Cover des Buches Steinefresser (ISBN: 9783943737172)
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Rezension zu Steinefresser von Michael Behrendt

Gefahrensucher

von Igelmanu66 vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Hart, gewalttätig, düster. Ein ungewöhnlicher Ermittler wühlt in dunkler deutsch-deutscher Vergangenheit.

Rezension

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Igelmanu66vor 9 Jahren

»Alice hatte ihn erkannt. Hatte erkannt, warum er, warum seine Freunde so waren. Alice hatte es einmal in einem Zitat zusammengefasst, das, soweit Schacht sich erinnerte, von dem Schriftsteller George Orwell stammte: „Die Menschen schlafen nachts nur deshalb friedlich in ihren Betten, weil harte Männer bereitstehen, um für sie Gewalt auszuüben.“ Das Gesetz, das Gute konnte man nicht nur mit Moral und Anstand verteidigen, sondern auch mit Mitteln, die nicht erlaubt waren. Schacht war sicher, dass der Staat, der ihm diese Gesetze auferlegte, von ihm insgeheim verlangte, dass er sie manchmal übertrat. Den Rechtsstaat hin und wieder abschaffen, um ihn vor sich selbst zu retten.«

Wolf Schacht, Teamleiter beim SEK, sieht die Altersgrenze für den Dienst in seiner Spezialeinheit langsam aber stetig auf sich zukommen. Auf der Suche nach einer Aufgabe für die Zeit „danach“ landet er für zwei Monate in der Berliner Mordkommission. Gleich sein erster Fall darf kein Fall sein: Ein Polizist hat sich mit seiner Dienstwaffe erschossen und während Schacht und seine Kollegen noch die Wohnung untersuchen, wird ihnen die Angelegenheit schon vom Staatsschutz abgenommen.

Schacht hat keinerlei Erfahrung, was Ermittlungsarbeit angeht. Aber er merkt, dass an dem Selbstmord irgendetwas nicht stimmen kann. Auf eigene Faust macht er sich auf die Suche und gerät in einen Sumpf aus noch mehr Toten, Gewalt, Spitzelei, Bandenkriminalität, organisiertem Verbrechen und einem düsteren Stück deutsch-deutscher Geschichte.

Dieser Ermittler ist anders als alles, was wir bisher kennengelernt haben. Er ist intelligent, aber Gewalt bestimmte nun mal seinen bisherigen Arbeitsalltag. Und abgesehen von der Tatsache, dass schon mal hin und wieder das Knie zwickt, merkt er an sich, seinen Gedanken und Taten, dass es an der Zeit ist, etwas zu ändern. Denn obgleich er überzeugt ist, auf der richtigen Seite zu stehen und richtig zu handeln, scheint das tägliche Pensum an Gewalt einen Einfluss auf ihn auszuüben, der ihm nicht behagt.

»Es gab keinen direkten Anlass für das, was er in sich spürte: Tatendrang und Aggressivität. Er hatte eine seltsame Wut in sich. Diese Wut, vor der er Angst hatte, weil sie einfach ganz von selbst über ihn kam. Und weil er sie nicht kontrollieren wollte.«

Seine neuen Vorgesetzten sind mit seiner Anwesenheit überhaupt nicht glücklich. Ich habe mir bislang nie Gedanken darüber gemacht, ob es unterhalb der verschiedenen „Arten“ von Polizisten Vorbehalte gibt. In diesem Buch lernte ich reichlich davon kennen. Die einen sind „hirnlose Polizeischläger“, die anderen „gegelte Anzugträger“. (Besonders süß, daher muss ich es hier kurz erwähnen: Die Wasserschutzpolizei wird von den „Schlägern“ als „Entenpolizei“ tituliert.) Was sich daraus ergibt, reicht von Frotzeleien bis hin zu offener Feindseligkeit.

»Ob der weiß, dass er bei uns die Tür nicht eintreten darf?«

Schacht selbst hat zwar ein ordentliches Selbstvertrauen, weiß aber durchaus, dass ihm zu seiner neuen Aufgabe noch jede Menge fehlt.

»Einen Tatort in diesem Stadium zu sehen, war für Schacht eine ungewohnte Sache. Im normalen Leben waren sie die Ersten, die ankamen, und die Ersten, die wieder verschwanden. Das Chaos, das sie manchmal am Tatort hinterließen, fiel dann in ein anderes Ressort. Die Ermittelei, das Sichern kleinster Beweise – ein halber, ausgespuckter Kaugummi oder eine Zigarettenkippe – überließen sie den anderen. Wenn es Blutspuren gab, kamen die manchmal von ihnen.«

Er kann auch schön selbstironisch sein…

»Beim SEK schießen wir erst und schauen dann.«

…am Umgangston gegenüber Hinterbliebenen muss er aber wirklich noch arbeiten.

»Nein, er hat nichts Illegales gemacht, er hat sich nur erschossen.«

Jedenfalls erfährt der Leser einiges über den Alltag und die Sorte von Menschen, die beim SEK arbeiten. Ich mochte diese Kapitel. Sie waren sehr gewalttätig, aber interessant. Ebenso wie Schachts Psyche. Ein bisschen weniger Alkohol hätte es für mein Empfinden aber sein können. Mir kam Schacht so vor wie jemand, der auf direktem Wege ist, ein Alkoholiker zu werden. Was übrigens auch für diverse andere Charaktere in diesem Buch gilt. Soll das besonders männlich wirken? Wird nicht dem Leser der Eindruck vermittelt, dass ein echter Kerl ruhig täglich „ordentlich tanken“ kann und trotzdem topfit ist und in der Lage, Auto zu fahren? Nicht falsch verstehen – ich mag Charaktere mit Schwächen. Und sollte Schacht ein Alkoholproblem haben, wäre das für mich in Ordnung, sofern nicht gleichzeitig vermittelt wird, dass dies im Grunde überhaupt nichts ausmacht.

Der Fall, der kein Fall sein darf, nimmt im Laufe der Handlung ordentlich Fahrt auf – ich habe ja oben ein paar Punkte aufgezählt. Das Problem mit der Gewalt ist für Schacht nicht leicht in den Griff zu kriegen, körperbetonter Einsatz ist nun mal sein Ding. Auch, wenn er beispielsweise im Bordell ermitteln muss ;-)

Am Ende geht es Schlag auf Schlag, laufen innerhalb kürzester Zeit viele Fäden zusammen. Ein bisschen viel vielleicht, das Ende (mit Cliffhanger) kam mir ein wenig zu plötzlich. „Steinefresser“ ist der Auftakt zu einer Trilogie, die hoffentlich bald fortgesetzt wird.

Fazit: Hart, gewalttätig, düster. Ein ungewöhnlicher Ermittler wühlt in dunkler deutsch-deutscher Vergangenheit.

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