Bücher mit dem Tag "prager frühling"
22 Bücher
- Ken Follett
Kinder der Freiheit
(475)Aktuelle Rezension von: SM1"Kinder der Freiheit" ist der dritte und abschließende Teil der Jahrhundert-Trilogie von Ken Follett. Im Mittelpunkt steht der kalte Krieg. Neben Ereignissen wie dem Bau und Fall der Berliner Mauer und dem Vietnamkrieg spielen in diesem Teil aber auch gesellschaftliche Themen und Entwicklungen eine größere Rolle, so zum Beispiel die Bürgerrechtsbewegung in den USA.
Wie schon in den beiden vorangegangenen Teilen, verteilt sich der Großteil der Handlung auch hier auf die USA, England, Deutschland und Russland. Es kommen aber auch neue Schauplätze hinzu, wie Kuba und Vietnam.
Die Figuren aus den ersten beiden Romanen tauchen auch hier wieder auf, der Fokus liegt aber auf der nächsten Generation.
Vor der Lektüre sollte man die ersten beiden Teile "Sturz der Titanen" und "Winter der Welt" gelesen haben, auch wenn der erste Roman ein paar Längen aufweist. Wer diese kennt, wird ohnehin wissen wollen, wie die Reihe endet.
- Milan Kundera
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
(1.160)Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-NutzerMilan Kunderas "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" manifestiert sich als ein meisterhaftes Werk, das nicht nur den politischen Rahmen des Prager Frühlings einfängt, sondern auch tief in die Essenz menschlicher Gefühle eindringt. Diese Erzählung entfaltet sich als eine Symphonie von Leben und Liebe, durchtränkt von einer atmosphärischen Brillanz, die selbst den anspruchsvollsten Leser fesselt.
Kundera webt die Charaktere in ein psychologisches Gewebe, das die Vielschichtigkeit menschlicher Emotionen auf einzigartige Weise enthüllt. Tomas, Teresa, Sabina und Franz werden zu lebendigen Gefährten auf einer Reise durch die Abgründe ihrer eigenen Seelen. In der geschickten Darstellung ihrer Ambivalenzen und inneren Kämpfe erkennt man Kunderas meisterhafte Fähigkeit, das Emotionalste im Menschen zu erforschen.
Die Erzählstruktur, die narrative Geschicklichkeit mit philosophischer Tiefgründigkeit verbindet, fordert intellektuell heraus, ohne dabei die emotionale Resonanz zu vernachlässigen. Kundera platziert die Schicksale seiner Charaktere in einem philosophischen Kontext, der existenzielle Fragen hervorruft und den Leser dazu inspiriert, über die eigene Existenz nachzudenken. Diese Kombination aus persönlicher Geschichte und philosophischer Reflexion erzeugt eine kraftvolle emotionale Wirkung.
Kunderas Sprache, präzise und dennoch poetisch, verleiht dem Text eine Eleganz, die die Gefühlswelt der Geschichte subtil einfängt. Die Nuancenreichtum seiner Prosa ermöglicht es, komplexe Gedanken und Gefühle mit einer Intensität zu vermitteln, die den Leser berührt und mitnimmt. Die emotionale Tiefe, die in jeder Zeile schwingt, spricht direkt zum Herzen.
Die thematische Vielfalt des Romans, von der Liebe bis zu den politischen Intrigen, wird mit einer bemerkenswerten Ausgewogenheit behandelt. Kundera umgeht geschickt jegliche Simplifizierung und erlaubt dem Leser, in den vielfältigen Facetten menschlicher Existenz zu schwelgen, ohne dabei die emotionale Verbindung zu verlieren.
"Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" ist nicht nur ein literarisches Meisterstück, sondern auch eine emotionale Reise. Milan Kundera hat ein Werk geschaffen, das nicht nur den Verstand anspricht, sondern auch das Herz tief berührt. In diesem Buch verschmelzen literarische Genialität und emotionale Resonanz zu einem unvergesslichen Leseerlebnis, das die zutiefst menschlichen Aspekte der Existenz feiert.
- Sandra Brökel
Pavel und ich
(14)Aktuelle Rezension von: pardenEIN ERSTAUNLCH PERSÖNLICHES BUCH...
Zwei Länder, zwei Generationen und zwei völlig verschiedene Menschen. Die Autorin Sandra Brökel ist ein Adoptivkind, auf der Suche nach ihren Wurzeln. Bei ihren Recherchen zum Thema stößt sie schließlich auf ein Buch aus den 1960ern. Autor ist der Prager Kinderarzt und Psychiater Dr. Pavel Vodák. In ihrer Kollegin und Freundin Paula entdeckt sie viele Jahre später überraschend Pavel Vodáks Tochter. Und nicht nur das: Paula hütet das Lebenswerk ihres Vaters, ein umfangreiches Manuskript. - Sandra Brökel zeigt eindrucksvoll, auf welch außergewöhnliche Weise zwei Menschenleben miteinander verbunden sein können. Ein bewegendes Buch über die Suche nach der Bedeutung von Heimat und dem eigenen Seelenfrieden.
Dieses Buch entstand nach dem erfolgreichen Roman "Das hungrige Krokodil" und erzählt von den Hintergründen der Entstehung besagten Romans. Erwartet hatte ich, von Begegnungen zu lesen, von einer umfassenden Recherchearbeit, vom Schreibprozess. Nun ja, diese Erwartungen wurden durchaus erfüllt - aber anders als vermutet.
Sandra Brökel scheut sich nicht, sich als Autorin und vor allem als Mensch mit in die Erzählung einzubeziehen. So erfährt der Leser einiges aus ihrem aktuellenLeben, aber auch manches aus ihrer Vergangenheit - als adoptiertes Kind hat sie sich spät auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern gemacht und sie auch gefunden. Diese Begegnungen verliefen teilweise erfreulich, z.T. aber auch enttäuschend - und haben doch allesamt dafür gesorgt, dass die Autorin ihre Wurzeln fand und dadurch im Leben mehr zur Ruhe kam.
Auf den Arzt Pavel Vodák stieß Sandra Brökel erstmals im Rahmen ihrer Suche nach Literatur über adoptierte Kinder und deren Eltern. Leider waren die Bücher, die der Prager Arzt zu diesem Thema verfasst hatte, ausschließlich auf Tschechisch, so dass sich Sandra Brökel anderen Arbeiten zuwandte. Durch einen großen Zufall erfuhr sie Jahre später, dass ihre beste Freundin und Kollegin die Tochter ausgerechnet dieses Arztes war.
Auch die Freundin, Pavli, Paula, Paulchen genannt, hatte mit dem Thema "Entwurzelung" zu kämpfen und alte Verletzungen aufzuarbeiten - schließlich floh Pavel Vodák 1970 mit seiner Familie aus der Tschechoslowakai nach Deutschland und entriss das Kind dem, was es bis dahin selbstverständlich als Heimat angesehen hatte. Und im Rahmen der gemeinsamen Aufarbeitung von Pavlis nicht einfacher Lebensgeschichte überließ diese der Autorin schließlich einen Koffer voller Dokumente: die Aufzeichnungen Pavel Vodáks über sein Leben.
"Oft frage ich mich: Sind es meine Gedanken oder Pavels? Es war sein Leben. Auf gewisse Weise verschmelzen wir in dem Buch, seine Gedanken tragen jetzt meine Handschrift." (S. 121)
In einfacher Sprache aber dennoch eindringlich und stellenweise auch sehr berührend schildert Sandra Brökel ihre Verbundenheit mit dem Prager Arzt Pavel Vodák sowie mit seiner Tochter Pavli bis zu deren plötzlichem Tod. Sie schildert Episoden gemeinsamer Vergangenheitsrecherche, die Spurensuche in Prag, Begegnungen mit Menschen und vor allem Empfindungen. Die Stimmung in einem bestimmten Café in Prag, die Kreativität und Hartnäckigkeit bei der Suche nach Originaldokumenten, die Verbundenheit der Autorin auch zu der Stadt Prag selbst - all dies fließt wie nebenher ein.
Die Verquickung der Erzählung rund um den Entstehungsprozess des Romans mit persönlichen Anteilen der Autorin hat mir sehr gut gefallen. Keine Nabelschau, glücklicherweise, sondern gerade die richtige Dosis, um deutlich zu machen, wie hilfreich und notwendig es für Sandra Brökel war, genau diesen Roman "Das hungrige Krokodil" zu schreiben - und wie anstrengend. Nach gerade einmal zehn Wochen war der gesamte Roman beim Verlag, eine unglaubliche Leistung.
"Pavel Vodák träumte zu Lebzeiten von einem Buch über sein Leben, hautnah erlebte europäische Geschichte. Nicht, um sich als Schriftsteller zu profilieren, sondern um eine Botschaft zu verbreiten. (...) Ich lernte viel über Mut und Geduld, über Schuld und Verzeihen." (S. 128)
Wer den Roman "Das hungrige Krokodil" liest (unbedingt empfehlenswert!), der sollte sich im Anschluss mit diesem ergänzenden Buch belohnen. Hier erfährt der Leser wissenswerte Hintergründe, taucht tiefer in einige Details des Romans ein und gibt der Perspektive der Tochter von Pavel Vodák Raum, was das Bild letztlich rund macht.
Für mich eine lohnenswerte Lektüre...
© Parden
- Hakan Nesser
Himmel über London
(79)Aktuelle Rezension von: angies_bücherIch habe mich wirklich durch dieses Buch durch gequält. Immer wieder habe ich überlegt es abzubrechen und habe dann trotzdem weiter gelesen, weil ich dachte,dass es am Ende zumindest eine Lösung geben muss,aber nicht mal das. Das Ende war genauso dubios und unverständlich wie das restliche Buch.
Das Buch spielt in drei Zeiten oder Ebenen,die irgendwie auch miteinander verbunden sind und zusammengehören, aber ich habe bis zum Schluss nicht genau verstanden wie. Überhaupt habe ganz vieles einfach nicht verstanden.
Das Buch war für mich auch kein bisschen spannend, was ich eigentlich erwartet habe.
Insgesamt eine sehr große Enttäuschung!
- Jan Faktor
Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag
(22)Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-NutzerINHALT: Dieser Apparat, von dem gleich zu Beginn und auch später immer wieder die Rede ist, gehört Georg, der inmitten einer bunten Schar von Tanten und Großmüttern im Prag der 1950er und 60er aufwächst. In dieser östrogengeschwängerten Atmosphäre voller unbehandelter Kriegstraumata und verqueren Regeln tut er sich mit dem Erwachsenwerden sichtlich schwer. Hinzu kommt der gesellschaftliche und politische Zerfall der Tschechoslowakei in den wirren Zeiten des Prager Frühlings, der ihm zusätzlich die Illusionen nimmt. Georg weiß nicht so recht, wohin im Leben. Er weiß nur eins: Er muss raus aus der Prager Enge. Als er alt genug ist, flieht Georg in die slowakischen Berge und führt dort eine Art Einsiedlerexistenz, doch die familiären Bande reichen auch bis in den letzten Winkel der Republik und ziehen ihn nach einer kurzen Zeit der Freiheit zurück in den Sippensumpf.
FORM: Jan Faktor (*1951) versammelt in diesem Erinnerungsroman eine nicht enden wollende Zahl von Anekdoten und Charakteren, schreibt mit ungebremster Fabulierwut und würzt alles mit einem gehörigen Schuss Humor. Die Spanne der Gefühlsregungen beim Leser reicht dabei weit: Wenn man sich über die brutalen Sitten unter den Müllmännern von Prag noch vor Lachen auf die Schenkel klopft, vergeht einem Spaß bei den überaus genauen und zahlreichen Beschreibungen diverser Körperöffnungen. (Man liest aber doch begierig – es ist wie ein Unfall.) Spätestens jedoch bei den Erinnerungen der Frauen an das KZ Groß-Rosen entsteht zwischen all den saftigen Zoten eine unerwartete Tiefe, die betroffen macht. Im letzten Viertel zieht der Autor bei einer Reise Georgs mit seiner Mutter zu ihren alten Leidensorten und durch das sächsische Hinterland nochmal alle Register der Schreibkunst – meines Erachtens der stärkste Teil des Romans.
Faktor deckt also alle Ansprüche an einen Roman ab, den man gemeinhin als gelungen bezeichnen möchte, verzettelt sich aber in der puren Masse, die er seinem Leser zumutet – nach der letzten Seite ist man so voll, dass einem beim bloßen Gedanken an einen Nachschlag schlecht werden kann. Das Ende ist dann auch eher ein Abbruch der Anekdoten als ein klassisches Beenden irgendeines Handlungsbogens, worüber ich, erschöpft und satt, nicht traurig war.
Eins jedoch ist unbestreitbar: Jan Faktor ist ein stilsicherer Satiriker, der auf hohem Niveau ein Sittengemälde einer ganzen Epoche einfangen kann. Ein Blick in die Bibliografie Faktors verrät, dass ihn sein Alter Ego Georg schon seit mehreren Jahr(zehnt)en begleitet. Vielleicht folgt ja irgendwann eine Fortsetzung über die Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs; ich würde, auch mit dem Ausblick auf schmerzendes Völlegefühl, wieder zugreifen.
FAZIT: Dies war meine zweite Lektüre dieses Brockens von einem Roman und ich gestehe: Ich hatte im Vorfeld gehörigen Bammel, gepaart mit einer gewissen Unlust, weil ich wusste, was mich erwartet. Beim ersten Durchgang vor etwa fünf Jahren war ich ähnlich begeistert, aber auch ähnlich gemästet. Ich wollte für meine dbp-Shortlist-Challenge aber keine Rezension aus der Erinnerung zaubern, also nochmal ran den Schinken. Mein Urteil lautet somit (damals wie heute): Schwer verdaulich aber lesenswert – 4 Sterne.
*** Diese und viele weitere Rezensionen könnt Ihr in meinem Blog Bookster HRO nachlesen. Ich freue mich über Euren Besuch ***
- Barbara Bišický- Ehrlich
Sag, dass es dir gut geht
(5)Aktuelle Rezension von: Anni121Durch eine Dokumentation im Fernsehen bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden und wollte es danach unbedingt lesen.
Die Familiengeschichte von Barbara Bisicky-Ehrlich empfand ich als sehr eindrucksvoll, aber auch als sehr bedrückend, denn gerade die Schilderungen der Erlebnisse ihrer Familienangehörigen in den verschiedenen Konzentrationslagern sind unvorstellbar.
Der Einblick, den uns die Autorin in ihre Geschichte und die Erlebnisse, die mehrere Generationen ihrer Familie nachhaltig geprägt haben, gewährt hat emfpand ich als sehr bemerkenswert.
Besonders die letzten Kapitel waren sehr ergreifend und haben mich auch sehr berührt. Es steckte sehr viel Gefühl in diesen Zeilen und das hat man auch gespürt.
Der Schreibstil der Autorin war sehr angenehm und flüssig zu lesen.
Am Anfang des Buches ist ein Stammbaum der Familie abgebildet, sodass man die genannten Personen gut zuordnen kann.
Auch sind sehr viele Familienfotos und Dokumente enthalten, die im eBook leider nicht so gut zu erkennen sind, weshalb ich hier das gebundene Buch als sehr gute Investition ansehen würde.
Für mich eine sehr bewegende und berührende Familienchronik. - Milan Kundera
Der Scherz
(79)Aktuelle Rezension von: dunkelbuchIn seiner Studentenzeit wurd Ludvik aufgrund eines zynischen Scherzes aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und verliert damit alle Hoffnung auf seine bis dahin so gut beginnende Karriere. Die nächsten Jahre seines Lebens im Arbeitslager und - etwas undefinierbarer die Zeit danach - ist er sehr mit sich selbst beschäftigt, sucht verzweifelt nach Liebe und will sich an den Menschen, die ihm das angetan haben, rächen. Auf diesem Weg verkennt er immer und immer wieder was er für die Menschen, mit denen er zu tun hat, bedeutet und hinterläßt eine Spur der emotionalen Verwüstung. Erst sehr viel später - vielleicht ist er 30, vielleicht 40, das wird nicht klar - wird ihm bewußt, daß es keine Möglichkeit gibt, das Vergangene zu verändern und wiedergutzumachen. Der Leser wünscht Ludvik, daß er ab nun mit innerem Frieden den Rest seines Lebens verbringen darf.
- Hellmuth Karasek
Karambolagen
(6)Aktuelle Rezension von: Peter_WaldbauerDas ideenärmste Buch, das man sich vorstellen kann. Karasek zählt einfach alle prominenten Namen auf, die er in seinem Journalistenleben kurz gestreift hatte. Billy Wilder, über den er eine Biographie geschrieben hatte, gleich dreimal. Steven Spielberg, Günter Grass (zweimal), Peter Handke, Friedrich Dürrenmatt, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Marlene Dietrich, Wolf Biermann, Helmut Kohl und andere.
Aggressives Namedropping, getragen von Geltungsbedürfnis, denn die kurzen Essays von zwei, drei Seiten sind an Banalität kaum zu überbieten. Zwei Fälle seien hierfür exemplarisch gewählt.
Seine Begegnung mit Brigitte Bardot beschränkte sich darauf, dass er sie, den Wunschtraum seiner Jugend, beim Urlaub in St. Tropez einmal am Strand von weitem gesehen habe. Von weitem!
Laut Karasek habe B.B. ihm zugenickt und gelächelt. Oder hat Karasek sich dies nur eingebildet? Haben zwanzig Jahre die Erinnerung womöglich verklärt?
Karasek schlief auch nicht im Bett von Marilyn Monroe, wie er in der Kapitelüberschrift suggeriert. (Schon gar nicht gleichzeitig mit ihr, wie mancher Leser vielleicht vermuten könnte.)
Karasek übernachtete in einer luxuriösen Bungalowsuite des Beverly Hills Hotel. Die Monroe „soll“ dort vor sechsundzwanzig Jahre auch übernachtet haben. Ob es genau die gleiche Suite-Nummer war, ist ebenso wenig bewiesen, wie die Frage, ob Maryiln Monroe in demselben Bett schlief wie Karasek.
Die Monroe könnte zwar im Hotel abgestiegen sein, aber woanders geschlafen haben. Oder das Bett könnte in den sechsundzwanzig Jahren ausgetauscht worden sein.
Zum Thema Bett berichtet Karasek noch stolz, er habe beim Dreh von Regisseur Woody Allen zusehen dürfen. Natürlich „eine sehr intime Szene, wo eine Frau und ein Mann miteinander ins Bett gingen“. Besagte Szene habe Woody Allen dann aber später aus dem fertigen Film herausgeschnitten, bedauert Karasek.
Und erst sein Schreibstil. Kein verrissener Autor des Literarischen Quartetts könnte jemals so schlecht formulieren wie Karasek. Sehen Sie sich einmal diesen Satz an (Seite 91, im Kapitel über Peter Handke, es ging um eine Tagung der Gruppe 47):
„Ich war erst zum zweiten Mal dabei und noch nicht so eingeschliffen in den Chor des als Regen über die Autoren nach der Lesung niederprasselnden Kritiker-Parlandos.“
Wo war bloß der Lekor?
„...in den Chor des als Regen über die Autoren nach der Lesung...“
Wieviele Substantive (nur durch Präpositionen getrennt) will Karasek denn noch aneinanderreihen?
Schließen wir mit den Worten von Elke Heidenreich. Die frühere Moderatorin der ZDF-Büchersendung Lesen wurde im Focus gefragt, ob sie sich vorstellen könne, Hellmuth Karasek in ihre Sendung einzuladen.
„Nee“, antwortete sie.
Focus: „Warum nicht?“
Heidenreich: „Da hatten wir ja nun genug davon, all die Jahre. Das reicht erst mal.“ - Ivan Klíma
Richter in eigener Sache
(2)Aktuelle Rezension von: BeagleDer Richter Adam Kindl steht vor einem schwerwiegenden Problem – er soll das Verfahren gegen den Doppelmörder Karel Kozlik leiten, der in der Wohnung, in der er zur Untermiete gewohnt hat, das Gas aufdrehte und somit seine Vermieterin und deren Enkelin tötete. Ein umfassendes Geständnis liegt vor, wodurch von Adam stillschweigend die Todesstrafe für den jungen Mann gefordert wird. Dieser ist der Richter aber abgeneigt, hat er doch schon vor ein paar Jahren Artikel für eine Zeitschrift verfasst, in der er sich entschieden gegen die Todesstrafe in der Tschechoslowakei aussprach. Und seit dieser Zeit hat er auch Probleme, sein Amt zu halten, was ihm nur noch mit Hilfe von wohlmeinenden, einflussreichen Freunden gelingt, denn den Kommunisten ist er dadurch ein Dorn im Auge. Mit dem Verlangen soll er nun wieder gutmachen, was er sich damals mit den Artikeln eingebrockt hat. Adams Abneigung gegen die Todesstrafe führt daher, dass er als Jude seine frühe Kindheit im KZ verbringen und zusehen musste, wie dort seine Freunde und Mitgefangene nach der Reihe in die Gaskammer geführt wurden. Und wieder ist es Gas! Aber, kann man Gerechtigkeit schaffen, wenn man die selbsternannten Henker ebenfalls zum Tode verurteilt? Mit diesen schweren, beruflichen Konflikten belastet, flüchtet er sich privat in eine andere Welt. Zwar sind seine denunzierten Freunde „kein Umgang“ mehr für ihn, denn immer wieder wird er von der Staatssicherheit dazu angehalten, sich nicht mehr mit diesen Quertreibern zu umgeben, was einem hohen Richter nicht zustößt, der das Volk vertritt, aber Adam verzichtet doch nicht darauf. Im Gegenteil, immer wieder hilft er seinen Freunden, wo er nur kann. So auch seiner ersten Geliebten Magdalena, deren Ehemann nun aus dem Schuldienst entlassen werden soll. Um die Bestechungsgelder beschaffen zu können, muss Magdalena die wertvollen, von ihrem Vater geerbten Bücher hergeben, wofür Alexandra, die Frau von Adams Freund Oldrich, einen Käufer findet. Alexandra ist dabei so anders als Adams Ehefrau Alena, sie ist lebensfroh und überhaupt nicht häuslich, ihre Sprache und Vorstellungen sind nicht so steif und intellektuell, sie ist Künstlerin, und zieht Adam schon bald in ihren Bann, eine wilde Affäre beginnt. Aber, während Adam die leidenschaftliche Alexandra genießt, hat Alena ein kurzes, irgendwie ungewolltes Abenteuer mit einem Studenten, den sie auf einem Kongress der Bibliothekare kennenlernte. In regelmäßigen Abständen zeichnet Ivan Klima in seinem Roman „Richter in eigener Sache“ die Abgründe und verzwickten Verwicklungen der einzelnen Protagonisten auf, deren Leben sich in gewisser Weise zu gleichen scheint, aber jeder lebt es anders aus. Es ist Resignation, Angst vor dem Verschwinden, vor dem gesellschaftlichen Abstieg und dem über allem wachenden kommunistischen Regime. Geschickt führt er die einzelnen Personen zusammen, um sie sich dann doch wieder entfremden zu lassen. Ein brillantes Buch über die Situation in der damaligen Tschechoslowakei und auch eine gut beschriebene, verworrene Geschichte über Liebe, Leid, Eifersucht und Machtspielen. Die Figur des Richters wird immer wieder mit Selbstzweifeln und der Moral konfrontiert, während andere ihren Alltag scheinbar im Griff zu haben scheinen. Sehr gut ist auch die Einteilung der verschiedenen Kapitel, denn es wird immer wieder abwechselnd aus der Gegenwart und (mit Adam als Ich-Erzähler) die Vergangenheit aufgearbeitet. Langsam führt Ivan Klima das Vergangene und das Jetzt zusammen und Vieles wird erst zum Ende des Buches wirklich klar. Leider ist es nur noch antiquarisch erhältlich. - Rhea Krčmářová
Böhmen ist der Ozean
(10)Aktuelle Rezension von: CorsicanaEs gibt sie. Diese Bücher, die besonders sind. Und einen besonderen Platz im Bücherregal verdienen. Und in die man immer wieder einmal reinschaut. Und eine Geschichte noch einmal liest. Um sie vielleicht noch etwas besser - oder anders - zu verstehen.
Solch ein Buch ist "Böhmen ist der Ozean".Erzählt wird von Böhmen und vom Exil. Von Wasserwesen und Irrlichtern. Von Dissidenten und vom Fall des Eisernen Vorhangs. Poetisch, voller Bilder und Mythen.
Das verbindende Element ist das Wasser.Weitere Verbindungen sind schwerer zu erkennen. Vielleicht würden tiefere Kenntnisse der böhmischen Mythologie helfen? Aber genießen kann man die Sprache auch einfach so. - Erik Neutsch
Der Friede im Osten : Viertes Buch: Nahe der Grenze.
(3)Aktuelle Rezension von: Heike110566Dieser bislang letzte Teil der Roman-Serie erschien 1987. An der Grenze der DDR zur CSSR liegen die Bataillione der NVA. Die Truppen des Warschauer Paktes sind in die CSSR eingerückt, nachdem dort der Sozialismus ins Wanken kam. Es ist das Jahr 1968 - Achim Steinhauer, der inzwischen als Gleisbauer, Fernfahrer und Vogelbeobachter gearbeitet hat, hatte eine Erzählung erfolgreich verlegt und war nun zu Lesungen bei der NVA eingeladen worden. Als Fernfahrer war er auch viel in der Tschechoslowakei und ihn interessiert, was dort vor sich geht. - Die Stimmung im Lager ist gespannt. Selbst unter den Offizieren ist der Einmarsch in das Nachbarland umstritten. Achim beobachtet die Situation genau. - Aber: ihm beschäftigen auch andere Sachen. Zuhause sitzt Ulrike, seine Frau, mit vier Kindern. Den beiden eigenen und den zwei von Frank und Ilse Lutter. - Ilse war kurz vor Achims Abreise plötzlich gestorben und Frank hat seine Kinder bei dem alten Freund untergebracht. Der Roman unterscheidet sich im Aufbau von den Vorgängern. Die Ereignisse im NVA-Camp bilden einen Rahmen, das erste und das letzte Kapitel aowie eines in der Mitte. Dazwischen werden die letzten Jahre, die Jahre zwischen Mauerbau und diesem Prager Frühling 1968, rückbetrachtet. Dabei insbesondere die Entwicklung von Frank Lutter. Franks Entwicklung war konstant auf der Karriereleiter nach oben gegangen. Dafür stieg er aber auch über alles hinweg, was ihn behinderte und nahm keine Rücksichten. Auch nicht gegenüber der Familie. Inzwischen war er in der SED-Bezirksleitung Halle stellvertretender Wirtschaftssekretär, seine Frau kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder. Nur wenn es Probleme mit den Kindern gab, dann wurde er familiär. Aber nicht durch Liebe und Zuwendung, sondern Schläge. Für ihn war es selbstverständlich: die Kinder müssen so toll werden wie er. - Aber: es kam zunehmend anders. Der heranwachsende, inzwischen pubertierende Robert schließt sich einer Clique Rowdys an, wird kriminell und findet den Sozialismus Mist. Prügelt sich bei Fussballspielen, klaut ein Motorrad, lamdet schließlich vor Gericht mit der Clique.. Auch Franks kleinere Tochter beginnt zu stehlen, wird in der Kaufhalle dabei erwischt und klaut sogar der Mutter Geld aus der Handtasche. - Frank sieht die Schuld einzig bei Ilse, seiner Frau. Sie habe als Mutter versagt. Es sei ihr Job gewesen alles in Ordnung zu halten, während er für die Partei alles tat. Schuld bei sich suchen, das kennt Frank nicht. Selbst dass er fremd geht, mit Lina Bonk, seiner ehemaligen Kommilitonin, sieht er als richtig und normal. Doch dann kommt es zum Knick. Frank hatte spekuliert Wirtschaftssekretär der SED-Bezirksleitung zu werden. Er wird übergangen und ihm wird eine Frau auf diesen Posten vor die Nase gesetzt. Er ist erbost, macht das Verhalten seines Sohnes dafür verantwortlich und seine Frau, die versagt habe. Fehlverhalten bei sich sieht er nicht. Seine Frau begeht Selbstmord. Aber: statt nun Frank aufwacht, zieht er auch noch über sie nach dem Tode her. Was sie sich bloß dabei gedacht habe sich zu töten? Hat sie denn gar nicht an ihn gedacht und seine Funktion und Stellung in der Partei? Was der Autor in diesem Band zur Sprache bringt, ist die wachsende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Funktionsträger und der SED auch selber. Deutlich wird: Kommunisten sind nicht bessere Menschen, nur weil sie sich Kommunisten nennen. Dabei gerät die These, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, der Mensch Produkt seines Daseins, auch ins Wanken. Auf den ersten Blick zumindest. Die Kinder von Lutter werden nicht automatisch passgerechte Vorzeigekinder, nur weil Papa SED-Funktionär ist. Und deutlich wird auch in diesem Roman: die moralische Verlogenheit der SED-Bürokraten. Frank ist da das Paradebeispiel: öffentlich moralisch top, privat ein Kinderschläger und Ehe-Fremdgeher. Hier wird dann doch, bei genauerer Betrachtung, wieder klar: Marx hatte doch recht! - Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Der Mensch wird entscheidend mitgeformt durch seine Daseinsbedingungen. - Die Kinder von Frank und Ilse entwickeln sich so, wie sie es tun, weil sie genau in dem Setting leben, wie sie leben. - Auch der Selbstmord von Ilse ist folgerichtig. - Der karrieregeile Frank Lutter hat für diese Bedingungen gesorgt, die zu dem Geschehenen führten. Und auch er ist Produkt seiner Umwelt. Ihm wurden nie Grenzen gesetzt. Seine Karrierestrebsamkeit, besser gesagt: sein der SED-Führung sich anpassendes Wendehals-Verhalten, immer wieder mit neuen Posten bedacht. Neutschs Handlung spielt zwar in den 1960er Jahren, aber was er in diesem Buch darstellte bezüglich den Werten, war auch für 1987, dem Erscheinungsjahr des Romans, zutreffend. - Ein sehr interessantes Buch. - Christoph Hein
Der Tangospieler
(18)Aktuelle Rezension von: bookstories"Der Tangospieler" ist Christoph Heins achtes Prosawerk, nachdem er seit Beginn seines kreativen Schaffens auch Kinderbücher, Erzählungen, Kurzgeschichten, Novellen, Theaterstücke, Kammerspiele und Essays veröffentlicht hat. Hein wuchs in der ehemaligen DDR in einer kleinen Stadt nördlich von Leipzig auf, und weil er als Sohn eines Pfarrers kein Arbeiterkind war und keinen Platz an einer erweiterten Oberschule bekam, besuchte er vor dem Mauerbau drei Jahre lang ein humanistisches Gymnasium in Westberlin, arbeitete nach dem Mauerbau unter anderem als Buchhändler, Montagearbeiter und Kellner, und studierte später in Leipzig und Ostberlin Philosophie und Logik. Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass in dem Buch "Der Tangospieler" Kellner eine nicht unwesentliche Rolle spielen, dass der Protagonist bei einem Kneipenbesuch von Tischnachbarn als Philosoph erkannt werden will, und dass seine Liebschaft, die er an einsamen Abenden gelegentlich aufsucht, in einer Buchhandlung arbeitet. Auch die Überqualifizierung des Protagonisten Dallow bei der Jobsuche als Kraftfahrer mag auf die Ausbildung und Berufserfahrungen Heins hindeuten.
Der Ort der Handlung ist Leipzig, die Geschichte spielt 1968 und wird wahrheitsgemäss aufgezeichnet, schrieb Christoph Hein damals in einer Ankündigung seines neuen Romans, der 1989 im Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar, erschien. Inwiefern es sich hier tatsächlich um eine wahre Geschichte handelt oder Hein mit wahrheitsgemäss lediglich die realitätsgetreue, vielleicht etwas untertriebene Abbildung des sozialistischen Ostdeutschlands aus jener Zeit meinte, ist unklar. Die Buchrechte für die damalige BRD, West-Berlin, Österreich und die Schweiz lagen beim Luchterhand Literaturverlag. Die Geschichte wurde 1991 in einer deutsch-schweizerischen Produktion verfilmt. Gelesen habe ich die gebundene, fadengeheftete Ausgabe in zweiter Auflage von 1989, die heute nur noch antiquarisch zu finden ist.
Dr. Hans-Peter Dallow, Historiker und Oberassistent an der Universität, Spezialfach "Neunzehntes Jahrhundert, Anfänge der Arbeiterbewegung", erst sechsunddreissig Jahre alt und schon ein alter Mann, jedenfalls so alt, dass er den ganzen Tag darauf wartet, wieder ins Bett zu kommen, wird nach einundzwanzig Monaten Haft aus dem Gefängnis entlassen und muss feststellen, dass er nicht mehr in sein altbewährtes Leben zurückfindet. Ein Leben, in dem er gleich einer Spielzeuglokomotive namens Dallow gleichmütig dem geradlinigen und doch in einer Endlosschlaufe angelegten Schienenstrang Tag ein Tag aus gefolgt war. Seine Verurteilung sei ein Unfall gewesen, so zumindest Dallows Interpretation, man hatte ihn verhaftet, nachdem er als Pianist an der Premiere eines Studentenkabaretts kurzfristig eingesprungen war und der Liedtext, den er in der kurzen Probezeit nicht beachtet hatte, den greisen Führer des Staates verspottete. Alle Studenten des Kabaretts wanderten mit ihm in den Bau. Doch er war nur derjenige, der den Tango musikalisch begleitet hatte.
Dallow kehrt in eine leere Wohnung zurück, seine Freundin hat ihn schon während seiner Haft verlassen. Seine Arbeit am Historischen Institut kann er nicht wieder aufnehmen, seine Dozentenstelle wird nun von Rössler besetzt, den er nie gemocht hat. Nun hängt er in seinem Stammcafé herum, besucht Nachmittagsvorstellungen im Vorstadtkino und pickt zu später Stunde in Nachtlokals Frauen auf, bei denen er die Nacht verbringt. Überall stösst Dallow auf Abwehr, am Institut, bei seinem Nachbarn Stämmler, selbst als er seine Eltern auf ihrem Hof besucht, hat der Vater für seinen Sohn nur Verachtung übrig, obwohl Dallow ihm die fadenscheinigen Gründe seiner Verurteilung näherzubringen versucht. Vorwürfe lösen Gegenvorwürfe aus, Dallow kontert, es seien ja die Eltern gewesen, die ihn in den Klavierunterricht geschickt hätten.
Doch auch Dallow kann nicht vergessen, will sich von den Herren Richter und Strafverteidiger rehabilitiert sehen, weist strikt alle dargebotenen Hände höhnisch ab, und entwickelt sich zum klassischen Nein-Sager. Das ist der erste Punkt, der seine Person nicht unbedingt sympathisch erscheinen lässt. Ja, Erinnerungen an die Zeit in der Zelle machen ihm zu schaffen, lösen ambivalente Gefühle in ihm aus. Ja, er kommt mit seinem Leben nicht mehr zurecht. Dallow ist ein Antiheld, was ihn menschlich macht, er sehnt sich nach der Geborgenheit und Einfachheit des Alltags in der Zelle, in der keine Entscheidungen zu treffen waren, wacht nachts von Panikattaken ergriffen schweissgebadet auf und glaubt, die Zeit renne ihm davon. In erregten Zuständen beginnt seine rechte Hand zu zittern und verkrampft sich, was Folgen hat, denn als er den Richter eines Nachts bis in den Park verfolgt, um mit ihm zu reden, verschliesst sie sich um den Hals des Richters, der daraufhin ein Druckmittel in der Hand hat. Dallow soll endlich eine Arbeit finden, ansonsten dieser Übergriff gegen ihn verwendet werde.
In keinem Moment bietet Dallow dem Leser Angebote zur Identifikation. Sein zweiter, unvorteilhafter Zug ist seine Einstellung zu Frauen. Für Dallow sind sie nichts anderes als ein Mittel zum Zweck - ein Mittel, seine Lust zu befriedigen, was ihn selbst anwidert. Aufgrund ihres Aussehens stuft er sie ein, will sie sich nach seinen nächtlichen Abenteuern gar nicht ansehen. Binden will er sich schon gar nicht, Diskussionen vermeiden, sich morgens am liebsten schweigend aus dem Staub machen. Dass er schon vor seiner Inhaftierung kein Unschuldslamm gewesen sein muss, lassen seine billigen Annäherungsversuche bei seinen ehemaligen Arbeitskolleginnen des Instituts vermuten, die sich das gefallen lassen. Als er der alleinerziehenden Elke dann doch näherkommt, ihr sogar vorschlägt, bei ihm einzuziehen, will sie nichts von ihm wissen. Erst soll er mit sich selbst ins Reine kommen. Seine Gleichgültigkeit erreicht ihren Höhepunkt, als ihn der Weinkrampf eines Mädchens aufgrund der in der Tschechoslowakei passierenden Vorfälle erregt und ihm nichts Besseres einfällt, als erneut mit ihr zu schlafen. Was soll man dazu sagen?
Dallow ist sich bewusst, dass er den Rest seines Lebens nicht untätig herumhängen kann. Auch würden ihn seine Finanzen nur ein Jahr über Wasser halten. Seine Arbeitsuche als Kraftfahrer endet überall, wo er sich vorstellt, erfolglos, obwohl die Betriebe Kraftfahrer suchen. Dallow vermutet eine Verschwörung. Auch wird er bei einer Autofahrt grundlos von einer Streife angehalten und verzeigt. Dallow geht davon aus, dass die beiden Herren Schulze und Müller, die ihn nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in ein spärlich eingerichtetes Arbeitszimmer im Gerichtsgebäude einladen und ihm Hilfe anbieten, wenn er ihnen ebenfalls hilft, mit diesen Vorfällen zu tun haben. Die beiden tauchen immer wieder auf, um Dallows historisches Wissen für ihre Machenschaften, die im Dunkeln bleiben, zu gewinnen.
Einzig zu Harry, dem Kellner in seinem Stammcafé, unterhält Dallow eine kollegiale Beziehung. In diesem Lokal hatte Dallow früher Auftritte als Pianist. Harry sorgt mit seinen Beziehungen dafür, dass Dallow eine Anstellung als Kellner in einer Gaststätte auf der Insel Hiddensee in der Ostsee erhält. Dort angekommen, entwickelt sich Dallow schon bald zum Ärgernis des Personals. Rasch spricht es sich unter den jungen Studentinnen herum, dass hier ein Kellner arbeitet, der immer ein Bett frei hat. Die sich zuspitzenden militärischen Ereignisse in Prag - im Buch erfahren wir nichts davon, denn Dallow interessiert sich nicht mehr für das politische Geschehen -, der Einmarsch sowjetischer wie auch ostdeutscher Truppen in Prag, entscheiden indirekt schlussendlich über das weitere Schicksal unseres Protagonisten, das man als Leser am Ende irgendwie gleichgültig hinnimmt.
Es sind die Bilder aus jener Zeit Ende der sechziger Jahre in der DDR, die das Buch zu einer besonderen Leseerfahrung machen. Eine zweite Lektüre würde gewiss noch tiefere Einblicke gewähren. Was subtil wahrgenommen werden kann, ist die unterkühlte Atmosphäre, die Hein durch eine Untertreibung des Geschilderten entstehen lässt. Understatement pur, wie im Klappentext steht. Das nicht Erwähnte, nicht Überzeichnete, im Hintergrund sich Abspielende und Bedrohliche ist stets präsent. Nicht weil Februar ist und Schnee liegt und viele Wohnungen nicht geheizt sind, irren wir mit Dallow durch ein kaltes Leipzig, sondern weil das Fremde und das latent Kontrollierende in den Strassen wacht.
Im Februar 1968, nämlich genau zu dem Zeitpunkt, wo die Geschichte des Tangospielers beginnt, wurde in der DDR die neue sozialistische Verfassung veröffentlicht und im April bereits eingeführt. Zudem konnten um die Jahreswende 1967/68 Verschärfungen des politischen Strafrechts beobachtet werden. Dass in Heins Roman die Verurteilung eines harmlosen Bürgers wegen Verunglimpfung des Staatsführers Gegenstand ist, ist wohl pure Absicht des Autors. In jener Zeit nach dem Einmarsch in die CSSR wurden viele Arbeiter wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten" festgenommen und später wieder freigelassen, danach aber vom Staatssicherheitsdienst dauerhaft observiert und schikaniert. "Der Tangospieler" - eine Anspielung darauf?
Christoph Heins Sprachstil überzeugt. Ruhig und aufgeräumt führen seine Sätze über die Seiten, in einem angenehmen Verhältnis zwischen Erzählung und Dialogen. Ein typischer Spannungsbogen fehlt, die Geschichte, eingeteilt in fünf grosse Kapitel, plätschert so dahin. "Der Tangospieler" ist keine hochstehende Literatur, keine virtuose Sprachkomposition, doch man erkennt schon an den ersten Formulierungen, dass Hein triviale Ausdrucksformen fremd sind. Hein will auch nicht unterhalten. Er sieht sich selbst als Dramaturg. Doch sind es seine Prosawerke, die die Literatur seines Landes nachhaltig verändert haben.
Review mit Zitaten und Bildern auf https://www.bookstories.ch/gelesenes1/der-tangospieler
- Sandra Brökel
Das hungrige Krokodil
(33)Aktuelle Rezension von: krimielseSandra Bröckel hat mit ihrem Roman „Das hungrige Krokodil“ ein historisches Kleinod geschaffen, das sich auf berührende Weise dem Prager Frühling annähert und völlig kitschfrei auf literarischem Niveau die Lebensgeschichte von Pavel Vodák erzählt. Es ist eine wahre Geschichte, was das Buch umso beachtenswerter macht.
August 1968 rollen Panzer der damaligen Bruderländer in das sozialistische Prag, um die Reform zu zerschlagen. Das bedeutet das Ende für den Prager Frühling und damit auch für den tschechischen Arzt Pavel Vodák, der zur Gruppe der oppositionellen Reformsozialisten in Prag gehört. Auch wenn er nicht das berühmte Manifest der 2000 Worte unterzeichnete war er Teilnehmer der konspirativen Treffen und hat viele Schriftstücke verfasst.
Die Panzer zerstören alle Hoffnungen auf Veränderung und schleudern Pavel, seine Familie und die Tschechoslowakei zurück in eine finstere und misstrauische sozialistische Ära, die für den Chef der Prager Kinderpsychiatrie äußerst gefährlich wird. Aus Sorge um sich und seine Familie wagt Pavel die Flucht über Jugoslawien, mit seiner Frau Vera, seiner Tochter Pavli und seiner Schwiegermutter.
Eine Arzttasche gefüllt mit Dokumenten sind der Schatz, den die Autorin Sandra Bröckel für ihr Buch als Basis benutzt hat. Die Tasche voller Lebenserinnerungen des Prager Arztes Pavel Vodák bekam sie von ihrer Freundin Paula alias Pavli, der Tochter von Pavel. Das hungrige Krokodil als gefährliches Symbol, das man nicht füttern darf und das nur scheinbar träge schläft, stammt aus den Aufzeichnungen Pavels und wird im Roman als kraftvolles Bild verwendet.
Schon als Kind erlebt Pavel die Schrecken der Diktatur der Nazizeit. Später unmittelbar nach dem Krieg, als Student der Medizin in Prag, arbeitet er als ärztlicher Helfer in Theresienstadt, dem ehemaligen Konzentrationslager nahe Prag, wo er seine Frau Vera kennenlernt. Das Schwert kehrt sich nun um für den jungen deutschstämmigen Pavel, der noch völlig paralysiert von den Schrecken, wozu Menschen fähig sein können, in Prag erleben muss, wie Tschechen Deutsche umbringen. Als mit den Sowjets kommen muss Pavel sich vor dem Russischen Bären und seinem Uniformismus in Acht nehmen, bis unter Alexander Dubček im Frühling 1968 vorsichtige Reformen möglich zu sein scheinen. Pavel schließt sich begeistert der Gruppe Oppositioneller in Prag an und unterstützt durch seine Arbeit das „Manifest der 2000 Worte“, unter den ängstlich-besorgten Blicken seiner Frau Vera, die unter den Russen nicht weiter Medizin studieren durfte.
Nur zufällig gehört Pavel nicht zu den Unterzeichnern des Manifests, und er wird in den nachfolgenden Jahren vielfach von der nunmehr strengeren Diktatur bedroht und reglementiert. Schließlich sieht er in der Flucht die einzige Möglichkeit, der drohenden Verhaftung zu entkommen und seiner Tochter Pavli ein Studium zu ermöglichen.
Das Verlassen der Heimat als einzigen Weg, ein freies Leben ohne Angst zu führen, ist ein zeitlos aktuelles Thema. Leise und sehr eindringlich erzählt Sandra Bröckel die Geschichte Pavel Vodáks und seiner Familie, die Geschichte des Prager Frühlings und dessen Zerschlagung. Spannend und dramatisch, gut lesbar jedoch völlig ohne Kitsch und Rührseligkeit konnte ich das Buch kaum weglegen. Die Geschichte macht nachdenklich und regt zu weiterer Recherche an, Das Buch damit ist ein wertvolles Steinchen im historischen Puzzle des vergangenen Jahrhunderts, das einen sehr persönlichen und authentischen Blick auf die Entwicklung der Tschechoslowakei vom zweiten Weltkrieg bis zur Öffnung der Grenze 1989 wirft und dabei historische Geschehnisse wie die Entstalinisierung mit der Sprengung des monströsen Stalinmonuments in Prag oder die Selbstverbrennung des Studenten Jan Perlach am Ende des Prager Frühlings einbezieht. Lebensechte Charaktere geben der Geschichte großes Gewicht, die persönliche Sicht Pavel Vodáks auf die Ereignisse funktionieren für dieses Buch ebenso hervorragend wie das Bild des hungrigen Krokodils, das sich wie ein Faden als Ausdruck für schlummernde immer anwesende Gefahr durch den Roman zieht.
Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, und von mir gibt es großen Applaus für die spannende, authentische, interessante, komplexe tatsachenbezogenen und hervorragend recherchierte Umsetzung der Thematik, die es schafft, sehr zu berühren ohne kitschig zu werden. Ich wünsche dem Buch viele Leser und vergebe begeistert volle fünf Lesesterne.
Danke an den Pendragon-Verlag für die Möglichkeit, an einer Leserunde mit der Autorin teilzunehmen, das war für mich ein äußerst erhellendes und sehr bereicherndes Erlebnis.
- Leonardo Padura
Der Mann, der Hunde liebte
(14)Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-NutzerWer ist Jaime Ramón Mercader del Río, kurz Ramón Mercader? Und wer ist Lew Dawidowitsch Bronstein? Oder wer ist Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili? Letzter ging als Massenmörder in die Geschichte ein. Bekannter ist er unter dem Namen Josef Stalin. Der Zweite ist bekannter unter dem Namen Leo Trotzki. Trotzki war russischer Revolutionär und Wegbegleiter von Lenin und Stalin, Volkskommissar des Auswärtigen, für Kriegswesen, Ernährung, Transport, Verlagswesen sowie Gründer und einer der Organisatoren der Roten Armee. Nachdem Stalin die Macht an sich riss, entmachtete er 1927 Trotzki und ließ ihn 1940 in seinem mexikanischen Exil ermorden.
Sein Mörder war der Katalane und Sowjetagent Ramón Mercader.
Leonardo Padura erzählt meisterhaft die Geschichte dieser schicksalshaft miteinander verwobenen Biografien. Am Ende steht der Mord an Trotzki, so viel ist bekannt. Doch wer war Ramón Mercader? Wie wurde er zum Mörder? Wie konnte er einen Menschen ermorden, der sich der steten Gefahr des Mordkomplotts gegen ihn bewusst war, sich deshalb von mehreren Personenschützern bewachen ließ und sein Haus in eine Festung verwandelte (siehe Bild)?
„Der Mann, der Hunde liebte“ ist wieder ein Buch, dass ich auf Empfehlung eines guten Freundes gelesen habe und wie immer sind seine Tipps grandios. Leonardo Padura schreibt nicht nur einen überwältigenden historischen Roman, eine Kriminalgeschichte und eine Täter- wie Opferbiografie, er beschreibt zugleich die Geschichte einer Idee, die zur Ideologie verkommt. Auf der Bühne persönlicher Erlebnisse spielt sich die Weltgeschichte ab. Es ist eine Erzählung vom Bürgerkrieg in Spanien, vom Kampf der Internationalen gegen die Faschisten, vom Sozialismus und Kommunismus, von Machtstreben und politischen Morden.
Es ist zugleich auch eine persönliche Abrechnung des Autors mit der Pervertierung sozialistischer Grundsätze. Stalins Gewaltherrschaft reicht in die Biografien seiner Protagonisten und verändert sie für immer. Leonardo Padura ist dabei immer äußerst exakt, was die historischen Tatsachen betrifft. Lediglich die weißen Stellen in den bekannten Biografien und Geschehnissen, füllt Padura mit seinen Ideen. Ohne Zweifel hätte es genauso sein können. Ohne Zweifel werden die Personen so lebendig und ihre Gefühls- und Gedankenwelten so plastisch, dass man meint, Padura hätte nichts hinzugedichtet, sondern alles den Archiven entnommen. Das geht soweit, dass ich mich zwischendurch fragen musste, wer denn nun alles erfunden und wer reale Persönlichkeiten waren.
Leonardo Paduras „Der Mann, der Hunde liebte“ ist ein grandioser Roman, der nicht nur wegen seiner realen Begebenheiten und seiner welthistorischen Relevanz vollends überzeugt.
- Emma Braslavsky
Aus dem Sinn
(9)Aktuelle Rezension von: Ruth_liestWofür eine Stadtbibliothek gut ist? In die Stadtbibliothek ziehen über die verschlungenen Wege der Bürokratie auch Werke ein, die in den Feuilletons selten wahrgenommen werden. Hierzu gehört der Roman "Aus dem Sinn" von Emma Braslavsky. Die junge Autorin erzählt die Geschichte einer Gruppe von Sudetendeutschen in Erfurt, die im Jahr 1969 nach den Sternen der Freiheit greifen und von den Mühlen des Sozialismus zerrieben werden. Am Ende stehen Selbstmord, Lagerhaft oder der Verlust des Gedächtnisses in Folge von psychiatrischen Experimenten auf Befehl der Staatsmacht. Ein trauriges Buch? Sicher, aber auch eine Erzählung voller Humor und Empathie für die Heimatlosen, für die Möchtegern-Helden, die Mitläufer, die Ohnmächtigen, die Zweifler und die Verzweifelten. Ich freue mich schon auf das nächste Buch "Das blaue vom Himmel über dem Atlantik“. - 8
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