie sehr die gemeinsame Tätervergangenheit der Großeltern zusammenschweißt, während sich die Familie der Autorin gänzlich von ihr abgewandt hat. Schön für die Autorin, dass sie sich so getragen fühlt, aber in diesem Buch hat das m.E. nichts verloren.

    Wie sehr die Autorin sich hier selbst darstellen möchte und wie wenig sie scheinbar von der Vergangenheit verstanden hat, zeigt sich mir vor allem darin, dass sie ihre eigene Zivilcourage demonstriert, indem sie die Polizei ruft, weil sie in ihrer Straße ein verdächtiges Fahrzeug gesehen hat. Dabei möchte ich ihr nicht absprechen, dass sie sich intensiv mit dem Leben im Dritten Reich auseinandergesetzt hat;doch dort etwas verweigern oder Zivilcourage zeigen hatte doch meist andere Folgen.

    Fazit: „Der lange Schatten der Täter“ dient der Autorin wohl nur zur Selbstdarstellung, vielleicht zum eigenen Reinwaschen im Hinblick auf die Vergangenheit. Doch das müsste die Autorin gar nicht, denn mit den Taten ihres Großvaters hat sie ja nichts zu tun, und eine Wiedergutmachung ist auch nicht möglich, schon gar nicht durch einen Telefonanruf bei der Polizei. Ohne die Selbstdarstellungsversuche und viele unwichtige Details hätte dieses Buch Potential gehabt. Ich habe sehr lange an diesem Buch gelesen; es ging schleppend vorwärts, aber viele Aspekte waren wirklich auch sehr interessant. Man sollte sich dennoch auch nach anderen Sachbüchern umsehen, wenn man sich für das Thema interessiert. 
  6. Cover des Buches Am Beispiel meines Bruders (ISBN: 9783462307603)
    Uwe Timm

    Am Beispiel meines Bruders

     (110)
    Aktuelle Rezension von: SunnyInge

    Timms Bruder starb in der Ukraine. Als Besatzer. Vor dem Hintergrund des gerade aktuellen Krieges dort habe ich Gänsehaut bekommen. Namen tauchen in dem Buch auf, die ich aus den aktuelle Nachrichten kenne.

    Die Art der Aufbereitung fand ich spannend. Durchlesen in einem Rutsch war mir nicht möglich. Ich brauchte Verarbeitungspausen.

    Ich empfehle das Buch, das unsere deutsche Geschichte an einem Familienschicksal fest macht, sehr.


  7. Cover des Buches Mein Großvater im Krieg 1939-1945 (ISBN: 9783943425024)
  8. Cover des Buches Die Belasteten (ISBN: 9783596195244)
    Götz Aly

    Die Belasteten

     (4)
    Aktuelle Rezension von: Andreas_Oberender

    Götz Aly gehört seit langem zu den bekanntesten und meistgelesenen deutschen Historikern und Autoren, die sich mit dem Dritten Reich, der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland und der Geschichte des Holocausts beschäftigen. Alys neuestes Buch widmet sich einem Kapitel der Nazi-Herrschaft, das im öffentlichen Bewußtsein weniger präsent ist als der millionenfache Judenmord. Es untersucht die Tötung von ca. 200.000 körperlich und geistig Behinderten zwischen 1939 und 1945, die von den Tätern seinerzeit mit beschönigenden Begriffen wie "Euthanasie" oder "Gnadentod" umschrieben wurde.

    Vorweg zwei Kritikpunkte. Alys Darstellung setzt unvermittelt 1939 ein, als auf Weisung Hitlers Strukturen für die planmäßige Tötung von körperlich und geistig Behinderten geschaffen wurden. Eine Vorgeschichte wird dem Leser nicht geboten. Die Geschichte des Euthanasie-Gedankens in Deutschland und Europa wird nur ganz kurz gestreift. Deshalb bleibt weitgehend unklar, in welcher medizinhistorischen Tradition die Nazis standen. Die Euthanasie wurde ab 1939 erstmals praktisch angewendet, tauchte aber nicht plötzlich aus dem Nichts auf. Sie hatte eine intellektuelle Vorgeschichte, auf die Aly durchaus ausführlicher hätte eingehen können.

    Der zweite Kritikpunkt: In der Einleitung behauptet Aly, jeder achte heute lebende Deutsche und Österreicher mit Vorfahren im Reichsgebiet von 1900 sei direkt mit einem Menschen verwandt, der den Euthanasie-Morden zum Opfer fiel. Aly stellt eine eigenartige Modellrechnung auf, wonach ein fiktives, 1897 geborenes Euthanasie-Opfer im Jahre 2012 "45 direkte Nachkommen" habe (S. 15/16). Diese Berechnungen sind m.E. irreführend und methodisch unsinnig. Wie sich im Buch immer wieder zeigt, waren die meisten Euthanasie-Opfer unverheiratet und kinderlos, was bei Menschen, die seit Geburt oder seit Kinder- bzw. Jugendtagen körperlich oder geistig behindert waren und in Pflegeanstalten lebten, naheliegt. Euthanasie-Opfer, die verheiratet waren und eigene Kinder besaßen, waren, so weit ich das anhand der von Aly genannten Beispiele ersehe, eher die Ausnahme (z.B. Personen, die erst im Erwachsenenalter geisteskrank wurden). Das heißt, die Mehrheit der Euthanasie-Opfer kann keine direkten Nachkommen haben. Aly setzt hier in unzulässiger Weise direkte Nachkommen (Kinder, Enkel, Urenkel) mit Verwandten in der Seitenlinie gleich (Geschwister, Neffen und Nichten, Großneffen und Großnichten). Das sind aber zwei verschiedene Formen der Verwandtschaft, die man nicht leichtfertig in einen Topf werfen sollte! Die These, jeder achte heute lebende Deutsche stamme von einem Euthanasie-Opfer ab, zehn Millionen Deutsche und Österreicher seien "in gerader Linie" mit einem Euthanasie-Opfer verwandt, ist also vollkommen abwegig.

    Diese beiden Schwachpunkte beeinträchtigen den Wert des Buches aber nicht nennenswert. Aly untersucht die Euthanasie-Morde aus verschiedenen Perspektiven. Er nimmt die Täter und die Opfer ebenso in den Blick wie die Angehörigen der Opfer, deren stillschweigendes Einverständnis die Morde erst möglich machte. Gerade dies ist einer der Kernpunkte der Darstellung: Aly sieht die überwältigende Mehrheit der Angehörigen in einer Komplizenrolle. Der - bewußte oder unbewußte - Wunsch der Angehörigen, von einem lästigen Familienmitglied befreit zu werden, spielte den Tätern in die Hände. Angehörige, die ihre behinderten Familienmitglieder vor "Abtransport" und "Verlegung" retteten, waren eine Ausnahme. Protest und Widerstand gegen die Euthanasie formierten sich nicht. Die Auffassung, Behinderte seien unnütze Esser und unproduktive Mitglieder der Gesellschaft, war unabhängig von der Nazi-Ideologie weit verbreitet. Daran konnten die Täter der Euthanasie-Maßnahmen (Beamte, Ärzte, Personal in Pflegeanstalten) problemlos anknüpfen.

    Den Morden lag das Motiv zugrunde, die Volksgemeinschaft von unbrauchbaren und daher "nutzlosen" Mitgliedern zu befreien und die Gesundheit des Volkskörpers durch Ausmerzung alles Kranken und Schwachen zu fördern. Hunderte von Funktionären, Amtsträgern und Medizinern wirkten bereitwillig an den Euthanasie-Morden mit, ermutigt durch das Stillhalten der Angehörigen, die nicht so genau wissen wollten, was mit ihren behinderten Familienmitgliedern geschah. Etliche Mediziner nutzten die Leichen der Ermordeten für wissenschaftliche Forschungen; viele Ärzte konnten nach 1945 ihre Karrieren ohne Bruch fortsetzen. Ein Funktionär forderte, eine "Absterbeordnung für Idioten" auszuarbeiten (S. 204), um die Tötung von Behinderten, die auch nach dem siegreichen Krieg fortgeführt werden sollte, ein für allemal auf eine "ordentliche" bürokratische Grundlage zu stellen. Der kalte bürokratische Tonfall, in dem die Täter über ihr Vorgehen sprachen und schrieben, ist beinahe noch erschütternder als die von Aly angeführten Selbstzeugnisse (Briefe, gerichtliche Zeugenaussagen) von Euthanasie-Opfern und Überlebenden.

    Dies ist ein bedrückendes und aufwühlendes Buch. Die Lektüre ist nicht angenehm. Man sollte das Buch dennoch lesen, auch unabhängig davon, ob es in der eigenen Familie/Verwandtschaft einen Fall von Euthanasie gegeben hat. Einmal mehr konfrontiert Götz Aly die Deutschen mit einem dunklen Kapitel ihrer Vergangenheit, von dem sie viel zu lange nichts wissen wollten. Das ist Aufklärung im besten Sinne. 

    (Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im April 2013 bei Amazon gepostet)

  9. Cover des Buches Annas Spuren (ISBN: 9783776629545)
    Sigrid Falkenstein

    Annas Spuren

     (8)
    Aktuelle Rezension von: Juditha

    Die Autorin Sigrid Falkenstein stößt zufällig auf die Spuren der Vergangenheit, der Name Anna Lehnkering taucht bei Recherchen zur Familiengeschichte im Internet auf und sie stellt erschüttert fest, dass es sich um ihre Tante Anna handelt. Anna steht auf der Liste der durch die „T4-Aktion“ ermordeten Menschen, die zwischen 1940 und 1941 von den Nazis als „unwertes Leben“ und „Ballast“ bezeichnet und vernichtet wurden. In der Berliner Tiergartenstraße 4 (daher die Abkürzung T4) wurde aus der lange schwelenden Idee der Rassenreinheit ein Plan, der wahrscheinlich über 70.000 Menschen das Leben kostete. Unzählige andere wurden zwangssterilisiert oder für medizinische Laborversuche verstümmelt und für immer krank gemacht.

    Die Autorin kennt bis zu diesem Zufallsfund im Jahr 2003 nur ein Foto von Anna, in der Familie geschah das, was man lapidar mit Verschweigen und Verdrängen bezeichnet. Sigrid Falkenstein aber will das nicht länger hinnehmen und beginnt mit einer bespiellosen Suche nach der Wahrheit. Diese führt sie durch Institutionen und Archive, sie lernt Frank Schneider, einen ausgewiesenen Experten zum Thema Euthanasie kennen, sie begegnet auch vielen Personen auf ihrem Weg, die eigentlich auch lieber verdrängen und vergessen würden, was in der Nazizeit geschah. Das Thema „Datenschutz“ nutzen viele noch immer als Schutzschild. Mich erinnert diese fieberhafte Suche an meine eigenen Erlebnisse bei der Aufarbeitung meiner Familiengeschichte, umso mehr bewundere ich das Ergebnis, das in Form dieses Buches einmalig ist.

    Sigrid Falkenstein nimmt sich in diesem Buch die künstlerische Freiheit, aus heutiger Sicht in rund 50 persönliche Briefe an Anna zu richten, ihre Geschichte, die Geschichte der Familie und die Ereignisse der Euthanasie im Dritten Reich zu beschreiben und am Ende die Entwicklung in Deutschland nach dem bis zum Jahr 2018 aufzuzeigen. Mehr als einmal stockte mir beim Lesen der Atem, obwohl ich gewiss mit den Details der „T4-Aktion“, mit dem Holocaust und den Naziverbrechen schon sehr vertraut bin durch meine eigene Recherchearbeit. Immer wieder muss ich anhalten beim Lesen und Anna ist mir so nah, als wäre sie auch meine Verwandte. Dieses Buch bereitete mir schlaflose Nächte und lässt mich noch immer nicht los.

    Der Stil der Brief ist liebevoll und lässt den Leser an mancher Stelle glauben, dass die Autorin die lebendige Anna vor sich sieht, wenn sie schreibt. Das hübsche, schüchterne Mädchen, das als „erbkrank“ in den Krankenakten abgestempelt wird, erleidet ein so schreckliches Schicksal, zuerst wird sie zwangssterilisiert, dann in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen, dass der Weg von dort in die ersten Gaskammern des Deutschen Reiches führt, ist von Anfang an klar. Aber wie das geschieht und was Anna erleiden muss, das muss jeder Leser selbst erfahren.

    Anna ist nicht nur ein Opfer, sie ist ein Symbol dafür, dass wir die Vergangenheit nicht ruhen lassen dürfen, nur wenn die grausame Wahrheit ans Licht kommt, und auch dort bleibt, kann sie hoffentlich verhindern, dass solche Verbrechen noch einmal geschehen.

    Dieses Buch lüftet ein „Familiengeheimnis“, das das Leben der Autorin sehr nachhaltig beeinflusst und verändert hat. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man von solcher Art Erlebnisse nie wieder loskommt. Das Wissen, das man erlangt bei diesen Recherchen, die tief ins Persönliche gehen, bleibt immer präsent. Dass die Verlegung eines Stolpersteins für Anna tatsächlich wie ein spätes Begräbnis in der Erinnerung bleibt, das habe auch ich bei der Verlegung der Stolpersteine für meine Verwandten erfahren.

    Meine Bewertung müsste eigentlich bei mehr als fünf Sternen beginnen, das geht leider nicht, es ist ein sehr wertvolles Buch, das ich sicher noch oft in die Hand nehmen werde. Danke, Sigrid Falkenstein, danke auch an den Co-Autor Frank Schneider!

  10. Cover des Buches Köln unterm Hakenkreuz (ISBN: 9783832178505)
  11. Cover des Buches Weiße Nelken für Elise (ISBN: 9783739247885)
    Beate Schaefer

    Weiße Nelken für Elise

     (2)
    Aktuelle Rezension von: WinfriedStanzick
    Dieses Buch von Beate Schäfer, die sich schon durch etliche eigene Romane und als Übersetzerin einen Namen gemacht hat, ist nicht nur ihr bisher persönlichstes, sondern wohl auch das, mit dem sie sich am längsten beschäftigt und gekämpft hat. Denn ähnlich wie die französische Schriftstellerin Delphine de Vigan in dem gerade erschienenen, sehr empfehlenswerten Buch „Das Lächeln meiner Mutter“ durchbricht Beate Schäfer ein Tabu, das ihre Familie lange sozusagen in Gefangenschaft hielt. Geht es bei de Vigan um das Schicksal der eigenen Mutter, schreibt Beate Schäfer über ihre Großmutter und ihren Großvater. Ihre Großmutter Elise, so findet Schäfer heraus, war eine Prostituierte und ihr Großvater Walter ihr Geliebter und Zuhälter. Beide werden 1940 von der SS verhaftet. Während Elise in ein Wehrmachtsbordell gesteckt wird, wird Walter als „Berufskrimineller“ in das KZ Dachau gebracht und dort 1942 ermordet. Beate Schäfer gelingt es mit ihrem Buch nicht nur das Leben ihrer Großmutter als einer außergewöhnlichen Frau zu rekonstruieren und den unbekannten Großvater zu rehabilitieren. Mit ihren Nachforschungen hat sie es auch geschafft, sozusagen ein „Sittengemälde“ der NS-Zeit und der Nachkriegszeit zu malen. Was mich aber am meisten berührt hat (ähnlich wie bei dem Buch von de Vigan) ist die Art und Weise, wie sie als Schriftstellerin immer wieder Rechenschaft ablegt über ihr Tun und den Leser teilhaben lässt an der schwierigen Aufgabe, ein Familiengeheimnis zu brechen und es öffentlich zu machen.
  12. Cover des Buches Veit (ISBN: 9783499259982)
    Thomas Harlan

    Veit

     (6)
    Aktuelle Rezension von: Monsignore
    Welche ein unglücklicher Mensch! Vergangenheitsverloren und am Zipfel eines Übervaters! Sein ganzes langes und schaffensreiches Leben lang distanzierte sich Thomas Harlan von seinem Nazivater Veit Harlan. Dieser war der zentrale Filmemacher der Nazis, diente sich ihnen regelrecht an, hunderttausende sahen seine giftigen, antisemitischen und gewaltverherrlichenden Filme. Sein Sohn Thomas filmte dagegen, deckte Verbrechen auf, recherchierte den Terror, schrieb gegen das Erbe an. Und jetzt, an seinem Lebensende, schmettert er in gekünstelt expressionistischer Sprache ein Vaterbuch hin, das sich gewaschen hat. An einer Stelle jammert der Enterbte (warum ist er nicht stolz darauf?) den Originalen von Cranach und Frans Hals nach, die aus der Erbmasse verschwunden sind. Vier Seiten weiter winselt - ja winselt - er um Verzeihung für entzogene Sohnesliebe und Treue. Vom Frieden in der Seele schreibt er auf knapp hundert Seiten hundertfach. Warum? Mit einem überzeugten Nazi kann es niemals Frieden geben, der will das gar nicht, der kann das gar nicht, der weiß noch nicht einmal, was Frieden ist. Doch geradezu unappetitlich wird es, wenn mit dem Familienreichtum kokettiert wird. Mehrfach im Buch wird der sterbende Vater aufs Plateau im Tessin gerollt. Meine Güte, seine Statisten in Polen starben anders! Immer wieder werden die vielen Wohnungen der Familienmitglieder im In- und Ausland erwähnt. Was soll das? Warum erwähnt er nicht, dass sein Vater den in der Nazizeit angehäuften Reichtum in die Bundesrepublik mitnehmen konnte, er nie belangt wurde? Man kann seinen Vater durchaus hassen. In seinem persönlichen Fall ist das absolut angebracht und eine Frage der Ehre. Man kann ihn auch verfluchen und zusehen, dass man seinen Namen abstreift. Aber keinesfalls sollte man ihm psyeudoliterarisch hinterhergreinen.
  13. Cover des Buches Das Personenlexikon zum Dritten Reich (ISBN: 9783981148343)
  14. Cover des Buches Verbrechen der Wehrmacht (ISBN: 9783406662904)
  15. Cover des Buches "Ich fühl mich nicht als Mörder!": Die Integration von NS-Tätern in die Nachkriegsgesellschaft (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg (FSL)) (ISBN: 9783534708086)
  16. Cover des Buches Der Arzt von Hartheim (ISBN: 9783499623073)
  17. Cover des Buches "Ich fühle mich nicht schuldig" - Georg Renno, Euthanasiearzt (ISBN: 9783882438499)
  18. Cover des Buches Die kalte Amnestie (ISBN: 9783548607481)
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