Cover des Buches Magermilch (ISBN: 9783897058989)
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Rezension zu Magermilch von Jutta Mehler

Alte Seilschaften

von Schokolatina vor 10 Jahren

Rezension

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Schokolatinavor 10 Jahren
Ich hatte natürlich den entscheidenden Vorteil. Ich kenne ich die Gegend um Deggendorf gut, zum anderen habe ich selber einmal ein Jahr in einer bayerischen Kleinstadt gewohnt. Und ob nun Dorf oder Kleinstadt, das gesellschaftlich streng überwachte Gefüge ist dasselbe. Kein Atemzug vergeht, ohne dass der Nachbar nicht weiß, was du tust. Sofern er sich dafür interessiert.

Fanni Rot lebt in einem Dorf bei Deggendorf. Klein, fein, beschaulich und immer im Fokus der Dorffrauen. Nicht weil sie dazugehört, sondern eben weil sie nicht dazu gehören will.
Und wieder einmal findet Fanni eine Leiche. Weil sie hinschaut und nicht wegschaut, weil sie sich kümmert, weil sie neugierig ist. Dieses Mal ist es der Besitzer vom örtlichen Möbelwerk und – zu allem Überfluss, aber bei der naturgemäß geringen Anzahl von Bewohnern der Gegend, unvermeidlich – auch noch jemand, den Fanni persönlich kannte. Vom Bergsteigen. Als Hans Rot noch körperlich aktiv war.
Da Fanni mal wieder nicht zuerst die Polizei, sondern ihren besten Freund Kommissar Sprudel ruft, wird dieser vom Fall abgezogen, weil er unsachgemäß am Tatort herumgegangen ist. Bleibt also mehr Zeit für ihn, sich mit Fanni im Hintergrund um die Aufklärung zu kümmern. Leni, Fannis Tochter, hat ebenfalls genug Freizeit, weil ihr Freund mit der Untersuchung des Falls beauftragt wird. Genug Zeit, um mit Fanni an einer Bergtour zu Ehren des Toten teilzunehmen. Und zusammen mit Fanni in Todesgefahr zu geraten.

Und wieder zeichnet Jutta Mehler das typische Bild der Dort- und Kleinstadtstrukturen. Jeder kennt jeden, der versucht, jeden für sich zu gewinnen, dafür andere wegzudrängen, vom Markt, von Absatzchancen und was noch so ansteht. Letztendlich stellt sich heraus, dass sich doch wieder jeder selbst der nächste war, dass alles, was nach außen zu sehen war, heuchlerischer Schein war und alles in Wirklichkeit ganz anders ist. Aber Fanni wäre nicht Fanni, wenn sie dem nicht auf den Grund gehen würde.

Und wieder wird im Lauf der Geschichte einiges an Zeit (auch von der des Lesers) dafür geopfert, dass Fanni für ihr selbstgewähltes Schicksal (Ehe- und Hausfrau von Hans Rot zu sein, dem sie ihre Zwillinge als Kuckuckskinder untergeschoben hat) viel Zeit in die Zubereitung des pünktlich auf dem Tisch zu stehenden Essens investiert, ins Aufräumen und Putzen des Hauses und und und.

Es ist ein Freund gestorben und Fanni geht nach Hause kochen, damit pünktlich das Essen auf dem Tisch steht. Das Leben geht weiter und Hans Rot hätte kein Verständnis dafür, dass sie die wirklich wichtigen Dinge im Leben vernachlässigen würde. (Ich musste immer wieder darüber grinsen beim Lesen, weil zwar Fanni Rot von ihrem Hans als Soziopathin dargestellt wird, derjenigen, die sich dieser kleinkarierten, engstirnigen Gesellschaft nicht komplett ausliefern will, ich aber tatsächlich Hans Rot als krankhaft angepasst sehe. Zudem kommt diese Figur – ebenso wie der Sprudel (der vornamenlose Kommissar) sehr blass weg. Motive für sein Handeln lassen sich nicht erkennen. Hans Rot macht, was alle machen, wie alle es machen, und hinterlässt den hässlichen Nachgeschmack von „denkt nicht nach, was er tut“).

Kurz: ein netter Zeitvertreib für einen verregneten Nachmittag, wer die Gegend kennt, wer Dörfer und ihre unterschwelligen Strukturen kennt, der wird breit grinsen. Ohne die ganzen Beschreibungen vom Kochen, Putzen, Gärtnern, vom Haushalten etc. wäre die Story selber vermutlich in der Hälfte der Seiten abgehakt.
Und ob die Figur der Fanni Rot tatsächlich noch weitere Geschichten und Morde trägt, ohne doch irgendwann sehr arg abgegriffen zu sein, wenn sie sich nicht langsam mit Hans Rot, ihrem Hausfrauensklavendasein und Sprudel auseinandersetzt, wage ich langsam zu bezweifeln.
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