Bücher mit dem Tag "sozialistischer realismus"

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9 Bücher

  1. Cover des Buches Der stille Don - 4 Bände (ISBN: B001GP25LU)
    Michail Scholochow

    Der stille Don - 4 Bände

     (9)
    Aktuelle Rezension von: Heike110566
    Der Don ist laut Brockhaus (Universal Lexikon in 20 Bänden, Leipzig 2007) 1870 km lang. "Der stille Don" ist etwas über 1900 Seiten lang. - Nun sagt ein solches Zahlenspiel erstmal nicht viel aus. Der Roman, der zwischen 1928 und 1940 entstand und 1953 vom Autor überarbeitet wurde, ist aber genauso facettenreich wie der Fluss, der die Lebensader für eine Vielzahl von Menschen entlang der Ufer ist, selbst. Michail Scholochow (1905-1984) schildert in diesem vierbändigen Mammutwerk das Leben der Don-Bewohner zu Beginn des vorigen Jahrhunderts bis hinein in die frühen 1920er Jahre. Insbesondere der Erste Weltkrieg sowie die Russische Revolution 1917 und deren Auswirkungen, die bis hinein in diese von Moskau und Petersburg weit entfernte Region reichten und in einem langjährigen und sehr blutigen Bürgerkrieg gipfelten, stehen im Mittelpunkt des Romans. Haupthandlungsort ist Tatarsk, ein Kosakendorf im südlichen Donabschnitt, unweit vom Mündungsdelta. Rund um die Mitglieder der Kosakenfamilie Melechow werden die vielfältigen Handlungsstränge konstruiert. Detailliert schildert Scholochow die Ereignisse, Personen, Landschaften und auch Gedanken sowie Empfindungen der handelnden Figuren. Aber der Autor bleibt nicht in dieser dramatisch-szenischen Erzählweise, sondern zieht seinen Blickwinkel immer wieder auch weiter auf, geht in den narrativen Modus über. Dabei schildert er größere Abläufe bzw Zusammenhänge, gibt erläuternde Kommentare. Durch diese Romankonstruktion ist man als Leser immer wieder neu von einem scheinbar gigantischen Spannungsbogen umfangen. Mir wurde es an keiner Stelle langweilig. Auch in der Reflexion muss ich sagen, dass ich keine Seite dieses umfangreichen Werkes missen möchte. Erzählt wird in der Draufsicht. Es handelt sich um einen heterodiegetischen Erzähler, einem der nicht zum Figurenensemble gehört. Die Protagonisten-Familie Melechow ist so angelegt, dass die Mitglieder nicht nur auf Grund ihrer Charaktere Stoff liefern für die Geschichten, sondern auch die unterschiedlichsten politischen Positionen sind hier vertreten. Dadurch werden die Ereignisse nicht eingleisig dargestellt. Das Warum? dieser oder jener so und nicht anders in einer bestimmten Situation handelt, rückt immer wieder in das Blickfeld. Dadurch kann man als Leser sich auch immer wieder hineinversetzen in die jeweilige Figur. Natürlich gibt es sehr viel Gewalt in diesem Romanwerk. Erster Weltkrieg, Russische Revolution 1917 und der anschließende Bürgerkrieg sind Ereignisse, denen sich keine Kosakenfamilie entziehen konnte und die daher auch im Leben der Menschen eine große Rolle spielten. Daneben gibt es aber das sogenannte normale Leben ebenfalls en masse mitzuerleben. Selbst die Liebe, sowohl mit ihren positiven als auch negativen Erscheinungen, kommt keineswegs zu kurz. Der Leser lernt so nicht nur geschichtliches kennen, sondern auch die Lebensweise, Bräuche, Riten und religiösen Vorstellungen der Menschen am Don des frühen 20. Jahrhunderts. Die hier vorliegende Ausgabe aus dem DDR-Verlag Volk und Welt ist die 7. Auflage aus dem Jahre 1954. Die Edition erfolgte nach der Romanfassung, die zwischen 1928 und 1940 entstanden ist. 1953, nach dem Tod Stalins, überarbeitete Scholochow seinen Roman. Diese Veränderungen sind in dieser Ausgabe nicht berücksichtigt. Während in der Sowjetunion nach Stalins Tod eine kritische Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Staatschef begann, fand diese in der DDR ja nicht statt. Von daher verwundert es nicht, dass der Roman in der ursprünglichen Fassung weiterhin veröffentlicht wurde. Wie aber bereits erwähnt, stellt Scholochow die Ereignisse weitestgehend nur aus der Beobachterperspektive dar. Aber es gibt, insbesondere im letzten Band, auch Stellen, wo er sich einfach positionieren musste, so vermute ich. Betrachtet man die Spanne, in der dieses Werk entstand, dann muss man wissen, dass zu jener Zeit auch die Divergenzen innerhalb der Kommunisten zunahmen. Auf der einen Seite stand das Lager um Stalin, auf der anderen die Linke Opposition um Leo Trotzki, der schließlich 1940, dem Jahr der Fertigstellung des Band IV, im mexikanischen Exil im Auftrage Stalins ermordet wurde. Es überrascht daher nicht, dass Stalin als Heilsbringer betrachtet wird, während Trotzki, der Gründer der Roten Armee und Chefunterhändler der Revolutionsregierung bei den Friedensvertragsverhandlungen zwischen Deutschland und Russland in Brest-Litowsk, als Versager dargestellt wird. Zu Stalin heißt es: "Seitdem Genosse Stalin an der Südfront eingetroffen war und der von ihm vorgeschlagene Plan zur Zerschlagung der Konterrevolution im Süden (Vormarsch nicht durch das Dongebiet, sondern durch das Donezbecken) zur Verwirklichung gelangte, hatte sich die Lage an der Südfront radikal geändert." (Band IV, S. 257) Und zu Trotzki: "Die verderblichen Auswirkungen der Niederlagenstrategie Trotzkis zeigten sich allmählich in vollem Maße: ..." (S. 230) "Der stille Don" ist ein faszinierendes Werk. Die gigantische Länge des Romans sollte niemanden abschrecken das Buch zu lesen. Scholochow ist ein herausragender Erzähler, der 1965 auch den Nobelpreis für Literatur, meiner Meinung völlig zu recht, bekam. Seine Erzählweise ist fesselnd und so ist das Werk, trotz des Umfangs, dennoch zügig gelesen.
  2. Cover des Buches Spektrum der Literatur. (10. Themabd.) (ISBN: 9783570089354)
  3. Cover des Buches Die Entscheidung (ISBN: 9783423615778)
    Anna Seghers

    Die Entscheidung

     (3)
    Aktuelle Rezension von: Heike110566
    Der Nazismus ist geschlagen, Deutschland in vier Besatzungsmächte geteilt. Auch der Konzern Bentheim ist von den Folgen der neuen Gliederung betroffen. Ein großes Werk liegt in Kossin, in der sowjetischen Besatzungszone, andere in den westlichen Besatzungszonen, wie das in Hardenberg. Das Werk in Kossin wird zum Volksbetrieb. Aber der Neubeginn ist schwierig, denn noch nie zuvor lag die Kontrolle über das Unternehmen in den Händen der Belegschaft. Sie muss dafür sorgen, dass der Betrieb läuft, aber die Erfahrung und auch die Kenntnisse fehlen, was zu Problemen führt. In den Westbetrieben hingegen läuft die Produktion unter der Ägide der alten Eigentümer wieder an. Und dies erfolgreich, weit erfolgreicher als im Kossiner Werk. Die Entwicklung der Jahre 1945 bis 1951 rund um die Unternehmen der Bentheims bilden den Handlungsrahmen für diesen Roman. Den personellen Rahmen bildet aber die Geschichte der drei Interbrigadisten des Spanien-Krieges Robert Lohse, Richard Hagen und Herbert Melzer, die zwar die Gemeinsamkeit des Widerstandes gegen den Franco-Faschismus verbindet, die aber danach doch recht unterschiedliche Wege genommen haben. Während Robert nur einfacher Schlosser in Kossin geworden ist, ist Richard kommunistischer Parteiarbeiter geworden und Herbert lebt als Schriftsteller und Journalist in den USA. Ein großer Teil des Romans sind Gespräche. Man lernt dabei die unterschiedlichsten Denkansätze kennen. Und es wird klar dabei auch, dass durchaus gar nicht unbedingt die Arbeiter in ihrer Gesamtheit so begeistert sind, dass sie nun die Eingentümer und Verantwortlichen der betriebe sind. Nach dem Motto "Schuster, bleib bei deinen Leisten" hat ein teil nicht das Zutrauen, dass sie die alten Herren ersetzen können. Sie wissen, dass sie arbeiten, hart arbeiten können, aber sie sind eben keine Strategen und großen Denker. Und viele sind auch frustriert: sie arbeiten unermüdlich, aber ihre Situation verbessert sich kaum. Ein besonderer Rückschlag kommt hinzu, als ein erheblicher Teil der Führung des Kossiner Volksbetriebes in den Westen geht. Anna Seghers glorifiziert nicht das Leben in der SBZ und in der daraus entstehenden der DDR. Vielmehr zeigt sie, wie schwierig es ist, die Menschen für die neuen sozialistischen Ideen zu gewinnen. (Dieses Problem blieb ja bis zum Ende der DDR 1989/90: der Großteil der Bevölkerung wollte einfach nur leben, sah sich nicht im Klassenkampf mit der Bourgeoisie. Und die Vordenker der Arbeitermacht waren leider oftnicht in der Lage, die Menschen argumentativ zu gewinnen, sondern versuchten es mit anderen, mit dirigistischen und repressiven Mitteln, was natürlich Unmut und Opposition hervorruft.) Und auch die Mangellage im Lebensstandard der Menschen in der SBZ und der DDR wird von der Autorin benannt und zudem kontrastiert durch die bessere Situation in den Westzonen und der späteren BRD. Sozialistischer Realismus, als künstlerischer Grundlagenbegriff, bedeutet nicht die Verherrlichung des Sozialismus und der DDR, wie heutzutage oft behauptet wird. Vielmehr, und dies wird einem klar, wenn man sich etwas intensiver mit diesem literarischen Epochenbegriff auseinandersetzt, dass es sich um eine bestimmte Erzählweise handelt, in der zB die einfachen Menschen (Arbeiter usw) im Mittelpunkt stehen, deren Lebenssituation erzählt wird: Menschen, die durchaus nicht immer heroische Übermenschen sind, Menschen, die Fehler machen, Menschen, die nicht das Leben einer abgehobenen fernen Schicht führen, sondern die Welt der Leser. Und da dies nunmal das Leben in der sozialistischen Gesellschaft war, sind solche Romane natürlich auch davon geprägt. Und viele der literarischen Werke, so auch dieses, sind dabei von einer großen Realität gekennzeichnet. Anna Seghers (1900-1983) ist eine herausragende Dichterin. Ihr Schreibstil ist von einer großen Poesie, was den Roman auch zu einen Lesegenuss macht. Hier mal als Abschluss zwei Beispiele: 1. "Es war Abend geworden. Er schlenderte in den Straßen umher. Das Gewimmel schluckte sein einzelnes Leben." 2. "Der Krieg hat auch in diese Stadt gehörig hineingebissen."
  4. Cover des Buches Erik Neutsch Spur des Lebens (ISBN: 9783360019851)
    Klaus Walther

    Erik Neutsch Spur des Lebens

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Heike110566
    Er wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht Ende 1945 für neun Monate in einem NKWD-Gefängnis gefangen gehalten. Seine Romane "Spur der Steine" (1964), mit einer halben Millionen Exemplaren einer der meistverkauften Romane der DDR, und "Auf der Suche nach Gatt" waren zeitweilig verboten. Und dennoch: Erik Neutsch hat nichts von jenen Autoren, die sich nach der sogenannten Wende im Herbst 1989 als Dissidenten präsentierten. In dem Protokoll einer Plenarsitzung der ehemaligen Akademie der Künste der DDR, die nunmehr nach dem Anschluss der DDR an die BRD Akademie der Künste (Ost) sich nannte, hieß es: "'Auch Erik Neutsch erklärte seine Bereitschaft, seine Mitgliedschaft zur Disposition zu stellen, nicht zur Disposition stellte er sich als marxistischer Schriftsteller.'" (in diesem Buch, S. 166) - Natürlich war damals sein Schicksal in der Akademie besiegelt. Neutsch ist ein Mann, der zu sich steht, der sich nicht verbiegt und nicht einfach anpasst, nur um seine Bücher zu verkaufen. Das war in der DDR so und dies ist heute nicht anders. Er ist Kommunist, mit jeder Faser seines Körpers. Weil er aber immer auch Mißstände und Fehlentwicklungen im real existierenden Sozialismus der DDR in seinen Büchern anprangerte, sprach man ihn auch nach dem 40. Jahrestag der DDR an, auf der Montagsdemo in Halle, analog zu Kurt Masur in Leipzig, als Prominenter zu reden. Dies lehnte er, trotz aller Kritik, die er selber an dem real existierenden Sozialismus hatte, ab, weil sein Instinkt ihm sagte: "daß die Republik, die - trotz allem! - nach meiner Ansicht bisher größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung, bis in die Grundfesten zerstört werden würde, wenn sie einmal ins Wanken geriete." (S. 174) Seine Kritik an den Verhältnissen in der DDR richtete sich nicht gegen die DDR als solches, sondern die Diskrepanz zwischen real existierendem DDR-Sozialismus und den sozialistischen Idealen. Er sah die Revolution in der DDR auf halber Strecke stehengeblieben und mahnte so in seinen Werken, dass die Revolution noch lange nicht vollendet ist. Seine kritischen Worte sollten den Sozialismus voranbringen und nicht destabilisieren. "In meinen Augen hat die DDR, der zum ersten Mal in der tausendjährigen Geschichte Deutschlands staatlich gewordene Versuch, eine Gesellschaft ohne Banken und Monopole, Hochadel und Großgrundbesitzer und deren Macht- und Militärapparat zu errichten, womit die Quellen für Ausbeutung und Kriege trockengelegt wurden, eine ähnliche große Bedeutung wie die frühbürgerliche Revolution zu Beginn des 16. Jahrhunderts mitsamt den Bauernkriegen und der Reformation. Was auch damals folgte, weiß man ja. Nach der Niederschlagung der Aufstände 'für nichts als die Gerechtigkeit Gottes', wie auf den Fahnen der Bauern zu lesen war, die blutigste Rache der Fürsten, die Restauration und die Gegenreformation. Wie sich jedoch gezeigt hat, ist diese Art zu denken vielen Leuten zu anstrengend gewesen. Danach zu leben erst recht." (S. 88f.) Er sah im Herbst 1989 die DDR nicht als gescheitert, sondern als ein Land, das eher wieder animiert werden müsste, auf dem Weg seiner Ideale wieder zurückzukehren. Ich bin seit vielen Jahren eine begeisterte Leserin der Bücher des Autors. "Der Friede im Osten" hat es mir besonders angetan. Dieser Romanzyklus, der stark autobiographisch geprägt ist, war von Anfang an auf sechs Bücher angelegt. 1974 erschien das erste Buch, Titel "Am Fluß", und 1987 das vierte Buch mit dem Titel "Nahe der Grenze", welches bislang auch das letzte Buch des Zyklus war. Ich bedauerte dies sehr und hatte mich gedanklich schon damit abgefunden, dass die Lebensgeschichte um Achim Steinhauer unvollendet bleibt. Aber auch da steht Neutsch zu dem einmal Gesagten. Der Zyklus ist auch weiterhin auf sechs Bücher angelegt und derzeit arbeitet der Autor an dem fünften Buch und auch das Konzept des sechsten steht bereits. Erik Neutsch ist ein faszinierender Mann. Sein Engagement für die Interessen der einfachen Menschen, die auch immer Haupthandlungsträger in seinen Geschichten sind, ist für mich in dieser Form einmalig. Mit großem Interesse las ich daher diese Biographie und erfuhr so die Hintergründe, warum Neutsch der ist, der er ist. Über anderthalb Jahre hat Klaus Walther immer wieder Gespräche mit dem Schriftsteller, der vor wenigen Monaten 80 Jahre alt wurde, geführt. Diese Interviews kann man nun in diesem Buch nachlesen. Die Gespräche sind sehr interessant. Nicht nur inhaltlich betrachtet, sondern auch in Form und Sprache und damit Verständlichkeit auch für den Leser. Es ist kein hochtrabendes intellektuelles Geschwafel. Erik Neutsch ist zwar ein renommierter, sehr beliebter Schriftsteller der DDR gewesen, aber er ist deshalb nicht abgehoben. Er kam als Arbeiterkind aus der einfachen Bevölkerung und er ist auch als Autor auflagenstarker Romane seiner Klasse treu geblieben. So wie seine Romane von einer in einer einfach gehaltenen Sprache, aber dennoch sehr großer Ausdrucksstärke geprägt sind, so ist auch der Ton in diesem Buch. Allen Neutsch-Mögern sei dieses Buch daher anempfohlen. Seine Bücher werden so noch um einiges verständlicher. Aber auch Leuten, die den Autor bislang nicht kennen, sich aber für deutsche Geschichte interessieren, ist dieses Buch anzuraten. Seit dem Anschluss der DDR an die BRD wird zwar viel über die DDR geredet und man könnte denken, dass schon alles gesagt ist, nur eben nicht von jeden, aber im Rampenlicht der Diskussion um dieses Thema gelangen fast nur die, die Extrempositionen, in die eine oder die andere Richtung, vertreten. Neutsch betrachtet die DDR zwar auch marxistisch und so könnte man dazu neigen, dass auch er in dieses Schema passt, aber er betrachtet sie sehr differenziert. Und das ist nach wie vor etwas besonderes. Die Interviews sind so ein empfehlenswertes, facettenbereicherndes zeitgeschichtliches Mosaiksteinchen in der DDR-Betrachtung.
  5. Cover des Buches Forschungsfeld Realismus. Theorie, Geschichte, Gegenwart. (ISBN: B0026OH164)
  6. Cover des Buches Der Granatapfelbaum, der Kirschen trägt (ISBN: 9783423138123)
    Er Li

    Der Granatapfelbaum, der Kirschen trägt

     (3)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer
    „Die Welt ist verkehrt, ja verkehrt ist die Welt. / Der Granatapfelbaum trägt Kirschen. / Das Häschen hockt friedlich beim Hunde und bellt, / Das Mäuschen die Katze im Maule hält.“ Als Doudou, die kleine Tochter der Dorfvorsteherin Kong Fanhua diesen Kinderreim vor sich hin singt und die Mutter ihr dabei zuhört, ahnt Fanhua noch nicht, dass in den kommenden Tagen und Wochen ihre Welt tatsächlich gehörig auf den Kopf gestellt wird. Es stehen nämlich Wahlen an, doch eigentlich macht Fanhua sich darüber keine allzugroßen Sorgen, denn ihr fällt kein Grund ein, aus dem sie nicht wiedergewählt werden sollte. Plötzlich muss sie jedoch erfahren, dass Xuedai, eine der Bäuerinnen aus ihrem Dorf schwanger ist – und sie hat bereits zwei Kinder (noch dazu Töchter!). Das stellt den Geburtenplan des Dorfes gehörig auf den Kopf, und ein Rüffel diesbezüglich von höherer Stelle aus der Partei könnte Fanhua ihre Wiederwahl kosten. Gemeinsam mit den Mitgliedern des Vorstandskomitees, macht sich Fanhua daran, Xuedai von einer Abtreibung zu überzeugen, doch weder Versprechungen noch Drohungen zeigen Erfolg. Damit nicht genug, wissen auch auf einmal eine Menge Leute an höherer Stelle von dem Problem und machen Fanhua Druck. Zu allem Überfluss zeichnet sich dann auch noch ab, dass ihre Wiederwahl nicht nur durch Xuedais Bauch in Frage gestellt wird – es scheint ganz so, als strebten gleich mehrerer ihrer Komitee-Mitglieder nach höheren Aufgaben und würden bei der kommenden Wahl gegen sie antreten.

    Der Granatapfelbaum, der Kirschen trägt ist noch viel mehr als die Geschichte einer Dorfvorsteherin, die sich auf die kommende Wahl vorbereitet. Es ist nämlich ein erstaunlich offener und kritischer Blick auf das gegenwärtige ländliche China, und das allgegenwärtige Thema der Geburtenkontrolle macht das Buch in meinen Augen zu schwerem Tobak. In diesem Falle steht Abtreibung nicht für die Selbstbestimmung der Frauen, sondern ist ein politisches Werkzeug. Familienplanung ist ein Staatsakt, und wer sich nicht an die vorgegebenen Zahlen hält, schadet nicht nur seiner Familie wegen hoher Strafzahlungen, sondern dem Dorf, dem Landkreis, dem ganzen Land: „Die Familienplanung ist nicht nur eine Frage des Unterleibs, sie steht ebenso in Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Lage unseres Landes und dem Lebensstandard der Bevölkerung. Sie ist für das Versiegen der Ressourcen, für die Erderwärmung und eine ganze Reihe anderer Probleme von großer Bedeutung.“

    Wie es mit Fanhuas politischer Karriere weitergeht, verliert anhand solcher Aussprüche beinahe an Bedeutung, besonders weil Li Er nicht nur sehr offen über Chinas Familienplanung (und die Abneigung gegen Töchter) spricht, sondern auch, ganz nebenbei, sehr viele Gelegenheiten wahrnimmt, um auf Korruption und Selbstbereicherung innerhalb der Partei hinzuweisen. Hier scheint er kurzzeitig den Faden der Geschichte verloren zu haben, doch bald schon nimmt er ihn wieder auf und schlägt einen gekonnten Bogen zu Fanhuas Wahlkampf und der Wahl selbst, deren Ausgang dann einen noch tieferen Blick in das chinesische Landleben zulässt.

    Der Erzählstil ist zunächst gewöhnungsbedürftig - ungewohnte Namen und lange Dialoge über Alltagsdinge benötigen ein wenig Zeit. Wer sich jedoch hineingefunden hat, wird mit einem hochinteressanten Einblick in das chinesische Dorfleben belohnt, mit einer gesellschaftskritischen Geschichte, die teilweise parabelhafte Stellen aufweist.

    Diese Rezension wurde auch auf lesemanie.com veröffentlicht.
  7. Cover des Buches Ankunft im Alltag (ISBN: 9783746640419)
    Brigitte Reimann

    Ankunft im Alltag

     (22)
    Aktuelle Rezension von: Lesewesen

    1961 erschien dieser Roman, der von drei Abiturienten erzählt, die vor ihrem Studium ein Jahr im Kombinat »Schwarze Pumpe« arbeiten. So unterschiedlich ihr Background ist, so verschieden sind auch ihre Beweggründe, dieses praktische Jahr zu absolvieren. Recha wuchs in einem Kinderheim auf, nachdem ihre jüdische Mutter von den Nazis hingerichtet wurde, ihren Vater kennt sie kaum. Curt »mit C« kommt aus einer wohlhabenden Familie, sein Vater ist oft abwesend, die Mutter möchte gern zur Oberschicht gehören, Geldsorgen kennt Curt nicht. Nikolaus’ Vater, ein alter Sozialdemokrat, besteht darauf, seinem Sohn all das zu ermöglichen, wozu er selbst keine Chance hatte. Letztlich sollen sich die drei aber ihre Hörner abstoßen, um das harte Arbeitsleben kennenzulernen. Sie begegnen sich am allerersten Tag an der Bushaltestelle, und beide Jungs verlieben in das »Mahagonimädchen« mit den »ägyptischen Augen«. Recha kann sich mit ihren 17 Jahren für keinen entscheiden, Nikolaus ist ihr zu schwerfällig, Curt zu selbstverliebt.
    Ihre Bühne ist die „modernsten Brikettbude von ganz Europa“, ein Braunkohlewerk, das in nur vier Jahren aus dem Boden gestampft wurde. Der Arbeitsalltag ist hart, die Männer sind ruppig, derb aber echte Kumpels. Reimann schafft es, eine genaue Stimmung von der Riesenbaustelle zu schaffen. Ich spürte regelrecht den matschigen Boden, hörte die lauten Maschinen, aber spürte auch die Emotionen der Figuren. Die Autorin lässt uns hinter deren Fassade blicken, zeigt uns ihre Lebensumstände, ihren harten Job, ihren Willen, sich auch im Alter noch fortzubilden. Ihr Brigadeführer Hamann schafft es immer wieder, die Truppe zusammenzuhalten, Außenseiter zu integrieren, sie zu Sonderschichten zu motivieren. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die DDR-Wirtschaft in den 60ern noch stark vom Westen abhängig war und Materialknappheit an der Tagesordnung war.

    Thematisiert hinter der Liebesgeschichte, die typisch für das Alter reichlich verwirrt erscheint, ist aber der Aufbau des Sozialismus. Ich finde, das ist Reimann in allen Facetten gelungen, auch Kritik an vielen Stellen anzubringen, die man heute sicher anders bewertet als damals. Sicher war das Ziel, eine neue, junge Generation heranzuziehen, die sich für die Gemeinschaft einsetzt, ihr eigenes Streben unterordnet zum Wohl aller. Doch gerade an den einzelnen Figuren sieht man, dass die einen für mehr Prämien schuften und die anderen den Sinn der Gemeinschaft längst erkannt haben. Eine großartige Charakterstudie und ein brillantes Zeitzeugnis, das alle begeistern wird, die sich für die DDR-Geschichte interessieren.
    Im Gegensatz zu »Die Geschwister«, das ja ein Highlight für mich war, habe ich hier ein paar Kritikpunkte. Reimann experimentiert hier mit der Perspektive, sie springt oft vom personalen zum allwissenden Erzähler, um die Hintergründe der Charaktere für den Leser sichtbar zu machen, was mich aber in keiner Weise gestört hat. Allerdings lässt sie die Figuren reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das verdeutlicht natürlich die Herkunft und den oft rauen Umgang der Arbeiter untereinander, war aber mit der Zeit sehr ermüdend. Damit bleibt dieses Buch hinter ihren Tagebüchern und »Die Geschwister« etwas zurück.

  8. Cover des Buches Kulturnation Deutschland? (ISBN: 9783955140038)
    Peter Michel

    Kulturnation Deutschland?

     (3)
    Aktuelle Rezension von: hans-kahle
    Worum es geht? Die „Streitschrift wider die modernen Vandalen“ setzt sich erst einmal überhaupt damit auseinander, was man als Kultur-“Vandalismus“ verstehen sollte. Das Herumtrampeln der vermeintlichen „Sieger der Geschichte“ auf den Werte der Besiegten. Ob nun die alten Ägypter oder Römer die Monumente ihrer Vorgänger schleiften, um sich selbst zu erheben, ob die Nazis Bücher verbrannten, die DDR Schlösser und Kirchen und historische Stadtkerne entwertete oder vernichtete oder die heute Herrschenden die Aussagen der DDR-Kunst so bedrohlich erscheinen, dass die Kunstwerke verschwinden müssen – alles belegt die Menschheits-Unreife. Logischerweise kommen die aktuellen Schandtaten besonders schlimm vor, weil sie Werte einfach aus dem Grund politischer Delegitimation vernichten. Eine Kulturlandschaft wird zerschlagen. Nicht alle Beispiele finde ich stark. Es dürfte aber jeder die ihn besonders schockierenden finden. Wehren wir uns! Angeblich sind wir ein Land von Dichtern und Denkern … Die Gliederungsüberschriften sprechen Bände: Gegen den objektiv-realen Nebel Eine Typologie des Vandalismus Unbequeme Wahrheiten Recht und Gesetz Eine Spur der Schande Dummheit entschuldigt nichts Antisemitismus – maskiert, aber erkennbar Beschlussgetreu und demokratisch in die falsche Richtung Es geht auch anders Kultur statt Gewalt
  9. Cover des Buches Aspekte der Kunst (ISBN: 9783875010602)
    Eva M. Kaifenheim

    Aspekte der Kunst

     (1)
    Aktuelle Rezension von: Merithyn
    Für Kunstinteressierte die sich einen Überblick machen wollen oder aber auch ihr Kunstverständnis vertiefen wollen, ebenso für Schüler ein wunderbares Buch. Das Buch ist in drei Abschnitte zu teilen. Im ersten Teil werden wichtige Vorraussetzungen für das Kunstverständnis erörtert, wie die Kreativität, die Farbenlehre etc., außerdem ist er mit dem zweiten und dritten Teil ("Stilgeschichte der Malerei" und "Stilgeschichte der Architektur und Plastik") durch Querverweise verbunden. In den beiden stilgeschichtlichen Teilen übermittelt uns die Verfasserein in erster Linie ein vertieftes Kunstverständnis. Es geht hierbei nicht um die Vollständigkeit des Wissens, was das Buch sehr übersichtlich bleiben lässt. Hierbei kann es natürlich auch vorkommen, dass einige Künstler bestimmter Epochen nicht erwähnt oder erläutert werden. So vermisse ich persönlich Alfons Mucha als Vertreter des Jugendstils. Trotzdem ist das Buch sehr empfehlenswert, besonders für die Abiturvorbereitungen in Kunst. Zu weiteren Erklärungen von Kunstbegriffen befindet sich ein "erklärendes Fachwortverzeichnis" im Anschluss an den dritten Teil.
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