Bücher mit dem Tag "sozialisation"

Hier findest du alle Bücher, die LovelyBooks-Leser*innen mit dem Tag "sozialisation" gekennzeichnet haben.

34 Bücher

  1. Cover des Buches Deutschland schafft sich ab (ISBN: 9783421045454)
    Thilo Sarrazin

    Deutschland schafft sich ab

     (141)
    Aktuelle Rezension von: Boris_Goroff

    Der Autor schreibt hochwissenschaftlich, jede Aussage ist mit einer Quellenangabe belegt. Die Fehler der deutschen Regierungspolitik werden gnadenlos aufgelistet und die Migrationspolitik hinterfragt. Zum Schluss werden mögliche Zukunftsszenarien prognostiziert.

  2. Cover des Buches Tricks (ISBN: B00Q74Z42W)
    Alice Munro

    Tricks

     (98)
    Aktuelle Rezension von: mabo63

    Da es recht schwierig ist die Thematik resp. die 8 Erzählungen dieses kleinen aber feinen Büchleins aus der Reihe FischerTaschenbuchBibliothek zusammenzufassen habe ich folgendes sehr zutreffendes darüber gelesen: "Es geht um Schicksale, die verbunden sind mit enttäuschten Erwartungen, unerfüllten Träumen und Sehnsüchten, aber auch mit Selbstbetrug und Illusionen.

    Dabei erzählt Alice Munro „einfach“ Lebensgeschichten, ohne zu kommentieren, zu gewichten oder zu moralisieren. Eine Charakterisierung

    der Personen erfolgt ausschließlich durch die Art ihres (Nicht-) Handelns

    und Redens. Munro setzt wohltuend auf den mündigen Leser." Sehr empfehlenswert. 

  3. Cover des Buches Wir alle spielen Theater (ISBN: 9783492238915)
  4. Cover des Buches Rückkehr nach Reims (ISBN: 9783518473139)
    Didier Eribon

    Rückkehr nach Reims

     (45)
    Aktuelle Rezension von: LittleRose

    "Ich verwirrte sie [seine Mutter], und mir wurde das immer gleichgültiger. Ich hatte mich von ihr, von ihnen, von ihrer Welt längst losgesagt."

    Inhalt

    Der Tod seines Vaters veranlasst Didier Eribon nach Reims zurückzukehren, dem Ort seiner Kindheit, die Heimat seiner Familie. Doch es ist eine widerwillige Heimkehr, nach jahrelanger Funkstille. Konfrontiert mit vergessen geglaubten Erinnerungen und erneut aufflammenden Konflikten, begibt sich der Autor auf Spurensuche. Er möchte die Ursachen des Zerwürfnisses zwischen ihm und seiner Familie ergründen.  Als Soziologe kommt Eribon nicht umhin, zu begreifen, dass seine Probleme weit über das Private hinausreichen, denn sie sind Sinnbild einer gespaltenen Gesellschaft.

    Meine Meinung

    Mir hat „Rückkehr nach Reims“ ausgesprochen gut gefallen. Die Mischung aus Autobiographie und soziologischer Abhandlung ist dem Autor schön gelungen. Es ist ein informativ dichtes Buch, das zeigt sich vor allem an den Fußnoten, die auf weitere Werke der Soziologie verweisen. Gleichwohl bleibt Eribon dem literarischen Stil seiner Erzählung treu. Demensprechend habe ich das Buch schnell und gerne gelesen. Zwar mag der Schreibstil leicht sein, die hier präsentierten Themen sind es nicht.

    Zum einen spielt die Homosexualität des Autors eine wichtige Rolle, sie ist einer der Gründe, die zur Entwurzelung beigetragen haben. So hat der Vater nie akzeptiert, dass sein Sohn Männer liebt. Darüber hinaus hat sich Eribon im Zuge seines sozialen Aufstiegs, immer mehr von der Lebenswirklichkeit seiner Familie entfernt. Aber nicht nur die zunehmende Distanz zu seiner Heimat, macht ihm zu schaffen. Als Spross einer Arbeiterfamilie, wird unser Autor gleichzeitig mit den Eigenheiten des französischen elitären Universitätssystems konfrontiert. Er ist in zwei Welten unterwegs und gehört doch nirgends dazu.

    Auf gekonnte Weise stellt Eribon seine persönlichen Erfahrungen in den Kontext von Bourdieus Habitus-Theorie. Nichtsdestotrotz kann es den Schmerz ob der Zurückweisung nicht kaschieren. So schwingt an vielen Stellen Bitterkeit mit, sei es über den Bruch mit der Familie oder über das Nichtvorhandensein der vielbeschworenen Chancengleichheit.

    Fazit

    „Rückkehr nach Reims“ bezieht sich in erster Linie auf Frankreich, kann aber meiner Meinung nach, auf fast alle modernen Gesellschaften übertragen werden. Wer verstehen möchte, weshalb rechtspopulistische Bewegungen [nach wie vor] Erfolge verzeichnen, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Und falls man noch nicht das Vergnügen hatte, empfehle ich als zusätzliche Lektüre, Bourdieus „Die feinen Unterschiede“. Natürlich ist das kein Muss. Eribons Werk allein, bietet genügend Stoff für aufschlussreiche Erkenntnisse. Von mir gibt es fünf von fünf Lesesternchen.

  5. Cover des Buches Room (ISBN: 9781447276364)
    Emma Donoghue

    Room

     (81)
    Aktuelle Rezension von: Mizuiro
    Es wird schwierig, hier eine Rezension zu schreiben, ohne zu spoilern. Aber ich schaffe das!
    Am liebsten würde ich nur eine Kurzrezension schreiben. Sie bestünde nur aus einem Wort: LESEN! Oder aus zwei: UNBEDINGT lesen!

    Aber vielleicht gibt es ja Menschen, die mehr wissen wollen, also los!

    Room hat mich unglaublich gefesselt. Es ist lange her, dass mich ein Buch SO sehr fesseln konnte. Einige Seiten waren so spannend, dass ich gar nicht weiterlesen konnte. Da hab ich einfach eine Pause gebraucht...

    Das Buch erzählt die Geschichte von Jack, einem Fünfjährigen, der in einem kleinen Raum lebt und noch nie draußen war. Geschrieben ist es aus seiner Sicht und mit seinen Worten. Es finden sich entsprechende Fehler, wie falsch geschriebene Wörter, die der Fünjährige noch nicht kennt.
    Dieser Stil passt großartig zum Inhalt, der einem dadurch noch mehr Gänsehaut beim Lesen beschert!

    Auch wenn es stellenweise etwas langwierig war, fand ich es an keinem Punkt langweilig. Wenn es nicht spannend war, war es interessant oder traurig oder sogar lustig.

    Da ich in letzter Zeit immer wieder davon schreibe, dass ich mich freue, wenn Autoren sich Mühe geben, muss ich es hier auch noch einmal - möglichst spoilerfrei - anmerken: Was die Autorin hier geleistet hat, ist Wahnsinn! Abgesehen von der sprachlichen Herausforderung wie ein Fünfjähriger zu schreiben liegt dem ganzen Buch an sich vermutlich eine enorme Recherchearbeit zugrunde. Von psychologischen Aspekten über juristische Fakten und so weiter... Ich bin beeindruckt, ich ziehe meinen Hut!

    Abschließend kann ich zu meiner anfänglichen Kurzrezension: UNBEDINGT lesen noch hinzufügen: Am besten in der Originalsprache. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Übersetzung diesem Buch gerecht werden kann...
  6. Cover des Buches Dog Boy (ISBN: 9783518462881)
    Eva Hornung

    Dog Boy

     (13)
    Aktuelle Rezension von: LaMensch
    Eines Tages wird Romochka alleine in der Wohnung seines Onkels zurückgelassen. Er ist einfach verschwunden, hat nach und nach das Interieur verkauft und weggegeben und ist selbst eines Tages nicht mehr wiedergekommen. Der vierjährige Romochka weiß nicht, was er tun soll. Irgendwann ist der Hunger zu stark. Er verlässt das vereinsamte Haus. Keiner seiner Nachbarn ist mir hier, alle sind verschwunden. Er läuft raus auf die Straße. Irgendwann setzt er sich weil die Kälte zu stark und der Hunger zu groß ist um weiter zu gehen. Er schläft ein. Als er erwacht steht ein großer Hund vor ihm, der sein Leben von Grund auf verändern wird …

    Das Buch hat mich doch tief beeindruckt, der Schreibstil ist an manchen Stellen durch Einschübe russischer Wörter ein bisschen holprig. Man kann sich trotzdem wenn man kein Russisch kann den Zusammenhang, bzw. die Bedeutung der einzelnen Wörter erschließen. Der Inhalt des Buches ist eine schwere Geschichte. Ich finde die Charaktere sehr gut dargestellt und auch das Wesen der Hunde gut gezeichnet.

    Jedoch muss ich kritisieren, dass an manchen Stellen die Beschreibung so deutlich ist, dass einem schon schlecht werden kann (zum Beispiel beim fressen) ich persönlich kritisiere das, anderen könnte das wiederum gefallen. Das denke ich ist Geschmackssache.

    Mich hat das Buch gefesselt, trotzdem fand ich es an manchen Stellen bisschen heftig und vergebe 4 von 5 Sternen.
  7. Cover des Buches Das Ende der Geduld (ISBN: 9783451069123)
    Kirsten Heisig

    Das Ende der Geduld

     (83)
    Aktuelle Rezension von: Holden

    Jugendrichterin Heisigs Aufklärungsbuch über Jugendgewalt. Erfreulicherweise wird nicht so getan, als sei die Gewalt vom Himmel gefallen oder bestimmten Bevölkerungsgruppen immanent. Unter den äußerst negativen Lebensbedingungen, unter denen manche der Kinder aufwachsen mußten, wäre es schwer gewesen, die "Kurve zu kriegen". Daß Heisig schreibt, daß bei Heranwachsenden häufig Erwachsenenstrafrecht angewandt werde, kann ich so nicht stehen lassen. Meinem Kenntnisstand wird nur bei Trunkenheitsfahrten das allgemeine Strafrecht angewendet, weil Trunkenheitsfahrten in jedem Alter vorkämen, ansonsten wird immer Jugendstrafrecht angewandt. Im übrigen erstaunlich, in was für Bereichen sich ein Jugendrichter auskennen muß, abseits der reinen Paragraphenarbeit in StGB und JGG. Und manche der Themen, die Heisig nur kurz anreißt, sind inzwischen in den Mittelpunkt der Diskussion getreten, zB Cybermobbing, Social Media und die sog. "Ehrenmorde". 

  8. Cover des Buches MÉTO Das Haus (ISBN: 9783423625654)
    Yves Grevet

    MÉTO Das Haus

     (167)
    Aktuelle Rezension von: Orisha

    kurz rezensiert:

    64 Jungen leben im Haus. Bestimmt durch einen rauen Alltag, der aus Disziplin, Training, Strafe und Lernen besteht. Méto ist einer von Ihnen und er muss sich um den Neuen kümmern. Ihn einweisen, ihm alle Regeln erklären. Denn, wenn der Kleine einen Fehler macht, muss auch Méto dafür herhalten. Dabei versucht er das rigide System immer wieder zu untergraben, denn er spürt, dass etwas nicht stimmt. 

    Grevets Auftakt zur "Méto"-Reihe kommt düster daher. Méto und seine Kameraden sind eingepfercht in einem Haus voller Geheimnisse, die sich Méto und uns Leser*Innen erst nach und nach enthüllen. Gewalt und Disziplin bestimmen den Alltag der Jungen, ganz so wie es sich für einen dystopischen Roman zu gehören scheint. Und dennoch scheint es den Jungen an nichts zu fehlen - sie haben Essen, ein Haus über dem Kopf und Fokus. Doch worauf? Das ist eine der zentralen Fragen. Was kommt nach dem Haus? Welches Leben erwartet die Jungen? Und vor allem wie wollen sie leben?

    Kurzum: Ein durchaus unterhaltsamer Roman, der aber wenig neues für das dystopische Genre bereit hält.



  9. Cover des Buches Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke (ISBN: 9783442484386)
    Karen Joy Fowler

    Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke

     (98)
    Aktuelle Rezension von: graefinrockula

    Die fabehlhaften Schwestern der Familie Cooke“ von Karen Joy Fowler ist ein emotionales Buch mit Tiefgang, welches zum Nachdenken anregt.

    Das Buch, welches in der Ich-Perspektive geschrieben ist, beginnt mit einer scheinbar normalen jungen Frau, welche versucht ihr Leben zu ordnen. Das nicht ganz leichte Verhältnis zu ihrer Familie durch das Verschwinden ihrer zwei Geschwister scheint zunächst nachvollziehbar. Durch viele Zeitsprünge wird einem das Ausmaß der Tragödie erst bewusst. Fern und Rosemary wachsen wie Zwillinge auf. Doch Fern verschwindet. Erst im Laufe der Geschichte wird das Geheimnis um Ferns Identität gelüftet. Eine Geschichte über Toleranz, Mitgefühl und Verantwortung gegenüber allen Lebewesen auf der Welt.

    Durch die Ich-Perspektive liegt der Fokus klar bei Rosemary, da Figur und Erzählerrolle zu einem verschmelzen. Eine intelligente, junge Studentin. Der sprachliche Stil der Erzählung passt sich dieser Gegebenheit an und machen diese authentisch. Es werden außerdem sowohl Klassiker der Literatur wie Les Miserables zitiert, als auch Größen der Jugendkultur (Star Wars). Wir erfahren nur langsam Einblick in Rosemarys Innenwelt, auch dies passt zu dem Charakter der gezeichneten Figur. Am Anfang ist dies vielleicht etwas frustrierend, da Rosemary in der Erzählerrolle nicht auf den Punkt zu kommen scheint. Doch genau dieses sprunghafte und teilweise ausweichende macht die Erzählung auch interessant und sorgt dafür, dass man unbedingt weiter lesen möchte.

    Ich persönlich kann dieses Buch wärmstens empfehlen. Allerdings sollte man es in Ruhe und mit Zeit zum Nachdenken lesen. Denn ich empfand das Lesen als eine Art von Katharsis. Rosemary mag nach der Erzählung vielleicht immer noch die unsichere  und sozial etwas unfähige Frau zu sein, doch ich als Leser habe mich definitiv verändert. Ein gelungenes Buch, welches der heutigen Zeit auch an manchen Stellen radikal den Spiegel vorhält.

  10. Cover des Buches Weil Samstag ist (ISBN: 9783641215026)
    Frank Goosen

    Weil Samstag ist

     (50)
    Aktuelle Rezension von: Tilman_Schneider

    Ich bin kein großer Fussball Fan, aber einer von Frank Goosen. Deshalb habe ich das Buch gelesen. Gott sei Dank, denn es ist großartig! Witzig, ehrlich, Treffsicher und mit viel Augenzwinkern erzählt Goosen aus der WElt des Fussballs und reist einen einfach mit. DAnke Frank Goosen, dass ich einen anderen Samstag erleben durfte

  11. Cover des Buches Pädagogische Psychologie (ISBN: 9783642412905)
  12. Cover des Buches Saga (ISBN: 9783462401721)
    Tobias Hülswitt

    Saga

     (10)
    Aktuelle Rezension von: Holden
    Nette Geschichten aus der Kindheit und Jugend zwischen erster und dritter großer Liebe. Schön.
  13. Cover des Buches Das wilde Kind (ISBN: 9783423140652)
    T. C. Boyle

    Das wilde Kind

     (131)
    Aktuelle Rezension von: bookstories

    Auf den US-amerikanischen Schriftsteller Thomas Coraghessan Boyle, oder meist nur kurz T.C. Boyle genannt, wurde ich vor fünfzehn Jahre aufmerksam, als wir in einem Lesezirkel "Drop City" lasen, die Geschichte über eine ausgeflippte Hippie-Kommune, die in den 70er Jahren von Kalifornien nach Alaska zog, ein Roman von Boyle, bei dem es nicht wie so oft um reale Persönlichkeiten aus der Vergangenheit geht, dafür umso mehr um gesellschaftskritische Aspekte, die bei Boyle auch immer eine Rolle spielen, und um das Verhältnis des Menschen zur Natur.


    "Das wilde Kind" zog ich vor ein paar Jahren aus dem Regal in einem Gebrauchtbuchladen, weil mich einerseits der mysteriös gestaltete Buchumschlag des Carl Hanser Verlags neugierig machte (auch ein etwas handfesteres, robusteres Papier, dessen Oberkante nicht so schnell in Mitleidenschaft gezogen wird), und andererseits, was natürlich ausschlaggebend war, das Thema der Erzählung. Ich wusste nicht, dass T.C. Boyle auch kürzere Geschichten schreibt. Über hundert Kurzgeschichten sollen es bisher sein, neben seinen achtzehn bisher veröffentlichten Romanen. Ich bin kein Schnellleser, für diese sechshundert Seiten langen Wälzer brauche ich einige Tage. Vielleicht habe ich deshalb diese Erzählung den anderen Büchern T.C. Boyles vorgezogen, die ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, noch nicht gelesen habe.


    Mit "Das wilde Kind" begebe ich mich bereits auf den zweiten Lesedurchgang. Ein schmales Buch, das mich schon bei der ersten Lektüre ziemlich bewegt und zum Nachdenken angeregt hat. Wir hatten damals noch einen Hund, von dem wir uns letztes Jahr leider verabschieden mussten; er war alt und konnte seine Notdurft nicht immer zurückhalten, wenn ich nicht rechtzeitig mit ihm vor die Tür kam. Jene Stelle im Buch, wo Victor, der Junge aus dem Wald, einfach ein glänzendes Häufchen mitten ins Zimmer setzt, liess mich unweigerlich an das Verhalten unseres Hundes denken. So ist an einer anderen Stelle in der Geschichte auch zu lesen, dass das wilde Kind nicht mehr Bewusstsein besitzt als ein Hund oder eine Katze.


    Mit "Das wilde Kind" greift T.C. Boyle eine wahre Begebenheit auf und erzählt über das Wolfskind Victor von Aveyron, das 1797 in Frankreich in einem Wald bei Saint-Sernin-sur-Rance im Département von Aveyron entdeckt und fünfzehn Monate später von Jägern eingefangen werden konnte. Das Buch handelt vom Versuch der französischen Aristokratie und Wissenschaft, das Verhalten und die Anlagen des Kindes zu erforschen und es letztlich zu zivilisieren. Lange wurde für seine Erscheinung der wissenschaftliche Begriff "Juvenis averionensis" verwendet, als Untertyp des von Carl von Linné definierten "Homo ferus", lateinisch für wilder Mensch. Boyle nennt am Ende des Buches zwei Quellen, auf die er für manche Details in der Erzählung zurückgegriffen hat: "Das wilde Kind von Aveyron" von Harlan Lane und "The Forbidden Experiment" von Roger Shattuck.


    Gerade bei biografischen bzw. historischen Begebenheiten stellt sich immer die Frage, wieviel Wahrheit mit wieviel Fiktion vermischt wird. Boyle stellt auch keinen Anspruch an absolute realitätsgetreute Abbildung, obwohl er hier sehr nah an der Wirklichkeit erzählt, und preist seine Novelle, die ursprünglich Teil seines Romans "Talk Talk" werden sollte und nun als eigene Story daherkommt, als fiktionalisierte und ins Mythische überhöhte Geschichte von Victor. Das Verhältnis zur Natur, die subtile Grenze, an der sich entscheidet, wer Mensch und wer Tier ist, Geschichten, die vom animalischen Wesen des Menschen handeln, sollen Boyle schon immer fasziniert haben.


    Im Herbst des Jahres 1797, die französische Revolution tritt in seine letzte Phase, wurde im Wald eine nackte Kreatur gesichtet, ein wildes Kind, das erst im darauffolgenden Frühjahr von drei Jägern eingefangen werden kann. Es wird in das Wirtshaus des Dorfes Lacaune gebracht, wo sich die meisten Dorfbewohner einfinden und sich die mysteriöse Gestalt beschauen wollen, deren unheimliche Existenz schon seit Monaten als Legende köchelt. Die Menschen brauchen nach dem Terror des Königs den Glauben an etwas Unerklärliches, Wunderbares. Der Junge bricht in der Nacht jedoch aus der Taverne aus und kann den Jägern während den nächsten zwei Jahren immer wieder entwischen. Eine Zeit, in der sich die Kreatur als Dämon, als Geist ins Bewusstsein der Bürger einbrennt. Sie nennen ihn den Nackten, den Wilden. L’animal. 


    Ein harter Winter treibt ihn 1799 in die Hütte des Färbers Vidal. Dieser zeigt Mitgefühl, da eine Narbe am Hals des Jungen ihn an seine tote Schwester erinnert, der vor einem halben Jahrhundert dasselbe Schicksal widerfahren war. Damals schnitt man Kindern, die aus irgendeinem Grund nicht willkommen waren, im Wald einfach die Kehle durch, was dieser Wilde jedoch überlebt zu haben schien. Doch was im ersten Moment als Sympathie beginnt - der Färber versucht sich dem Jungen anzunähern und ihm Essen anzubieten, kippt Stunden später schon in Abscheu um, als der Wilde die Hütte des Färbers verwüstet und auf einer Ratte herumkaut. Vidal, dem Gerüchte über diese Kreatur zu Ohren gekommen sind, übergibt den Jungen in die Verantwortung des Regierungskommissars von Saint-Sernain, der ihn, in Begleitung einer ganzen Bürgerschar, in der Hütte des Färbers abholt.


    Kommissar Constans-Saint-Estève, ebenso Mitgefühl zeigend, aber auch Aufsehen witternd, quartiert das Kind in seinem Hause ein und unternimmt erste Annäherungsversuche, doch als in der Nacht, in der er den Wilden eingesschlossen in seinem Arbeitszimmer zurücklässt, der über dreissig Jahre alte Graupapagei der Fresslust des Wilden zum Opfer fällt, wird der Junge ins Waisenhaus nach Saint Affrique gebracht. Zwei konkurrierende Naturforscher – Abbé Roche Ambroise Sicard vom Taubstummeninstitut in Paris, und Abbé Pierre Joseph Bonnaterre, Professor für Naturgeschichte, stellen den Antrag, das Kind zu sich nehmen zu dürfen. Bonnaterre erhält den Zuschlag und ist froh, dass er den Jungen bis zum entgültigen Entscheid des Innenministers zum Studium bei sich haben darf. Der Junge zeigt erste Anzeichen der Anpassung, doch an menschliche Verhaltensweisen oder gar gesellschaftliche Gepflogenheiten ist nicht zu denken. Lange bleibt Bonnaterre im Ungewissen, ob der Junge taubstumm ist, denn auf die menschliche Sprache scheint er nicht zu reagieren. Dann bricht er wieder aus, kann am Rand des Waldes aber eingefangen werden.


    Schliesslich wird er nach Paris ins Taubstummeninstitut zum Abbé Sicard gebracht, der schon bald dem jungen und ehrgeizigen Arzt Jean-Marc Gaspard Itard die Erlaubnis erteilt, mit dem Jungen zu arbeiten. Er selbst hat ihn aufgegeben. Ein unheilbar Schwachsinniger sei er. Er habe nicht vor, seine Reputation für ein Wesen aufs Spiel zu setzen, das über weniger Verstand verfüge als eine Katze. So ist es Itard, der sich, in Zusammenarbeit mit der Frau des Hausmeisters, Madame Guérin, dem Jungen annimmt. Itard ist ehrgeizig, setzt für seine Experimente gerne Belohnungen und Strafen ein und verfolgt nicht ausschliesslich selbstlose Motive, denn wer legt nicht Wert auf gesellschaftliche Anerkennung. Eine Einladung zum Salon von Madame de Récamier sieht Itard nicht nur als grosse Chance, für Victor Fürsprache der mächtigsten und einflussreichsten Menschen Frankreichs zu erhalten, sondern auch, um selbst zu Ruhm und Anerkennung zu gelangen. Denn mittlerweile wird das Projekt vom Ministerium mitfinanziert.


    Victor wächst heran. Seine Pubertät erschwert die Arbeit, Itard ist verzweifelt, kommt an seine Grenzen. Victors Triebe, verbunden mit seiner fehlenden Scham, lassen ihn für die anderen Jungen und Mädchen des Taubstummeninstituts zur Belastung werden. Victor selbst erscheinen seine Gefühle unverständlich. Irgendwann entscheidet sich Sicard, das Projekt abbrechen zu lassen. Itard muss einen Abschlussbericht schreiben. Madame Guérin und ihrem Mann wird ein kleines Haus ausserhalb des Instituts finanziert, wo sie den Jungen zur Pflege aufnehmen sollen. Hierfür erhält Madame Guérin von der Regierung eine jährliche Rente von 150 Francs. Itard zieht sich zurück und widmet sich anderen Aufgaben, allmählich bricht der Kontakt zu Victor ab. Als Madame Guérins Mann stirbt, wird auch sie immer schwächlicher und kann sich nicht mehr um Victor kümmern. Dieser lebt in den Tag hinein, in die Jahre, kommt ohne Zuneigung in der zivilisierten Welt nicht zurecht und stirbt im Alter von vierzig Jahren.


    Die Erziehungs- und Lernresistenz des Wolfskindes stellen erst Bonnaterre und dann Itard vor die Frage, ob dessen geistige Einschränkungen eine traumatische Folge seines Überlebenskampfes im Wald sind, oder ob diese schon in seiner Veranlagung liegen. Victor kann nicht zivilisisiert werden, sein Verhalten bleibt animalisch, sein Bewusstsein ist auf eine primitive Wahrnehmung ausgerichtet. Kombinatorische, kognitive Fähigkeiten sind kaum erkennbar. Zudem beschäftigt die Frage, inwiefern der Mensch als unbeschriebenes Blatt zur Welt kommt und dieses durch Konditionierungen und Prägungen erst beschrieben wird, oder ob ein bereits vorhandene Veranlagung durch Erziehung, Kultur und Gesellschaft modifiziert wird. Sicherlich weder nur das eine oder das andere. Sicherlich findet die Wissenschaft heute zufriedenstellendere Antworten als damals in der Spätzeit der Aufklärung, wo solche Forschungsarbeiten noch Phänomene darstellten. Die Wissenschaft wird diese Frage wohl nie abschliessend beantworten können. Was die Existenz des Menschen in seiner Essenz ausmacht, kann wohl nur in spirituellen Dimensionen erfahren werden, wo solche Fragen unwesentlich sind.


    Boyles leichte und bildkräftige Sprache gefällt mir. An nur wenigen Stellen dieser in acht Kapitel eingeteilten Erzählung rutscht er in die Perspektive Victors ab, was ich als unpassend empfunden habe. Wie Victor fühlt oder wahrnimmt, von Denken kann nicht die Rede sein, kann aus der Sicht eines intellektuellen Geistes nicht beschrieben werden. Diese wenigen Stellen wiegen aber zu wenig schwer, um das Buch nicht als wunderbare Darstellung einer realen und tragischen Persönlichkeit zu geniessen, die sich selbst nicht als solche wahrgenommen hat.


    Review mit Zitaten und Bildern auf https://www.bookstories.ch/gelesenes1/das-wilde-kind 

  14. Cover des Buches Sozialisationstheorien (ISBN: 9783499557071)
  15. Cover des Buches Lebensphase Kindheit (ISBN: 9783779914884)
  16. Cover des Buches Theorien der Sozialisation (ISBN: 9783781510937)
  17. Cover des Buches Krieg und Frieden: Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie (ISBN: 9783935429504)
  18. Cover des Buches Grundwissen Sozialisation. Einführung zur Sozialisation im Kindes- und Jugendalter. (ISBN: 9783825221379)
  19. Cover des Buches Frauen und Männerin der Gesellschaft des Mittelalters (ISBN: 9783534221486)
    Cordula Nolte

    Frauen und Männerin der Gesellschaft des Mittelalters

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Heike110566
    Wie war das Leben im Mittelalter wirklich? - Auf jeden Fall war es komplexer, vielschichtiger und differenzierter als uns in der allgemeinbildenden Schule, in modernen Romanen über das Mittelalter und vielen Dokus und reißerischen Büchern suggeriert wird. Diese Vielschichtigkeit des Mittelalters kann man sich nur erschließen, wenn man tiefer in die Materie eindringt und nicht nur das als die miitelalterliche Wirklichkeit annimmt, was als Fettaugen an der Oberfläche schwimmt und einem förmlich ins Auge springt, sprich also die Herrscher und allgemein-plakative Verkürzungen. Je mehr man sich mit Details des Lebens in dieser Zeit beschäftigt, desto faszinierender wird diese Epoche, denn das Leben war von weit mehr gekennzeichnet als Kriege, Fehden, Gewalt, Scheiterhaufen oder Hexenverfolgungen. Um sich das komplexe Leben im Mittelalter zu erschließen, ist es für Interessierte sehr hilfreich, Literatur zur Hand zu haben, in der entsprechende Themen von fachkundigen Historikern aufbereitet werden. Claudia Nolte ist Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Bremen und in diesem hochinteressanten Buch widmet sie sich speziell dem Zusammenleben von Frauen und Männern in der Gesellschaft des Mittelalters, stellt also eine geschlechterdifferenzierte Betrachtung über das Dasein in dieser Epoche hier an. Dieses Buch richtet sich zwar in erster Linie an Studierende und Lehrende, aber auch für historisch Interessierte, die schon einige Grundkenntnisse zur Epoche besitzen und die mit wissenschaftlicher Lektüre, also Fachliteratur nicht in populärwissenschaftlicher Umgangssprache, sondern wissenschaftlich korrekter Sprache, vertraut sind, ist diese Veröffentlichung sehr gut geeignet und sicher auch ein großer Gewinn. Claudia Nolte betrachtet in dieser Abhandlung alle Klassen und Schichten der Gesellschaft und unterscheidet dabei stets die Rolle der Frauen und die der Männer. Dies aber nicht nur in der Form, dass jetzt auch hier wieder verkürzt wird und z. B. gesagt werden würde: Beim Adel war es so und so und beim Klerus so und bei der Bauernschaft so ... Nein, praktisch jeder relevante Lebensbereich innerhalb einer Schicht wird nochmal extra betrachtet: also Familie, Arbeitsleben, Sozialisation, Kulturleben, Religion, Bildungsmöglichkeiten ... Daneben werden verschiedene Lebenskonzepte und Leitbilder vorgestellt und daraus resultierende Normen sowie wie diese Normen dann tatsächlich gelebt wurden. Frau Nolte stellt das Zusammenleben im Mittelalter dar. Im Vordergrund steht Wissensvermittlung, nicht Wertung des Geschehenen. Es wird also nicht das Dargestellte beurteilt resp. verurteilt, wie es in sehr vielen "populärwissenschaftlichen" Veröffentlichungen im Massenbuchhandel der Fall ist und wo noch völlig unwissenschftlich unsere heutigen Wertmaßstäbe als Beurteilungsgrundlage dienen, statt im Kontext in dem sie geschahen. Dadurch gelingt es ihr, den Leser zu animieren, selber zu durchdenken, was er an umfassenden Informationen bekommen hat, sich also diesen Komplex so durch differenzierte Überlegungen wirklich zu erschließen. Dieses geballte Wissen ist detailliert, aber dennoch kompakt dargestellt. Dies macht das Buch zu einem sehr guten Wissensspeicher und zu sehr guter Einführungsliteratur in das Thema. Und dies ist auch das Ziel der preiswerten Reihe "Geschichte kompaktr" der WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt). Damit es für das Zielpublikum auch erschwinglich bleibt, wird in dieser Reihe darauf verzichtet, jede Einzelaussage der Historiker durch historische Quellen seperat zu belegen. Dafür muss man dann doch die Archive, wie z. B. Stadtarchive, Kirchenarchive usw, selbst aufsuchen, so man Zweifel hegt, ob das im Text Dargestellte so stimmt, was ja dann wieder Forschungsarbeit im oben genannten Sinne wäre, die es ja gerade zu umgehen galt, um an fundierte Informationen für ein Thema zu kommen. Was es aber gibt, ist eine sehr gut sortierte Auswahlbibliographie, die für jedes Kapitel gute weiterführende Literatur auflistet. Dieses Buch war für mich von großen Nutzen, um mich mit der Vielschichtigkeit des Lebens im Mittelalter vertraut zu machen.
  20. Cover des Buches The Filter Bubble: What The Internet Is Hiding From You (ISBN: 9780141969923)
  21. Cover des Buches Von Natur aus anders (ISBN: 9783170216259)
    Doris Bischof-Köhler

    Von Natur aus anders

     (2)
    Aktuelle Rezension von: Vyanne
    Wunderbarer Gesamtüberblick über die Unterschiede, die tatsächlich zwischen den Geschlechtern existieren und auch Gründe für ihre Existenz. Sehr leicht lesbar, zahlreiche Studienbeispiele. Differenzierte Betrachtung der Annahme, dass Geschlechtsunterschiede gesellschaftsbedingt sind.
  22. Cover des Buches Die höfische Gesellschaft. (ISBN: 9783472725541)
    Norbert Elias

    Die höfische Gesellschaft.

     (1)
    Noch keine Rezension vorhanden
  23. Cover des Buches Das Privileg (ISBN: 9783150114094)
  24. Cover des Buches Leseverhalten und Leseförderung (ISBN: 9783037550151)

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