Bücher mit dem Tag "staatswesen"

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7 Bücher

  1. Cover des Buches Herr der Fliegen (ISBN: 9783104915715)
    William Golding

    Herr der Fliegen

     (873)
    Aktuelle Rezension von: bookstories

    "Herr der Fliegen", im Originaltitel "Lord of the Flies", ist ein Klassiker der Weltliteratur. Es war William Goldings erster Roman, nachdem er 1934 mit Gedichten an die Öffentlichkeit trat und erst zwanzig Jahre später Romane zu schreiben begann. Noch einmal dreissig Jahre später wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Golding hat neben ein paar Essays insgesamt neun Romane geschrieben, 1993 starb er im Alter von 82 Jahren. Seine poetische Ader findet auch hier in "Herr der Fliegen" ihren Durchschlag - mit Recht wird auf der Rückseite meiner ex libris Ausgabe von 1983 eine Kritik der Frankfurter Allgemeine Zeitung angeführt, dass Poesie und bittere Wahrheit selten so eins sind wie in diesem Buch. Dieser Roman kann nicht besprochen werden, ohne das Ende zu erwähnen, ohne zu spoilern, denn schon im Klappentext des Buches, wenn man ihn denn vorher lesen möchte, wird auf die Absicht des Autors und den Ausgang der Geschichte hingedeutet. 


    Ich hatte mit der Lektüre kurz vor unserem lange ersehnten Wellness-Weihnachtsurlaub begonnen und den Grossteil des Buches dann im Hotel bei tiefster Entspannung gelesen. Auf dem Nachtisch lagen während diesen Tagen noch drei weitere Romane, die ich mitgenommen hatte, da ich glaubte, zum Lesen endlich genügend Zeit zu finden. Meine Besprechungen wollte ich dann später zuhause schreiben, doch nach der Lektüre von "Herr der Fliegen" konnte und wollte ich kein anderes Buch mehr lesen. Die Geschichte hat mich am Ende sehr nachdenklich gestimmt, obwohl sie mich in der ersten Hälfte nicht wirklich begeistern konnte. 


    Warum nicht? Immer wieder fragte ich mich bis zur Mitte, was mich denn stört, was mich davon abhält, tief in den Schauplatz auf dieser einsamen Insel einzutauchen. Gewiss liegt es nicht an der Erzählkunst des Autors, seiner wundervollen poetischen, imposanten und bildkräftigen Sprache, wenn er Landstriche der Insel beschreibt, Naturstimmungen, Formulierungen benutzt, die ich so noch nie gelesen habe, die aber einprägende Bilder entstehen lassen und den Leser unmittelbar in die Wildnis, in dunklen Dickicht, an Palmenstrände in grünem Licht, prallgefüllte Fruchtbäume, tiefblaue Lagunen, rote Klippen und Felsformationen, warme Tümpel, weissen Sand und Gischt umschäumte Meeresbrandungen führt. Allein das ist schon die Lektüre wert. 


    Auch liegt es nicht am Erzähltempo, das mir nicht langsam genug sein kann, wenn es darum geht, Atmosphäre zu schaffen. Selbst für Dialoge und das Befinden seiner Protagonisten nimmt der Autor sich Zeit, obwohl viele Dialoge und Gedankengänge mitten im Satz abbrechen. Er interessiert sich für seine Figuren, arbeitet sie sorgsam heraus, schildert eindrücklich, wie Abgeschiedenheit, Isolation und Angst mehr und mehr an den Kindern nagt und ihnen Grenzen, Struktur und Ordnung der Erwachsenenwelt zu fehlen beginnen. Vielleicht ist genau das der Grund. Ich frage mich, ob es dem Autor tatsächlich gelungen ist, aus der Perspektive und Innenschau von Sechs- bis Zwölfjährigen zu schreiben. Dass Erwachsene in entsprechenden Situationen anders handeln oder denken oder sprechen würden, darüber besteht kein Zweifel. Aber es ist mir nicht gelungen, mich aufgrund von Goldings Schilderungen permanent in die Kinder hineinzuversetzen. Mag sein, dass dies an meinem eigenen Unvermögen liegt. Allerdings - wenn die Geschichte dem Ende zugeht, scheint der Leser immer mehr zu vergessen, dass hier Kinder die Hauptrolle spielen, und nicht wild gewordene Erwachsene. Doch dies scheint so gewollt zu sein und macht am Ende das Verstörte der Geschichte aus, und deren Botschaft. 


    "Herr der Fliegen" wurde ein paar Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Faber and Faber Verlag London veröffentlicht und erlangte, nachdem zuerst etliche Verlage den Roman abgelehnt hatten, vor allem in Grossbritannien und Amerika grosses Aufsehen. Das Buch erreichte Millionen von Lesern. Übertragen für den S. Fischer Verlag hat Hermann Stiehl, der auch spätere Romane Goldings ins Deutsche übersetzte. Als Vorwort ist dem Roman ein Zitat aus Goethes Faust vorangestellt, worin Mephistopheles spricht, und das auf das Teuflische hindeutet. Er sei der Geist, der stets verneint, und dass alles, was entstehe, zurecht zugrunde gehe, und gibt sich als das eigentliche Element zu erkennen, das der Mensch Zerstörung nennt, das Böse. Auch ist in dem Zitat vom Fliegengott die Rede. 


    Ich habe mich vor der Lektüre öfter gefragt, wer mit "Herr der Fliegen" eigentlich gemeint ist - und wie dieses Vorwort schon andeutet, kann von einem Gleichnis, einer symbolischen Umschreibung der finsteren Urkraft, des animalischen, zerstörerischen Urtriebs ausgegangen werden. Dies wird speziell im achten Kapitel deutlich (Golding benutzt Kapitelüberschriften), das den eigentlichen Titel "Der Herr der Fliegen" trägt. Ein aufgespiester Schweinekopf und die herumliegenden Gedärme des abgeschlachteten Schweins ziehen Fliegen an, die sich auf die grinsende Todesfratze setzen. Der Schweinekopf, eine Opfergabe für ein erdachtes Tier, das die Kinder auf der Insel bedrohen soll, beginnt mit Simon, einem der Jungen, stumm zu sprechen - ein Ausdruck von Angst, die sich in dem Jungen auf diese schwarzmagische okkulte Weise offenbart. 


    Wovon handelt die Geschichte? Eine Gruppe von Schuljungen zwischen sechs und zwölf Jahren strandet nach einem Flugzeugabsturz auf einer unbewohnten Insel und muss mit der nackten Natur und ihrer eigenen "Nacktheit" zurechtkommen. Dass Krieg herrscht in der übrigen Zivilisation und ihre Maschine abgeschossen wurde, darf der Leser annehmen. Die Erwachsenenwelt bleibt aussen vor und mit ihr auch alle Gesetze, Strukturen und Ordnungen der Grossen. Zwei Jungen lernen sich gleich zu Beginn kennen, Ralph und Piggy, die unterschiedlicher nicht sein können. Sie finden ein Muschelhorn, dessen Klang eine ganze Horde von Kindern aus dem Dickicht lockt. 


    Mit diesem Horn als Signal beschliesst Ralph, Versammlungen durchzuführen und einen Anführer zu bestimmen - der Beginn rivalisierender Verhaltensmuster und Egoansprüche, die sich durch das ganze Buch ziehen. Denn für Ralph, ein eher instinktiv handelnder Junge, der als Anführer gewählt wird, hat das Anhalten eines grossen Höhenfeuers und das Bauen von Hütten erste Priorität. Er strebt nach Sicherheit und will von der Insel weg. Sein Gegenspieler Jack findet nur Gefallen am Jagen von Schweinen, die sie auf der Insel entdeckt haben. Ihn kümmert die Rettung nicht, die Jagd macht ihm Spass, und nicht nur das Fleisch, das es zu essen gibt, treibt ihn an, auch die Lust am Töten. Was allen Kindern gemein ist, und die Kleinen leiden am meisten darunter, ist die Angst vor der Dunkelheit auf der Insel. Nachts werden sie von Alpträumen geplagt, und man beginnt sich einzureden, von einem unbekannten, auf der Insel hausenden Tier bedroht zu werden. 


    So verdrängen unterschiedliche Motivationen und vor allem die Machtansprüche seitens Jack ein geordnetes Zurechtkommen auf einer Insel, die alles bietet. Piggy, der kleine Dicke mit Brille ist in diesem Buch der schüchterne Vertreter der Vernunft und des logischen Denkens, doch er wird von niemandem angehört, nicht einmal dann, wenn er als Sprecher in einer Versammlung das Muschelhorn im Arm trägt. Nur seine Brille findet Nutzen - als Brennglas, um Feuer zu entfachen. Als Jack sich mit ein paar anderen von der Gruppe absetzt, beginnt der Kampf um Nahrungsbeschaffung, Feuerbesitz und Macht zu eskalieren. Am Ende ist es Ralph, der gejagt wird, und keine Schweine mehr. Eine beklemmende Vorstellung, wenn man bedenkt, dass es sich bei den Protagonisten nicht um gewalttätige Erwachsene handelt, sondern um zwölfjährige Kinder. Am Ende bringen sie es fertig, eine paradiesische Insel in Schutt und Asche zu legen. 


    Die Geschichte der Jungengruppe auf der einsamen Pazifikinsel soll ein Gleichnis sein für die Botschaft, dass die Gebrechen der Gesellschaft auf die Gebrechen der menschlichen Natur zurückzuführen sind. Der Einzelne in seinem Widerstand gegen die Barbarei entscheidet über das Ethos der Gemeinschaft, wie Golding es selbst formuliert hat. Dass der Mensch in seinem tiefsten Innern grundsätzlich zerstörerisch ist, bezweifle ich allerdings. Es gibt eine Sequenz im Buch, wo der Autor die Machtlust bereits beim Spielen eines Sechsjährigen aufflammen lässt. Dem Kleinen bereitet es Freude, kleine Tierchen, die mit der Flut an den Strand gespült werden, in mit Wasser gefüllten Rinnen und Fussstapfungen gefangen zu halten. Golding schreibt, seine Hingabe an dieses Spiel sei mehr als blosses Glücksgefühl, als der Kleine spürt, dass er über lebende Wesen gebieten kann. Mag sein, dass dies dem Menschen eigen ist. Was das menschliche Bewusstsein in jedem Fall von jenem des animalischen unterscheidet, ist die Fähigkeit, zu denken. Dies kann zur Meisterschaft führen, doch ebendiese Identifikation mit dem Denken stärkt das Ego, das den Menschen ins Leid und Verderben stürtzt.


    Review mit Zitaten und Bildern auf https://www.bookstories.ch/gelesenes1/herr-der-fliegen 

  2. Cover des Buches Der Fürst (ISBN: 9783868202687)
    Niccolò Machiavelli

    Der Fürst

     (71)
    Aktuelle Rezension von: Stephanus

    Machiavelli beschäftigt sich in seinem kleinen Büchlein vorrangig mit den Fragen Macht und Herrschaft. Von diesen beiden Grundpfeilern entwirft er, durch Vergleiche seine Vorstellung einer "idealen" Fürstenherrschaft, d.h. wie ein Fürst möglichst beschaffen sein sollte, um eine langlebige und dauerhafte Herrschaft aufbauen und erhalten zu können. Dabei sind nicht nur eine einzige Tugend vonnöten, sondern eine Vorausschauen aber auch ein große Energie, gepaart mit Glück. Der zentrale Begriff der "virtú" kommt hier zu tragen.

    Mit seiner Schrift hat Machiavelli einen wichtigen Baustein gesetzt, ist aber oft auch falsch verstanden worden, da sein weiteres Werk, die "Discorsi" einfach ausgeblendet werden. Nach meiner Meinung müssen aber beiden zusammen betrachtet werden, um einen Eindruck vom Denken von Machiavelli zu erhalten. Stilistisch ist das Buch gut geschrieben und leidet natürlich unter der Übersetzung (aber kein Vorwurf an den Übersetzer). Die italienische Sprache ist einfach deutlich Nuancenreicher als die Deutsche.

    Ein Klassiker, von dem Leser jedoch enttäuscht sein werden, die sich bereits zu viele der modernen Machiavelli-Ratgeber zu Gemüte geführt haben.

     

  3. Cover des Buches Imperium (ISBN: 9783453419353)
    Robert Harris

    Imperium

     (241)
    Aktuelle Rezension von: Thilo-Hoettges

    Marcus Tullius Cicero war ein Hansdampf in allen Gassen. Ein Politiker, ein Philosoph, Jurist, Autor. In der Rennaisance hätte man ihn ein Universalgenie genannt. Und doch war Kichererbse, so sein Spitzname übersetzt, ein typisches Kind seiner Zeit.

    Von Robert Harris kannte ich vorher das Alternativwelt Buch "Vaterland", das mir sehr gefallen hat. Und seinen "Pompeii"-Roman, der mich nicht ganz so fesselte. Als ich las, dass er einen weiteren Roman über die Römerzeit geschrieben hat, war ich neugierig. Dabei hat mich "Imperium" beim ersten Lesen vor Jahren anfangs nur bedingt gepackt. Es ist eben sehr politisch, sehr viele Figuren, der Aufstieg des Helden geht nur langsam von statten. Und Cicero ist bei aller Genialität auch nicht immer nur sympathisch. Zum Glück wird die Handlung aus der Sicht seines Sklaven geschildert, der für mich viel zugänglicher war. Eigentlich wollte ich "Titan" danach nicht lesen, habe es aber doch. Und am Ende sogar auch noch "Dictator"!

    Zuerst erschien mir das etwas trocken. Heute weiß ich warum es mir trotzdem sehr gefallen hat. Denn imgrunde erzählt diese Triologie vom Zusammenbruch eines Gemeinwesens durch Korruption und Lügen. Von einer massiven Krise der Demokratie, wie wir es jetzt auch leider haben! Als hätte der Engländer Harris ein Jahrzehnt vor Brexit geahnt, was kommt. Und das hat etwas Zwingendes, was reinzieht. So kann man die Cicero-Wälzer allen empfehlen, die sich für Politik interessieren, man muss dafür nicht zwingend Römerfan sein, nur etwas Ausdauer bzw. Sitzfleisch mitbringen.

  4. Cover des Buches Utopia (ISBN: 9783717524564)
    Thomas Morus

    Utopia

     (128)
    Aktuelle Rezension von: derbuecherwald-blog

    Vollständige Rezension: http://derbuecherwald.blogspot.com/2020/08/rezension-utopia.html

    "Utopia" ist auf jeden Fall ein etwas anspruchsvollerer Klassiker. Denn Thomas Morus Beschreibung von Utopia ist nicht gerade spannend und ereignisreich. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich einiges daraus mitnehmen konnte und mich diese Lektüre angeregt hat, über viele politische und menschliche Eigenarten nachzudenken.


    Anfangs war ich etwas von dem trockenen und ereignislosen Schreibstil enttäuscht, weil ich eher einen Reisebericht ähnlich zu Gullivers Reisen erwartet hatte. Mit dieser Erwartung war der detailreiche Bericht, den ich stattdessen bekam, natürlich ernüchternd. Als ich mich jedoch damit abgefunden hatte, habe ich gemerkt, dass Morus Roman viele interessante Gedankenspiele enthält und manchmal sogar modern wirken konnte, etwa wenn er von Gleichberechtigung spricht. Daher würde ich dieses Werk als interessante und bildende Lektüre bezeichnen, aber nicht als besonders leicht zu lesen und würde es vor allem allen empfehlen, die sich für Politik und Staatssysteme interessieren.


    Die Ausgabe des Manesse Verlags ist natürlich wieder schön gestaltet und so handlich, dass ich das Buch, während ich es gelesen habe, überallhin mitnehmen konnte. Das Nachwort habe ich diesmal als etwas kryptisch empfunden und war meiner Meinung nach nicht so hilfreich zum weiteren Verständnis des Romans, wie ich mir erhofft hatte.

  5. Cover des Buches Der Staat (ISBN: 9783050054537)
    Platon

    Der Staat

     (30)
    Aktuelle Rezension von: itwt69

    Jetzt ist es also doch passiert: mein erstes abgebrochenes Buch - ich habe mich ein paar Stunden gequält und es dann glücklicherweise aufgegeben. Aus mir wird wohl kein altgriechischer Philosoph mehr... Komplizierteste Sätze reihen sich fast nahtlos aneinander, dass einem schon nach kurzer Zeit der Kopf schwirrt . und wozu? Nur um zu begründen, ob Gerechtigkeit der Ungerechtigkeit über,- oder unterlegen ist? 

  6. Cover des Buches Die Himmelsscheibe von Nebra (ISBN: 9783548061160)
    Harald Meller

    Die Himmelsscheibe von Nebra

     (15)
    Aktuelle Rezension von: U_Vollmer

    Das Buch ist sehr gut geschrieben und vermittelt den Lesern den Eindruck, Archäologen bei der Arbeit über die Schulter zu gucken.

    Mißtrauisch wurde ich das erste Mal, als mir auffiel, daß ein (populär-)wissenschaftliches Werk gänzlich auf Fußnoten verzichtet. Dann stellte ich fest, daß etliche der im Anhang aufgeführten Werke nur irgendwie die Bronzezeit behandeln. Danach folgte die Erkenntnis, daß die metallarchäologischen Untersuchungen lediglich den Befund "antik" -- d.h. in der Altertumsforschung: aus der Zeit vor dem Untergang des Weströmischen Reichs (476 n. Chr.) -- hergibt.

    Ein Beispiel für die Suggestionskraft der Autoren:

    Kapitel 21 -- "Armeen der Bronzezeit". 

    Aus allen möglichen Epochen der Bronzezeit und quer über Europa verteilt gibt es Hortfunde von Bronzebeilen und -dolchenin den unterschiedlichsten Stadien der Bearbeitung.. Nach dem Stand der Wissenschaft handelt es sich dabei um "Rohstoffdepots", d.h. von Händlern  mit dem Hintergedanken, den Inhalt zu verkaufen oder einzuschmelzen angelegt und dann aus den verschiedensten Gründen vergessen.  Wenn man bedenkt, daß die Ausgangsmaterialien für Bronze nur an wenigen Orten vorkommen und das Metall praktisch ohne Verluste wiederverwertbar ist, dürfte so etwas die gängige Praxis gewesen sein.

    Dann wird auf einen Hortfund näher eingegangen. 98 Beile und zwei Dolche als -- Achtung! -- Gußrohlinge, Gewicht etwa 25 kg. Es folgt eine knappe Darstellung des Standes der Wissenschaft (s.o.)

    Aber dann werden auf einmal, ohne konkrete Grundlage, Armeen herbeiphantasiert. Zitat: "Der Fund (...) brachte uns auf eine ganz andere, eine ganz banale Idee: nämlich die, daß diese Beile vor allem das sind, was sie sind: Beile, also Waffen (...) drängt sich eine einfache Deutung auf: Bei dem Haus handelte es sich um die Unterkunft oder den Versammlungsort der Männer, deren Waffen dort deponiert waren. Aus der Ethnologie kennen wir vielerorts Männerhäuser (...)" Es folgen Rechenbeispiele über die Bettengröße in Bundeswehrkasernen, Mutmaßungen über die Stabdolche als Offiziersinsignien usw.  Das liest sich sehr gut. Aber nüchtern betrachtet entpuppt sich das als wilde Spekulation ohne (archäo-)logische Beweise.

    Erstens werden in keiner Armee der Welt die Waffen zerlegt und vor dem Tor verbuddelt, weil das offensichtlicher Blödsinn wäre.

    Zweitens handelt es sich bei allen Funden um Geräte mit unterschiedlich starken Abnutzungserscheinungen bis hin zu halbfertigen Produkten -- eben die oben genannten Gußrohlinge.  

    Drittens wird dann mal eben mit großem Tamtam aus der angeblich bei allen Funden identischen Anzahl der  Beile und Dolche eine in "Centurien" von je 98 Soldaten und zwei Offizieren aufgeteilte "Armee" errechnet. Nur um anschließend kleinlaut zuzugeben, daß Anzahl und Verhältnis der Objekte bei anderen Hortfunden eben doch nicht passen. Die grandiose Erklärung: "Manches Beil blieb in der Erde, war vielleicht schon früher gefunden worden oder wurde als Souvenir behalten(...)"

    So kann man natürlich auch die Existenz von fliegenden Untertassen und kleinen grünen Männchen begründen: "Keine Beweise? Macht nichts, wir haben eben noch nicht genug gesucht oder sie sind geklaut worden."

    Dann wird doch tatsächlich  eine etwa um 1300 v.Chr. im mehrere hundert Kilometer entfernten Tollensetal geführten Schlacht als "Beweis" für die Existenz mehrerer mitteleuropäischer Großreiche gewertet. Ebenso wie die Plünderung Roms durch die Gallier (387 v.Chr.) und die Wanderung der Kimbern und Teutonen (113 -- 101 v.Chr.).

    Daß letztendlich weder ein räumlicher noch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen und dem einen Hortfund, auf dem das ganze Phantasiegebilde beruht, besteht, wird von den Autoren natürlich übergangen.

    Dieses Kapitel bietet ein perfektes Beispiel für die Arbeitsweise der Autoren: Ausgehend von einem realen Objekt wird der Konsens der Archäologie durch eine "einfache/banale Überlegung" beiseite gewischt, anschließend wild drauflosspekuliert und zur Untermauerung der These (und um die Leser einzulullen) wahllos in der ganzen Weltgeschichte nach angeblichen Parallelen gesucht.


    Aber  auch das spärliche Literaturverzeichnis ist Augenwischerei:

    Die angegebenen Internetlinks führen ins Leere.

    Die vor mittlerweile fast 15 Jahren angekündigte wissenschaftliche Gesamtpublikation über die Objekte liegt immer noch nicht vor.

    Die angeblichen Beifunde, die nebenbei bemerkt der einzige Grund für die Datierung der Scheibe in die Bronzezeit sind,  können nicht als zusammengehörender Fund  nachgewiesen werden. U.a. wurde ein Meißel fälschlicherweise als Schwert bezeichnet (weil sonst die "Paartheorie" zusammenbricht).

     Die anhaftenden Erdreste gehören zu dem  in Mitteleuropa am häufigsten vorkommenden Bodentyp und sind keineswegs als Beweis für den Fundort Mittelberg geeignet.

    Die beiden Raubgräber widersprechen sich über die Position der Scheibe (waagerecht oder senkrecht). Diese wurde außerdem nachweislich bereits vor Jahrzehnten durch einen Baumpflug beschädigt und verlagert. usw. usw.

    Last but not least ist der Landesarchäologe Meller Spezialist für die provinzialrömische Kaiserzeit. (Überspitzt gesagt: das wäre so, als ob ein Fachmann für klassische chinesische Literatur zusammen mit einem Journalisten ein Sachbuch über die Echtheit des Nibelungenliedes schriebe.)

    Fazit: Das Verhalten der beteiligten Wissenschaftler und Journalisten erinnert fatal an den "Piltdown-Schädel", die "Vinlandkarte" und andere Fehlinterpretationen, bei denen die Archäologen in die Irre geführt wurden, weil der angebliche Sensationsfund so schön in ihr Weltbild paßte. Ein einziger Bluff.

    (Aber als Beispiel für viel Lärm um Nichts durchaus unterhaltsam.)

  7. Cover des Buches Karl Marx - Friedrich Engels. Studienausgabe in 5 Bänden / Philosophie (ISBN: 9783746681252)

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