Cover des Buches Stella (ISBN: 9783446259935)
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Rezension zu Stella von Takis Würger

Ohne die Diskussion nur eine lauwarme Liebesgeschichte

von carathis vor 5 Jahren

Kurzmeinung: Anders. Liebesroman, historische Abhandlung, alles nicht so richtig. Interessant verwobene Handlung mit schwierigem Thema.

Rezension

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carathisvor 5 Jahren
Kann man sich heutzutage überhaupt vorstellen, wie es gewesen wäre zu Zeiten der Nationalsozialisten in Berlin zu leben - entweder auf der Seite der Juden, der Liberalen oder gar der Nazis selbst?
Wahrscheinlich ist dies für viele wirklich schwierig. Gerade der Blickwinkel junger Leser unter 30 ist doch hauptsächlich geprägt durch Filme oder Schulunterricht. Und was lernt man daraus? Meist, dass es nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse gibt. In "Stella" ist das ganz anders. Man wird von Takis Würger ins Graue Zwielicht geführt, hinein in die Abgründe und Glanzseiten der Protagonisten, die auf den ersten Blick leicht in Kategorien einzuordnen sind. Doch dies ist nur ein Trugbild.

Anhand einer Liebesgeschichte zwischen einem jungen, naiven Schweizer und einer ebenfalls jungen, aber so gar nicht unschuldigen Berliner Sängerin wird dem Leser ein Bild der tiefen Kluft zwischen Moral und Wahrheit aufgezeigt. Um seinem angestaubten Elternhaus zu entkommen, bricht Friedrich auf, um in der deutschen Hauptstadt, der kein gesund denkender Mensch in Kriegszeiten einen Besuch abstatten würde, das Leben zu spüren. Dort trifft er auf Kristin, die ihn magisch in ihren Bann zieht und dann nicht wieder los lässt.

Die Beziehung der beiden ist in vielerlei Hinsicht rational nicht nachzuvollziehen. Die Handlungen der beiden teils absurd, teils widersprüchlich - aus der heutigen Sicht. Mich hat dabei oft ein Unwohlsein ergriffen, dass mich zweifeln ließ, an der Geschichte und an den Figuren. Aber letztlich bildet diese Liebe nur den Rahmen für das eigentliche Thema, die Verfolgung der Juden im Dritten Reich und die Rolle, die verschiedene Personenkreise darin innehatten.

Für mich ist es wichtig hier zu unterscheiden, zwischen dem Offensichtlichen und dem dahinterliegenden Teil des Romans. Der stille, aber für mich grundlegende Part, die historischen Begebenheiten, die durch Zitate aus Gerichtsakten untermauert wurden, erschließt sich erst mit der Zeit. Er bedarf des Nachdenkens, des Hintergründe Recherchierens und einem offenen Geist. Dies vorausgesetzt, eröffnet "Stella" neue Blickwinkel auf schon oft Gehörtes und hat mir gezeigt, dass manchmal "eindeutige" Fakten, hinterfragt werden müssen.

Leider muss man sagen, dass ab und zu die öffentliche Debatte um Bücher dazu führen kann, dass die Lektüre darunter leidet. In Diskussionen offen gelegte Hintergründe oder auf Klappentexten gedruckte Vorgriffe auf die Handlung haben mir hier die Freude beim Lesen ein wenig verdorben .

Am Ende bleibt bei mir die historische Aufarbeitung hängen, das Abbild der Gesellschaft und die Auseinandersetzung mit falschen Persönlichkeiten. Das Wie, also die Liebesgeschichte, die ein wenig fades Beiwerk für die eigentliche Botschaft war, wird doch eher schnell in Vergessenheit geraten. Trotzdem empfehle ich dieses Buch Menschen, die sich aktiv mit der deutschen Geschichte auseinander setzen möchten, eine gewisse Vorbildung mitbringen und bereit sind, sich von harten Rollenbildern zu lösen.
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