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10 Bücher

  1. Cover des Buches Die Hauptstadt (ISBN: 9783518469200)
    Robert Menasse

    Die Hauptstadt

     (162)
    Aktuelle Rezension von: Wortmagie

    Der österreichische Autor Robert Menasse ist ein glühender Verfechter der europäischen Idee. Er glaubt allerdings nicht an Europa als Nationalstaatenbund, sondern an das Konzept der Europäischen Republik. Seiner Meinung nach muss das langfristige Ziel der Europäischen Union sein, Nationen zu überwinden, Grenzen aufzulösen und gemeinsame demokratische Politik zu betreiben, weil nationaler Egoismus die EU in jeglicher Hinsicht beschneidet. Seine Kritik richtet sich demnach gegen den Europäischen Rat, während er Institutionen wie die Europäische Kommission, die tatsächlich europäische Interessen vertritt, als legitim und positiv betrachtet. Diese recht radikale Einstellung ist mehr als das Produkt halbgarer Stammtischdiskussionen. Menasse lebte einige Zeit in Brüssel und recherchierte vor Ort, wie die EU arbeitet und funktioniert, denn es wurmte ihn, dass er nicht verstand, wie Entscheidungen gefällt werden, die sein Leben direkt beeinflussen und lenken. Dort entwickelte er die Idee für „Die Hauptstadt“, der weltweit erste Roman über die Europäische Kommission, der von der Fachpresse gefeiert wurde und 2017 den Deutschen Buchpreis erhielt.

    Ein Schwein geht um in Brüssel. Ein lebendiges Schwein, das durch die Straßen läuft und Brüsseler_innen wie Medien in Aufruhr versetzt. In den Korridoren der EU geht hingegen eine Idee um. Der 50. Geburtstag der Europäischen Kommission steht bevor. Müsste man feiern. Sollte man auch, für ihr Image, meint Fenia Xenopoulou, Leiterin der Direktion C (Kommunikation) der Generaldirektion Kultur und Bildung. Auschwitz als Geburtsort des europäischen Einheitsgedankens in den Mittelpunkt stellen? Warum nicht. Überlebende müssen her, Überlebende, die sich noch erinnern und Zeugnis ablegen können. Überlebende wie David de Vriend, der in einem Altersheim auf den Tod wartet, dem er vor so langer Zeit in einem Zug nach Auschwitz von der Schippe sprang. Nur möchte er lieber vergessen als zu erinnern. Kommissar Émile Brunfaut wurde indes aufgetragen, zu vergessen. Ihm wurde ein mysteriöser Mordfall in einem Brüsseler Hotel entzogen. Anweisung von oben, politische Gründe. Welche, weiß Brunfaut nicht. Er ermittelt auf eigene Faust weiter und deckt höchst schockierende Verbindungen auf. Schockieren wird auch der emeritierte Volkswirtschaftler Alois Erhart. Er wird den Grünschnäbeln des Think Tanks der Europäischen Kommission zeigen, wie radikal Europa gedacht werden muss. Und das Schwein? Das braucht einen Namen.

    „Die Hauptstadt“ begegnete mir zuerst auf dem Wohnzimmertisch meiner Eltern. Damals war das Buch die aktuelle Lektüre meines Vaters und als ich ihn danach fragte, weckten seine Schilderungen schnell mein Interesse. Doch ich war auch eingeschüchtert. Ein Buch über die Europäische Kommission? Konnte ich das überhaupt lesen? Oder reichte mein Wissen über europäische Politik nicht aus, um zu verstehen, was Robert Menasse zu sagen hatte? Mein Vater beschwichtigte mich und gab sich zuversichtlich, dass ich dem Roman gewachsen sein würde. Ich bin froh, dass ich seinem Urteil vertraute. „Die Hauptstadt“ setzt nicht allzu viel Vorwissen voraus; es reicht völlig, wenn man eine ungefähre Vorstellung davon hat, aus welchen Institutionen die Europäische Union besteht und welche Aufgaben sie erfüllen. Feinheiten, Zusammenhänge und Abhängigkeiten erläutert Robert Menasse gewissenhaft, ohne die Geschichte, die er erzählt, jemals zu einer Lehrstunde verkommen zu lassen. Er verliert nie aus den Augen, dass ein Roman an erster Stelle unterhalten soll und verflechtet Erklärungen geschickt mit dem Erleben seiner Figuren.

    Dadurch erkennen Leser_innen auch mit wenig Hintergrundwissen, dass der Einheitsgedanke, mit dem die Europäische Union einst gegründet wurde, heute beinahe in Vergessenheit geriet, die Mitgliedsstaaten nicht an einem Strang ziehen und alle Hindernisse in der Gestaltung europäischer Politik systemischer Natur sind. So mutiert die Organisation einer harmlosen Jubiläumsfeier zum 50. Geburtstag der Europäischen Kommission zum Kraftakt, weil einfach jedes Projekt von nationalen Interessen torpediert und zu Tode verhandelt wird. Daher wunderte es mich nicht, dass Idealismus in Brüssel nicht überleben kann. Die EU ist ein Ort, an dem Ideale, Hoffnungen und Träume mit jedem neuen Kompromiss ausgehöhlt werden. Dies veranschaulicht Menasse in „Die Hauptstadt“ durch die exemplarische Zusammenstellung seiner Figuren, die in diesem System in allen Ebenen und Institutionen arbeiten. Er zeigt, wie sie alle von der schwerfälligen, undurchsichtigen und frustrierenden Realität europäischer Bürokratie betroffen sind und jeweils mit ihr umgehen.

    Die sensible Balance zwischen Nähe und Distanz, die Menasse dabei herstellt, faszinierte mich. Nach jedem der zahlreichen Perspektivwechsel tauchte ich langsam in den banal wirkenden Gedankenstrom einer Figur ein, der Stück für Stück Fahrt aufnahm und immer tiefer, immer signifikanter wurde. Ich gebe zu, für mich war diese Erzählweise zuerst gewöhnungsbedürftig, ich konnte mich ihrem hypnotischen Sog jedoch nicht entziehen und fühlte mich mitgerissen. Dennoch lässt Menasse niemals zu, dass seine Leser_innen von einem Blickwinkel vereinnahmt werden, indem er sie Querverbindungen sehen lässt, die die Figuren nicht wahrnehmen. Ich hatte den Eindruck, das Gesamtbild aus der Vogelperspektive zu betrachten, ohne meine Verbundenheit zu den Figuren opfern zu müssen. Das Maß an Kontrolle, das Menasse demnach auf seine Handlung ausübt, ist beeindruckend. Scheinbare Zufälle, Kreuzwege und Symboliken setzt er bewusst ein, um bestimmte Aspekte zu verdeutlichen. Nichts in „Die Hauptstadt“ geschieht grundlos. Folglich ist nicht einmal das Schwein, das herrenlos in Brüssel herumläuft und beinahe wie ein Phantom wirkt, eine willkürliche Ergänzung. Es ist eine gezielte Metapher, die sich sowohl auf die gesamte Geschichte als auch auf ihre Einzelteile anwenden lässt. Menasse selbst sprach in diesem Zusammenhang über das Spektrum zwischen „Glücksschwein“ und „Dreckssau“, meiner Meinung nach ist die passendste Assoziation jedoch die der Sau, die durchs Dorf getrieben wird – und wir wissen ja, wie lange diese Aufmerksamkeit generiert: Bis die nächste gefunden ist.

    Schriftstellerisch ist „Die Hauptstadt“ genial. Robert Menasse ist ein hervorragender Autor, der ein bemerkenswertes Gespür für Subtilitäten und Zwischentöne besitzt. Er ist sich der Wirkung von Details allzeit bewusst und schreckt nicht davor zurück, diese unkommentiert zu lassen. Vieles erscheint in diesem Buch absurd und ich bin überzeugt, dass Menasse diese Absurditäten, die am gesunden Menschenverstand des europäischen Verwaltungsapparates zweifeln lassen, gezielt betonte. Ja, „Die Hauptstadt“ vermittelt Humor– doch es ist Galgenhumor, resigniert und fast bitter. Deshalb empfand ich den Roman emotional als schwer verdaulich. Die Lektüre war sehr desillusionierend, trotz all der radikalen, revolutionären und wunderschönen Ideen für Europa, die Menasse präsentiert. Es macht mich unsagbar traurig, dass das Potential der Europäischen Union ungenutzt bleibt und wir nicht daran arbeiten, das Konzept von Nationalitäten zu überwinden, um als wahrhaft geeintes Europa zu wachsen und die Vergangenheit hinter uns zu lassen. Europa ist untrennbar mit den Verbrechen des Nationalsozialismus verbunden und wird es immer sein. Sollte der Anspruch gelebter Erinnerungskultur nicht bedeuten, dass wir versuchen, das Problem an der Wurzel zu lösen und nationale Interessen hinter europäischen Interessen zurückzustellen?

    Die Idee, innereuropäische Grenzen aufzulösen, Staaten abzuschaffen und eine echte europäische Identität für alle Bürger_innen aufzubauen, wirkt auf den ersten Blick heftig, meiner Meinung nach liegen die Vorteile jedoch auf der Hand. Wir würden nicht mehr von Brüssel aus „fremdregiert“, denn wir würden unsere politischen Vertreter_innen in der EU wählen, wie wir jetzt nationale Politiker_innen wählen. Würde der Kontinent Europa als Ganzes begriffen werden, stünde der Weg frei für einheitliche Politik. Ich denke da vor allem an die Ressorts Wirtschaft, Bildung und Außenpolitik. Selbstverständlich ist so ein extremer Schritt kein Garant dafür, dass tatsächlich Einigkeit entsteht. Aber ich glaube, der aktuelle Zustand der EU belegt, dass wir diese Einigkeit unter den herrschenden Bedingungen nie erreichen werden. Der politische Rechtsruck in vielen europäischen Ländern ist ein eindeutiges Signal dafür, dass wir genau jetzt versagen. Um überhaupt eine Chance zu haben, müssen wir mutig sein, umdenken und einen klaren Cut wagen, um anschließend unter neuen Voraussetzungen zusammenzuarbeiten.

    Leider wird das wohl nicht passieren. Auch das vermittelt „Die Hauptstadt“. Robert Menasse mag von einem vereinten Europa träumen, er mag dafür kämpfen, optimistisch gibt er sich allerdings nicht. Wie könnte er auch, nachdem er in Brüssel hautnah erlebte, wie sich die Europäische Union Tag für Tag selbst ausbremst? Sein Roman konnte wahrscheinlich gar nicht mit einer hoffnungsvollen Note enden. Stattdessen transportiert er am Schluss die düstere Prophezeiung, dass es immer so weitergehen und sich niemals Einsicht in den grundlegenden Änderungsbedarf entwickeln wird. Zumindest habe ich es so empfunden. „Die Hauptstadt“ ist kein Hoffnungsschimmer. Es ist eine Bestandsaufnahme, die zeigt, was die EU sein sollte – und was sie in Wahrheit ist.

  2. Cover des Buches Schubumkehr (ISBN: 9783518758526)
  3. Cover des Buches Selige Zeiten, brüchige Welt (ISBN: 9783518758519)
  4. Cover des Buches 86 und die Folgen (ISBN: 9783503098552)
  5. Cover des Buches Dummheit ist machbar (ISBN: 9783854491552)
    Robert Menasse

    Dummheit ist machbar

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Hypochrisy
    »Doch Sprachpolitik oder politische Polemik allein machen noch nicht die Qualität dieser Essays aus. Vielmehr ist es die bemerkenswerte assoziative Leichtigkeit, mit der Menasse Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ›unseres kleinen Landes‹ zusammenführt und so Erkenntnisse ermöglicht, die weit über Tagespolitische Einsichten hinausgehen...«
  6. Cover des Buches Wen liebte Goethes "Faust"? (ISBN: 9783462051315)
    Martin Doerry

    Wen liebte Goethes "Faust"?

     (3)
    Aktuelle Rezension von: seschat
    Martin Doerrys neuester SPIEGEL-Wissenstest zum Thema "Literatur" wartet mit einem bunten Fragenpotpourri auf. Darunter findet man u.a. die Kategorien Bestseller, Klassiker, verfilmte Literatur oder Science Fiction. Und die Fragen haben es derart in sich, dass selbst der belesenste Quizzer an der ein oder anderen Stelle kapitulieren muss. Kurzum, für die insgesamt 150 Fragen ist oftmals literarisches Spezial- statt Allgemeinwissen gefragt. Hinzu kommt, dass der Lösungsteil nicht leserfreundlich konzipiert wurde. Denn statt der standardisierten Lösung, wie z. B. 1c oder 2b, wird lediglich die richtige Lösung in Worten ausgeschrieben, so dass man immer wieder zur jeweiligen Frage zurückblättern muss. Das ist mühsam. Vielleicht wäre es hier sinnvoller gewesen, man hätte nach jedem Fragenkapitel sofort die richtigen Lösungen angeschlossen. 

    Mein Highlight waren die Interviews im Anschluss ans Quiz. Hier kamen namenhafte Literaturkritiker (Volker Hage und Volker Weidermann) und Autoren (Eva und Robert Menasse) zu Wort und fachsimpelten über deren Tätigkeit und Wirkmacht. 

    FAZIT
    Ein solides Quizbuch, das aber nicht an Doerrys Quiz-Erstling heranreicht.
  7. Cover des Buches Ich kann jeder sagen (ISBN: 9783518758557)
    Robert Menasse

    Ich kann jeder sagen

     (6)
    Aktuelle Rezension von: HeikeG
    Mahlsteine oder Pah! Geschichte! . Wer erinnert sich noch an Y₂K? Y₂K??? Es handelte sich um den weltweit Panik verbreitenden, so genannten "Millenium-Bug" - ein Computerproblem, das durch die interne Behandlung von Jahreszahlen als zweistellige Angabe entstand und angesichts des Jahreswechsels 1999/2000 einen globalen Ausfall von vielen Computersystemen vermuten ließ, die dann nicht mehr "wissen" konnten, ob sie denn im Jahr 2000 weiterrechnen oder halt ins Nirwana des Jahres 1900 zurückfallen sollten. . Nun hat der österreichische Autor keineswegs ein Buch über kollabierende Computersysteme oder den kollateralen Zusammenbruch unseres mittlerweile weit vernetzten Lebens geschrieben, sondern sein Erzählband vereint 14 Geschichten, die allesamt ein bedeutendes oder aber ein persönliches Erinnerungsmoment implizierten und globale oder individuelle innere Aufruhr verursachten. Menasse schreibt über die Ermordung Kennedys und des chilenischen Präsidenten Salvador Allende. Er berichtet vom völlig unerwarteten Sieg Griechenlands über Portugal bei der Fußballeuropameisterschaft 2004 und der dabei verpassten Chance eines Riesengewinns in der Fußballlotterie. Oder er erinnert an die "Bedeutung" der Zerstörung Dresdens am 13./14. Februar 1945: "Es gab noch nie eine Diktatur, in der die Menschen gefragt wurden, was sie wollen. Die Deutschen wurden gefragt. Das war einmalig. Sie wollten den totalen Krieg. Ohne Dresden hätten sie nie begriffen, was sie sich gewünscht hätten." . Da steht auf der einen Seite die Wiederzusammenführung von Ost- und Westdeutschland, auf der anderen die Trennung aus einer Partnerschaft. Menasse erzählt von der persönlichen "Bedeutung" des 9. November 1977, an dem der österreichische Textilindustrielle Walter Palmer von der "Bewegung 2. Juni" entführt wurde oder dem Abbruch der Berliner Mauer. Genau 10 Jahre später befürchtet man eine andere Zerlegung, eben jene, zu Beginn angeführte: "Mit 'Y₂K' hat die westliche Welt die entsprechende Erfahrung digitalisiert und postmodern wiederholt: die hysterische Angst vor dem Zusammenbruch des Systems. (...) Dass im Jahr 1999 Firewalls die Menschen mehr beschäftigten als die längst verschwundene Mauer, ist daher verständlich: Was ist schon der Fall der Mauer gegen den Fall der Börsen?" . Robert Menasse stellt sich in diesem Buch immer wieder die Frage wie bedeutsam ein historisches Datum neben Zukunftsoptionen und Termingeschäften ist? "Was ist die Erinnerung an eine verschwundene Bedrohung im Vergleich, oder zeitgenössisch formuliert: in Konkurrenz mit einer akuten Bedrohung?" Ist der Reichtum eines Autors, den er immer wieder erzählend ausbreitet, eigentlich nichts als eine Lüge? Wie beliebig ist Erlebtes, das Leben überhaupt? Sind Geschichten im Grunde nicht nur "Varianten immer derselben Geschichte"? . Gekonnt verknüpft der Autor dabei Kindheits- und Jugendereignisse mit dem "Schock im weltgeschichtlichen Maßstab". Persönliche Reminiszenzen wie Scheidung, Einsamkeit und Verhöhnt-Werden wechseln mit signifikanten Retrospektiven ab, werden vermischt, verknüpft und neu zusammengestellt. Entstanden ist ein kleiner, aber umso wirkungsvoller Abriss im Zeitlauf der Geschichte. Menasse bringt dem Leser den "Geruch der Zeit" ins Wohnzimmer. Er watet sozusagen durch den persönlichen Lebensmorast und bedient sich verdrängter, vergessener und universaler Begebenheiten. Vielleicht um sein Erwachsenenleben mit seiner Kindheit zu versöhnen, vielleicht auch seine Generation mit der Geschichte. "Wir stapften durch den Schnee von gestern - und waren die Ersten, die darin ihre Eindrücke hinterließen." Aber letztendlich ist das Leben doch nur "ein noch größerer Irrtum als der Tod."
  8. Cover des Buches Die Vertreibung aus der Hölle (ISBN: 9783518468630)
    Robert Menasse

    Die Vertreibung aus der Hölle

     (24)
    Aktuelle Rezension von: Giselle74
    "Ya basta mi nombre ke es Abravanel." Es reicht, dass mein Name Abravanel ist. Die Abravanels, eine jüdische Familie, die sich bis auf König David zurückführt, gilt als eine der angesehensten und bekanntesten Linien in der jüdischen Geschichte.
    Und von einem fiktiven Viktor Abravanel erzählt Robert Menasse in seinem Roman, der mit einer verunglückten Abifeier in den 1970igern beginnt und mit dem Tod des Rabbi Samuel Manasseh ben Israel im Jahre 1657 endet.
    Dazwischen verknüpft Menasse gekonnt Vergangenheit und Gegenwart, erzählt von Autodafés, Folter und Flucht, von den kleinen Gemeinheiten und Herabsetzungen im Alltag, davon, was es heißt, zu einem verfolgten und rechtlosen Volk zu gehören, zu dem verfolgten Volk, nicht nur zeitweise, sondern über Jahrhunderte hinweg.
    Viktor Abravanel ist ein Scheidungskind, geprägt durch die Zeit im Internat, das Gefühl des Abgeschobenwordenseins. Seine Mutter muss hart arbeiten, um zu überleben, der Vater ist ein weltgewandter Lebemann.
    Samuel Manasseh erlebt schon als Kind das Grauen der Judenverfolgung, flieht mit seinen Eltern in die Niederlande, wird dort angesehener Rabbi, Lehrer des Philosophen Baruch Spinoza und heiratet eine Abravanel.
    Was nach gänzlich unterschiedlichen Lebensläufen- und konzepten klingt, hat erstaunlich viele Parallelen. Zeitweise braucht man tatsächlich einen Moment, um zu erkennen, in wessen Geschichte man sich gerade befindet. Diese Art des Erzählens, gekoppelt mit einer wunderbar bildreichen Sprache und treffsicheren Formulierungen, hat eine Sogwirkung. Man möchte lesen und lesen, und das Buch keinesfalls beiseite legen müssen. Auch wenn die erzählte Geschichte in weiten Teilen naturgemäß erschreckend ist.
    Der Verdacht entsteht früh, der Autor habe seine eigene Familiengeschichte bearbeitet. Manasseh und Menasse, nur eine kleine Lautverschiebung unterscheidet die Namen. Inzwischen habe ich natürlich ein wenig recherchiert und die Bestätigung meiner Vermutung recht schnell gefunden. Für mich macht es den Roman noch eindringlicher. Auf der einen Seite ist es sicherlich ein besonderes Gefühl einer so alten und bildungsbewußten Familie zu entstammen, auf der anderen Seite: wie viel Leid wurde so über Generationen erlebt und überliefert.
    Nach diesem grandiosen Auftakt bin ich schon sehr gespannt auf den Roman, mit dem der Autor den Deutschen Buchpreis gewinnen konnte. "Die Hauptstadt" steht schon in meinem Bücherregal und die Erwartung ist hoch.
  9. Cover des Buches Sinnliche Gewißheit (ISBN: 9783518758540)
  10. Cover des Buches Der Europäische Landbote (ISBN: 9783451068195)
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