Cover des Buches Ein Baum wächst in Brooklyn (ISBN: 9783458177203)
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Rezension zu Ein Baum wächst in Brooklyn von Betty Smith

Erwachsenwerden in Brooklyn

von once-upon-a-time vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Wundervoller Abriss des Erwachsenwerdens in Brooklyn in einer Zeit und einer Gesellschaftsschicht, in der alles so fremd war. Ganz großartig

Rezension

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once-upon-a-timevor 6 Jahren
„Lieber Gott“, betete sie, „lass mich in jeder Minute jeder Stunde meines Lebens etwas sein. Lass mich fröhlich sein, lass mich traurig sein. Lass es mir kalt sein, lass es mir warm sein. Lass mich hungrig sein… zu viel zu essen haben. Lass mich wahrhaftig sein, lass mich lügen. Lass mich ehrenhaft sein und lass mich sündigen. Nur lass mich jede gesegnete Minute etwas sein. Und wenn ich schlafe, lass mich die ganze Zeit träumen, damit kein einziges Stückchen Leben je verloren ist.“ (S. 533)

„Ein Baum wächst in Brooklyn“ erschien in den vierziger Jahren zum ersten Mal und erzählt vom Großwerden in den erbarmungswürdigen Zuständen der Armut in Brooklyn in den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts. Es bieten einen direkten, ungeschönten und zugleich nicht künstlich dramatisierten Einblick in eine Welt, die uns ferner kaum scheinen könnte.

„Und wenn die Welt dann zu hässlich wird, um darin zu leben, kann das Kind auf diese Dinge zurückgreifen und in seiner Phantasie leben.“ (S. 111)
„Sie steckte dies Klümpchen Wissen zu all den anderen, die sie fortwährend sammelte.“ (S. 402)


Es sind elende Verhältnisse, in die uns Betty Smiths Roman entführt, und die direkt aus der Sicht eines Kindes geschildert völlig ungefiltert ankommen und den glaubwürdigsten, wahrhaftigsten Eindruck vermitteln, den ich von einem solchen Viertel jemals hatte. Das liegt sicherlich mit daran, dass niemals bewusst auf die Tränendrüse gedrückt wird, dass die Kindheit der Protagonistin und ihres Bruders gar vor Glücksmomenten geradezu überlaufen, sodass bei mir beinahe ein leises Neidgefühl erwachte: Wie glücklich wäre ich, wenn es mir so leicht fiele, mich für kleine Dinge zu begeistern? Wie glücklich könnte man sein, wenn man das Leben annähme, ohne es zu bewerten, und sich an dem erfreuen könnte, was man hat?

„Die Leute glauben immer, Glück sei etwas Fernes“, dachte Francie, „etwas Kompliziertes und schwer Erreichbares. Aber welche Kleinigkeiten es doch bewirken können, ein geschützter Ort, wenn es regnet – eine Tassen starken Kaffee, wenn man traurig ist, für einen Mann eine Zigarette für die Zufriedenheit, ein Buch zum Lesen, wenn man allein ist –, einfach mit dem zusammen sein, den man liebt. Das alles macht Glück aus.“ (S. 577)


„Ein Baum wächst in Brooklyn“ ist eines der beeindruckendsten Bücher, die ich je gelesen habe, und es wird ganz sicher unter meinen Lieblingsbüchern 2018 einen Platz finden. Und ich bin mir sicher, dass fast jeder, der einen Funken Interesse für das echte Leben in dieser Zeit, an diesem Ort besitzt, an diesem Buch Spaß haben wird.
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