Bücher mit dem Tag "polnischer autor"
9 Bücher
- Szczepan Twardoch
Morphin
(13)Aktuelle Rezension von: TinaGerSzcezepan Twardoch ist der neue Star am polnischen Literaturhimmel. Auch mir hat sein ‚Morphin’ den Atem geraubt. Ein schier unbeschreibliches Lesevergnügen. Formal vollkommen überirdisch, denn neben dem erzählenden Konstanty Willemann setzt Twardoch eine körperlose zweite Erzählinstanz, die Willemann liebt und liebkost, wie er es selbst nicht vermag. Diese Stimme kann reisen und mäandern, sie nimmt vorweg und verwirrt, sie schwankt hin und her durch die Irren und Wirren Warschaus 1939. Da ist die einst blühende Stadt plötzlich von den Deutschen besetzt und alle Freiheit erstickt. Sie ist gefangen zwischen dem verwundeten Stadtbild und den ehemals rauschenden Festen aus denen Konstanty, der Dandy, Bonvivant und Morphinist, sich nicht lösen mag. Wer ist er denn, das schöne Leben aufzugeben? Ist er nicht stolzer Pole oder doch - wie einst der Vater - Deutscher oder ganz wer anderes? Also schließt er sich dem Widerstand an und geht in den Untergrund. Eine Prüfung und auch eine Chance. Twardoch sucht und findet, er verliert seinen Protagonisten und fängt ihn wieder ein. Und das alles in dieser expressionistischen, fetten, gewinnenden Sprache, in diesen leuchtenden Bildern, die trotz Krieg und Kälte, trotz Verwüstung und Verrohung zu fesseln wissen.
Unbedingte Empfehlung und bisher unerreichtes Highlight des Jahres!
- Szczepan Twardoch
Der Boxer
(26)Aktuelle Rezension von: evaczykRasant, genial geschrieben und ausgesprochen brutal - in seinem neuen Roman «Der Boxer» geht der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch über zahlreiche Leichen. Er zeichnet ein - ziemlich blutiges - Sittengemälde eines Gangsterlebens der Vorkriegszeit.
Brachial, brutal, gewalttätig: Szczepan Twardochs neuer Roman «Der Boxer» ist Literatur noir mit einem schlagkräftigen Helden vom Kaliber eines Meyer Lansky. Denn der Jakub Shapiro, der Titelheld, ist nicht nur ein Boxer, er ist auch ein Gangster, die rechte Hand des «Paten» Kaplica. Der polnische Originaltitel des Buches ist «Der König» – und um zum König des kriminellen Warschaus aufzusteigen, ist Shapiro bereit, alles zu opfern.
Twardoch schreibt über Machos und Gangster, Huren und prügelnde Kunden, über Zionisten und fromme Juden. Denn Shapiro, ein Jude, hat für den Paten das Sagen in den Straßen und Gassen des jüdischen Viertels, kassiert Schutzgeld auf dem Kerelec Markt, vollstreckt brutale Strafen, rächt aber auch misshandelte Prostituierte, die unter seinem Schutz stehen. Er ist einer, der im Maßanzug rumläuft, aber auch im armen Teil des jüdischen Warschau als «einer von uns» gesehen wird. Männer bewundern oder hassen ihn, und Frauen sind ihm nur zu gerne willig.
In seiner Beschreibung des alten Muranow zeichnet Twardoch das Bild eines Warschaus, das im Zweiten Weltkrieg unterging, einer Stadt, in der Juden und Polen in zwei Welten lebten, die oft von gegenseitigem Misstrauen geprägt waren.Dieses alte Warschau existiert nicht mehr, aber für sein Gesellschaftsbild hat Twardoch sehr genau recherchiet.
Der Großteil von "Der Boxer" spielt im Jahr 1937 – zwei Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg. Es war auch die Zeit, als in Polen die Nationaldemokraten das Sagen hatten mit einer Politik, die sozusagen "Polen first" zu ihrer Maxime machte - und Pole, das hieß nur katholisch. Die vielen ethnischen und religiösen Minderheiten , die in der Vorkriegsgesellschaft ein Drittel der Bevölkerung ausmachten, waren "die anderen".
In «Der Boxer» wird daher nicht nur flaschenweise Wodka getrunken und gekokst, geprügelt und gemordet – es geht auch um den 1937 eingeführten Numerus Clausus für jüdische Studenten an polnischen Hochschulen, um die sogenannten Ghetto-Bänke in Hörsälen. Die Frage der Emigration nach Palästina stellt sich auch für Shapiro – sein jüngerer Bruder, ein Zionist, drängt ihn ebenso, Polen zu verlassen, wie seine Frau Emilia. Seine ehemalige Geliebte dagegen, die Bordellschefin Ryfka, versucht ihm den Gedanken auszureden.
Das Politische und das Persönliche vermischen sich für den Boxer zu einem Durcheinander, das zu einem Strudel der Gewalt führt. Denn sein im letzten großen Kampf im Ring bezwungener Gegner gehört zu den Kämpfern der extremen Rechten, dessen Vater, ein führender Staatsanwalt, gegen den «Paten» und Shapiro kämpft. Und dann ist da noch Anna, die Schwester des Kontrahenten, die sich Shapiro als Liebhaber nimmt, um den verhassten Vater zu provozieren.
All das wäre schon temporeich, dramatisch und aktionsgeladen genug, um Leser zu fesseln. Doch Twardoch führt seine Leser auch noch mit seiner Erzählweise in die Irre. Wenn sein Ich-Erzähler Rückschau auf die Vergangenheit des Jahres 1937 hält, scheint der Verlauf der Erzählung eigentlich ganz klar zu sein.Und es gibt noch so manchen dramaturgischen Überraschungsmoment, den ich hier nicht verraten will.
Die Sprache des Buchs ist ziemlich genial, da werden Bilder gezeichnet, die Teils an die Bilder von Marc Chagall erinnern und teils an die Filme von Tarrantino.Es liegt nicht allein am Gangstermilieu, dass das Blut manchmal von den Buchseiten zu triefen scheint. Sicher kein Buch für allzu sensible Gemüter, aber sehr kraftvoll, bildstark und eindringlich. - Mariusz Wilk
Schwarzes Eis
(3)Aktuelle Rezension von: LiisaEin sehr beeindruckendes Buch hat Mariusz Wilk mit "Schwarzes Eis" vorgelegt. Es ist vieles: Tagebuch, Reisebericht, kultur- und geistesgeschichtlicher Überblick, Analyse, Naturbeobachtung, philosophische Betrachtung. Gleich zu Beginn sei auf das Glossar hingewiesen, das weit mehr ist als ein einfaches Glossar und viel zum Verständnis beiträgt. Wilk lebt seit Jahren auf den Solowjezki Inseln am Polarkreis und versucht durch den Blick auf diesen Mikro-Kosmos dem Leser nicht nur die Solowjezki Inseln sondern ganz Rußland etwas näher zu bringen. Denn hier findet sich wie in einem Brennglas gebündelt eigentlich alles wieder, was man auch im großen Land finden kann. Wunderbar versteht es Wilk unter den Menschen vor Ort zu leben und mit entsprechendem Verständnis und Anteilnahme für ihren harten Existenzkampf - dem er ja selber ebenso ausgesetzt ist - über sie zu schreiben, sich zugleich aber doch eine gewisse Objektivität zu bewahren. Intelligent und äußerst wach spürt er dem Land, der Natur, der Geschichte, Kultur und den Menschen dort nach, verfolgt die Spuren der Vergangenheit, geht die Wege und kämpft mit dem Problemen der Gegenwart und erahnt die Zukunft. Höchst beeindruckend, wie es ihm gelingt dem Leser zu vermitteln, welche tiefen Einflüsse selbst von einem so entlegenen, von den Menschen - wenn es geht - eher gemiedenen und scheinbar von Gott verlassenen Ort in das bekannte und zentralere Rußland ausgegangen sind und noch ausgehen. Welche Leistung die Menschen, die freiwillig oder weil der Staat sie dorthin verbannt hatte dort leben, gerade schriftstellerisch und geistig erbracht haben, wird mehr als deutlich. Er berichtet über Mönche, die auf diesen Inseln ausgeharrt und in Abgeschiedenheit große Werke (vor allem Chroniken) verfaßt haben, erklärt, was der wahre Russe unter echtem Fasten versteht, nimmt an Beerdigungen teil, beobachtet eine Wahl und die dabei selbst an diesem Flecken um sich greifende Korruption und Vetternwirtschaft, berichtet von obskuren Sekten, z.B. der "Sekte der weißen Tauben" die die Kastration von Frauen und Männern für den Weg zur wahren Erlösug hielt oder die Perduny, die Furzer, die lehrten, daß das, was wir essen, dem uns innewohnenden Teufel als Nahrung dient, weshalb als Form der Reinigung rituelles Furzen verbunden mit Gebeten empfohlen wurde. Und so geht es in einem fort. Wer "Schwarzes Eis" gelesen hat, weiß danach mit Sicherheit eine Menge mehr über Rußland als vorher, erahnt welche Schätze in diesem Land verborgen sind aber auch welche Tragödien dort stattfinden und wie unerbittlich der Kampf ums Überleben für den einfachen Menschen ist. Er hat erfahren, wie man ein Netz richtig unter dem Eis hindurchzieht, wie es ist, mitten im Winter ein Grab auszuheben, daß auch die verzweifeltsten Menschen noch zu wahrer Dichtung imstande sind und daß der Mensch an sich, egal unter welchen Umständen versucht seinem Leben einen Sinn zu geben. Ja, es sind häufig anderswo aus verschiedenen Gründen Gescheiterte, aber Wilk zeigt, daß sie tagtäglich darum ringen ein Stück menschliche Würde zu bewahren und ich wage nach Lektüre dieses Buches zu sagen, daß es ihnen gelingt, vielleicht sogar überzeugender als manchem, der unter wesentlich besseren äußeren Bedingungen sein Leben lebt. Am Ende des Buches, stellt man fest, daß sich die darin beschriebenen Menschen, die dort auf den Inseln ihr Leben fristen - und manchmal auch feiern - still und leise in das Herz des Lesers gestohlen haben. Wer Rußland liebt oder gerne mehr über Rußland wissen möchte, wer verstehen möchte, was die Menschen dort bewegt oder lähmt, wer wunderbare Beschreibungen der nordischen Natur lesen möchte, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt. - 8
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