Cover des Buches Jahrhundertzeugen (ISBN: 9783453201248)
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Rezension zu Jahrhundertzeugen von Tim Pröse

Ein Buch, das sich verneigt!

von Wortwanderer vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Dieses Buch stellt einfühlsam leuchtende Helden aus der Nazi-Zeit vor, die uns heute Mut machen!

Rezension

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Wortwanderervor 7 Jahren
War nicht schon alles gesagt worden? Haben wir nicht schon genug gehört von den Opfern und den Überlebenden? Sind die Betrachtungen, die Analysen, die Versuche der Bewältigung von mit menschlichen Kategorien eigentlich nicht zu erfassenden Ereignissen nicht bereits erfolgt?

Ja, ja und ja. Und eben auch nichts von alledem, denn sind auch die Zeiten vergangen, so bleibt doch die Zeitlosigkeit eines menschlichen Verhaltens, welches Beispiel geben kann für etwas, was wir Widerstand, Unangepasstheit, Mut und Aufrichtigkeit nennen. Und vielleicht auch für etwas, was wir Vergebung nennen können.

Ohne falsches Pathos hat der Autor Tim Pröse hier ein sehr persönliches Geschichtsbuch geschrieben, dem es nicht um einen vordergründigen Appell an die nachgeborenen Generationen geht, der nicht die letzten Grauzonen des deutschen Irrweges ausleuchtet, sondern Menschen vorstellt, die zu Helden wurden, weil sie wussten, dass es im Falle ihres Scheiterns keine Überlebenschance für sie gab. Die dann überlebten besaßen und besitzen häufig trotzdem noch die Größe, nach dem Krieg differenzieren zu können. Keiner hätte es ihnen verdenken können, stattdessen in blinde Wut zu verfallen. Das unermessliche Böse, real und rechtlich sanktioniert geworden in einem Kulturstaat in der Mitte Europas, es durchzieht auch dieses Buch und steht ungefiltert neben der menschlichen Wärme der hier Beschriebenen.

Es sind nicht nur die Verfolgten und Gefolterten, vornehmlich die Juden, die hier eine weitere Würdigung erfahren. Es sind auch Menschen wie die Widerstandskämpfer Georg Elser oder Freiherr Boeselager, die in den Nachkriegsjahren dem Verdacht ausgesetzt wurden, aus zwielichtigen Motiven heraus gehandelt zu haben oder erst dann, als sich zeigte, dass es mit dem 3. Reich zuende ging. Ein Vorwurf, der dem militärischen Widerstand um Stauffenberg und Co. häufig gemacht wurde.
Mit welcher Großherzigkeit konnte sich ein Hans Rosenthal zur jungen Bundesrepublik bekennen und dem demokratischen Deutschland dankbar sein? Gar manchem hatte es bei diesem Satz in einer Dalli-Dalli-Sendung nicht nur den Atem verschlagen, sondern auch ein beruhigendes Gefühl gegeben, dass damit doch nun endlich Schluss sei mit den alten Geschichten. Dem war aber nicht so.

Pröse gelingt neben der Würdigung dieser 18 Menschen noch etwas mehr: er zeigt, dass wir genau hinschauen müssen bei der Beurteilung von Menschen und Zeiten. Das wird zum Beispiel bei der Person von Oskar Schindler deutlich, der ohne seine Frau, die immer in seinem Schatten stand, nicht das bewerkstelligt hätte, was seinen Ruf geprägt hat. Und neben den großen Namen sind es viele Unbekannte - Opfer und Täter - die in diesem Buch zu Wort kommen oder zumindest Erwähnung finden.

Das alles komplettiert nicht nur das Bild des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte, sondern gilt für alle Diktaturen im Großen wie im Kleinen. Nicht jeder wird diesen Menschen nachfolgen wollen oder können, aber auf mich wirkten diese Geschichten wie die Stolpersteine vor vielen Häusern, die auf die früheren Bewohner hinweisen, die deportiert und ermordet wurden: wenn wir sie betrachten, verneigen wir uns.
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