Rezension zu Träume von Flüssen und Meeren von Tim Parks
Rezension zu "Träume von Flüssen und Meeren" von Tim Parks
von Stadtbuecherei_Wuerzburg
Rezension
Stadtbuecherei_Wuerzburgvor 15 Jahren
Als John James vom Tod seines Vaters im fernen Indien erfährt, macht er sich sofort auf den Weg zum Londoner Flughafen, um zur Beerdigung nach Delhi zu reisen. Sein Vater Albert James war ein berühmter Anthropologe, dessen Theorien nicht immer unumstritten waren und der seit Jahren in Indien lebte. Er starb an Prostata- krebs. John versucht im Trubel Delhis Erklärungen zu finden; Erklärungen über das seltsame und gefühlskalte Verhalten der Mutter Helen, die den Tod Alberts nicht wirklich an sich ranlässt. Als er nach London zurückkehrt, erreicht ihn ein verspäteter und unvollendeter Brief seines Vaters. Obendrein beginnt Johns Freundin, eine angehende Schauspielerin in London eine Affäre mit einem japanischen Regisseur und so flieht John erneut nach Delhi. Diesmal lässt er sich in einem billigen Hotel nieder, um mehr über das Leben seines Vaters zu erfahren: Warum schrieb sein Vater ihm kurz vor seinen Tod diesen mysteriösen Brief, in dem er über seine immer wiederkehrenden Träume von Flüssen und Meeren erzählt? Warum war die dreißigjährige Ehe zwischen Helen und Albert gar nicht so glücklich wie sie nach außen schien? Und warum lässt sich seine Mutter, eben erst verwitwet, mit einem Journalisten ein, der eine Biografie über den Vater Albert James schreiben will? Somit entsteht auf der Suche nach dem Leben eines Mannes, der viel mehr verkörperte, als alle Beteiligten zu wissen glaubten, ein Sog, dem man sich als Leser nicht entziehen kann. Plötzlich findet man sich in der Gluthitze Indiens, in dem Gefühlschaos, der Orientierungslosigkeit und den brodelnden Beziehungen aller Mitwirkenden wieder. John aber kann Indien immer weniger abgewinnen, für ihn ist Indien ein Land des Schmutzes und des Todes. Auch wenn der Titel Idylle suggeriert und das Buch sich wie ein langsamer Fluss ausbreitet, wird einem im Verlauf der einzelnen Handlungsstränge deutlich, dass es hier um die Geheimnisse des Lebens geht und die wahren Beweggründe der Menschen, die dahinter stehen. Schicht für Schicht legt der Autor alles offen, die „neuralgischen Punkte“ im Beziehungsgeflecht der Figuren werden immer deutlicher und der Text wird immer rasanter. Tim Parks zeigt meisterhaft, dass sich die Gewissheiten des Lebens und der Liebe von einem Moment auf den nächsten in Luft auflösen können, im Nichts verschwinden können. Dabei vermeidet er bewusst alle Klischees um Indien und die so häufig verwendete Indienkulissenexotik. „Träume von Flüssen und Meeren“ ist ein gradlinig erzählter und dennoch fulminanter Roman, der einem ein fesselndes und bewegendes Leseerlebnis bereitet. Am Ende ist man sich als Leser ziemlich sicher, dass dieses Buch seine Zeit überdauern und in die Literaturgeschichte eingehen wird.