Cover des Buches Mein Herz und andere schwarze Löcher (ISBN: 9783737351416)
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Rezension zu Mein Herz und andere schwarze Löcher von Jasmine Warga

Feinfühlige Herangehensweise an ein sensibles Thema

von Lovely_Lila vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Die feinfühlige Herangehensweise und der angenehme Schreibstil machen dieses Buch zu einer berührenden Lektüre, die zum Nachdenken anregt!

Rezension

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Lovely_Lilavor 9 Jahren

** Vorsicht! Achtung, enthält große Spoiler zum Ausgang der Geschichte! **


Inhalt


Aysel ist erst sechzehn, und dennoch hat sie vom Leben schon genug. Sie leidet unter Depressionen und plant ihren eigenen Tod. Weil sie jedoch Angst hat, das Ganze am Ende doch nicht durchzuziehen, sucht sie sich im Internet einen Komplizen. In Roman scheint sie diesen gefunden zu haben – bis sich etwas verändert: Auf einmal sind da völlig ungeplante Gefühle für ihn. Wird sie den Plan dennoch durchführen oder verändert das am Ende alles?

Meine Meinung


Ein mutiges Thema, an das sich die Autorin da gewagt hat. Im Jahr gibt es in Österreich weit über 1000 Selbstmorde, dennoch ist das Thema vielerorts noch immer ein Tabu. Dass das Schweigen darüber nun einmal mehr gebrochen wird, und die Geschichte uns Einblicke in die Gedankenwelt suizidgefährdeter Menschen gibt, finde ich gut und wichtig.

Der Schreibstil ist einfach gehalten, und dennoch nicht banal. Kurze Sätze wechseln sich mit längeren ab und Adjektive werden in Maßen eingesetzt. Die Autorin schafft es Gefühle und Verständnis hervorzurufen und erzählt die ernste Geschichte stellenweise mit sehr viel Leichtigkeit. Auch wenn ich dem Ende nicht wirklich entgegengefiebert habe, flogen die Seiten nur so dahin, was neben der großen Schrift hauptsächlich am Schreibstil liegt.

Die Personen waren gut gezeichnet. Das beginnt bei der Schwester, die lange wie die Verkörperung des Klischees der oberflächlichen, perfekten Cheerleaderin wirkt, die später aber zeigt, dass auch sie ein ganz normaler Mensch mit Wünschen und Unsicherheiten ist. Meine Lieblingsperson war jedoch Roman. Er ist es auch, der meiner Meinung nach diese unendliche Traurigkeit authentisch zeigt. Ihm habe ich zu jedem Zeitpunkt geglaubt, dass er sterben will, auch weil ich seinen Grund wirklich nachvollziehbar fand. Mit solch einer Schuld zu leben, ist bestimmt schrecklich, da können die Eltern noch so oft versichern, dass man unschuldig ist – im Herzen weiß man wohl, dass sie einen nur anlügen. So eine Last wiegt schwer. Vor allem ist Roman aber eines: unglaublich liebenswert.

Aysel, unsere Protagonistin, erzählt ihre Geschichte im Präsens in der ersten Person. Zu Beginn war ich begeistert von ihr. Ihr Humor ist sarkastisch und sie schreckt nicht davor zurück, die Wahrheit zu sagen, und zwar gnadenlos ehrlich. Zu ihren wichtigsten Interessen gehört die Physik, über die sie es liebt zu philosophieren. Eine Frage lässt ihr da gar keine Ruhe: Wenn Energie nicht verschwinden kann, was passiert dann mit ihr, wenn wir sterben? Im Laufe des Romans versucht sie immer wieder Antworten auf diese und andere Fragestellungen zu finden und schafft es die (für mich sonst meist langweilige) theoretische Physik mit dem Alltag zu verbinden. Doch der Zauber verflog leider im Laufe des Buches immer mehr. Es fiel mir schwer sie zu verstehen. Sie hat es zwar immer wieder lebendigst beschrieben, was die Depression in Form einer schwarzen Qualle (dieses Bild fand ich übrigens toll) im Inneren anrichtet. Wie sie die Glücklichkeit aufsaugt. Das Problem war, dass ich diese Verzweiflung oftmals nicht gefühlt habe. Sie wirkte auf mich nicht unendlich traurig, nicht unendlich leer, müde oder antriebslos. Stattdessen wirkten ihr Verhalten – und manchmal auch ihre Gedanken – auf mich streckenweise wie die eines gesunden Menschen. Sie hatte auch nicht diesen charakteristischen Tunnelblick. Vielmehr scheint sie an der Welt um sich herum interessiert, beobachtet und analysiert sehr viel. Es schien mir nicht so als würde sie ebenso ernsthaft sterben wollen wie Roman. Denn dieser war wirklich fühlbar verzweifelt, das sprach aus seiner Mimik, seinem Verhalten, seinen Worten. Hätte ich ihre Verzweiflung gefühlt, dann hätte mich das Buch sicher viel mehr berühren können als es das letztendlich getan hat.

***Spoiler ab hier!!!***


Was mich auch gleich zum größten Kritikpunkt bringt: Der fast schlagartigen Heilung von Aysel. Es gab einen Punkt, da ging mir auf einmal alles viel zu schnell. Ab diesem Moment, an dem ihr klar wird, dass sie sich in Roman verliebt hat, schien es als wären ihre Probleme auf einmal wie weggeblasen. Auf einmal (wie aus dem Nichts) kündigt sie ihren verhassten Job, nimmt ihr Leben in die Hand, wird sich über so viele Dinge klar, und will Roman retten. Es gab auch überhaupt keine Rückfälle oder ähnliches. Das ist meiner Meinung nach nicht glaubwürdig. Wenn jemand einmal so weit ist, dass er seinen Selbstmord gezielt plant, kann nicht von einem Tag auf den anderen „alles gut“ (übertrieben ausgedrückt) sein. Einmal sagt Roman: „Ich weiß nicht mal, ob ich dich noch kenne.“ Das habe ich mich auch gefragt, als sich Aysel plötzlich so verändert hat.

Ich finde es zwar gut, dass das Buch gut endet, weil die Autorin Betroffenen damit wohl einfach Hoffnung geben will. Sie ermutigt diese ja auch in der „Anmerkung der Autorin“, sich Hilfe zu suchen. Es kann durchaus sein, dass ein schlechtes Ende auf Betroffene sehr stark wirken könnte. Man wird sicher mehr Freude mit dem Buch haben, wenn man es als erfundene Geschichte betrachtet, die vor allem das Ziel verfolgt den Leser zu berühren und wenn man akzeptiert, dass manche Dinge stark beschönigt werden oder unrealistisch sind. Ich finde es daher auch sehr wichtig, dass die Autorin in dieser Anmerkung selbst erklärt, dass der Weg aus einer Depression in der Regel lang ist. Nur schade, dass sie das im Buch nicht zeigt. Um es nur noch einmal klarzustellen: Es stört mich nicht das positive Ende, sondern die Drehung von Aysel um 180 Grad. Romans Verhalten im Krankenhaus fand ich da viel authentischer. Er weiß, dass es nicht leicht werden wird.

*** Spoiler Ende ***

Auch wenn ich nicht immer sofort wissen wollte, wie es weitergeht: Durch den Countdown am Beginn jedes Kapitels, wollte ich zumindest unbedingt wissen, wie die Geschichte ausgeht. Die Autorin geht sehr feinfühlig an das Thema heran, und schafft es wohl auch Verständnis in jenen Menschen auszulösen, die beim Thema „Suizid“ normalerweise sofort das Thema wechseln und nichts damit zu tun haben wollen. Dieses Buch sehe ich als einen weiteren Schritt in die richtige Richtung. Totschweigen oder die Augen zu verschließen hat noch nie ein Problem gelöst.

Mein Fazit

Ein feinfühliges Buch, das einen Einblick in die Gedankenwelt von suizidgefährdeten Menschen gibt und zeigt, wie es überhaupt dazu kommen kann, das eigene Leben beenden zu wollen. Vielschichtige Personen und ein angenehmer Schreibstil machen dieses Buch zu einer interessanten und berührenden Lektüre, die zum Nachdenken anregt - auch wenn manches beschönigt wird.

Übersicht

positiv:
* Autorin geht feinfühlig an wichtiges Thema heran
* angenehmer Schreibstil, der die Geschichte mit Leichtigkeit erzählt
* vielschichtige Figuren, Hauptperson besonders am Beginn sehr sympathisch
* interessant, gibt Einblicke in die Gedankenwelt depressiver Personen
* Ironie und Humor der Hauptperson
* Roman ist sehr glaubwürdig und liebenswert

***Spoiler ab hier!!!***

negativ:
* schlagartige „Heilung“ der Hauptperson, ihr Verhalten ist nicht immer nachvollziehbar oder glaubwürdig
* wenig „Sogwirkung“, dennoch interessant

***Spoiler Ende***


Bewertung:

Idee und Inhalt: 10 /10
Ausführung: 8 /10
Sprache: 7 /10
Personen: 9 /10
Protagonistin: 7 /10

Zusatzkriterien bei diesem Buch:
wichtige Themen angesprochen: 10 / 10
regt zum Nachdenken an: 9 /10
Liebesgeschichte: 6 / 10

Insgesamt:

❀❀❀❀

Ich vergebe 4 Lilien!

Ist dieses Buch Teil einer Reihe? – Nein.

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