Cover des Buches Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (ISBN: 9783462050349)
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Rezension zu Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke von Joachim Meyerhoff

Das ganze Leben ist Theater

von leselea vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Im typischen Meyerhoff-Sound erzählt der Autor von Freud und Leid - doch sein Protagonist wurde mir hier ein wenig fremd.

Rezension

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leseleavor 7 Jahren

In Meyerhoffs autobiographisch geprägten Romanen spielen der Tod, der Verlust geliebter Menschen und das Leben mit den Erinnerungen an die geliebten Geister die eigentliche Hauptrolle. Da war so im ersten Band, Alle Toten fliegen hoch, in dem neben dem Amerikaaufenthalt des Protagonisten eigentlich vom Umfalltod des Bruders erzählt wird; das war so im zweiten Band, Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war, ein Familienbuch, vor allem aber ein Buch über den Vater, den der Protagonist ebenfalls verliert. Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke schließt wenig überraschend an dieses Konzept an: In Band 3 seiner Lebensgeschichte setzt Meyerhoff nun schließlich seinen Großeltern ein literarisches Denkmal.

Und diese Großeltern hatten es in sich! Die Großmutter Schauspielerin, die einst im Fernsehen gern die große Diva gab, einfach deshalb weil sie diese Rolle auch im kleinen alltäglichen Leben mit Freude spielt. Der Großvater, eigentlich Stief-Großvater, ein Intellektueller, ein Philosoph, der große, bedeutungsschwere Worte in seinem Kopf hin- und herwendet. Beide lieben die Struktur, das Bekannte, folgen einem festen Tagesablauf (bei dem Alkohol eine nicht zu unterschätze Rolle spielt), ja sogar Lebensablauf. Alles hat seinen bestimmten Platz im Zusammenspiel dieses Paares: die Möbelstücke, die Familienmitglieder, die Erinnerungen. Eine Welt zwischen Verkrustung und Extravaganz, die zugleich mit der neuen Welt des Protagonisten – die Welt des Schauspiels – kontrastiert und korrespondiert. Denn während Meyerhoff von seinen Großeltern erzählt, schreitet er zugleich zielsicher in der Chronik seines Lebens fort und berichtet von den Anfängen seiner Theaterkarriere, die ihren Ursprung in der Aufnahme an die Otto-Falckenberg-Schule nimmt.

Meyerhoffs Protagonist, unschwer als sein Alter Ego zu erkennen, ist mir im Laufe der einzelnen Bände sehr ans Herz gewachsen. Kaum einer zeigt die Kunst des grandiosen Scheiterns, das Dabeisein und doch nicht Dazugehören so schmerzhaft-schön auf wie diese Figur. Seine Gedankenwelt ist mir vertraut, seine Handlungen fast schon vorhersehbar – und doch beginnt mir seine Lebenswelt in diesem Band fremd zu werden. Habe ich mich in den Darstellungen der Pubertät und des verrückten Familienalltags der ersten beiden Bände noch sehr gut wiedergefunden, finde ich mich in seinem neuen Zuhause – der Großelternvilla und der Schauspielschule –, wenn auch wunderbar beschrieben, nicht vollkommen zurecht. Zwar hatte Meyerhoff von Beginn an eine Neigung zur Übertreibung und Skurrilität, die Fähigkeit, kleine Dinge überproportional groß zu erzählen. Doch dieser hier beschriebene Alltag ist mir schon von seinen Wurzeln her zu überdreht, zu hochgeschraubt, zu dramatisch.

Eine Veränderung hat sich meiner Meinung nach auch im Stil eingeschlichen: Natürlich erzählt der Autor wie gewohnt souverän und hervorragend, der vertraute Meyerhoff-Sound stellt sich schnell ein und summt einem im Kopf. Doch auch hier vermag ich eine leichte Verschiebung wahrzunehmen: Meyerhoff erzählt stringenter, weniger assoziativ (obwohl er sich fast markenzeichenmäßig immer noch in seinen Darstellung verlieren kann), dafür analysierender. Sein Protagonist wird erwachsen und wehmütig vermisse ich ein wenig das Staunende, Naive, Fragende. Obwohl es eine natürliche Entwicklung ist, ist mir diese liebgewonnene Figur fast zu fixierend, hinblickend und konfrontierend.

In gewisser Weise hat sich also eine Entfremdung eingestellt, dennoch hat mich auch dieses Buch wieder begeistern können. Und jetzt bin ich nicht nur gespannt auf den nächsten Band, sondern vor allem auf die weitere Entwicklung, die sowohl der Autor in seiner Erzählkunst als auch seine Figur im Heranwachsen durchmachen wird. Wie werde ich mich als Leser dazu positionieren? Gut, dass der vierte Band schon in den Startlöchern steht und mir recht bald eine Antwort liefern wird!

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