Bücher mit dem Tag "postcolonial"

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9 Bücher

  1. Cover des Buches Scatterheart - Verbannt in die Ferne (ISBN: 9783570280171)
    Lili Wilkinson

    Scatterheart - Verbannt in die Ferne

     (180)
    Aktuelle Rezension von: Tilman_Schneider

    London 1814. Hannah ist aus besserem Hause und ist verwöhnt und auch etwas arogant. Als man ihren Vater eines Mordes schuldig spricht, bricht für sie eine Welt zusammen. Ständig auf der Flucht, selbst in Gefangenschaft und dann ein Umzug nach Paris. Sie lernt einen faszinierenden Mann kennen und heiratet ihn, weil sie sich ein besseres Leben erhoft und er ihr viel verspricht. Es soll aber ganz anderst kommen... Ein sehr spannendes Buch mit vielen Historischen Rückblicken und einem Schicksal, dass bewegt und den Weg einer starken jungen Frau aufzeigt.

  2. Cover des Buches The Satanic Verses (ISBN: 0812976711)
    Salman Rushdie

    The Satanic Verses

     (8)
    Aktuelle Rezension von: Nicolai_Levin

    Ein sehr belesener, gebildeter und kluger Mann, zuhause in vielen Kulturkreisen und Sprachen, schreibt ein Buch, in dem er kunstvoll Ebenen und Beziehungen verknüpft, historische Gestalten verfremdet, Anspielungen verstreut und darüber hinaus eine Fülle an realistischen und magischen Ereignissen und Schicksalen aneinanderreiht und miteinander verwebt.

    Ich lese das, nicht ohne Vergnügen, nicht ohne so einiges zu entschlüsseln, aber am Ende der 550 Seiten muss ich rätseln und strampeln, um mir so etwas wie einen übergeordneten Sinn, ein Thema, eine These aus dem überbordenden Text zu schälen. „Die satanischen Verse“ sind nicht schwer zu lesen, aber so richtig klug wird man nicht aus ihnen, jedenfalls nicht so auf den ersten Blick.

    Den Inhalt wiederzugeben ist auch eine Herausforderung für sich. Zu viele verschiedene Geschichten kommen hier zusammen, als Träume, Visionen, Rückblenden. Die Haupterzählung dreht sich um zwei Schauspieler indischer Herkunft: Einer, Saladin, arbeitet in England als Synchronsprecher für Zeichentrickserien und Werbespots, der andere, Gibreel, kommt aus kleinen Verhältnissen, wird durch Verwandte zum Bollywoodfilm gebracht und ist dort als Götterdarsteller in Hinduschmonzetten in Indien groß rausgekommen. Sie besteigen - zufälligerweise gemeinsam, sie kennen sich bis dahin nicht - ein Flugzeug, das von Terroristen über dem Ärmelkanal in die Luft gejagt wird, sie stürzen zu Boden und überleben wunderbarerweise als einzige den Fall aus vielen tausend Metern Höhe. Gibreel wandelt sich zu einer Erscheinung des Erzengels Gabriel, Heiligenschein inklusive, während dem armen Saladin teuflische Hörner und Bocksfüße wachsen. In London leben sie so weiter, und sie kehren beide nach Indien zurück; es passiert einiges, durchbrochen von Träumen, Erzählungen und Visionen: vom sehr seltsamen Imam, der im Exil lebt (ein bis zur Kenntlichkeit exaktes Abbild von Chomeini in Paris, das offenbar die Ursache für die Wut ist, die man in Teheran auf das Buch entwickelt hat), Begebenheiten aus den Kreisen englischer Auswanderer im Argentinien der 1930-er, die Geschichte vom Mädchen, das in Indien ein muslimisches Dorf zur Pilgerreise nach Mekka lockt, mit dem Versprechen, die Fluten des arabischen Meeres zu teilen, und der Legende vom Propheten Mahound, der den Monotheismus nach Jahilia (Mekka nachempfunden) mit seinem Bazar an Gottheiten bringt (dieser Erzählstrang war der angebliche Grund, der Rushdie das iranische Todesurteil als Gotteslästerer beschert hat).

    Was macht man nun aus diesem Sammelsurium? Natürlich geht es zunächst immer um Identitäten und die Frage wohin sich einer zugehörig fühlt und bekennt, wem er oder sie folgen will, ethnisch, kulturell, familiär, religiös. Das religiöse Thema, das alles überspannende Leitmotiv des Romans, interessiert Rushdie interessanterweise vor allem als Mythos, als Narrativ, als Stoff, den er genussvoll auseinandernimmt, zerlegt und einem Puzzle gleich neu zusammensetzt. Die Frage nach der Göttlichkeit, ihrer Allmacht und ihrer Wirkung auf uns Menschen spielt keine Rolle, es sind die Mittler, die Propheten, die es ihm angetan haben. Mahound (Mohammed nachempfunden) empfängt die Gebote Gottes allein in einer Höhle, und sie kommen ihm in seinen Diskussionen und Kämpfen in der Stadt sehr zupass, untermauern sie doch stets seine eigenen Positionen. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.

    Da wo Wunder geschehen und Übersinnliches sich ereignet (und das passiert reichlich), nimmt es niemand zum Anlass, den Willen und die Macht eines göttlichen Wesens für sich zu beanspruchen. Im Gegenteil, selbst da, wo sich Saladin und Gibreel in Abbilder des Himmlischen oder Höllischen verwandeln, bleiben sie in ihrem Tun und ihrem Vermögen durch und durch menschlich. Der Erzengel vollbringt nichts Zauberhaftes oder Gutes, und niemand muss sich vor dem Dämon Saladin fürchten.

    Vielleicht ist das ja die philosophische These Rushdies: Dass wir - auch wenn Gott / das Schicksal / der Zufall die Welt noch so sehr durcheinander schüttelt und uns an die ungewöhnlichsten Positionen der Allmacht und Suggestion bringt, wir doch am Ende nur kleine Menschlein bleiben, die sich durchwurschteln, so gut es eben geht - und, genau wie Saladin, Gibreel, Mahound und alle anderen zurechtzukommen versuchen und es uns einzurichten: ökonomisch, sozial, emotional, sexuell. Diese konsequente Abwesenheit von Gut und Böse hat gerade im Kontext religiöser Ansprüche, die ja immer darauf abzielen, das Gute zu repräsentieren und das Böse hinabzustoßen, ihren eigenen anarchischen und schelmischen Reiz. Als These ist sie mir allerdings zu entschuldigend und nett - das mag ich nicht unterschreiben, dafür haben mir böse Menschen wissentlich einfach zu viel Unglück und Leid über die Welt gebracht.

    Eigentlich nur gute drei Sterne, aber ich runde aus Solidarität im Kampf um Toleranz und Meinungsfreiheit auf. 

  3. Cover des Buches The White Tiger (ISBN: 9781848878082)
    Aravind Adiga

    The White Tiger

     (60)
    Aktuelle Rezension von: Goldilocks

    „The White Tiger“ von Aravind Adiga wurde bereits 2008 veröffentlicht. Es ist also ein schon ein wenig älteres Buch aber meiner Meinung nach hat es seine Aktualität kein bisschen verloren. Auch 2008 hat es, meiner Meinung nach sehr verdient, den „Man Booker Prize“ gewonnen. Ich selber habe es auf Englisch gelesen weshalb ich nichts über die Übersetzung sagen kann, aber in seiner Orginalsprache hat es mir wirklich gut gefallen.


    Es ist mal etwas ganz anderes und auch sehr unerwartet. Die meisten Zeilen triefen vor Sarkasmus. Man muss immer wieder lächeln aber manchmal ist man auch entsetzt von der brutalen Wahrheit der Zeilen. Das Buch handelt schließlich auch von vielem das heute noch Indiens Realität ist. Die Geschichte wird aus der Sicht eines armen indischen Jungens erzählt. Mittlerweile ist er ein Unternehmer in Bangladesch, aber er erzählt die Geschichte seines Lebens von Anfang an in Form von Briefen an den Prime Minister von China. Er berichtet von der Armut, der fehlenden Infrastruktur die auch heute noch in vielen Regionen Indiens der Wahrheit entspricht, von dem Tod seiner Eltern und davon wie er aus der Schule genommen wurde. Aber auch davon wie er dann trotzdem etwas aus sich gemacht hat obwohl er in keiner einfachen Situation aufgewachsen ist. Man merkt, dass er auf eine merkwürdige Art und Weise schlau aber trotzdem auch manchmal schwer von Begriff ist. „half-baked“ wie er sich selber nennt. 


    Der Hauptcharakter gibt dem Buch wirklich eine ganz besondere Note. Seine Sicht auf die Welt ist ein wenig ungewöhnlich aber auch den Umständen umsprechend. Man erlebt seine Entwicklung mit, wie er vom armen Kind zu jemandem wird der andere Leute bei sich einstellt. Und es kommt einem wirklich real vor. Ich selber würde wenn jemand erzählen würde, das Buch basiert auf waren Umständen, es sofort glauben. Die Gefühle werden unglaublich gut zum Leser rübergebracht, die Wut darüber wie ein Sklave behandelt zu werden, der Wunsch nicht heiraten zu wollen aber dazu gezwungen zu werden, die Bewunderung gegenüber denen die über ihm stehen. 


    Mir ist auch nie langweilig geworden. Es bleibt immer spannend, manche Wendung unerwartet andere schon seit Anfang der Geschichte angekündigt. Manchmal ist man über die Intelligenz in den Handlungen des Hauptcharakters erstaunt, manchmal über die Sinnlosigkeit. Aber genau das macht ihn zu einer sehr realitätsnahen Person.


    Allem in allem hat es mir wirklich gut gefallen. Das Buch behandelt so wichtige Themen, wie das Klassensystem und die Armut in Indien auf eine traurige aber zu gleich humorvolle Art. Es unterhält einen, bringt einem aber auch etwas bei und macht einem klar wie dankbar man sein sollte für alles was man hat. Aus meiner Sicht hat die Geschichte 5 von 5 Sternen wirklich verdient.


  4. Cover des Buches Midnight's Children (ISBN: 9780099582076)
    Salman Rushdie

    Midnight's Children

     (22)
    Aktuelle Rezension von: Nicolai_Levin

    Die erzählte Zeit dieses Romans umspannt die Jahre von 1915 bis 1978 - kurz darauf ist das Buch erschienen, also bis nah an die damalige Gegenwart. Inhaltlich geht es im weitesten Sinne um die wechselvolle Lebens- und Familiengeschichte des Saleem Sinai, Enkel eines muslimischen Arztes aus Kaschmir und Sohn eines Kaufmannes, der sich in Bombay niedergelassen hat.

    Saleem wird exakt um Mitternacht am 15. August 1947 geboren, also just in dem Moment, in dem Indien seine Unabhängigkeit von der britischen Krone erlangt, und dieser wunderbare Zufall hat Konsequenzen. Denn der neugeborene Saleem als offiziell erstes Kind der Unabhängigkeit erlangt frühe Berühmtheit, Zeitungen berichten über seine Geburt und der neue Premierminister Nehru schickt den Eltern ein Glückwunschschreiben. Aber die Geburtsstunde hat weitere übernatürliche Konsequenzen: Saleem kann mit allen anderen Kindern Indiens, die in dieser ersten Stunde zur Welt kamen, telepathisch kommunizieren. Und diese 'Mitternachtskinder' sind ihrerseits mit den verschiedensten außergewöhnlichen Gaben gesegnet, umso ausgeprägter und wirkungsvoller, je näher ihre Geburtszeit an diese Minute Null um Mitternacht heranreicht. 

    Saleem wächst mit den Jahren in Bombay heran und gelangt zu der Überzeugung, dass sein persönliches Schicksal (und das seiner Familie) mit dem seines Landes direkt verknüpft ist, und in der Tat finden wir den Knaben (und später den jungen Mann) in nahezu alle bedeutenden Meilensteine der indischen (und pakistanischen) Nachkriegsgeschichte verwickelt: Der Sprachenstreit und die Neuordnung der indischen Staaten in den Fünfzigern, Militärputsche in Pakistan ein paar Jahre später, die indisch-pakistanischen Kriege um Kaschmir, der Tod Nehrus, die Unabhängigkeit Bangladeshs mit ihren unsagbaren Gräueln, die Notstandsregierung der späten Indira Gandhi.

    Die Geschichte ist opulent erzählt mit vielen kleinen Begebenheiten, üppig und doch filigran, wie ein hinduistischer Tempel, der aus lauter kleinen Figuren geformt ist, die ein Gesamtbild ergeben, oder wie eines dieser kunstvoll verflochtenen Mosaike in den Moscheen der Mogulzeit.

    Salman Rushdie, der dem Icherzähler die Stimme leiht, ist ein Wanderer zwischen Indien und Europa. Bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr ist er in Bombay aufgewachsen, dann kam er nach England und ging dort zur Schule und zur Universität und besuchte erst wieder als erwachsener Mann das Land seiner Vorfahren, dem er hier eine ebenso schräge wie ans Herz gehende Liebeserklärung macht. Von blinder Liebe kann keine Rede sein, Rushdie sieht die Probleme und Missstände, und die Mächtigen, die sie verantworten, bekommen allesamt ihr Fett weg: Die Briten, die Hals über Kopf abgezogen sind und den Subkontinent sich selbst überließen. Eine Mischung von höchst unterschiedlichen Völkern, Staaten, Sprachen, Religionen, die nur durch die britischen Kanonen zu einem Dominion zusammengepresst waren. Die Nationalisten, die Sprachpuristen, die religiösen Eiferer, die korrupten und die unfähigen Generäle, sie alle werden gnadenlos aufs Korn genommen.

    Die Kritik hat 'Mitternachtskinder' im Magischen Realismus verortet. Das mag stimmen, aber es ist eben nur ein kleiner Teil des Zaubers, den das Buch versprüht. Vermutlich ist es Salman Rushdies literaturhistorisches Verdienst, erkannt zu haben, dass die Dekonstruktion der Postmoderne genau da anknüpft, wo die Geschichtenerzähler des Morgenlandes schon immer waren: Beim munteren Jonglieren zwischen den Erzählebenen, dem Eklektizismus von Zeiten und Perspektiven, den variablen Graden an Realität und Authentizität. Rushdie, der in Cambridge Geschichte studiert hat, der als Journalist und Werbetexter arbeitete, kommt mit seiner europäischen Leseerfahrung und der Weltliteratur im Rucksack ins Land der Fakire und Schlangenbeschwörer und durchmischt den Inhalt seines Handgepäck unbeschwert und ungeniert mit den traditionellen Motiven des Orients. Wie die Tänzer in einem Bollywoodfilm (auch die ein Thema in dem Buch, nur so am Rande) wirbelt er mit wallendem Gewand durch die Etagen, durchbricht die Wände, persifliert sich selbst und streut dabei singend seine bunten Blüten und Blätter!

    Religionen spielen eine große Rolle - in dem Land und in dem Buch. Gleich zur Unabhängigkeit finden wir die Trennung in ein islamisches Pakistan und ein säkulares (aber hinduistisch geprägtes) Indien. Bombay ist ein Brennpunkt, in dem die unterschiedlichsten Glaubenspraktiken zusammenkommen. Es mangelt nicht an Gläubigen, an Wundern, an Mythen in diesem Buch; Kirchen, Tempel, Priester, Heilige, Zauberer, sie sind allgegenwärtig in Rushdies Indien. Und dennoch ist sein Saleem (und der Salman, der augenzwinkernd hinter ihm steht) nach meinem Eindruck ein zutiefst unreligiöser Mensch, den die letzten Fragen nach dem Woher und Wohin einen Dreck interessieren! Er (und die Menschen um ihn) brauchen keine Ewigkeit, sie sind vollauf beschäftigt, sich in der Verwinkelungen des Hier und Jetzt zurechtzufinden. Vielleicht liegt in dieser Haltung ja der tiefe Hass verwurzelt, den Rushdie seit jeher bei religiösen Eiferern auslöst, der ihm (nach seinen 'Satanischen Versen') das Todesurteil der Mullahs, Jahre in Verstecken und 2022 schließlich einen Messerangriff eines Islamisten beschert hat, der ihn das rechte Auge kostete.

    Rushdie verwendet keinen erhobenen Zeigefinger. Seinem Helden Saleem wird der sogar (symbolträchtig, alles in diesem Buch ist symbolisch, allegorisch und mit doppeltem Boden versehen!) abgerissen. Und doch preist er die Buntheit und Vielfalt als Stärke der Kultur, spottet der Fanatiker und Partitionierer und Puristen - und legt ohne jede Belehrung (er würde sie als Erzähler doch nur wieder ironisch brechen) ein fulminantes Plädoyer für Toleranz und ein buntes Miteinander ab!

  5. Cover des Buches Half of a Yellow Sun (ISBN: 9780007789955)
    Chimamanda Ngozi Adichie

    Half of a Yellow Sun

     (20)
    Aktuelle Rezension von: KarinEger

    „Ein ungeheuer aufrüttelnder Roman über Versprechungen, Hoffnungen und die Enttäuschungen des Krieges“, steht auf der Rückseite meiner Englischen Ausgabe. Ein Jahr lang stand dieser Roman in meinem Regal, bevor ich mich hin traute. Ich hatte einige Essays der Autorin gelesen und Videos ihrer Reden angeschaut. Warum Chimamanda Ngozi Adichie keinen Satz schreiben kann, der nicht faszinierend elegant ist, wird klar, wenn man ihr zuhört und zusieht. Sie strahlt diese natürliche Souveränität und Tiefe aus, vereint Scharfsinn mit Wärme und ist für mich eine echte Hoffnungsgeberin. Ich wollte mich schon lange mal an ein größeres Werk von ihr wagen. Außerdem hoffte ich auf eine Antwort auf die Fragen, die mich angesichts des vor Kurzem ausgebrochenen Krieges in der Ukraine quälten: Warum nur muss es diese Brutalität geben? Müssen wir wirklich in einer Welt leben, in der das Morden und Zerstören unausweichlich ist? Die Antwort kommt in „Half of a Yellow Sun“ auf leisen Sohlen und in Camouflage daher. 

    Die Universitätsstadt Nnsuka in Nigeria in den frühen sechziger Jahren. Ein ungebildeter Dorfjunge kommt in den Haushalt eines Professors, um von nun an Ordnung zu halten und Essen zu kochen. Er liebt seinen „Master“ und lässt sich nicht austreiben, ihn „Sah“ zu nennen und damit seine Unterlegenheit auszudrücken. Der Lesestrom gleitet übergangslos vom Häuslichen ins Politische. Täglich kommt ein bunter, meinungsstarker Freundeskreis beim Professor vorbei. Sie essen, trinken und diskutieren über Kolonialherrschaft und den Rassismus, der ihr zugrunde liegt. Die Europäer sind ihre größten Feinde. Der Professor weigert sich, eine Identität anzunehmen, die von Weißen erfunden wurde: Schwarzer, Nigerianer, „Sah“. Diese Schubladen sieht er als Kulturdiktatur. 

    Als zweite Protagonistin kommt die Freundin des Professors ins Spiel, eine bildschöne, kluge Frau, die keinerlei Identitätsprobleme zu haben scheint. Sie liebt den Professor und findet seine revolutionäre Ader sexy, aber sie teilt seine gespaltene Weltanschauung nicht. Sie sieht sich als Teil eines Ganzen und glaubt nicht an Fronten. Das ist umso erstaunlicher, weil sich Fronten durch ihr ganzes Leben ziehen. Sie verlaufen kreuz und quer durch ihre Ursprungsfamilie und auch ihre neue Familie, in der sie von der Schwiegermutter gedemütigt wird, und das obwohl sie zum selben Stamm gehört. Selbst zwischen ihr und ihrer geliebten Zwillingsschwester bricht ein Abgrund auf, der unüberwindbar scheint. 

    Jene Zwillingsschwester ist mit einem Engländer zusammen, der die dritte Perspektive einbringt. Er ist fasziniert von der Igbo-Kultur und macht es sich zur Aufgabe, der westlichen Welt deren reiche Historie näherzubringen. Als er im intellektuellen Kreis des Professors seine Absichten äußert, wird er kritisiert. Warum muss man überhaupt betonen, dass ein Afrikanisches Volk eine hochentwickelte Kultur hat? Der Brite lernt, dass die Anerkennung von Stammeskultur von weißer Seite arrogant rüberkommt, und dass sie nur von deren Angehörigen transportiert werden darf. Egal in welchem Umfeld der Brite auftaucht, er bleibt ein ewiger Eindringling. 

    Während man als Leser/in noch dabei ist, diese nörgelnde, sich gegenseitig anzickende Gesellschaft liebzugewinnen, bricht der Genozid an den Igbo herein, ein Religions- und Vernichtungskrieg folgt, und es wird so grausam, dass man nur noch raus will aus der Nummer. Aber man kommt nicht mehr los und nimmt den Überlebenskampf mit auf. Das neu formierte Biafra gibt Leuten wie dem Professor endlich eine Identität, doch diese ist nicht im Sinne der restlichen Welt. Während die Europäer Öl ins Feuer gießen und dann die Schlachten um Biafra als Gemetzel unter Barbaren abtun, zittert und hungert man mit seinen Bürgern und trauert um massenhaft sterbende Kinder. Man lässt sich von der korrupten Regierung in immer neue Selbstmordkommandos schicken, weil man an die Kraft in diesen Menschen glauben will, obwohl man hautnah erlebt hat, dass es in ihnen ebenso wenig Frieden gibt wie in ihren Feinden. 

    Der Brite in der Gruppe schreibt über den gesamten Zeitraum an einem Buch. Er will der weißen Welt vor Augen zu führen, wie überheblich sie ist. Doch die „Enttäuschungen des Krieges“ (eine ungeheure Untertreibung) machen ihm klar, dass er dafür als Europäer der Falsche ist. Am Ende schreibt ein anderer dieses Buch und bringt die Geschichte damit an einen Punkt, an dem man als Leser/in doch noch spürt, dass etwas gewonnen wurde. Die neue Ordnung, die aus Tod, Niederlage und Chaos hervorgeht, verteilt auch die Chancen neu. 

    Es bleibt eine große Erschütterung nach dieser Lektüre zurück, aber auch eine tiefe Bewunderung für die Seele der Menschen, die das Unüberwindware überwinden kann. Hat mir der Roman geholfen, mit der Realität des Krieges in Europa umzugehen? Sicherlich nicht. Aber ich habe eine Ahnung bekommen, wieviel Kriegspotential in unser aller Herzen schlummert. Das ist entsetzlich, aber im Umreißen dieser Wahrheit liegt ein Quäntchen Zukunft. Die Autorin, die mich bis ins Mark durchgerüttelt hat, und die ich mehr bewundere denn je, bleibt für mich eine Hoffnungsgeberin. 

  6. Cover des Buches Things Fall Apart (ISBN: 9781587657115)
    Chinua Achebe

    Things Fall Apart

     (22)
    Aktuelle Rezension von: WildRose
    "Things Fall Apart" ist das meistverkaufte Buch eines afrikanischen Autors. Chinua Achebe hat hier ein ganz wichtiges Werk geschaffen, das trotz seiner Kürze tief zu berühren vermag. Protagonist des Romans ist Okonkwo, welcher einem nigerianischen Stamm angehört, der durch zahlreiche Bräuche und Traditionen gekennzeichnet ist. Okonkwos Vater war in den Augen des Stammes ein Versager und darum ist es Okonkwo sehr wichtig, anerkannt und respektiert zu werden. Er ist sehr streng mit seinen Ehefrauen und Kindern, lässt ihnen nichts durchgehen, und gilt selbst als furchtloser Kämpfer. Durch die versehentliche Tötung eines Clanmitgliedes fällt Okonkwo in Ungnade und muss sein Clan für sieben lange Jahre verlassen.
    Dieser erste Teil des Buches überzeugt durch leise Töne und eine sehr ruhige, gleichmäßig dahingleitende Erzählweisung, die auch als Symbol für das ursprüngliche Leben des Clans in Einklang mit der Natur verstanden werden kann, jedoch ohne die uns zweifellos teilweise als unmenschlich erscheinenden  Bräuche und Traditionen auf ein Podest zu stellen. Es erfolgt keine Wertung, man lernt einfach nur das Leben eines nigerianischen Clans kennen.
    Der zweite Teil beginnt mit Okonkwos Rückkehr zum Clan, in welchem sich in den letzten Jahren vor allem durch die ankommenden weißen Missionare viel verändert hat. Okonkwo ist wütend darüber, wie zögerlich sich die Clanmitglieder den Weißen gegenüber verhalten, dass sogar sein eigener Sohn dem Christentum beitritt, empfindet er als besonders schlimme Schmach.
    Das Ende des Romans möchte ich hier nicht vorwegnehmen, es ließ mich aber sehr nachdenklich zurück. Das Buch ist eines der wenigen Bücher afrikanischer Autoren, die weltweite Beachtung erlangten, und Chinua Achebe hat meiner Ansicht nach mit "Things Fall Apart" ein echtes Juwel geschaffen, ein Buch, welches anhand der Entwicklung eines einziges Mannes die Entwicklung eines ganzen Volkes, eines Landes, ja eines Kontinents aufzeichnet.
    "Things Fall Apart" sollte man unbedingt gelesen haben.
    Ich hätte mir nur gewünscht, dass der Roman etwas länger wäre und man mehr über das Gefühlsleben und die Ansichten der Frauen und Kinder Okonkwos erfahren hätte.
    Insgesamt nichtsdestrotz ein ausgezeichnetes Werk.
  7. Cover des Buches East, West (ISBN: 9783150090947)
  8. Cover des Buches Wide Sargasso Sea (ISBN: 0606209913)
  9. Cover des Buches Born on a Tuesday: A Novel (ISBN: 9780802124821)
    Elnathan John

    Born on a Tuesday: A Novel

     (1)
    Aktuelle Rezension von: wolkenbruch
    "Born on a Tuesday" heißt der Debütroman des nigerianischen Autors Elnathan John. Geboren an einem Dienstag deshalb, weil der Name des Protagonisten, Dantala, ebendies bedeutet und damit eigentlich gar kein richtiger Name ist.

    Zu Beginn des Romans lebt Dantala unter einer Gruppe von Straßenjungen in Bayan Layi im Nordwesten Nigerias. Gerade findet ein Wahlkampf statt: die etablierte, "große" Partei, die sich nicht für die Belange der Bevölkerung einsetzt und für Korruption steht gegen die "kleine" Oppositionspartei. Dantala und die anderen Jungen verdienen sich etwas Geld damit, Plakate für die Oppositionspartei aufzuhängen und die der großen Partei niederzureißen. Als der Wahltag endet und die Stimmen ausgezählt sind, ist der Wahlbetrug sicher: die große Partei gewinnt, obwohl keiner der Bewohner für sie gestimmt hat. Die Gang steckt das Wahlbüro der großen Partei in Brand. Dantala muss aus Bayan Layi fliehen. 

    Und so beginnt die eigentliche Handlung des Romans, die Dantalas weiteren Weg verfolgt. Er findet in einer Moschee Unterschlupf, lernt den Jungen Jibril kennen, der ihm Englisch beibringt, und wird zu einem angesehenen Helfer des Scheichs, da er - in einem Land, in dem etwa 40 Prozent der Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann - mit seinem Wissenseifer und seinen Sprachkenntnissen - er spricht Arabisch, Hausa und inzwischen auch Englisch - auffällt. Die Erlangung von Dantalas Englischkenntnissen thematisiert John, indem in den Roman Tagebucheintragungen eingefügt sind, in Dantalas noch fehlerhaftem Englisch, in denen er versucht, sich neue Wörter beizubringen. 
    Doch auch unter den Fittichen des Scheichs wird es zum Ende des Romans für Dantala brenzlig: Es haben sich islamische Untergruppierungen gebildet, von denen jede um Macht kämpft und so kommt es immer wieder zu Anschlägen und gewalttätigen Ausschreitungen...

    Elnathan Johns Debütroman ist ein mutiges und spannendes Buch, das insbesondere von den politischen und religiösen Verhältnissen des heutigen Nigerias - einst britische Kolonie, heute unabhängig, aber von der Zweiteilung des muslimischen Nordens gegenüber dem christlichen Süden sowie einem Nebeneinander von beeindruckenden 514 verschiedenen Sprachen - erzählt. Man kann sich gut in den jungen und doch auch naiven Dantala einfühlen, der nach seinem Platz in der Gesellschaft sucht und lernt zugleich viel über sein westafrikanisches Heimatland. Insofern sei die Lektüre dieses beeindruckenden Debüts unbedingt ans Herz gelegt! Die Tagebucheinträge bieten eine zusätzliche sprachliche Raffinesse, ebenso wie der portionsweise durchblitzende Humor des Autors. Wer sich die Lektüre auf Englisch nicht zutraut, dem sei verraten, dass die deutsche Übersetzung für 2017 geplant ist - wenngleich ich gespannt bin, wie die erwähnte Sprachvielfalt in deutscher Übersetzung gelöst werden wird.
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