Obwohl wir es hier nur mit ein paar Erzählungen und Einblicken eines normalen jungen Menschen zu tun haben, hat mich das Buch mitgenommen: Ich war betroffen und bewegt, konnte aber auch schmunzeln und staunen - ein autobiographisches Werk, das großes Potential hat, zur interkulturellen Verständigung beizutragen.
Zum Inhalt:
In 15 Kapiteln schildert Faisal Hamdo mit Hilfe seiner Koautorin Elena Pirin seine Eindrücke von Deutschland im Vergleich zu seiner Heimat Syrien (Aleppo) und erzählt nebenbei von politischen und gesellschaftlichen Strukturen in Syrien. Die Kapitel sind eher thematisch geordnet und folgen scheinbar spontanen Gedankengängen und Assoziationen des Autors. Von "Schnee in Aleppo" (Kapitel 1) über "Die Ziege meiner Mutter" (Kapitel 4) und "Glühwein zum Ramadan" (Kapitel 6) bis hin zu "Loriot für Araber" (Kapitel 12) und "Mein Silvester 2015" (Kapitel 14) sind sehr unterschiedliche Themen dabei - manche eher traurig und bewegend, andere locker und witzig.
Meine Meinung:
Voller Respekt und mit einem zwinkernden Auge kommentiert Faisal die unterschiedlichsten Dinge, auf die er in Deutschland stößt. Vom Kulturschock über den offenen Umgang mit Sexualität und der Entdeckung, dass Deutsche auch Humor haben (können) erzählt er unter anderem. Aber auch von dem Umgang miteinander, wobei er sich immer wieder an seine eigene Heimat und Familie erinnert. Es ist ein besonderes Erlebnis, von dem jungen Physiotherapeuten zu lesen, der als Enkel eines Beduinen und sunnitischer Moslem aus Nordsyrien so einiges zu erzählen hat - einfach, weil viele Aspekte seines Lebens so anders sind als im durchschnittlichen "deutschen" Leben.
In mir stiegen zum Beispiel Bewunderung für den außerordentlichen Zusammenhalt unter Familienmitgliedern und Nachbarn auf, mit einem bitteren Beigeschmack las ich von Wahlen und Politik in Syrien und voller Respekt begegnete ich Faisals offenem Umgang mit seinem eigenen Glauben, den er scheinbar auch in seinem Alltag trotz steigender Skepsis gegenüber Muslimen gut integriert hat.
Besonders schön fand ich seine zurückhaltende und kluge Art, Kritik zu üben (zum Beispiel an den kostenlosen Deutschkursen) und dass er nie müde wurde, sich von allgemeiner Stereotypisierung zu distanzieren - denn dies ist lediglich seine eigene Sicht. Man liest hier, wie er und wahrscheinlich auch einige andere seiner Landsleute Deutschland wahrnehmen (können), was sie als befremdlich empfinden (könnten) und wie sie mit bestimmten Themen umgehen (können).
Ich konnte dem flüssigen Schreibstil gut folgen und freute mich jedes Mal beim Aufschlagen des Buches darüber, mehr Einblicke in Faisals Leben und Sichtweisen zu erhalten. Nur eins war schade: Als es dann irgendwann vorbei war. Ein paar Fragen blieben mir noch (z.B. warum und wie er dazu gekommen ist, in einer deutschen Familie mit Bürgschaft zu leben) - aber vielleicht geht mich das auch nichts an. So jedenfalls ist es ein interessanter Mix aus Schicksalsbericht mit persönlichen Einblicken und allgemeinen kulturellen Unterschieden zwischen Syrern und Deutschen.
Fazit:
Unbedingt lesenswert - für jeden, der mit syrischen Einwanderern zu tun hat oder auch für alle anderen, die sich für das Leben eines sympathischen Syrers (in Deutschland) interessieren.