Bücher mit dem Tag "tschechoslowakei"

Hier findest du alle Bücher, die LovelyBooks-Leser*innen mit dem Tag "tschechoslowakei" gekennzeichnet haben.

121 Bücher

  1. Cover des Buches Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (ISBN: 9783596510979)
    Milan Kundera

    Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

     (1.159)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer

    Milan Kunderas "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" manifestiert sich als ein meisterhaftes Werk, das nicht nur den politischen Rahmen des Prager Frühlings einfängt, sondern auch tief in die Essenz menschlicher Gefühle eindringt. Diese Erzählung entfaltet sich als eine Symphonie von Leben und Liebe, durchtränkt von einer atmosphärischen Brillanz, die selbst den anspruchsvollsten Leser fesselt.

    Kundera webt die Charaktere in ein psychologisches Gewebe, das die Vielschichtigkeit menschlicher Emotionen auf einzigartige Weise enthüllt. Tomas, Teresa, Sabina und Franz werden zu lebendigen Gefährten auf einer Reise durch die Abgründe ihrer eigenen Seelen. In der geschickten Darstellung ihrer Ambivalenzen und inneren Kämpfe erkennt man Kunderas meisterhafte Fähigkeit, das Emotionalste im Menschen zu erforschen.

    Die Erzählstruktur, die narrative Geschicklichkeit mit philosophischer Tiefgründigkeit verbindet, fordert intellektuell heraus, ohne dabei die emotionale Resonanz zu vernachlässigen. Kundera platziert die Schicksale seiner Charaktere in einem philosophischen Kontext, der existenzielle Fragen hervorruft und den Leser dazu inspiriert, über die eigene Existenz nachzudenken. Diese Kombination aus persönlicher Geschichte und philosophischer Reflexion erzeugt eine kraftvolle emotionale Wirkung.

    Kunderas Sprache, präzise und dennoch poetisch, verleiht dem Text eine Eleganz, die die Gefühlswelt der Geschichte subtil einfängt. Die Nuancenreichtum seiner Prosa ermöglicht es, komplexe Gedanken und Gefühle mit einer Intensität zu vermitteln, die den Leser berührt und mitnimmt. Die emotionale Tiefe, die in jeder Zeile schwingt, spricht direkt zum Herzen.

    Die thematische Vielfalt des Romans, von der Liebe bis zu den politischen Intrigen, wird mit einer bemerkenswerten Ausgewogenheit behandelt. Kundera umgeht geschickt jegliche Simplifizierung und erlaubt dem Leser, in den vielfältigen Facetten menschlicher Existenz zu schwelgen, ohne dabei die emotionale Verbindung zu verlieren.

    "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" ist nicht nur ein literarisches Meisterstück, sondern auch eine emotionale Reise. Milan Kundera hat ein Werk geschaffen, das nicht nur den Verstand anspricht, sondern auch das Herz tief berührt. In diesem Buch verschmelzen literarische Genialität und emotionale Resonanz zu einem unvergesslichen Leseerlebnis, das die zutiefst menschlichen Aspekte der Existenz feiert.

  2. Cover des Buches Pavel und ich (ISBN: 9783865326737)
    Sandra Brökel

    Pavel und ich

     (14)
    Aktuelle Rezension von: parden

    EIN ERSTAUNLCH PERSÖNLICHES BUCH...

    Zwei Länder, zwei Generationen und zwei völlig verschiedene Menschen. Die Autorin Sandra Brökel ist ein Adoptivkind, auf der Suche nach ihren Wurzeln. Bei ihren Recherchen zum Thema stößt sie schließlich auf ein Buch aus den 1960ern. Autor ist der Prager Kinderarzt und Psychiater Dr. Pavel Vodák. In ihrer Kollegin und Freundin Paula entdeckt sie viele Jahre später überraschend Pavel Vodáks Tochter. Und nicht nur das: Paula hütet das Lebenswerk ihres Vaters, ein umfangreiches Manuskript. - Sandra Brökel zeigt eindrucksvoll, auf welch außergewöhnliche Weise zwei Menschenleben miteinander verbunden sein können. Ein bewegendes Buch über die Suche nach der Bedeutung von Heimat und dem eigenen Seelenfrieden. 

    Dieses Buch entstand nach dem erfolgreichen Roman "Das hungrige Krokodil" und erzählt von den Hintergründen der Entstehung besagten Romans. Erwartet hatte ich, von Begegnungen zu lesen, von einer umfassenden Recherchearbeit, vom Schreibprozess. Nun ja, diese Erwartungen wurden durchaus erfüllt - aber anders als vermutet.

    Sandra Brökel scheut sich nicht, sich als Autorin und vor allem als Mensch mit in die Erzählung einzubeziehen. So erfährt der Leser einiges aus ihrem aktuellenLeben,  aber auch manches aus ihrer Vergangenheit - als adoptiertes Kind hat sie sich spät auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern gemacht und sie auch gefunden. Diese Begegnungen verliefen teilweise erfreulich, z.T. aber auch enttäuschend - und haben doch allesamt dafür gesorgt, dass die Autorin ihre Wurzeln fand und dadurch im Leben mehr zur Ruhe kam.

    Auf den Arzt Pavel Vodák stieß Sandra Brökel erstmals im Rahmen ihrer Suche nach Literatur über adoptierte Kinder und deren Eltern. Leider waren die Bücher, die der Prager Arzt zu diesem Thema verfasst hatte, ausschließlich auf Tschechisch, so dass sich Sandra Brökel anderen Arbeiten zuwandte. Durch einen großen Zufall erfuhr sie Jahre später, dass ihre beste Freundin und Kollegin die Tochter ausgerechnet dieses Arztes war. 

    Auch die Freundin, Pavli, Paula, Paulchen genannt, hatte mit dem Thema "Entwurzelung" zu kämpfen und alte Verletzungen aufzuarbeiten - schließlich floh Pavel Vodák 1970 mit seiner Familie aus der Tschechoslowakai nach Deutschland und entriss das Kind dem, was es bis dahin selbstverständlich als Heimat angesehen hatte. Und im Rahmen der gemeinsamen Aufarbeitung von Pavlis nicht einfacher Lebensgeschichte überließ diese der Autorin schließlich einen Koffer voller Dokumente: die Aufzeichnungen Pavel Vodáks über sein Leben. 


    "Oft frage ich mich: Sind es meine Gedanken oder Pavels? Es war sein Leben. Auf gewisse Weise verschmelzen wir in dem Buch, seine Gedanken tragen jetzt meine Handschrift." (S. 121)


    In einfacher Sprache aber dennoch eindringlich und stellenweise auch sehr berührend schildert Sandra Brökel ihre Verbundenheit mit dem Prager Arzt Pavel Vodák sowie mit seiner Tochter Pavli bis zu deren plötzlichem Tod. Sie schildert Episoden gemeinsamer Vergangenheitsrecherche, die Spurensuche in Prag, Begegnungen mit Menschen und vor allem Empfindungen. Die Stimmung in einem bestimmten Café in Prag, die Kreativität und Hartnäckigkeit bei der Suche nach Originaldokumenten, die Verbundenheit der Autorin auch zu der Stadt Prag selbst - all dies fließt wie nebenher ein.

    Die Verquickung der Erzählung rund um den Entstehungsprozess des Romans mit persönlichen Anteilen der Autorin hat mir sehr gut gefallen. Keine Nabelschau, glücklicherweise, sondern gerade die richtige Dosis, um deutlich zu machen, wie hilfreich und notwendig es für Sandra Brökel war, genau diesen Roman "Das hungrige Krokodil" zu schreiben - und wie anstrengend. Nach gerade einmal zehn Wochen war der gesamte Roman beim Verlag, eine unglaubliche Leistung.


    "Pavel Vodák träumte zu Lebzeiten von einem Buch über sein Leben, hautnah erlebte europäische Geschichte. Nicht, um sich als Schriftsteller zu profilieren, sondern um eine Botschaft zu verbreiten. (...) Ich lernte viel über Mut und Geduld, über Schuld und Verzeihen." (S. 128)


    Wer den Roman "Das hungrige Krokodil" liest (unbedingt empfehlenswert!), der sollte sich im Anschluss mit diesem ergänzenden Buch belohnen. Hier erfährt der Leser wissenswerte Hintergründe, taucht tiefer in einige Details des Romans ein und gibt der Perspektive der Tochter von Pavel Vodák Raum, was das Bild letztlich rund macht.

    Für mich eine lohnenswerte Lektüre...


    © Parden

  3. Cover des Buches Die Toten Hosen (ISBN: 9783499630033)
    Philipp Oehmke

    Die Toten Hosen

     (49)
    Aktuelle Rezension von: Radermacher

    Locker geschrieben und amüsant, hat mich das Buch sehr gut unterhalten. Sprachliche Feinheiten habe ich nicht erwartet, ebenso wenig Tiefgang. Dennoch gab es einige emotionale Kapitel, die auch zum Nachdenken anregten. Insbesondere die Schilderung des Todesfalles auf dem "1.000 Konzert" und der Reisen in die DDR und hinter den eisernen Vorhang.

  4. Cover des Buches Eine Liebe in Prag (ISBN: 9783458360612)
    Jean-Michel Guenassia

    Eine Liebe in Prag

     (9)
    Aktuelle Rezension von: leselea

    Manche Autoren haben das Glück bzw. das Talent, mit ihrem Erstlingswerk Leser und Literaturbetrieb gleichermaßen zu begeistern. Der Roman wird dann auf diversen Long- und Shortlists verzeichnet, erhält vielleicht sogar einen der begehrten Preise und darf sich auf einschlägigen Plattformen über hervorragende Rezensionen freuen. Das zweite Buch des gleichen Autors kann dann nur mit besonderer Spannung erwartet werden: Erfolgt der Sprung vom literarischen Strohfeuer zum Dauerbrenner? Lassen sich thematische Schwerpunkte oder eine große Vielfalt im Inhalt ausmachen? Kristallisiert sich ein Stil heraus oder gibt es vom ersten zum zweiten Buch schon eine markante Entwicklung? Und vor allem: Kann das zweite Buch den hohen Erwartungen gerecht werden?

    Bei Jean-Michels Guenassias Roman Eine Liebe in Prag fällt das Urteil leider eindeutig aus: Kann es nicht! Guenassias erster Roman Der Club der unverbesserlichen Optimisten, 2009 mit dem Prix Goncourt des lycéens ausgezeichnet, hat Millionen Leser verzaubert – auch mich. Ich habe das Werk für seine eindringliche Atmosphäre, die historischen Bezüge, die Entwicklungsgeschichte und die nicht zu leugnende Spannung geliebt und zwar so sehr, dass es seitdem im Regal für die Lieblingsbücher sein Zuhause hat. Doch alles, was das Debüt hatte, geht dem zweiten Roman leider völlig ab: Die Sprache ist hölzern und steif, sodass sich keine Stimmung einstellen will; die Figuren bleiben unscharf und fremd, sodass ihr Schicksal mir egal bleibt; die Handlung ist ohne Ziel, ohne Spannung, sodass mich die Lektüre leider zum größten Teil langweilte.

    Dabei sind die Startbedingungen – wie so häufig – gut: Erzählt wird von Josef Kaplan, einem tschechischen Juden und Mediziner, der in den 1930er Jahren vor den Nazis erst nach Paris, dann nach Algier flieht, um schließlich nach dem Krieg wieder in seine Heimat zurückzukehren. Kaplan ist also eine Figur, die maßgeblich von den Zeitumständen des 20. Jahrhunderts betroffen ist – doch davon merkt man beim Lesen nichts. Das historische Weltgeschehen nimmt zwar seinen kontinuierlichen Lauf, ist aber nur oberflächlich mit den Figuren verbunden oder, schlimmer noch, wird in seiner Bedeutung erzählerisch nicht richtig eingefangen. Es wird trocken, beinahe nacherzählend und abhandelnd in die Geschichte eingespeist, man kann die Fakten aufnehmen und verstehen, aber man „lebt“ und „fühlt“ sie nicht mit den Figuren. Der Niederschlag des Prager Frühlings? Das Leben unter der tschechoslowakischen Geheimpolizei? Prinzipiell spannende Themen, die man aber hier achselzuckend hinnimmt, für schlimm erachtet und sie doch zwei Seiten später wieder vergessen hat.

    Überhaupt bleibt wenig haften von dieser Geschichte, was auch an der nicht vorhandenen Struktur liegt. Es gibt zwar immer wieder so etwas wie Kapitelanfänge oder klar voneinander getrennte Absätze, auch wird der Roman insgesamt in zwei große Teile unterteilt; doch diese Einteilung kommt einem willkürlich vor, nicht immer erschließen sich diese gesetzten Sinnabschnitte. Diese Fahrigkeit in Kombination mit der fehlenden inhaltlichen Dichte führt leider schnell zu der Frage, was man hier eigentlich liest und warum gerade diese Geschichte erzählt wird. Da hätte es sicherlich spannendere historische oder literarische Figuren gegeben, deren Lebensgeschichte man in den Mittelpunkt eines Romans hätte stellen können!

    Hin und wieder blitzt zwar das Erzählkönnen Guenassias auf, das ich in Der Club der unverbesserlichen Optimisten noch so bewundert habe. Zudem erweist sich überraschenderweise das Ende als sehr gelungen, umso mehr da intertextuelle Bezüge zum Debüt angedeutet werden. Insgesamt ist Eine Liebe in Prag aber das klassische enttäuschende Buch, das auf einen weltweiten Bestseller folgt. Um meine Niedergeschlagenheit zu verarbeiten, muss ich jetzt dringend Der Club der unverbesserlichen Optimisten noch einmal lesen!

  5. Cover des Buches Das Buch der lächerlichen Liebe (ISBN: 9783596113071)
    Milan Kundera

    Das Buch der lächerlichen Liebe

     (109)
    Aktuelle Rezension von: Anna625

    "...und plötzlich schien ihm, dass im Grunde genommen alle Menschen nur zerflossene Linien auf Löschpapier waren, Wesen mit auswechselbaren Positionen, Wesen ohne feste Substanz; was aber schlimmer, noch viel schlimmer war: er selbst war auch nur ein Schatten all dieser Schattenmenschen, denn er hatte ja seine ganze Vernunft nur dazu verwendet, sich ihnen anzupassen."

    "Das Buch der lächerlichen Liebe" besteht aus sieben Kurzgeschichten. Diese werden lose miteinander verbunden, stehen jedoch in keinem festen Zusammenhang miteinander. Gelegentlich erhält der Leser das Gefühl, Figuren aus einer der vorherigen Geschichten wiederzuerkennen - sicher ist dies jedoch fast nie, bleiben die Protagonisten doch weitestgehend namenlos. Eines haben allerdings alle der Geschichten gemein: Sie tasten sich von verschiedensten Seiten über verschungene Pfade alle an das selbe Thema heran: an, wer hätte es gedacht, die Lächerlichkeit der Liebe. Die wirkliche Skurrilität und Absurdität wird in jeder Geschichte deutlich, führt letztendlich zu einem Gesamteindruck, der beinahe schon das Gefühl einer gewissen Nichtigkeit der Liebe zurücklässt.

    Der Schreibstil ist durchaus gehoben, manchmal poetisch, dennoch gleichzeitig oft nüchtern von außen betrachtend bis hin zu den Leser amüsiert und verschwörerisch einbeziehend. Man könnte also sagen, dass allein schon der außergewöhnliche Sprachstil mein Leseinteresse erweckt hat, lässt er sich doch insgesamt wirklich angenehm lesen. Auch die Länge der einzelnen Geschichten ist gut gewählt, und beides gemeinsam, Länge uns Stil, ermöglicht es, schnell das Interesse an und Mitgefühl für die gerade handelnden, durchweg sehr nachvollziehbar gezeichneten  Personen zu erwecken.

    Ich habe eine Weile gebraucht, um zu erkennen, was der Autor mit dem Buch insgesamt gesehen aussagen möchte. Die Geschichten für sich genommen, okay, verständlich, die Erkenntnis der "Gesamtbotschaft" stellte sich bei mir jedoch erst nach einer ganzen Weile ein und ist auch jetzt nach dem Lesen noch schwer in Worte zu fassen, weshalb ich an diese Stelle lieber darauf verzichte. 

    "Das Buch der lächerlichen Liebe" ist auf jeden Fall ein Buch, das es verdient, gelesen zu werden, und das vielleicht manchmal erfordert, sich zum Dranbleiben zu überreden (insbesondere eben aufgrund der Frage, worin die Gesamtaussage denn nun betseht), was sich letztendlich aber lohnt, da es zweifellos nachdenklich stimmt, wenn man ihm nur die Gelegenheit dazu lässt.

  6. Cover des Buches Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag (ISBN: 9783596189762)
    Jan Faktor

    Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag

     (22)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer

    INHALT: Dieser Apparat, von dem gleich zu Beginn und auch später immer wieder die Rede ist, gehört Georg, der inmitten einer bunten Schar von Tanten und Großmüttern im Prag der 1950er und 60er aufwächst. In dieser östrogengeschwängerten Atmosphäre voller unbehandelter Kriegstraumata und verqueren Regeln tut er sich mit dem Erwachsenwerden sichtlich schwer. Hinzu kommt der gesellschaftliche und politische Zerfall der Tschechoslowakei in den wirren Zeiten des Prager Frühlings, der ihm zusätzlich die Illusionen nimmt. Georg weiß nicht so recht, wohin im Leben. Er weiß nur eins: Er muss raus aus der Prager Enge. Als er alt genug ist, flieht Georg in die slowakischen Berge und führt dort eine Art Einsiedlerexistenz, doch die familiären Bande reichen auch bis in den letzten Winkel der Republik und ziehen ihn nach einer kurzen Zeit der Freiheit zurück in den Sippensumpf.

    FORM: Jan Faktor (*1951) versammelt in diesem Erinnerungsroman eine nicht enden wollende Zahl von Anekdoten und Charakteren, schreibt mit ungebremster Fabulierwut und würzt alles mit einem gehörigen Schuss Humor. Die Spanne der Gefühlsregungen beim Leser reicht dabei weit: Wenn man sich über die brutalen Sitten unter den Müllmännern von Prag noch vor Lachen auf die Schenkel klopft, vergeht einem Spaß bei den überaus genauen und zahlreichen Beschreibungen diverser Körperöffnungen. (Man liest aber doch begierig – es ist wie ein Unfall.) Spätestens jedoch bei den Erinnerungen der Frauen an das KZ Groß-Rosen entsteht zwischen all den saftigen Zoten eine unerwartete Tiefe, die betroffen macht. Im letzten Viertel zieht der Autor bei einer Reise Georgs mit seiner Mutter zu ihren alten Leidensorten und durch das sächsische Hinterland nochmal alle Register der Schreibkunst – meines Erachtens der stärkste Teil des Romans.

    Faktor deckt also alle Ansprüche an einen Roman ab, den man gemeinhin als gelungen bezeichnen möchte, verzettelt sich aber in der puren Masse, die er seinem Leser zumutet – nach der letzten Seite ist man so voll, dass einem beim bloßen Gedanken an einen Nachschlag schlecht werden kann. Das Ende ist dann auch eher ein Abbruch der Anekdoten als ein klassisches Beenden irgendeines Handlungsbogens, worüber ich, erschöpft und satt, nicht traurig war.

    Eins jedoch ist unbestreitbar: Jan Faktor ist ein stilsicherer Satiriker, der auf hohem Niveau ein Sittengemälde einer ganzen Epoche einfangen kann. Ein Blick in die Bibliografie Faktors verrät, dass ihn sein Alter Ego Georg schon seit mehreren Jahr(zehnt)en begleitet. Vielleicht folgt ja irgendwann eine Fortsetzung über die Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs; ich würde, auch mit dem Ausblick auf schmerzendes Völlegefühl, wieder zugreifen.

    FAZIT: Dies war meine zweite Lektüre dieses Brockens von einem Roman und ich gestehe: Ich hatte im Vorfeld gehörigen Bammel, gepaart mit einer gewissen Unlust, weil ich wusste, was mich erwartet. Beim ersten Durchgang vor etwa fünf Jahren war ich ähnlich begeistert, aber auch ähnlich gemästet. Ich wollte für meine dbp-Shortlist-Challenge aber keine Rezension aus der Erinnerung zaubern, also nochmal ran den Schinken. Mein Urteil lautet somit (damals wie heute): Schwer verdaulich aber lesenswert – 4 Sterne.

    *** Diese und viele weitere Rezensionen könnt Ihr in meinem Blog Bookster HRO nachlesen. Ich freue mich über Euren Besuch ***

  7. Cover des Buches Das Buch vom Lachen und Vergessen (ISBN: 9783596197408)
    Milan Kundera

    Das Buch vom Lachen und Vergessen

     (58)
    Aktuelle Rezension von: mabo63

    "Ich gehe jetzt mit einem Mädchen, das heisst mit einer Frau. Sie ist die Frau eines Metzgers".

    Das gefiel Goethe, und er lachte sehr freundschaftlich.

    Sie verehrt Sie. Sie hat mir eines Ihrer Bücher gegeben, damit Sie ihr eine Widmung hineinschreiben".

    "Geben Sie her" sagte Goethe und nahm dem Studenten den Gedichtsband aus der Hand. Er schlug ihn auf der Titelseite auf und fuhr fort " Erzählen Sie mir von ihr. Wie sieht sie aus? Ist sie schön?

    Im Angesicht Goethes konnte der Student nicht lügen. Er gestand dass die Metzgersfrau keine Schönheit war. Zudem sei sie lächerlich angezogen. Sie sei den ganzen Tag durch Prag spaziert, mit grossen Korallen um den Hals und schwarzen Abendschuhen, wie man sie schon lange nicht mehr trage.

    Goethe hörte dem Studenten mit aufrichtigem Interesse zu und sagte wehmutsvoll "das ist wunderbar"

    [...] "Wie gut ich Sie verstehe" sagte Goethe. "Gerade solche Details sind es, schlecht gewählte Kleider, ein kleiner Mangel am Gebiss, eine bezaubernde Spontaniät der Seele, die eine Frau wirklich und lebendig machen"


    aus der Kurzgeschichte 'Lítost' welche es mir sehr angetan hat.

  8. Cover des Buches Der Held von Madrid (ISBN: 9783990293362)
    Markéta Pilátová

    Der Held von Madrid

     (2)
    Aktuelle Rezension von: awogfli
    Eine grandiose Kurzgeschichte zu schreiben, beziehungsweise einen Kurzroman, wie er hier von der Autorin und dem Verlag genannt wird, halte ich persönlich für eine weitaus größere Herausforderung, als einen normalen Roman zu verfassen. Eine ausreichende Figurenentwicklung auf wenigen Seiten zu betreiben und den fokussierten Plot spannend und überraschend zu gestalten, ist meiner Meinung nach extrem schwierig. Markéta Pilátová ist dies aber so hinreißend gelungen, dass ich Euch „bedauerlicherweise“ schon wieder mit einem meiner Buchstoffhöhepunkte 2019 „belästigen“ muss.

    Da Tschechien ja gerade Gastland der Leipziger Buchmesse war, wurde es ohnehin Zeit, mich mal mit moderner zeitgenössischer tschechischer Literatur abseits der üblichen Verdächtigen zwei Ks – Kafka und Kundera – zu beschäftigen, zumal die Grenze zum literarisch mir relativ unbekannten Nachbarland ja nur exakt 76,8 km von meiner Haustüre entfernt liegt (meine restliche Familie wohnt teilweise weniger als 1km von der Grenze entfernt im nördlichsten Waldviertel). Ich glaube, es geht vielen von uns so, dass wir Tschechien heutzutage literarisch bisher fast nicht wahrgenommen haben, das haben Leipzig und zumindest bei mir auch meine EU-Autorinnenchallenge heuer maßgeblich geändert, und das hat sich so was von gelohnt, dass es eine Freude ist.

    Aber worum geht es eigentlich in diesem von mir so euphorisch gelobten Kurzroman?
    In zwei Erzählsträngen – der Vergangenheit und Gegenwart – wird die Geschichte von Frantisek Rek aufgerollt, der von Hitler die Nase voll hat und etwas gegen die Nazis unternehmen will. Da er zu Hause in Tschechien bei den Duckmäusern nix ausrichten kann, geht er nach Spanien in den Bürgerkrieg, um es den Faschisten zu zeigen. In der Gegenwart wird der alte abgewrackte Veteran von der spanischen Studentin Carmen interviewt, die ihm für ihre wissenschaftliche Arbeit im Fach Geschichte in ihrer unbekümmerten Art die wichtigsten essentiellsten Fragen über das Leben im (Bürger-)Krieg stellt, die sehr persönlich sind und weit über das empirisch historische Interesse hinausgehen. Sie stellt sehr fundamentale Fragen über das Warum, das Leben, das Sterben, die Angst und den Krieg, die eigentlich sehr selten von Veteranen überhaupt und wenn doch nicht ehrlich beantwortet werden. Frantisek gibt Carmen und dem Leser hier jedoch einen tiefen Einblick, irgendwie schimmern sogar ein bisschen wahrhaftige Erkenntnisse vom prinzipiellen Wesen des Krieges in diesem Interview hervor. Dabei spielt es in diesen Grundsätzlichkeiten des Tötens und der Angst keine Rolle, ob es ein „gerechter Krieg“ ist oder nicht.

    Die Autorin formuliert diese elementaren Weisheiten so wundervoll und knackig, dass fast mein ganzes Buch mit Post-it-Zetteln übersät ist. Zum Beispiel die Beantwortung der Frage, warum der junge Frantisek überhaupt begeistert in einen weit von seiner Heimat entfent stattfindenden Krieg gezogen ist und was er überhaupt in Spanien verloren hatte, gipfelt in einer Kritik am Verhalten der tschechischen Bevölkerung während der Nazizeit:

    Warum ich mich stattdessen heimlich nach Hause schlich, voller Abscheu vor all dem Verbotenen dort. Vor dem Kopf-in-den-Sand-Stecken. Der angeblichen Ohnmacht, mit der man hier dem Lauf der Geschichte zusah, der großen Geschichte, die uns als Schauer über den Rücken lief, vor der wir kuschten und krochen, weil wir ach so klein und schwach waren, und all dieses Hosenscheißergewäsch, das ich nicht ausstehen konnte und bis heute nicht leiden kann. Mit zwanzig wollte ich nicht klein und schwach sein. Ich wollte nicht zu diesem mickrigen Völkchen inmitten Europas gehören, das vor jedem in Schockstarre verharrt, der auf es drauftappt. Ich wollte Teil von etwas Großem und Erhabenen sein.

    Mitten im Bürgerkrieg trifft er auch Hemingway, der für seinen Roman Wem die Stunde schlägt in seiner Einheit Interviews führt. Diese Konstruktion im Plot finde ich richtig grandios. Leider kann Frantisek dem weltberühmten Autor damals nicht genau sagen, warum er hier ist, und das nagt ordentlich an ihm.

    Immerhin habe ich nach der Begegnung mit ihm angefangen, mich für Bücher zu interessieren. Ich hab sie gelesen, bis sie angefangen haben, mich aufzuregen. Bis mir klar geworden ist, dass er darin nur Gedöns macht und alles zu einem großartigen Abenteuer aufplustert. […] Und du, alter Wichtigtuer, der du so gerne Papier bekritzelt hast, statt wie die anderen ein Gewehr in die Hand zu nehmen und den Faschisten eine ordentliche Ladung zu verpassen, du schimmelst jetzt in der Grube.

    So lässt Pilátová ihren Helden von Madrid über das Wesen des Tötens sagen:

    Es ist als würde ein schwarzer Vogel dir seine Krallen ins Gesicht hauen, da die ganze Zeit sitzen bleiben und sich nicht rühren mit geschlossenen schwarzen Flügeln, […]
    Und es ist als würde der Tote dir große Kraft geben. Eine große Ladung Kraft, Macht und Lust. […]
    Und gegen diese Lust kämpft man dann an, und das ist die schwerste Schlacht überhaupt, das kannst du keinem erklären, höchstens den Mördern im Gefängnis, von denen ich mich vielleicht nie groß unterschieden habe.

    Neben den grandiosen Einblicken und Weisheiten, der guten Figurenentwicklung und der großartigen Sprache ist der Autorin auch im Plot noch ein Bravourstück gelungen. Gerade mal auf 70 A5-Seiten vollführt die Geschichte durch die Recherche von Carmen angestoßen noch zwei sehr ungewöhnliche Schicksalswendungen im Leben von Frantisek, die mich richtig begeistert haben … und das Ende … na das dreht tatsächlich im allerletzten Satz noch einmal alles ganz lapidar auf Happy End.

    Fazit: In der Kürze liegt die Würze. Ein wundervoller Kurzroman über den Krieg, das Leben und auch über die Liebe. Eines meiner Buchstoffhighlights 2019 und eine absolute Leseempfehlung für Euch. Der perfekte Einstieg, um tschechische Literatur kennenzulernen.

    Ach ja, noch ein Nachtrag. Im Wieser Verlag ist dieses Buch im Rahmen einer Reihe erschienen, die uns tschechische Autor*innen näherbringen soll. Sie heißt Tschechische Auslese und umfasst 9 wundervoll gestaltete Kurzromane. Da ich alle bestellt habe, werdet Ihr wahrscheinlich im Laufe des Jahres noch mehr von mir über unterschiedliche Tschechische Schriftsteller*innen hören.

  9. Cover des Buches Das Scheitern Mitteleuropas 1918-1939 (ISBN: 9783218010436)
    Walter Rauscher

    Das Scheitern Mitteleuropas 1918-1939

     (11)
    Aktuelle Rezension von: krimielse
    Der österreichische Historiker und Sachbuchautor Walter Rauscher bietet mit dem Buch "Das Scheitern Mitteleuropas 1918 -1939" einer informativen und lehrreichen, sachlichen, sehr gut lesbaren Überblick über die Geschehnisse zwischen den Weltkriegen. Ich war vor der Lektüre der Meinung, mich geschichtlich recht gut auszukennen und politische Zusammenhänge erkennen zu können, und wurde vom Autor eines besseren belehrt. Das Buch versorgt mit Informationen, die mir bisher so nicht bekannt waren, betrachtet die Ereignisse aus einer überraschenden Perspektive und zeigt so Zusammenhänge auf, die für mich neu und hochinteressant sind. Als sehr gelungen betrachte ich dabei die in meinen Augen völlig neutrale Herangehensweise. Es ist spannend, auf diese Art Wissenszuwachs zu erhalten, eine Erweiterung des Blickwinkels angeboten zu bekommen und aktuelle Bezüge herstellen zu können. Das Lesen wird angenehm und einfach gestaltet durch die chronologische Abfolge und durch die Einteilung des Buches in sieben Kapitel. Der Autor widmet sich in den einzelnen Kapiteln jeweils der Reihe nach verschiedenen europäischen Gebieten und Ländern. In durchgehend verständlichen Formulierungen erklärt Rauscher die Themenbereiche, Differenzen und Spannungen - die geografische Neuaufteilung, politische Entwicklungen und nationalen Bestrebungen von Sieger- und Verliererstaaten, die Darstellung von Entscheidungen und Fehlentscheidungen mit den bekannten verheerenden Folgen stehen im Vordergrund. Man kann als Leser dem zunehmenden Nationalismus in vielen europäischen Ländern, den aus Gebietsansprüchen und national-egoistischer Kurzsichtigkeit entstandene Konflikte ursächlich nachspüren, die Dramatik in der wirtschaftlichen Entwicklung bedingt durch Zwänge und Eingrenzung sehr gut verfolgen und verstehen. Erschreckend war für mich bei der Lektüre, dass sich Geschichte wiederholt, dass egoistischer Nationalismus nach wie vor auf der Tagesordnung steht und zunehmende Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit durchaus wieder zum Scheitern führen könnte. Wenn auch viele Komponenten bekannt sind besticht Rauschers Buch durch Detailtreue und Präzision im Aufzeigen von Zusammenhängen. Dabei schafft es das Buch auf lobenswerte Art, nicht vom Wesentlichen abzuweichen und wirkt dadurch nie verzettelt oder gar langweilig. Das Buch hat mich beeindruckt und überzeugt, es ist wichtig und sehr lesenswert , und mir 5 Sterne wert.
  10. Cover des Buches Liebe, Hoffnung, Tod (ISBN: 9783956311765)
    Jochen Rehm

    Liebe, Hoffnung, Tod

     (33)
    Aktuelle Rezension von: Marjuvin
    Klappentext:
    „Sarah,ich bin kein Nazi, wie könnte ich denn auch, wenn die Frau, die ich liebe und mit der ich zusammensein will, Jüdin ist?“ Die Geschichte von Sarah und Ludwig, deren Liebe am politischen Wahnsinn der 30er Jahre zu scheitern droht, ein Buch über Aufbruch und Neuanfang, Entäuschung und Hoffnung.

    Rezension:
    Ich habe sehr lange gebraucht, um das Buch zur Hand zu nehmen, da ich einen biografischen, auf Tatsachen aufgebauten Roman erwartet habe. Ich bin also dem Irrglauben aufgessessen, den ich nun auch in vielen anderen Rezensionen zu diesem Buch entdeckt habe. Mich hingegen hat es Anfangs jedoch positiv überrascht, da es dann weniger "sachlich" war, als ich befürchtet hatte. Bis zur Phase, in denen Lena und Ludwig sich einander nähern, hat mir das Buch ausnehmend gut gefallen, danach hat es leider für mich einiges an Glaubwürdigkeit eingebüßt, ohne es konkret an Einzelheiten festmachen zu können.

    Was ich als störend empfand war, dass in direkten Reden das "Sie" und "Ihren/Ihre" usw. niemals in Großschreibung war. Zuerst dachte ich an einen einmaligen Tippfehler, aber es zieht sich durch. Generell gab es einige Stellen, an denen die Groß- / Kleinschreibung nicht korrekt war. An der Stelle von Romans und Lenas Hochzeit wechselte Lena namentlich zwei mal zu Sarah und wieder zurück, was mich extrem aus dem Lesefluss brachte. Ich blätterte vor und zurück, in der Annahme, dass ich einen Szenenwechsel verpasst hatte.

    Insgesamt empfand ich es durchaus als Lesevergnügen, jedoch mit ein paar Schwächen; insbesondere würde dem Buch ein anderer Titel gut tun.
  11. Cover des Buches Die Wahrheit sagen (ISBN: 9788090635401)
    Formánek Josef

    Die Wahrheit sagen

     (22)
    Aktuelle Rezension von: Frau_M_aus_M

    Als ich die letzte Seite dieses Romans gelesen hatte, dachte ich: Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Aber mit diesem einen Satz werde ich wohl dem Anspruch an eine Rezension nicht gerecht.
    Also gut. Die Geschichte ist nichts für zarte Gemüter. Der Titel „Die Wahrheit sagen“ ist nicht zu viel versprochen. Es wird eine Menge Wahrheit gesagt. Und weil die Wahrheit etwas ist, was einen ziemlich wegreißen kann, worin man leicht umkommen kann, wird gleich unten auf dem Buchtitel ein Strohhalm zum Festhalten angeboten: die Liebe zum Leben.
    Die Story: Der sehr alte Bernhard Mares erzählt einem Journalisten, dem Ich-Erzähler, sein Leben. Darin ging es von Anfang an unstrukturiert und rücksichtslos zu. Bernhard bleibt nichts erspart. Er muss viel einstecken, teilt auch viel aus. Er macht viele Fehler, hat aber auch unerwartetes Glück.
    Geboren als unerwünschtes Kind, wird er ausgesetzt vor einer Kirche, zunächst aufgenommen bei einer alleinstehenden kinderlosen Frau, dann aber doch in ein Waisenhaus abgeschoben. Als Erwachsener gerät er „auf den Weg durch die Niederungen des 20. Jahrhunderts“ wie es so richtig auf der Buchrückseite heißt. So wird er erst SS-Mann, dann Übersetzer bei den Russen, schließlich Funktionär bei den Kommunisten und landet dann für viele Jahre immer wieder in Gefangenschaft, wird gedemütigt, misshandelt, gefoltert. Mehrmals steht er dem Tod Auge in Auge gegenüber. Ihm begegnet eine ungewöhnliche, lang andauernde und dennoch nicht erfüllende Liebe. Mit 45 Jahren kommt er schließlich frei und steht quasi am Anfang, sein Leben zu gestalten.
    Es ist erstaunlich, was ein Mensch alles überstehen kann. Immer wieder zwischendurch findet sich der Versuch, die Katastrophen zu fassen, einen Sinn zu finden, das Ganze irgendwie einzuordnen. Die Wahrheit allerdings ist einfach zu hart. Der Erzähler streut also immer wieder philosophische Sinnsprüche ein. „Wahrheit erzeugt Hass. (Ausonius)“, „Der folgende Tag ist der Schüler des vorherigen. (Publilius Syrus), „Das günstige Schicksal prüft den glücklichen Menschen, das ungünstige die großen. (Plinius)“. Auch gibt es immer wieder Passagen, in denen sich der Journalist mit dem auseinandersetzt, was Mares ihm erzählt hat. Er versucht, es ins Verhältnis zu setzen, den Zusammenhang zu erweitern, die Sache von einer anderen Seite aus zu betrachten. „Die Wahrheit ist eine Hure …“ Obwohl diese literarischen Nothaltegriffe ziemlich dicht gesät sind, gibt davon keinesfalls zu viele. Sie sind wie ein Sicherheitsgeländer, das dem Leser Halt gibt, über die Abgründe der Wahrheit gehen zu können. Ich habe Lust, noch ein paar Zitate hier einzufügen.
    Im Grunde wird alles enttarnt, den Dingen wird der Heiligenschein genommen. Der Mensch hält sich am Guten fest, aber Mares sagt: auch das Böse muss getan werden, damit die Welt im Gleichgewicht bleibt. Man überlebt. Solange die Kraft dafür reicht. Das Leben passiert einfach. Vielleicht können wir manchmal etwas beeinflussen, aber im Grunde sind wir viel zu klein. Weil wir es können, suchen und finden wir Erklärungen dafür, warum wir überleben. Der Selbsterhaltungstrieb hat beim Menschen tolle Möglichkeiten entwickelt. Wenn es außen nichts mehr gibt, woran man sich festhalten kann, dann haben wir immer noch Phantasien, Erinnerungen, Hoffnungen und andere Projektionen, die neue Energie freisetzen.
    „Die Wahrheit sagen“ ist ein sehr starkes Buch. Es zeigt, dass es möglich, auch mit dem heftigsten Schicksal am Ende Frieden zu schließen. „Dieses Buch war für mich wie ein Gebet. Oft war ich erfüllt von schaudernder Angst und Hoffnungslosigkeit…“

  12. Cover des Buches Hoffmans Hunger (ISBN: 9783257610277)
    Leon de Winter

    Hoffmans Hunger

     (65)
    Aktuelle Rezension von: Ruby Summer

    In Hoffmans Hunger verknüpft Leon de Winter die Schicksale der drei Herren Felix Hoffman, Freddy Mancini und John Marks miteinander. Während wir die beiden letzteren nur teilweise kennen lernen, ist uns Hoffman (inklusive seiner diversen Ausscheidungen) bald näher als wir uns selbst.

    Der niederländische Diplomat, der seine Zwillingstöchter verloren hat und seitdem seines eigenen Lebens nicht mehr froh wird, von Schlaflosigkeit und Fressgier getrieben, ist auf der Suche nach Sättigung und wie es scheint, kann ihm einzig die göttliche Philosophie des Spinoza hier weiter helfen.

    Es sind weniger die Paraphrasen des philosophischen Textes als vielmehr Hoffmans Hunger danach, die mich beeindruckt haben. Neben der Tatsache des spannenden Settings (Prag 1989) ist es der Protagonist selbst, der mich dazu gebracht hat, das Buch zu verschlingen.

    Einzig die sidestory mit Miriams Auftreten in einem Pornofilm empfinde ich als nicht ganz stimmig. Ich denke die ganze Zeit, dass das symbolisch für irgendetwas steht, finde da im Texts jedoch nur Oberfläche.

    Und Spinoza kommt tatsächlich als sehr schwer zu durchdringen rüber. Da muss man in der Stimmung sein und das Buch auch einmal einen Moment zur Seite legen. Ist mir nicht immer gelungen, ändert aber nichts am Verständnis oder Lesegenuss.

    Wieder einmal gelingt es dem Autor, dass ich mich mit einem Menschen identifizieren kann, der mir ferner nicht sein könnte. Eine Leistung, die de Winter spannend, kenntnisreich und sogar mit einem gewissen Witz vollbringt.


  13. Cover des Buches Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. = L'insoutenable légerté de l'être. Fischer 5992 ; 3596259924 (ISBN: B00AL4CIYG)
  14. Cover des Buches Das Leben ist anderswo (ISBN: 9783596197392)
    Milan Kundera

    Das Leben ist anderswo

     (41)
    Aktuelle Rezension von: gst

    „Jeder Mensch bedauert, nicht auch ein anderes Leben als das eine, einzige leben zu können; auch Sie würden gerne alle Ihre nicht verwirklichten Möglichkeiten durchleben, alle Ihre möglichen Leben. Unser Roman ist wie Sie. Auch er wünscht sich sehr, andere Romane zu sein, jene, die er hätte werden können, aber nicht war.“ (Seite 297)

    Milan Kunderas Roman beginnt in Prag zu Ende des zweiten Weltkrieges. Er erzählt die Geschichte von Jaromil. Als Kind sonnt er sich in der uneingeschränkten Bewunderung seiner Mutter und wird von ihr als Wortjongleur gefeiert. Schnell zeigt sich, dass sie nicht beziehungsfähig ist. Gerade deswegen geht sie eine innige Symbiose mit dem Sohn ein und empfindet ihn als Stück ihrer selbst. Sie schüttet ihn zu mit ungeteilter Aufmerksamkeit, besitzergreifender Liebe und endloser Bewunderung. Streng bewacht sie ihn und ordnet ihm jedes eigene Interesse unter.

    In insgesamt sieben Teilen, die jeweils wieder in eigene Kapitel unterteilt sind, erzählt Kundera von Jaromils Kindheit, seinem Heranwachsen, seinen Träumen und seiner eifersüchtigen Liebe, seinen Erfolgen und seinem Scheitern. Während dieser Zeit erlebt er die von der Bevölkerung mit Euphorie begrüßte Machtübernahme durch die Kommunisten im Jahr 1948.

    Kritische Töne haben es unmöglich gemacht, den 1970 noch in der Tschechoslowakei fertig gestellten Roman in der ursprünglichen Heimat Kunderas erscheinen zu lassen. Erst 1973 kam das Buch in französischer Sprache heraus, der Sprache, in der der inzwischen 85jährige seine späteren Romane verfasste.

    Nachdem ich schon mehrere Romane Kunderas mit Begeisterung inhaliert habe, konnte mich dieser nur teilweise gefangen nehmen. Mich begeisterten weder Jaromils jugendliche Fragestellungen („Bin ich nackt oder angezogen hübscher?“) noch die über allem stehende Mutter. Eher gefiel mir der Auftritt eines älteren Dichters, der meinte: „Jung ist, wer sich der Zukunft verschrieben hat und nicht zurückschaut.“ Jaromil, der ewige Zweifler dagegen „beneidete seine Mitschüler um das wirkliche Leben, in das er noch immer nicht eingetreten war.“

    Nach einer lang ausgedehnten Lesezeit schloss ich dieses Buch mit sehr gemischten Gefühlen und bin sicher, dass ich kein zweites Mal mehr hineinschauen werde.

  15. Cover des Buches Vom Ende des Punks in Helsinki (ISBN: 9783630874319)
    Jaroslav Rudiš

    Vom Ende des Punks in Helsinki

     (6)
    Aktuelle Rezension von: Stephan59
    Anlässlich der unterhaltsamen Lesung von Rudis in diesem Sommer habe ich das Buch mitgenommen und es in einem Rutsch durchgelesen. Ole, der Ex-Punk mit seiner Kneipe in Ostdeutschland, seine gescheiterten Liebensgeschichten und seine Stammkundschaft, Individualisten mit charmanten Macken.... Ich habe mich köstlich amüsiert. Der Weg führt zurück zum einzigen Punkkonzert der Toten Hosen hinter dem Eisernen Vorhang, 1987 in Pilsen, in der CSSR, ein historischs Ereignis, ein Friedenskonzert, das in einem brutalen Polizeieinsatz endete.
    Virtuos, vielseitig und niemals langweilig markiert Rudis Lebensgeschichten und Brüche auf dem gesellschaftlichen Wendepunkt in einer Zeit des Umbruchs. Lesenswert!
  16. Cover des Buches Wo der Teufel ruht (ISBN: 9783746637396)
    Craig Russell

    Wo der Teufel ruht

     (39)
    Aktuelle Rezension von: KarenAydin

    Der junge Psychiater Viktor Kosárek tritt eine Stelle auf Hrad Orlu an, einer Irrenanstalt für gefährliche Kriminelle in einer alten Burg in der Nähe von Prag. Sie wird von den Einheimischen „Burg der Hexen“ genannt. Hier sind die „Satanischen Sechs“ untergebracht. Sechs gefährliche Killer, die den Teufel für ihre Gräueltaten verantwortlich machen. Sie haben alle Namen, die mit ihren Verbrechen in Zusammenhang stehen. Der Clown. Die Vegetarierin. Zeitgleich gibt es zwei bedrohliche Entwicklungen, die Verbreitung des Nationalsozialismus, dessen Faszination 1935 auch zahlreiche Menschen in der Tschechoslowakei erliegen, und es gibt einen Serienkiller in Prag, der sich „Lederschürze“ nennt und Parallelen zu Jack the Ripper hat. Es gibt die Theorie, dass sich einer der Satanischen Sechs des Nachts durch einen Geheimgang aus der Burg schleicht. Doch auch der beste Freund des Psychiaters gerät unter Verdacht. Wer verbirgt sich hinter „Lederschürze“?

    Man nehme folgende Zutaten: ein uraltes Gemäuer, slawische Mythologie, magische Gegenstände, Okkultes, unheimliche Geschichten über die Burg und ihre Bewohner. Man könnte meinen, dass man aus diesen phantastischen Zutaten einfach nur ein großartiges Gericht zubereiten kann. Leider nicht, wenn es halbgar bleibt. Denn es liest sich über weite Teile wie ein Historienroman über Psychologie in den 1930er Jahren. Die Liebesgeschichte ist ebenfalls nicht besonders überzeugend und dient meiner Meinung nach nur dazu, etwas Dramatik hereinzubringen.

    Kosarék (und damit Russelll) hat eine neue Technik entwickelt, mit der er seine Patienten in eine Art Dämmerschlaf versetzen kann. Er hofft, so Zugriff auf verborgene Informationen oder weitere Persönlichkeiten zu bekommen. Bei mir hat die Technik einwandfrei funktioniert, ich dämmerte so dahin, während ein Patient nach dem anderen in langen Monologen seine Lebensgeschichte und seine Motivation für die Verbrechen erzählte. Einen wirklichen Spannungsbogen konnte ich nicht ausmachen. Nun warte ich ja bei manchen Thrillern noch auf die fulminante Auflösung. Auch die hatte ich jedoch spätestens ab der Hälfte kommen sehen. So wurde ich weder überrascht noch enttäuscht, und war allenfalls etwas erfreut, dass ich vorausgesehen habe (was aber zugegebenermaßen keine große Leistung war). Der sehr lange Epilog machte hingegen für mich keinen wirklichen Sinn. Eigentlich war ich froh, dass das Buch vorbei war. Er fühlte sich eher so an wie das Monster, das im Film immer nochmal wieder erwacht.

    Also, wer gern einen bedachtsam erzählten Roman über diese Zeit mit Mystery- Thrillerelementen lesen möchte, jemand der sich auch bei Filmen nicht gern erschreckt, dem könnte dieser Thriller vielleicht gefallen. Man sollte auch Interesse an der Zeit haben, da der Roman viele Informationen über den Beginn des Nationalsozialismus bietet.

    Wer Spannung und Gänsehaut möchte, der sollte vielleicht zu einem anderen Thriller greifen.

  17. Cover des Buches HHhH (ISBN: 9783499255878)
    Laurent Binet

    HHhH

     (12)
    Aktuelle Rezension von: Beust

    Laurent Binet wollte schon immer einen Roman über Reinhard Heydrich schreiben bzw. über die beiden Attentäter Jozef Gabčík und Jan Kubiš. Und hat er das getan? Nein – er schrieb einen Roman über eine, der immer schon einmal einen Roman über Heydrich und seine beiden Attentäter schreiben wollte. Was anfangs noch wie eine ausgeweitete Captatio benevolentiae ausgesehen hat, krankt zunehmend an der ständigen Sucht des Autors, den Schreibprozess und die damit verbundenen Entscheidungen (Darstellung, Auswahl, Recherche, Blickwinkel etc.) zu reflektieren. Um es mit Binet zu sagen: „Diese Geschichte wird zu meiner persönlichen Angelegenheit.“ (S. 148) Leider.

    Man darf annehmen, dass jeder Autor, der seinen Roman oder sein Sachbuch einem Thema widmet, sich mit diesem intensiv befasst und bis zur Besessenheit hineingekniet hat. Insofern ist Binet nichts Besonderes wiederfahren, vielleicht aber hat er gemerkt, dass nichts Besonderes aus seinem Roman herausgekommen wäre. Darum impfte er ihn mit seinen Metabetrachtungen – vielleicht auch, weil Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“ ebenfalls das Sujet des Menschen im Nationalsozialismus ausleuchtet und es so extrem gut machte.

    Binet stolpert nun also durch die Geschichte, indem er Heydrichs Leben und Werdegang kolportiert, hin und wieder Szenen formuliert, um ihre Textgenese anschließend zu kritisieren (Was ist erfunden? Was ist nachprüfbar? Was kann man erzählen? Was darf man erzählen?), weshalb er sich dem Kriegsverbrecher Reinhard Heydrich kaum nähert. Er kreist um ihn – und endlich später auch um die tschechoslowakischen Fallschirmspringer und Freiheitskämpfer –, ohne dass sich eine einzige historische Erkenntnis aufschließen würde, die jeder Handbuchartikel liefern könnte. Die Aneinanderreihung von Anekdoten, Kolportagen, Geschichtchen und die zwischengeschaltete Metabetrachtung von Binets Näherung zum Thema gärt zu einem blubbernden, undefinierbaren Cocktail. Bisweilen schleicht der Verdacht heran, dass Binet es sich womöglich leicht machen wollte, „… da ich mir nicht die Zeit genommen habe, eine vertiefte Recherche zum Thema durchzuführen.“ (S. 192). Den möglichen Vorwurf entkräftet der Text rhetorisch, indem er ihn selbst äußert und indirekt abzuschmettern versucht.

    Dass es nicht auf das Detail ankommt, solange der Kern sichtbar wird, thematisiert Binet selbstredend auch. Doch setzte er es nicht um, obschon doch „der Erzähler beinahe uneingeschränkte Freiheiten“ besitze (S. 189). Binet nutzt seine Freiheiten zur Metaanalyse des Biographieschreibvens, was legitim, aber auch fad ist. Nicht eine historische Wahrheit, eine anthropologische Erkenntnis oder ein erhellendes Verständnis lässt sich aus diesem Sachbuch-Roman ziehen. Ob ein Roman über Reinhard Heydrich korrekt sein kann, ob man sich „sicher sein“ kann (S. 256), fragt sich Binet, statt sich zu fragen, ob er wahr sein kann. Denn eine historische Wahrheit misst sich nicht nur am korrekten Detail (schwarzes Auto/grünes Auto), eine literarische Wahrheit noch viel weniger. Und genau diese literarische Wahrheit vermisse ich hier schmerzlich.

    Rezensionen von Binets Heydrich-Text kreisen um die Bemerkungen auf der Metaebene und räsonieren über die Rechercheproblematik bei historischen Romane, die Binet so plastisch darlege. Dabei äußert keiner, dass hier selbstverständlich ein Text den Leser massiv manipuliert und mit dem texinhärenten Ich keinesfalls der Autor gleichzusetzen ist! „Aber ich bin eben keine Figur“, schreibt Binet auf Seite 217 – aber ist es freilich doch! Sogar die Hauptfigur.

    Ist das ironisch? Zum Beispiel auch, wenn Binet über das Pathos in Alan Burgess‘ Attentats-Roman von 1960 klagt (S. 243), um wenig später Gabčík und Kubiš den „heiligen Boden“ Prags betreten zu lassen (S. 248)? Überhaupt setzt sich der zweite Teil des Romans über die Metaüberlegungen des ersten Teils hinweg und erzählt die Geschichte des Attentats romanhaft (und gut). Hier liest sich der Text wie ein historischer Thriller und liefert dem Leser Erkenntnisse über die Drangsal des totalitären NS-Regimes im Protektorat, über die inneren Mechanismen des Machtapparates und die Bedeutung, die Heydrichs seelenloser Bürokratismus und karrieregeile Menschenverachtung besaßen.

    „HHhH“ ist weder Fisch noch Fleisch, weder Biographie noch Roman, ist voller inkonsequenter Erzählhaltungen und setzt sich m.E. viel zu wenig mit der Frage der Wahrheitssuche in der Geschichte auseinander, weil zu sehr die Mechanik derselben im Vordergrund steht.

    Ich verstehe nicht, warum Binet den Prix Goncourt du Premier Roman bekommen hat. Vielleicht habe ich aber auch den ganzen Roman nicht verstanden.

  18. Cover des Buches Hola Chicas! (ISBN: 9783453602748)
    Jorge González

    Hola Chicas!

     (20)
    Aktuelle Rezension von: peedee
    Wenn ich „Hola Chicas“ höre, denke ich tatsächlich direkt an Jorge Gonzales, den Stylisten, Choreografen: Ein vor Lebensfreude übersprudelnder Mann, seine Deutsch-Versprecher („Zwinkerauge“ anstatt „Augenzwinkern“ oder „Holzkreuz“ statt „Hohlkreuz“) sind sympathisch, er stolziert eleganter auf High Heels, als die meisten Frauen. Hier erzählt er, wie er von Kuba über die damalige Tschechoslowakei nach Hamburg kam und dort seine neue Heimat fand. Aufgeschrieben von Stephanie Ehrenschwendner, Autorin, Lektorin und Autoren-Coach.

    Erster Eindruck: Auf dem Cover schreitet Jorge den Laufsteg entlang; mir gefällt der geprägte Buchtitel. Es hat zahlreiche Fotos im Innern des Buches, die das Geschriebene noch etwas lebendiger und persönlicher wirken lassen.

    Ich denke, die meisten Menschen haben Jorge Gonzales schon mal im Fernsehen gesehen. Mit seiner lauten, lebendigen Art polarisiert er sicher, sodass man ihn entweder wirklich gut mag oder eben gar nicht. Mir ist Jorge sehr sympathisch und ich war gespannt, mehr über sein Leben zu erfahren.

    Die gelesene Geschichte war abenteuerlich, zuweilen schwer vorstellbar, berührend, unterhaltsam. Wenn ich nur bedenke, welche Anstrengungen Jorge unternommen hat, um es in der Schule an die Spitze zu bringen, da dies der damals einzige Weg war, einen Studienplatz im Ausland zu ergattern. Und damit „endlich“ von Kuba wegzukommen. Ich musste schmunzeln, als er die Liste betr. verfügbarer Studienplätze und deren Universitäten durchging: Er hat zuerst nur geschaut, in welchem Land die Uni ist, erst dann hat er sich für einen Studiengang entschieden. In seinem Fall wurde es Nuklearökologie in Bratislava.
    Jorge wusste schon sehr früh, dass er anders war, als andere Jungs. Er war am liebsten mit den Mädchen zusammen, um sich zu verkleiden, zu schminken, auf hohen Schuhen zu laufen… Aber das tut ein Junge nicht – hiess es damals. Es macht mich immer wieder traurig, wenn ich lesen muss, wie Menschen wegen ihrer Homosexualität Probleme kriegen, als wäre es eine ansteckende Krankheit!
    Jorge ist ein sehr optimistischer und humorvoller Mensch. Er ist auch sehr emotional und liebt seine Familie über alles. Schön, wie er Omas Glücksrezepte fürs Leben verrät, wie z.B. „Wenn dich jemand nicht mag, dann such dir einen anderen, der dich so nimmt, wie du bist. Du wirst jemanden finden, denn die Welt ist gross.“ Seine Oma war eine gescheite Frau, denn sie sagte „Guter Stil ist keine Frage des Alters und hängt auch nicht davon ab, wie schön du bist. Egal, ob klein, gross, dick, dünn, hell oder dunkel – du kannst immer elegant sein.“ Genau!

    Es war interessant, ein bisschen in Jorges Leben „reinzuschnuppern“ und ich wünsche ihm alles Gute.
  19. Cover des Buches Ich habe den englischen König bedient (ISBN: 9783518022955)
    Bohumil Hrabal

    Ich habe den englischen König bedient

     (29)
    Aktuelle Rezension von: Nicolai_Levin

    Dies ist die Lebensgeschichte des Icherzählers, von dem Moment an, als er irgendwann in den 1920-ern als Pikkolo im Hotel "Goldenes Prag" seinen Dienst antritt. Er ist aufgeweckt und erkennt schnell, dass er reich werden will und wie er das mit üppigen Trinkgeldern anstellen kann. Fasziniert beobachtet er auf seinen Stationen als Kellner, wie Handelsvertreter, Börsianer, Offiziere und Politiker tafeln. In den Speisesälen und Séparées bekommt der Kleine (im doppelten Sinne klein: jung an Jahren und kleingewachsen) mit, wie sie essen, trinken und huren. Die Völlerei nimmt ihren Gipfel bei einem Staatsbesuch des abessinischen Kaisers, dem sein Gefolge ein Kamel brät, das mit Antilopen gefüllt ist, in denen ihrerseits Truthähne stecken, die mit Ei und Fisch vollgestopft wurden.

    Kurz vor dem Einmarsch der Deutschen verliebt sich die Hauptfigur, die mit Nachnamen Dítĕ heißt (was auf tscheschisch Kind bedeutet, was wiederum kein Zufall ist, wie so ziemlich nichts Zufall ist in diesem Buch voller Zufälligkeiten) in eine deutschstämmige Turnlehrerin, deren Vater ein Wirtshaus in Eger betreibt. Dank des deutschsprachigen Grabsteins seines Großvaters Johann Ditie geht er ebenfalls als halber Deutscher durch, nach eingehender Untersuchung durch die Rassenhygieniker der Nazis darf er heiraten. Die Deutschen beordern ihn in einen lauschigen Landgasthof, in dem Frontoffiziere Abschied von ihren Liebsten nehmen, ehe sie wieder in den Krieg ziehen müssen. Aufgrund eines Missverständnisses wird Dítĕ von der Gestapo verhaftet und misshandelt, aber bald wieder freigelassen. Kurz vor Kriegsende stirbt die Gattin bei einem Luftangriff, Dítĕ selbst wird von den Tschechen als Kollaborateur ins Gefängnis gesteckt - aufgrund mildernder Umstände (seine Gestapohaft!) aber nur für ein halbes Jahr. 

    Danach eröffnet er mit seinen Ersparnissen ein luxuriöses, flamboyantes Hotel in einem Steinbruch, ganz nach seinen Vorstellungen gestaltet, das glänzend läuft und internationale Gäste anzieht. Glücklich aber wird er dort auch nicht, und so ist er gar nicht traurig, als die Kommunisten das Hotel enteignen. Er selbst weist sich als Millionär in ein Internierungslager für Millionäre ein, einem Luxusgefängnis, in dem Bewachte und Wächter gemeinsam in höchster Bequemlichkeit einen drauf machen. Hier erkennt er, dass er (wie zuvor von den Deutschen) von den anderen Reichen nie als ihresgleichen angesehen wird, dass Reichtum und Anerkennung, wonach er immer gestrebt hat, ihn nicht glücklich machen.

    Stattdessen meldet er sich nach Auflösung des Lagers zum Dienst als Holzarbeiter auf der böhmischen Seite des Erzgebirges in einer Siedlung, aus der die deutschsprachige Bevölkerung vertrieben wurde. Gemeinsam mit einem Professor und einer schönen Arbeiterin aus einer Schokoloadenfabrik muss er Resonanzfichten für den Bau von Violinen und Celli fällen. Dabei lehrt der Professor der jungen Schönen Französisch und seine Lebensweisheiten.

    Nach Ablauf seiner Dienstzeit begibt er sich allein, nur von ein paar Haustieren begleitet, auf seine letzte Station. Als Straßenarbeiter muss er eine strategisch bedeutsame, aber praktisch völlig unbenutzte Straße im abgelegenen Böhmerwald in Stand halten. In der Einsamkeit findet er Glück und Erfüllung, einmal in der Woche geht er den weiten Weg ins nächste Dorf, holt sich seinen Lohn und kauft Vorräte und beglückt die Menschen im Wirtshaus mit Geschichten aus seinem Leben und mit den Erkenntnissen, die er durch den Professor erlangt hat. Hier beginnt er auch mit der Aufzeichnung seiner Lebensgeschichte - und damit endet der Roman.

    Ungeachtet seines etwas kruden Handlungsverlaufs und der vermeintlichen Form als mündliche Erzählung - alle Kapitel beginnen mit einem einleitenden: "Passen Sie auf, was ich Ihnen jetzt erzählen werde:" und enden entsprechend - ist der Roman sehr sorgfältig und mit Bedacht durchkomponiert. Die fünf Kapitel entsprechen den Akten des griechischen Dramas, die Abschnittsgrenzen sind sehr exakt gesetzt, und auch die Sprache, soweit das in der deutschen Übersetzung nachklingt, zeugt von großer stilistischer Virtuosität. Das surreale Motiv, das Hrabal selbst in seinem Nachwort als leitend benennt, finde ich nur in Einschränkungen wieder. Es fügt sich wohl alles ein wenig schräg, aber es geht zwar lustvoll, jedoch immer mit rechten Dingen zu, keine schmelzenden Uhren, schwebenden Äpfel oder brennende Giraffen! Nein, mit barocker bildhafter Wucht zeigt uns Hrabal, was sich in den feinen Etablissements zuträgt, und man bekommt direkt selbst Lust, sich ein saftiges Svíčková mit Schmettensauce zu bestellen, dazu ein Krügel jenes herrlichen Bieres aus Budweis oder Pilsen - und sich dann zwischen den Schenkeln einer liebeshungrigen Frau zu verlieren.

    Aber was will uns der Autor mit dieser wilden, turbulenten symbolträchtigen und melancholischen Lebensgeschichte eigentlich sagen? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die einen haben in dem Buch eine Allegorie auf die Geschichte der Tschechoslowakei gesehen, eine Einschätzung, der ich skeptisch gegenüberstehe. Zuviel passt da nicht, zuviel, was dafür wichtig wäre, fehlt. Andere sagen, es sei ein Schelmenroman, und Bohumil Hrabals Dítĕ stehe in der Tradition von Eulenspiegel und Schwejk. Dem muss ich vehement widersprechen: Nicht alles ist eine Schelmengeschichte, nur weil es tschechisch geschrieben ist und irgendwie lustig! Hier wird niemandem der Spiegel vorgehalten, keiner entblößt oder übers Ohr gehauen (na ja, nur die Bahnreisenden ganz zu Anfang, deren Zug abfährt und die deshalb vergebens auf das Wechselgeld des Würstlverkäufers Dítĕ warten müssen). In dem Icherzähler finden wir keinen, der nur laviert oder die Schwächen des Systems ausnutzt. Im Gegenteil, er ist das Kind, das er im Namen trägt, und er spielt das Spiel der Großen sehr exakt mit. Wie alle in seiner Umgebung strebt er nach Reichtum und Anerkennung - und er ist erfolgreich damit! Seine Trinkgelder machen ihn letztlich zum Millionär, und er bedient als Kellner niemand Geringeren als den Kaiser von Abessinien.

    Für mich ist die Geschichte des Kellners Dítĕ vor allem ein Loblied auf das Individuum. Am Ende erkennt er, dass Geld und Ruhm nichts bedeuten, dass er nur aus sich selbst heraus und im Einklang mit sich selbst glücklich werden kann. Das mag für unsereinen etwas schwach wirken für die Essenz eines so wortgewaltigen Textes, es mag in unseren Tagen nach wenig klingen und nach kurioser Selbstverständlichkeit, in einer Zeit und einer Gesellschaft, in der sich jeder als Markenprodukt verkauft und auf Social Media sein eigener kleiner Star ist. Aber Hrabals Buch ist 1978 erschienen, zehn Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, wo die kommunistischen Zensoren sorgsam auf Linientreue wachten. Und es ist in einem Land erschienen, in der die Gruppenzugehörigkeit seit Jahrhunderten eine größere Rolle spielte als anderswo: Protestant oder Katholik? Deutsch oder Tschechisch? Demokrat oder Kommunist? In einer Gesellschaft, in der jeder Knabenchor und jeder Hasenzüchterverein über Jahrzehnte hinweg in dreifacher Ausführung bestehen musste (Deutsch / Tschechisch / Jüdisch), ist das Loblied auf den Einzelnen vielleicht doch etwas ganz Besonderes. Und besonders ist dieses Buch zweifellos.

  20. Cover des Buches Zoli (ISBN: 9783499239434)
    Colum McCann

    Zoli

     (56)
    Aktuelle Rezension von: Duffy
    Die Regeln und Gesetze der Roma sind althergebracht, traditionell und zwingend bindend. Zoli, eine Junge Roma, die den Feldzug der Deutschen überlebte, ist auch in unter diesen Bedingungen aufgewachsen. Unüblich ist, dass sie von ihrem Großvater das Lesen und Schreiben erlernt hat. Sie beginnt zu dichten und Lieder zu singen, die anfangs noch von ihren Leuten goutiert werden. Doch als sie später diese Gesänge veröffentlichen will, wird sie nicht nur vom sozialistischen Regime der Slowakei, ihrem Heimatland, unter Druck gesetzt, auch bei ihrem Volk fällt sie in Ungnade und wird ausgestossen. Entehrt und ohne Rechte flieht sie in den Westen.
    McCann hat ein Thema aufgegriffen, dass auch heute noch für Kontroversen sorgt. Die Minderheitengruppe der Roma ist vielen Repressalien ausgesetzt, hat allerdings auch durch ihre besondere Art des Lebens einiges an Vorurteilen provoziert. McCann nimmt sich des Themas schonungslos an, von der Vergangenheit bis in die Gegenwart, und hat sehr genau recherchiert. Die Konfrontation zwischen Tradition und modernem Denken ist natürlich nirgends so ausgeprägt wie in Volksgruppen, die einem eigenen Regelwerk folgen. Sensibel, aber mit gewaltigem Gefühl wird der Weg Zolis durch eine Welt nachgezeichnet, die nicht die ihre ist und auf die sie dennoch angewiesen ist, weil ihre angestammte Art zu leben für sie zum Tabu wurde. Sie ist "schlecht" in den Augen ihres Volkes.
    Schmerz und Willen vermischen sich in ihr und lassen sie zu einer starken Frau werden, die alles dafür tut, um irgendwo eine Ecke zu finden, in der sie ein kleines Glück erleben kann.
    Eine mutige Auseinandersetzung, die der Autor eingegangen ist und man kann sagen, dass es ihm gelungen ist, den Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln. Dass man dieses Buch in erster Linie emotional erlebt, liegt an der großen Erzählkunst des Autors auf hohem Niveau.
  21. Cover des Buches München (ISBN: 9783453504141)
    Robert Harris

    München

     (79)
    Aktuelle Rezension von: Marcsbuecherecke

    Robert Harris und mich verbindet eine seltsame Beziehung. Nachdem ich vor Ewigkeiten ein Buch von ihm gelesen hatte (Ghost), war ich ihm irgendwie verfallen und war mir bei jedem Buch, welches ich danach von ihm in die Hand bekommen habe sicher, dass ich es lesen muss. Gemacht habe ich es irgendwie nie. 

    München lag dann auch irgendwie Ewigkeiten in meinem Regal rum, bis ich es dann vor einiger Zeit einfach spontan in die Hand genommen habe. 

    Harris' Schreibstil hat es auch hier geschafft, mich sofort in seinen Bann zu ziehen - er hat eine Eigenart an sich, wie ich sie bisher selten erlebt habe. Harris gelingt es innerhalb von zwei Sätzen mich vollkommen in seine Geschichte zu packen - und das obwohl die Geschichte selber nicht wirklich packen kann. 

    Wie so oft bei Harris' Werken mit historischem Bezug verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität hier sehr gekonnt und sorgen zusätzlich für einen Spannungsbogen innerhalb des Spannungsbogens. Zumindest bei mir, weil man nie genau weiß, wann der nächste Grenzüberschritt kommt  

    Leider war es das dann auch schon mit den positiven Sachen an dem Buch. Die Geschichte plätschert so vor sich hin, die Charaktere sind relativ flach und das Ende bzw. das Setzen des Endpunktes innerhalb der realen Geschichte haben mich nicht überzeugen können. Dennoch hat gerade der Schreibstil dafür gesorgt, dass ich mir noch einige andere Bücher von ihm anschaffen werde. 

    Fazit:

    Ein Thriller, der durchaus seine Stärken - vor allem im realen Setting - hat, leider aber auch einige Schwächen hatte. Im Großen und Ganzen halten sich die Punkte die Waage. Kurz: ein klassisches "Standard-Buch".

  22. Cover des Buches Blendende Jahre für Hunde (ISBN: 9783462401165)
  23. Cover des Buches Das Städtchen, in dem die Zeit stehenblieb (ISBN: 9783473519866)
  24. Cover des Buches Der Scherz (ISBN: 9783596197415)
    Milan Kundera

    Der Scherz

     (79)
    Aktuelle Rezension von: dunkelbuch

    In seiner Studentenzeit wurd Ludvik aufgrund eines zynischen Scherzes aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und verliert damit alle Hoffnung auf seine bis dahin so gut beginnende Karriere. Die nächsten Jahre seines Lebens im Arbeitslager und - etwas undefinierbarer die Zeit danach - ist er sehr mit sich selbst beschäftigt, sucht verzweifelt nach Liebe und will sich an den Menschen, die ihm das angetan haben, rächen. Auf diesem Weg verkennt er immer und immer wieder was er für die Menschen, mit denen er zu tun hat, bedeutet und hinterläßt eine Spur der emotionalen Verwüstung. Erst sehr viel später - vielleicht ist er 30, vielleicht 40, das wird nicht klar - wird ihm bewußt, daß es keine Möglichkeit gibt, das Vergangene zu verändern und wiedergutzumachen. Der Leser wünscht Ludvik, daß er ab nun mit innerem Frieden den Rest seines Lebens verbringen darf.

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