Cover des Buches Die wahre Geschichte von Regen und Sturm (ISBN: 9783551560131)
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Rezension zu Die wahre Geschichte von Regen und Sturm von Ann M. Martin

Nur Ruth selbst lässt ihre Geschichte kalt

von HeidiTroi vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Genial übersetzt und wahnsinnig einfühlsam geschrieben - so einfühlsam, dass es einen "Normalen" schon manchmal wieder vor den Kopf stößt

Rezension

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HeidiTroivor 8 Jahren

Ich bin Lehrerin und war auch schon mit der Situation konfrontiert, Kinder mit einer Form von Autismus in der Klasse sitzen zu haben. Oft ist es ein langer, steiniger Weg bis die Kinder endlich zu ihrer Diagnose kommen und damit nicht nur zu einer für sie geeigneten Behandlung, sondern auch zu dem Verständnis von ihren Mitschülern. Natürlich erregen Kinder, die (scheinbar) ohne Grund herausschreien das Kopfschütteln ihrer Mitschüler, teilweise machen sie denen auch Angst. Umso schöner finde ich es, dass dieses Buch Autismus thematisiert und das auf eine Art, die ich mehr als einfühlsam finde.

Die Autorin Ann M. Martin hat nicht nur gut recherchiert, sondern sie hat sich selbst in die Rolle der Hauptfigur, der autistischen Ruth, hineinversetzt und so geschrieben, wie das Mädchen schreiben würde. Es hat gelernt, dass man bei einer Geschichte zuerst die Protagonisten einführt, also tut sie das, denn sie hält sich an Regeln. Sie tut das aber nicht, wie ein „normaler“ Mensch, sondern in Form einer Liste, als wolle sie sagen: „Ihr verlangt das von mir, dann mache ich es eben.“ So wie sich Ruth Konversationsanfänge zurechtlegt, die zwar nach dem Muster „Ich gebe dir eine Information und stelle eine damit zusammenhängende Frage“ aufgebaut, aber eben doch nicht gewöhnlich sind. Genauso ist der ganze Roman aufgebaut: systematisch, klar strukturiert, schnörkellos, vielleicht könnte man sogar sagen, ein bisschen ohne die uns bekannten Gefühle. Würden wir Ruths Geschichte am eigenen Leib erleben, würden wir aufschreien, weinen, bis wir keine Tränen mehr haben, das Herz würde uns brechen – nicht nur einmal, sondern mehrmals. Doch Ruth reagiert so, wie es Autisten eben tun: Sie nimmt wahr, was passiert, stellt vielleicht fest, dass sie nicht mehr so gut einschlafen kann ohne Regen, aber es sind die kleinen Dinge, die sie wirklich aus dem Konzept bringen können. Und wir beginnen ein bisschen zu verstehen, wie es in ihrem Kopf aussehen könnte.

Überwältigend ist für mich, was die Übersetzerin Gabriele Haefs in diesem Fall geleistet hat. Denn Ruth erzählt nicht nur ihre Geschichte, sondern immer dann, wenn sie ein Homonym sieht, steht das Gegenstück dazu in Klammer daneben. Da gehört ein bisschen mehr (Meer) dazu, als einfach so zu übersetzen und Frau Haef gebührt dafür ein großes Kompliment.

Alles in allem ist das Buch für mich absolut empfehlenswert – für Jugendliche, die Bücher mit Tiefgang suchen, aber auch auf jeden Fall für alle Erzieher, Lehrer, Menschen, die mit dem Thema Autismus konfrontiert sind und nicht nur wissenschaftliche Abhandlungen darüber lesen wollen, sondern in die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Schützlinge eintauchen wollen.

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