Bücher mit dem Tag "senryu"
9 Bücher
- Heike Gewi
Den Wind jagen
(4)Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-NutzerHierin erzählt uns nicht Scheherazade, die Tochter des Wesirs, Geschichten, sondern die Autorin, Frau Gewi, versucht in Miniaturen (Haiku) den Alltag und das Besondere aus Jemen darzustellen. Wenn eine Echse durchs Fenster flieht (Seite 21) lässt mancher das Buch zu Boden gleiten und der Wind blättert die Seiten um. Dann findet der Leser Hinweise auf die europäischen Wurzeln der Autorin (Email zum Muttertag, Seite 25; Tag der Einheit, Seite 94), oder auf Kulinarisches (gepöckelter Hai, Seite 62; coole Melone, Seite 78). Neben freudvollen Ereignissen (Breites Lächeln / unter und überm Moskitonetz - / Neugebornes, Seite 79) und Darstellungen der Tier- und Pflanzenwelt, beschreibt die Autorin auch tragische Ereignisse (Gewehrschüsse ... Erblühen / zwei Seiten bitten / um Gottes Beistand, Seite 17). Manches farbige Haiga lässt das Auge erfreuen, oder eine Träne verlieren (Bürgerkriegsende, Seite 185). Der übersichtliche Aufbau jeder Seite, die deutsche und die englische Version, überzeugt. - Hans Lesener
Wolkenschatten
(3)Aktuelle Rezension von: hegeHans Lesener, der viel zu früh verstorben ist, muss ein sympathischer Mensch gewesen sein. Woher weiß ich das? Aus seinen Haikugedichten. Das behutsame Vorgehen, die Mühe um Disziplin im dichterischen Schaffen und der Ruhrpott-Dialekt bringen Hans als Menschen näher, aber auch all das, was ihn umgibt. Wir lernen, mit seinen Augen zu sehen. Wie anders soll man verstehen lernen? Und schon öffnet er uns auch gleich mit dem ersten Haiku die Tür in seine Welt; od. zumindest führt uns an seine Sichtweise heran:
Früh am Neujahrstag
schmiegt sich in meine Hand
die Türklinke.
Ein Satz, genauer ein Aussagesatz. Keine Phrasen und Fragmente. Der Autor ist od. hat, was ich "gentle soul" nenne – ein weiches Herz. Man muss ihn und seine Texte einfach lieben. Und in seinem ehemaligen Arbeitsbereich erging es ihm ebenso:
Neujahrsempfang.
Ein Kollege nennt mich
Freund.
Schluss. Punkt. Das fällt auf im Buch und lässt keine Diskussionen zu, denn der Autor intendiert, "so und nicht anders" angenommen zu werden. Fast alle seiner Haiku enden mit einem Punkt. Das hält uns aber nicht vom literarischen Gespräch mit Hans Lesener ab. Denn jeder Text ist eine Einladung dazu: Think about it! or Chew on that for a while!
Nächtlicher Teich.
Eine Flosse ritzt
den Mond.
Als ob den Mond sonst nichts kratzen würde, bekommt auch der den Spiegel vorgehalten. Beim Spaziergang durch die Jahreszeiten kommt dann auch schon wieder Spannung auf. Haben doch Autor und Leser grade als Paar zusammengefunden, da passiert's:
Paarlauf.
Auf der Eisdecke knisterts.
Frieden ist sein großes Thema:
Blindgänger.
Ein Bagger gräbt den Krieg aus.
Nach 21 Haibun [Kurzprosa] hab ich erst einmal das Buch weglegen müssen, um tief durchzuatmen und an ihn, den Autor zu denken, den ich im Schweizer Wordicht-Forum kennenzulernen die Ehre hatte. Er fehlt. Ich halt am Buch fest.
Seite 115 schmunzle ich wieder. Alle Ruhrpott-Haiku lassen jenen Hans Lesener aufleben, den ich immer in Erinnerung behalten werde. Verständlich. Warmherzig. Lustig und immer mit dem Ohr am Menschen.
De Modepuppe –
Nieten anne Jacke
abber zu spät komm !
Man beachte, dass er das Ausrufezeichen etwas später setzt. Immer.
- Heike Gewi
Lichtpunkte
(10)Aktuelle Rezension von: Günter-ChristianMöllerHeike Gewi, schreibt nicht nur Kurzkrimis, sondern auch japanische Kurzlyrik. Ihre Haiku und japanischen Kettengedichte, die sie seit 2007 schreibt, sind mit Erfolg im In- und Ausland veröffentlicht worden.
Ich erinnerte mich beim Lesen der Gedichte hin und wieder an Ringelnatz.
suppenküche
der arme Dichter löffelt
buchstaben
Und bechert Worte, hätte ich selber gerne ergänzt.
Die Gedichte handeln von Krieg und Frieden, Meer und Stadt, von Trauer, Angst, Schönheit, Sehnsucht und Liebe.
Jeder, der die Verse liest, wird etwas finden, was er sucht. Und sei es nur, dass er zum Nachdenken angeregt wird.
Für mich war die ‚frühlingsluft‘ am gelungensten:
frühlingsluft
seidenreiher tanzen
auf sonnenstrahlen
Über dem Gedicht ein Bild mit tanzenden Reihern.
Eine perfekte Harmonie zwischen Bild und Text, und zwischen Deutsch und Englisch. Nicht nur für ein erschöpftes Gehirn ein Quell der Kraft und Freude.
Und für eine Leseempfehlung nur mit vielen Sternen zu verknüpfen.
- Heike Gewi
Haiku-Pick
(6)Aktuelle Rezension von: SvanvitheVon Zeit zur Zeit findet ihr auf meinem Blog Haiku, die ich geschrieben habe. Heute dagegen stelle ich euch ein Buch mit Gedichten vor, die nicht aus meiner Feder stammen, mich aber sehr begeisterten und meine eigene Haiku-Schreibe-Lust vergrößerten.
Schon das Cover hat mich angesprochen. Es ist in seiner Einfachheit ausdrucksstark und zeigt sich auch - wie ich finde - im passenden (japanischen) Origami-Stil. Es erinnert mich daran, dass ich Störche schon das eine oder andere Mal auf der Wiese direkt vor meiner Haustür habe schreiten sehen, suchend den Kopf nach vorne gebeugt, in Erwartung eines Leckerbissens, den sie sich herausPICKEN können. Dazu muss allerdings nicht einmal Wasser ihre langen Beine umspülen.
Was macht ein gelungenes Haiku aus? Das Haiku ist zunächst einmal kurz und legt in der traditionellen japanischen Form einen Text vor, der in Wortgruppen von fünf, sieben und fünf Moren = Lauteinheiten gegliedert ist. Da sich die Lauteinheiten jedoch nicht ohne Weiteres auf die deutsche Sprache übertragen lassen, haben sich in der Vergangenheit freie Formen entwickelt, die in der Regel dreizeilig sind und mit zehn bis siebzehn Silben auskommen. Ein Haiku ist zudem konkret und gegenwärtig. Es thematisiert meist ein beobachtetes Geschehen, die momentane Wahrnehmung, das Erleben eines Augenblicks, oft mit Hilfe eines Jahreszeitenwortes (Kigo). Letztlich wird beim Haiku nicht alles gesagt. Das Unausgesprochene, Angedeutete, Ausgesparte ist wichtiger als das klar Ausgedrückte. Der Leser soll sich den Zusammenhang selbst erschließen.
Heike Gewi legt in diesem Band über zweihundert zweisprachige (deutsch und englisch) Haiku vor, die dem Leser auf einer traditionellen Reise durch die Jahreszeiten einen direkten, auf den Punkt gebrachten Blick auf die Welt im Kleinen öffnen, dabei die Bodenhaftigkeit nicht verlieren und die Vision eines klaren Moments in der Stille sichtbar machen.
Kirschblüten schaun-
der Mond schlüpft
in meine Schuh
Kirschblüten
der rastlose Wind ändert
seine Farbe
Frieden
in rosa Wolken atme ich
Kirschbüten
Frühlingsland
mit jedem Schwarm kehren
mehr Farben zurück.
Stille
Pferd und Reiter
in einer andren Welt
Halte mich nicht auf...
auch Blüten und Blätter
lernen tanzen
Schneeflocken tanzen.
Wo hört die Erde auf,
wo fängt er Himmel an?
Wolken reißen
ihre Bäuche an kahlen Zweigen auf -
Schneefall
Zu diesem Jahresreigen durch Frühling, Sommer, Herbst und Winter gehören auch Senryu. Diese Form der kurzen Gedichte beschäftigt sich mit alltäglichen Dingen und unserem Seelenleben. Das Natur- und Jahreszeitenelement muss kein Bestandteil mehr sein. Humor und Zweideutigkeit spielen eher eine Rolle, was sie manchmal etwas komplexer im Verständnis erscheinen lassen, da sie viel persönlicher sind.
Sie können ein Lächeln hervorzaubern...
Chinesisch Essen –
aus dem Teich quakt
meine Bestellung
... oder sind emotional...
Nach dem Regen -
auf Wolken
gehen
... melancholisch?
Am Abend
den Tag zurückholen.
Nur ein paar Zeilen.
Ergänzt werden Haiku und Senryu durch sechsundzwanzig Haiga, meist farbigen Zeichnungen, die auf tiefgreifenden Beobachtungen der Alltagswelt basieren. Die Haiga von Heike Gewi fügen sich ausgezeichnet in die Gestaltung des Buches ein (auch wenn nicht alle meinen persönlichen Geschmack ansprechen). Mir gefällt aber, dass sie einige Haiku bildhaft vor Augen führen und damit den Kern treffen. Nicht nur durch die Wahl der unterschiedlichen Farben treten sie ausdrucksstark vors Auge. Die Mischung von Bild und Text finde ich ebenso gelungen wie die "Spielereien" mit Wörtern, die gleichfalls auflockernd hinzugefügt sind.
Die Poesie von Heike Gewi sagt geradeheraus, was Sache ist. Sie ist ein Erlebnis. Sie FASZINIERT. Sie BERAUSCHT. Sie ENTZÜCKT. Sie BERÜHRT. Und vor allem: Sie INSPIRIERT.
LichtBlick -
Gedanken in die Stille legen
(Svanvithe)
- Walter Mathois
Werktaghaiku
(2)Aktuelle Rezension von: hegeBücher, die Poesie mit Fotografie kombinieren, lösen eigene spezielle Fragen zur Interpretation und zu ästhetischen Effekten aus. Der Autor und Hobbyfotograf Walter Mathois nutzt bewusst diese Verbindung. Die Verbindung zwischen Gedicht und Illustration/Foto erfolgt auf der Stimmungsebene oder unterstützt einfach nur einzelne Elemente. Mehrdeutigkeit wird als Thema angenommen, sowohl in den Haikugedichten als auch in der Kombination von Wort und Bild.
ein tulpenfoto
im heftigen wind.
der fotograf wankt / S. 21
Regen
und die Dürre liegt
im Gras / S. 109
spitzlichter –
tautropfen
hängen am blatt / S. 163
Der Leser wird zu einem interpretativen Prozess eingeladen, schlicht – zu assoziativem Lesen. Aber das ist nur ein Fakt. Gute Literatur ist auch durch seinen Grad an Unterhaltung geprägt. Schmunzeleffekte – eine andere Version der Vereinigung von Epper-Witz und Issa – ziehen sich durch das gesamte Werk in deutscher und englischer Sprache.
geburtstagsparty.
nach dem knall steigt niemand aus
der sahnetorte / S. 245
Und immer wieder drängen sich Fragen auf wie: Ist es wahr, dass ein Bild mehr als tausend Worte wert ist? Aber wie viele Bilder sind überhaupt ein Wort wert? Walter Mathois schöpft Bilder mit Worten, die neue Ebenen öffnen und teilweise, von Illustrationen und Fotos unterstützt, dem Leser Raum für eigene Gedanken schaffen. Der Haikudichter wandert nicht bloß im Jahreskreis oder gibt nur Eindrücke von seinem Weg zur Arbeit, sondern spricht genau so stark das Seelenleben an – die Senryu. An dieser Stelle möchte ich den amerikanischen Fotokünstler William Kahn zitieren: poem and photograph / both intent on capturing / the light and shadows.
gedicht und foto
die absicht, licht und schatten
festzuhalten /tr. Heike Gewi
Wen wundert es da, dass die Fotografie "Lyrik des Lichts" genannt wird? - Traude Veran
Primzahlverse
(2)Aktuelle Rezension von: hege"Primzahlverse". Beim Lesen des Titels musste ich schmunzeln, denn ich zog sofort eine Parallele zum Versmaß und manche fragen sich bestimmt in diesem Zusammenhang: "Eh, gibt's da was Neues?" Es macht neugierig. Um das Rätsel zu lüften, studiert man das Cover genauer und starrt auf den Pfad durch den Schnee. Wieder ein Lächeln: Spuren dalassen. Der Klappentext schafft Klarheit: Haiku und Tanka. 5-7-5 und 5-7-5-7-7. Und mit dem Wandern im Winter geht es auch sofort los.
die wege gestreut / alte damen spazieren / im türkenschanzpark
Der Streusand zeigt mit nacktem Finger auf die Eisigkeit der Wege. Und genau dort lässt Traude Veran Damen ihrer Generation promenieren, als sei es ein Triumph in der Sicherheit der Erinnerungen, in bewältigter Geschichte zu wandeln. Ihre Liebe zu Wien und den historischen Gebäuden der Stadt drückt aus den Zeilen in die Welt. Diese Frau hinterlässt tatsächlich Spuren im Herzen des Lesers und Dichterkollegen. Wir rücken näher an sie heran und möchten mehr über Wien lesen.
Traude Veran schreibt schon lange. Aber wie jede/r DichterIn verfiel auch sie der Kürze der Texte des japanischen Genres. Als Sprachpsychologin wählt sie ihre Worte sehr bedacht. Die Herausforderung besteht darin, sich diszipliniert kurz und an die Regeln zu halten und obendrein dem Klangbild unserer Muttersprache gerecht zu werden. Regeln – wieder eine Sicherheitsleine. Ein Geländer im Text entdeckt.
sieben uhr morgens / erster sonnenstrahl im schnee / auf dem geländer
Das Geländer taut auf. Man kann zufassen. Nur wenige deutsche Haikudichter meistern die Kunst des 5-7-5, ohne uns mit Füllwörtern zu langweilen. Eine Herausforderung also – nicht nur für den Leser. Fassen auch Sie Mut, trauen Sie sich ran! Traude Veran verblüfft und schickt uns auf Entdeckungsreise; heiter & nachdenklich. - 8
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