Bücher mit dem Tag "poststrukturalismus"

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12 Bücher

  1. Cover des Buches Das Haus /House of Leaves (ISBN: 9783442739707)
    Mark Z. Danielewski

    Das Haus /House of Leaves

     (152)
    Aktuelle Rezension von: Morgensternglimmer

    Mark Z. Danielewskis Erstlingswerk stellt eine bemerkenswerte Abweichung von traditionellen Erzählformen dar und hebt sich sowohl durch seine komplexe Handlung als auch durch eine außergewöhnliche gestalterische Umsetzung von anderen Romanen ab. Im Zentrum der Geschichte stehen Will Navidson und seine Familie, die in ein ungewöhnliches Haus ziehen, welches mit paranormalen Phänomenen aufwartet und eine stetige Veränderung seiner Struktur zeigt. Diese Begebenheiten fesseln nicht nur die Charaktere, sondern ziehen auch den Leser in ihren Bann.

    Zu Beginn könnte der Roman aufgrund seiner ausführlichen Einleitung und dem wissenschaftlich anmutenden Erzählstil als langatmig empfunden werden. Diese anfängliche Trockenheit weicht jedoch nach den ersten 150 bis 200 Seiten einer packenden Spannung und gruseligen Atmosphäre, die die anfängliche Geduld mehr als belohnt. Das Buch zeichnet sich durch seinen originellen Aufbau aus, der die Erzählung in die Form einer Analyse eines fiktiven Dokumentarfilms kleidet und durch verschiedene Erzählperspektiven eine vielschichtige Leseerfahrung bietet.

    Danielewski experimentiert mit der Form des Romans, indem er Anmerkungen, Fußnoten und ungewöhnliche Textanordnungen einsetzt, was den Leseprozess zu einer einzigartigen Herausforderung macht. Die Verwendung von blauer Farbe für das Wort 'Haus' und die Notwendigkeit, das Buch gelegentlich zu drehen oder sogar einen Spiegel zur Hilfe zu nehmen, tragen zur Einzigartigkeit des Leseerlebnisses bei.

    Trotz der Faszination, die das Buch hervorruft, gibt es auch Kritikpunkte. Der Schreibstil kann je nach Passage als hektisch oder abgehackt empfunden werden, und die Figur Johnny Truant, einer der Erzähler, mag aufgrund seiner vulgären Ausdrucksweise und Abschweifungen nicht jedem Leser sympathisch sein. Doch diese Aspekte tragen ebenfalls zur Einzigartigkeit des Werks bei und spiegeln die Vielfalt der erzählerischen Techniken wider, die Danielewski in seinem Roman anwendet.

    Die Erzählstränge rund um das Haus, aus der Perspektive von Will Navidson, seiner Frau und weiteren Charakteren, bereichern die Handlung und bieten tiefe Einblicke in die mysteriösen Vorgänge. Die zusätzlichen Perspektiven von Zampano und Truant fügen weitere Ebenen hinzu, die das Werk komplex und mehrdimensional gestalten.

    Abschließend lässt sich sagen, dass Danielewskis Debütroman ein außergewöhnliches Leseerlebnis bietet, das durch seine innovative Gestaltung und tiefgründige Handlung besticht. Trotz einiger herausfordernder Aspekte lohnt sich das Durchhalten, da der Roman eine einzigartige Erfahrung verspricht, die sowohl spannend als auch intellektuell stimulierend ist.

  2. Cover des Buches Wenn ein Reisender in einer Winternacht (ISBN: 9783596523368)
    Italo Calvino

    Wenn ein Reisender in einer Winternacht

     (169)
    Aktuelle Rezension von: Das_literarische_Parkett

    Italo Calvinos Schreibstil ist unauffällig, poetisch ohne überladen zu wirken, philosophisch ohne sich schwermütig über das Geschehen zu legen, intellektuell ohne aufgesetzt zu werden.
    Der Protagonist ist der Lesende, ein hoffnungslos Verlorener, der in den Strudel faszinierend vielseitiger Erzählungen gesogen wird: als Reisender in eine Winternacht verwandelt er sich auf der Jagd nach dem Ende der Erzählungen in einen Liebenden, filtrierten Agenten und schizophrenen Millardär.

    Mich hat dieser erste Calvino sehr begeistert, hat mich abtauchen lassen und oft irritiert, leider aber nie verblüfft oder innerlich gerührt. Faszinierend geschrieben ist diese Reise, aber die Tiefe der Poesie und der einzelnen Erzählungen gleiten dem genialen Autor im Sog der sprunghaften Erzählweise aus der Hand. Das Hin- und Her wirkte auf mich zunehmend nicht mehr kreativ, sondern nur wie die logische Konsequenz eines Prinzips.
    Calvino möchte ich unbedingt weiterlesen; sein Stil und seine Perspektive auf Literatur und literarische Figuren treffen wirklich meinen Geschmack, nur leider hat die grundsätzlich faszinierende Idee des Buches die spannenden Ambivalenzen und Bezüge verschluckt.
    Für mich leider das klassische Beispiel, dass weniger auch mehr sein kann.

    Auszug:

    'Beim Betrachten der Frau im Liegestuhl ist mir das Bedürfnis gekommen, „nach der Natur“ zu schreiben, das heißt nicht die Frau zu beschreiben, sondern ihr Lesen, beziehungsweise irgendetwas zu schreiben, aber ständig dabei zu denken, dass es durch ihr Lesen hindurch muss. Jetzt, beim Betrachten des Schmetterlings, der sich dort auf mein Buch setzt, möchte ich „nach der Natur“ schreiben, indem ich ständig an den Schmetterling denke. Zum Beispiel ein scheußliches Verbrechen beschreiben, das aber bei aller Scheußlichkeit diesem Schmetterling irgendwie gleicht, also leicht und zart ist wie er. Ich könnte auch den Schmetterling beschreiben und dabei so intensiv an ein scheußliches Verbrechen denken, dass der Schmetterling etwas Entsetzliches wird.'

     

  3. Cover des Buches Die Liebeshandlung (ISBN: 9783499258503)
    Jeffrey Eugenides

    Die Liebeshandlung

     (111)
    Aktuelle Rezension von: ScheckTina

    Madeleine studiert englische Literatur im Hauptfach. Sie ist schön und intelligent und kann sich von männlichen Angeboten kaum retten. Nur mit der Liebe ist es trotzdem nicht so einfach. Trotz der Vorbilder in ihren Romane ist es schwierig jemanden fürs Leben zu finden. Vielleicht auch gerade deswegen. Sie hat einen besten Freund Mitchell. Er ist der einzige der es bei ihr nicht versucht hat zu landen und ist immer zur Stelle, wenn sie ein mal wieder alleine ist. Doch dann lernt sie Leonard kennen. Er ist schön, charmant, witzig, aufmerksam. Hat eigentlich alles was man sich wünschen kann. Und doch wenn man genau hinschaut stimmt mit ihm was nicht. Doch dann kommt die Wahrheit ans Licht und Madeleine muss sich für oder gegen Leonard entscheiden.

    Das Buch ist ziemlich deprimierend. In der Geschichte geht es um manisch depressive Krankheit und das Buch zieht sich hin. Ich habe noch nie so lange für ein Buch gebraucht und war kurz davon es abzubrechen. Es ist wahnsinnig schwierig über eine Depression zu lesen, da hat man echt das Gefühl selber Depressionen zu haben. Auch sonst war das Buch schwierig. Madeleine studiert Englisch im Hauptfach. Da werden Romane unteranderem von Jane Austen auseinander genommen und analysiert. Was das lesen zusätzlich erschwert. Leider war es nichts für mich und das Buch eine ziemliche Enttäuschung.

  4. Cover des Buches House of Leaves (ISBN: 9780385603102)
    Mark Z. Danielewski

    House of Leaves

     (29)
    Aktuelle Rezension von: misspider

    I purchased the book a couple of years ago but then it became a forgotten relic on my shelf. One reason I postponed reading the book surely was its weight and size. The large softcover feels wobbly and uncomfortable to handle, so each time I took it out of the shelf I only dusted it off and put it back again. Until now. Inspired by a reading challenge, I decided to finally read 'House of Leaves' and find out whether my instant attraction in the past was justified. Sadly, it was not.
    I never felt a connection with this book, most of the time I only wished to get it over with so I could say I read it and sort it out. The book combines several story-lines and only one of them was interesting (therefore two stars) - the rest I could have done without and therefore skimmed through a great number of pages. While I understand the appeal the book's otherness may have on many readers I found it overdone, boring and mostly a waste of my time. But I'm glad I finally have it out of my way.

  5. Cover des Buches Wahnsinn und Gesellschaft (ISBN: 9783518276396)
    Michel Foucault

    Wahnsinn und Gesellschaft

     (11)
    Aktuelle Rezension von: Vera-Seidl

    Jedes Buch, das er geschrieben habe, sei, zumindest zum Teil, auf Basis einer persönlichen Erfahrung entstanden, erklärte Michel Foucault 1978 in einem Interview. mit dem italienischen Journalisten Ducio Trombadori. „Ich habe ein kompliziertes persönliches Verhältnis zum Wahnsinn und zur psychiatrischen Institution gehabt. Ich habe zur Krankheit und auch zum Tod ein gewisses Verhältnis gehabt. Ich habe über die Geburt der Klinik und die Einführung des Todes in das medizinische Wissen zu einem Zeitpunkt geschrieben, als diese Dinge für mich eine gewisse Bedeutung hatten. Dasselbe gilt aus anderen Gründen für das Gefängnis und die Sexualität.“


    Als sich der Autor 1955 auf Wanderschaft begab und zeitgleich mit seiner Doktorarbeit begann, hatte der damals 28-Jährige nicht nur die Kriegswirren erfahren, sondern auch mehrere Suizidversuche und einen Aufenthalt im Hôpital Sainte Anne hinter sich. Später arbeitete Foucault im selben Krankenhaus als Praktikant. 

    Am Ende seines Lebens experimentierte der Philosoph und Psychologe in Kalifornien mit LSD und tobte sich in der sadomasochistischen Homosexuellenszene in den Badehäusern San Franciscos.aus. Eine HIV-Infektion führte schließlich am 24. Juni1984 zu seinem Tod. Er starb im Pariser Hôpital de la Salpêtrière, jener Einrichtung, dessen Geschichte er in „Wahnsinn und Gesellschaft“ erforscht hatte. 


    Vor diesem Hintergrund liest sich „Folie et déraison“ wie eine Übersetzung des erfahrenen Wahnsinns in die Sprache der Vernunft, womit das „Schweigen“ des Wahns gebrochen und der „Monolog der Vernunft über den Wahnsinn“, „die Sprache der Psychiatrie“ aufgehoben wird.


    Mit einer Lupe in der Hand begibt sich Foucault in seiner Dissertation auf die Suche nach jenem „Punkt Null der Geschichte des Wahnsinns“, „an dem der Wahnsinn noch undifferenzierte Erfahrung, noch nicht durch eine Trennung gespaltene Erfahrung ist.“


    Er sucht und findet die „Geste“, die den Wahnsinn von der Vernunft trennt bei René Descartes, der seine Zweifel besiegte, indem er sich zum denkenden Subjekt erhob. „Cogito ergo sum.“ „Ich denke, also bin ich.“

    Ein Zeitgenosse Descartes, Blaise Pascal, kommentierte diesen „Gewaltakt“ in seinen „Pensées“ mit den Worten: „Die Menschen sind so notwendig verrückt, daß nicht verrückt sein nur hieße, verrückt sein nach einer andern Art von Verrücktheit.“ (S. 7)


    Dieser Meinung sind auch der Pfarrer, der Baccalaureus Sonsón Carrasco und der Barbier Meister Nikolas, als sie den Sinneswandel Don Quijotes am Ende seines Lebens vernehmen: „Als die drei ihn so reden hörten, hielten sie es für zweifellos, daß ihn eine neue Narrheit befallen habe …“ (Miguel Cervantes: Don Quijote, S. 1612)


    Bevor Descartes im 2. Kapitel die Bühne betritt, schwelgt Foucault im ersten auf dem „Narrenschiff“ eines Sebastian Brant und Hieronymus Bosch. Er schaut genau hin und erkennt im Mast den Baum der Erkenntnis. „Das Narrenschiff durchfährt eine Freudenlandschaft, in der den Begierden alles geboten wird, eine Art erneuertes Paradies, weil der Mensch darin das Leiden und den Mangel nicht mehr kennt. Dennoch hat er seine Unschuld nicht wiedererlangt. Dieses falsche Glück ist der teuflische Triumph des Antichrist, ist das nah bevorstehende Ende.“ (S. 40f)


    Im Duett mit Friedrich Nietzsche betrauert Foucault im Folgenden den Tod der Tragödie, den er nicht Sokrates zuschreibt, sondern den ersten Humanisten. Brant wurde bereits erwähnt. Erasmus von Rotterdam spottet noch bevor William Shakespeare seinen „König Lear“ erschaffen hat: „Mögen die Menschen in aller Welt von mir sagen, was sie wollen – weiß ich doch, wie übel von der Torheit auch die ärgsten Toren reden –, es bleibt dabei: mir, ja mir allein und meiner Kraft haben es Götter und Menschen zu danken, wenn sie heiter und frohgemut sind.“ (Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit, Anfang)


    Entsprechend dem französischen Untertitel seines Werkes, „Histoire de la folie à l'âge classique“, widmet der Autor der Klassik seine größte Aufmerksamkeit. 

    1641 veröffentlichte Descartes seine „Meditationes de prima philosophia“, 1644 die „Principia philosophiae“. Bereits 12 Jahre später wurde das Dekret zur Gründung des Hôpital général erlassen. 


    Lebten die Wahnsinnigen bisher am Rand der Gesellschaft, so wurden sie jetzt zusammen mit Geschlechtskranken, Straftätern, Bettlern und anderen Müßiggängern „als Quellen jeglicher Unordnung“ zunächst in den ehemaligen Leprastationen interniert und zur Arbeit gezwungen.


    In der kartesischen Konsequenz sanken die „Irren“ nun in den Augen der Vernünftigen zu Tieren herab. „Die Animalität, die im Wahnsinn zum Ausdruck kommt, beraubt den Menschen dessen, was es an Menschlichem in ihm geben kann.“ (S. 143) Die erstaunliche Fähigkeit der Inhaftierten, sich an die unendlich elenden Lebensbedingungen anpassen zu können, schien das zu belegen.


    Als einträgliches Geschäft erwies sich die Zurschaustellung der Wahnsinnigen. „Während der Zeit der französischen Klassik zeigt man auf ihn, aber von jenseits der Gitter. Wenn er manifestiert wird, so geschieht das in der Entfernung, unter den Augen einer Vernunft, die keine Verwandtschaft mehr mit ihm hat und sich nicht mehr durch zu große Ähnlichkeit kompromittiert fühlen muß. Der Wahnsinn ist etwas geworden, was man anschauen kann, nicht mehr ein Monstrum im Innern des Menschen, sondern ein Lebewesen mit eigenartigen Mechanismen, eine Bestialität, in der der Mensch seit langem beseitigt ist.“ (S. 140)


    Der Skandal des Wahnsinns werde verherrlicht, während der der anderen Formen der Unvernunft sorgfältig verborgen wird. Verborgen werden muss, um nicht zu zeigen, „bis zu welcher Nähe der Animalität ihr Fall sie hat bringen können. Gleichzeitig zeigt er, bis wohin sich die göttliche Gnade hat neigen können, als sie der Rettung des Menschen zustimmte. Für das Christentum der Renaissance lag der ganze belehrende Wert der Unvernunft und ihrer Skandale in dem Wahnsinn der Inkarnation eines Mensch gewordenen Gottes. Für die Zeit der französischen Klassik ist die Inkarnation kein Wahnsinn mehr. Jetzt ist jede Inkarnation des Menschen im Tier Wahnsinn …“ (S. 151) „Nach Port-Royal muß man zwei Jahrhunderte auf Dostojewskij und Nietzsche warten, damit Christus den Ruhm seines Wahnsinns wiederfindet, damit der Skandal von neuem seine darstellende Kraft hat, damit die Unvernunft aufhört, lediglich öffentliche Schande der Vernunft zu sein.“ (S. 149)


    Im zweiten Teil des Buches untersucht Foucault die Wandlung vom kritischen Bewusstsein vom Wahnsinn in der Renaissance zum analytischen bis zum 19. Jahrhundert.

    „Einst wurde die Krankheit von Gott erlaubt; er bestimmte sie sogar als Strafe für die Menschen. Aber jetzt organisiert er ihre Formen, teilt er selbst ihre Unterschiede auf. Er pflegt sie. Künftig wird es einen Gott der Krankheiten geben, denselben, der die Arten schützt, und seit Ärztegedenken hat man diesen sorgfältigen Gärtner des Übels nie sterben sehen.“ (S. 185)


    Nachdem der Autor durch den „Garten der Arten“ geirrt ist und bevor er sich in „Die Ordnung der Dinge“ beziehungsweise die des Wahnsinns vertieft, stellt er in der Mitte des Buches fest: „Jene Geste, die den Wahnsinn in einer neutralen und uniformen Welt der Ausgeschlossenheit verschwinden ließ, stellte keinen Halt in der Entwicklung der medizinischen Techniken oder im Fortschritt humanitärer Ideen dar. Sie erhielt ihren genauen Sinn in folgender Tatsache: der Wahnsinn hat im Zeitalter der französischen Klassik aufgehört, ein Zeichen einer anderen Welt zu sein, und ist die paradoxe Manifestation des Nicht-Seins geworden.“ (S. 253)


    Dem Ich-Erzähler des Denis Diderot begegnet im dritten Teil „eine der wunderlichsten Personnagen“, „die nur jemals dieses Land hervorbrachte … Es ist eine Zusammensetzung von Hochsinn und Niederträchtigkeit, von Menschenverstand und Unsinn …“ Es ist „Rameaus Neffe“, der im Unterschied zu Descartes keine Gefahr in seinem Wahnsinn sieht, sondern Gefallen daran findet: „Man hat mich lächerlich haben wollen, und dazu habe ich mich gebildet.“ (S. 349)


    Zum Zeitpunkt, als man annahm, die Unvernunft sei „tief im Raum der Internierung verborgen“, tritt sie wieder auf. „Man möchte meinen, daß sie im Augenblick ihres Triumphes an den Grenzen der Ordnung eine Gestalt herbeiruft und entstehen läßt, deren Maske sie zu ihrem Hohn gebildet hat - eine Art Double, in dem sie sich wiedererkennt und gleichzeitig aufhebt.“ (S. 360)


    Aus der neuen Angst vor dem Wahnsinn als Milieuerscheinung am Ende des 18. Jahrhunderts erwächst eine „neue Trennung.“ „Die Unvernunft wird zu einer immer einfacheren Faszination, der Wahnsinn installiert sich dagegen als Objekt der Wahrnehmung.“ ‚(S. 399)


    Nachdem die Strafgefangenen in den Kolonien verschwunden sind, die Armen nur noch unter dem „Druck der ökonomischen Gesetze“ arbeiten müssen, verbleiben die Wahnsinnigen in den Anstalten und werden dort auf die nachrevolutionären Rechtsnormen und Werte umgestellt. 


    Das Asyl wird jetzt zum Mikrokosmos der bürgerlichen Gesellschaft, die die Wahnsinnigen zu Kindern erklärt und Ärzte zu Vätern erhebt. „Der Arzt kann seine absolute Macht über die Welt des Asyls nur in dem Maße ausüben, in dem vom Ursprung her er Vater und Richter , Familie und Gesetz ist, wobei seine ärztliche Praxis lange Zeit nur die alten Riten der Ordnung, der Autorität und der Bestrafung kommentiert. Pinel erkennt wohl, daß der Arzt heilt, wenn er außerhalb der modernen Therapien jene archaischen Gestalten mit ins Spiel bringt.“ ( S. 530)


    Sigmund Freud habe „die psychoanalytische Situation geschaffen, in der durch einen genialen Kurzschluss die Alienation zur Aufhebung der Alienation wird, weil sie im Arzt zum Subjekt wird.“ (S. 533) Descartes nennt sich nun also Samuel Tuke, Philippe Pinel oder einfach nur Arzt, während Pascal ganz andere Stimmen erhält:


    „Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts manifestiert sich das Leben der Unvernunft nur noch im Aufblitzen von Werken Hölderlins, Nervals, Nietzsches oder Artauds, die unendlich irreduzibel auf jene Alienationen sind, die heilen, weil sie durch ihre eigene Kraft jenem gigantischen moralischen Gefangenendasein widerstehen, das man gewöhnlich, wahrscheinlich in einer Antiphrase, die Befreiung der Irren durch Pinel und Tuke nennt.“ (S. 536)


    Auf der letzten Seite in der „Ordnung der Dinge“ schreibt Foucault: „Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie unseres Denkens ganz offen zeigt. Vielleicht auch das baldige Ende. Wenn diese Dispositionen (sc. unseres Denkens) verschwänden, so wie sie erschienen sind, wenn sie durch irgendein Ereignis, dessen Möglichkeit wir allerhöchstens vorausahnen können, aber von dem wir derzeit weder die Form noch die zukünftige Gestalt kennen, ins Wanken gerieten, so wie an der Grenze des achtzehnten Jahrhunderts das klassische Denken es tat, dann kann man sehr wohl darauf wetten, daß der Mensch verschwinden wird wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.“ 


    Was ist dem noch hinzuzufügen? 

    Foucault verabschiedete sich von dieser Welt mit einem Narrenspiel: Er beauftragte seine Sekretärin vor seinem Tod, alle Einladungen anzunehmen. So wurde er weltweit an mehreren Orten erwartet, als er im besagten Hôpital de la Salpêtrière. starb.

    Kann man seine Identität besser vervielfachen? Seinen Wahnsinn besser leben?


    Vera Seidl


    PS: Es ist hilfreich, die Lektüre von „Wahnsinn und Gesellschaft“ durch eine physikalische Sichtweise zu ergänzen. Dazu sei auf Albert Einsteins „Mond“, Erwin Schrödingers „Katze“, die „Unschärferelation“ von Werner Heisenberg und die „Kopenhagener Deutung“ verwiesen.

  6. Cover des Buches Welt, Struktur, Denken: Philosophische Untersuchungen zu Claude Lévi Strauss (Epistemata - Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie) (ISBN: 9783826040184)
  7. Cover des Buches Die siebte Sprachfunktion (ISBN: 9783499272219)
    Laurent Binet

    Die siebte Sprachfunktion

     (12)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer

    Achtung: könnte einen Spoiler enthalten

    Roland Barthes, gefeierter Linguist (Semiotiker), wird überfahren. Der scheinbare Unfall ruft schnell die Polizei aufs Parkett. Kommissar Bayard wird mit dem Fall betraut und holt sich Simon Herzog, Doktorand, selber Linguist und beschäftigt mit der Bedeutung von Zeichen, zur Hilfe. Dieser dient ihm als Landkarte, um sich im Dschungel der intellektuellen Elite der poststrukturalistischen 80er in Frankreich zu Recht zu finden. Es stellt sich heraus: Roland Barthes muss im Besitz einer Schrift seines Lehrers, Roman Jakobson, gewesen sein, welche Auskunft über eine siebte Sprachfunktion gibt. Eine Theorie des performativen Gebrauchs von Sprache. Der Heilige Gral für Linguisten. Und für jeden, der Reden zu gewinnen hat. Denn mit ihr sei es möglich, jede Diskussion für sich zu entscheiden und damit die Massen zu gewinnen. Natürlich haben alle möglichen Parteien ein Interesse daran, sich diese Schrift anzueignen. Die Recherchen des ungleichen Paares (konservativer Polizist und linker Doktorand), den Verbleib der Schrift ausfindig zu machen, führt sie vom intellektuellen Moloch in Paris über Bologna (ein Besuch bei Umberto Eco), nach Ithaca in den USA (Besuch eines Podiums, bei dem analytische Philosophie und Kontinentalphilosophie aufeinandertreffen), nach Venedig zum großen Finale. Zudem geraten sie in die Hände einer Gesellschaft, dem „Logos-Club“, eine Art Geheimbund für Rhetoren, bei dem Verlieren die Finger abgehackt werden. Natürlich ist ein jeder potentieller Interessent. Jeder will diese siebte Sprachfunktion. Es gibt eine Liebesgeschichte. Es gibt Action. Es gibt Drama. Es gibt ein Happy End. Was fehlt?

    Im Verlauf des Romans werden unheimlich viele Handlungstüren aufgemacht. Teilweise seicht, sich anbahnend, teilweise abrupt aufgestoßen. Zwar gelingt es dadurch die Paranoia der Zeit, in der sich das Absterben der kommunistischen Idee immer mehr anzudeuten scheint, das verblassen der 68er-Ideale deutlich wird, einzufangen und somit das Lebensgefühl darzustellen, allerdings stellen sich diese ganzen Türen, die Verwirrung stiften im Nachhinein häufig als völlig irrelevant und unsinnig heraus. Doch das ist nicht das Problem mit diesem Roman / Krimi.

    Das eigentliche Problem mit diesem Buch ist, dass die ganze Zeit über einer Idee nachgejagt wird. Was an sich nicht schlimm und durch die wilden Pop-Elemente abgegolten wäre (der Mythos der Pop-Philosophen, die sich mit LSD wegdröhnen und wilde Orgien feiern, Judith (als Judith Butler), die Lesbe, befriedigt Bayard mit einem Dildo anal, während er eine andere Frau penertiert) Aber da diese Idee ein Konstrukt, ein Phantasma ist, und dies im Buch auch bleibt, um den Konflikt von fiktivem Gehalt und Fakten aufrechtzuerhalten, ist die Tatsache, dass sich das Konstrukt, die siebte Sprachfunktion als leere Idee herausstellt, eine Enttäuschung. Der erwartete Höhepunkt, auf den in 450 Seiten zugesteuert wird, verkommt dadurch zur bloßen Formel der Demaskierung. Es war nur ein Bild. Die ganze Story ist nur ein gewaltiger Irrtum. Eben so wie die Auffassung, dass es diese Sprachfunktion tatsächlich gäbe, Genial. Auf der Metaebene. Aber zugleich unendlich enttäuschend. Ja. Vorherbestimmt zu enttäuschen auf der unterhaltenden Ebene. Ganz im Sinne der Poststrukturalisten: die Widersprüche der Kategorien (Fiktion und Realität) werden aufgezeigt, sie kommen ins Wanken und reißen die gesamte Kategorie gleich mit sich. Alles ist nur noch abhängig von subjektiver Anschauung. Das ist alternativlos. Aber konsequent. Der Roman ist zum Scheitern verurteilt und muss notwendigerweise als gescheitert enden. Das ist seine Genialität.

    Moment. Das ist alternativlos? So wäre es ausgegangen. Wäre da nicht das eigentliche Ende. Die letzten 50 oder 60 Seiten schaffen es, die Verve, den intellektuellen Witz der 450 Seiten des Zusteuerns auf diese Enttäuschung in die Jauchegrube zu werfen. Schöne scheiße. Tatsächlich gelang die originale Version der Sprachfunktion in die Hände von Mitterrand. Damit war ihm der Präsidentenplatz sicher. Er brilliert im TV-Duell gegen Giscard d’Estaing. Alles zu Nichte. Auch die Auflösung des mäandernden Autors, der immer wieder, am Ende fast gar nicht mehr, zu Wort kommen kann, das letzte Zucken, das die scheinbare Dichotomie von Fiktion und Roman poststrukturalistisch aufbrechen könnte, verkommt zum schwachen Twist in einem noch schwächeren Ende. Ein viel zu triviales Ende. Es offenbart: die karikierte Welt der Intellektuellen um Derrida, Searle, Lévi-Strauss, Althusser, Kristeva, Sartre, Foucault und und und, die ganzen genialen Anspielungen und die Hoffnungen der Semiotik, die sich im „Logos-Club“ manifestiert, sind allesamt nichts weiter als intellektuelle Selbstbefriedigung. Das alles verkommt durch dieses Ende zu einem rein fiktiven Krimi… Der nicht einmal so konsequent ist, in sich konsistent zu sein… Sicher. Er ist gut. Aber nicht das, was er vorgibt zu sein.
  8. Cover des Buches Iterationen (ISBN: 9783883962054)
    Hans-Jörg Rheinberger

    Iterationen

     (1)
    Aktuelle Rezension von: DanielSubreal
    Diese Aufsatzsammlung des philosophisch versierten Molekularbiologen Rheinberger reflektiert den Forschungsprozess aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei wird "stummes Wissen" genauso artikuliert, wie das "Augenmerk" auf das produktive "Prinzip gemäßigter Schlampigkeit" gerichtet. Ein Einführungsbuch ins Nachdenken über wissenschaftliches Arbeiten, sei es als primär Schrift-stellender Wissenschaftler oder als im Labor tätiger Naturwissenschaftler.
  9. Cover des Buches Marx' Gespenster (ISBN: 9783518292594)
  10. Cover des Buches Im Wald der Fiktionen (ISBN: 9783423122870)
    Umberto Eco

    Im Wald der Fiktionen

     (9)
    Noch keine Rezension vorhanden
  11. Cover des Buches Das Verschwinden des Subjekts (ISBN: 9783518582626)
    Peter Bürger

    Das Verschwinden des Subjekts

     (1)
    Noch keine Rezension vorhanden
  12. Cover des Buches Postmoderne – globale Differenz (ISBN: 9783518285169)
  13. Zeige:
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