Cover des Buches Ich will brav sein (ISBN: 9783442486045)
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Rezension zu Ich will brav sein von Clara Weiss

In der Hitze des Sommers

von ForeverAngel vor 7 Jahren

Rezension

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ForeverAngelvor 7 Jahren

Es ist ein heißer Sommer, als Julietta "Juli" Schindler aus Berlin nach München zieht, um dort nicht nur Psychologie zu studieren, sondern auch den Garten ihrer Mutter wiederzufinden. Ein herrlich satter Obstgarten, in dem die Mutter als Kind einen Schatz versteckt hat. Juli hofft ihrer Mutter, die nach einem Schlaganfall nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, so wieder näher zu kommen. Auf der Suche nach einem günstigen Zimmer stößt sie auf die junge Schauspielerin Margaretha "Greta" Brandstätter, bei der sie für kleines Geld unterkommen kann. Doch es ist eine Dachgeschosswohnung, in der sich die Hitze des Sommers staut und Greta stellt viele merkwürdige Regeln auf.

"Der Sommer war da. Und er war dabei ihr neues Zuhause in einen unwirtlichen Ort zu verwandeln"
(Seite 146)

Juli ist kaum einen Monat da, als es anfängt. Sie begegnet einem stummen, blonden Mädchen im Treppenhaus, das sonst niemand bemerkt hat. Auf dem Dachboden findet sie die Zeichnung eines Kindes, das eine verletzte rothaarige Frau zeigt. Soll das etwa Greta darstellen? Und dann entdecken Juli und Gretas Freund Gregor auf dem Dachboden eine Leiche, erstickt mit einer roten Perücke und an der Tür steht in kindlicher Schrift geschrieben "Ich will brav sein". Das alles sollte erst der Anfang sein. Was geht hier vor? Und was hat es mit dem Namen Charlotte Weber auf sich, der immer und immer wieder auftaucht?

Was da vor sich geht, das habe ich schon nach 150 Seiten geahnt. Eigentlich schon nach dem Anruf, den Juli kurz nach ihrem Einzug bekommen hat und bei dem eine Frau am anderen Ende der Leitung überzeugt war, sie würde mit Charlotte sprechen. Clara Weiss hat zwischendurch immer wieder Spuren gelegt, die mich an meiner Vermutung haben zweifeln lassen und es gab hier und da Puzzleteile, die nicht so ganz zu der Auflösung gepasst haben, die ich mir zurecht gelegt habe. Aber letztendlich hatte ich von Anfang an recht.

Trotzdem. Clara Weiss hat es geschafft, einen Psychothriller zu schreiben, der es verdient hat, so bezeichnet zu werden. Das Setting, das sie gewählt hat, passt perfekt zu den Geschehnissen, die Hitze und Schwüle, die stickige Luft, das Schwitzen, all das unterstützt die bedrohliche Atmosphäre hervorragend. Mehr noch. Die Hitze verbindet die kursivgeschriebenen Passagen über ein kleines Mädchen, das von ihrer Mutter auf dem Dachboden eingesperrt wird und dort aus Angst vor einer Zauberin, die ihr die Haare abschneidet und den Fluchtweg zumauert auf der Erde kauert, mit dem gegenwärtigen Erzählstrang, bei dem Juli ähnliche Dinge erlebt wie das Mädchen. Ein sticker Dachboden, auf dem sich die Hitze staut und auf dem sie ihre Wäsche aufhängen muss. Die beklemmende Enge eines Autos, das sich wie ein Backofen aufheizt. Hitze und stickige Luft sind ein allgegenwärtiges Thema in diesem Thriller und sorgen - in Kombination mit Schlafmangel - dafür, dass Juli langsam aber sicher die Nerven verliert.

"Sobald sie im Türrahmen stand, brach die Hitze wie eine Flutwelle über sie herein Scharf wie Messerstiche stach sie in ihre Lunge. Juli hielt sich schützend die Hand vor Mund und Nase, auch weil sie auf den grausam süßlichen Geruch gefasst war, der sie hier oben schon einmal überrollt und sich in ihr Gedächtnis gebrannt hatte."
(Seite 282)

Clara Weiss hat zudem eine Handvoll spannender Figuren geschaffen, von denen man leider bis zum Schluss nicht wusste, ob sie die Geschichte überleben werden oder nicht. Julis Suche nach dem mysteriösen Obstgarten ist nämlich mit Leichen gepflastert. Die Figur, die am meisten ins Auge sticht, ist natürlich die rothaarige Schönheit Greta, an dessen Echtheit Juli immer stärker zweifelt. Greta ist launisch und als die Leiche auf ihrem Dachboden gefunden wird, ärgert sie sich eher über ein geplatztes Dinner, als dass sie über den Fund bestürzt ist. Hat sie etwa etwas damit zu tun? Dann ist da Gregor, Gretas Freund, der eigentlich nach Hamburg ziehen wollte und dann doch ständig in Gretas Wohnung ist. Elli, eine Freundin, die Juli an der Uni kennenlernt und die ebenfalls Psychologie studiert. Nik, der verheiratete Polizist, mit dem Elli eine Affäre beginnt und der sie und somit auch Juli, mit polizeilichen, vertraulichen Informationen über die Dachbodenleiche versorgt. Hannes, Julis Freund aus Berlin, mit dem sich ab und an telefoniert, der aber versprochen hat, zu ihr nach München zu ziehen, damit sie sich ein gemeinsames Leben aufbauen können. Der Obstladenbesitzer, bei dem Juli anfängt zu jobben. Frau Grothe, die alte Dame aus dem Haus, deren Leiche man später auf dem Dachboden findet. Gretas Stalker. Und bei all diesen Figuren fragt man sich: haben sie es auf Juli abgesehen? Oder ist alles ganz anders, als sie denkt?

Das einzige, was mich ein passiert gestört hat, sind die vielen Zeitsprünge. Plötzlich ist ein Monat vergangen, oder ein Kapitel endet mitten in der Nacht und im nächsten Kapitel weiß man gar nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Ist es der nächste Morgen? Der nächste Tag? Ist eine Woche vergangen? Es fehlt ein bisschen der Zusammenhang zwischen den einzelnen Kapiteln, weil an nie so recht weiß, wie spät es ist oder welcher Wochentag oder wie viel Zeit eigentlich zwischen den Kapiteln vergangen ist. Obwohl ich zugeben muss, dass diese Sprünge im Nachhinein sehr gut zur Auflösung passen und auch zu meiner frühzeitigen Ahnung, worum es hier geht, beigetragen haben.

Ach ja und dann wäre da noch das Gedicht, aus dem viermal jeweils eine Strophe zwischen die Kapitel geschoben wird. An sich eine tolle Idee und inhaltlich passt es auch super, aber: es ist einfach schlecht. Diese lächerlichen Yoda-Rheime haben mich immer wieder zum Lachen gebracht und das war sicherlich nicht die Absicht dahinter:

"Dein Weinen ist vergeblich, Kind,
um dich herum nur Steine sind"
(Seite 175)

Kurz und knapp, Ich will brav sein ist der erste Thriller seit sehr langer Zeit, der mich völlig in seinen Bann gezogen hat und den ich an einem einzigen Tag ausgelesen habe, weil ich keine Pause eingelegen wollte. Obwohl ich schon früh wusste, worauf alles hinauslaufen würde, hat die Autorin es immer wieder geschafft, dass ich an meiner Vermutung zweifle und sie hat mich mit der bedrückenden Atmosphäre, die sie geschaffen hat, völlig in ihren Bann gezogen.

(c) Books and Biscuit

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