Cover des Buches Die Mitte von allem (ISBN: 9783734856044)
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Rezension zu Die Mitte von allem von Anna Shinoda

Wie weit darf Liebe in der Familie gehen?

von eulenmatz vor 9 Jahren

Rezension

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eulenmatzvor 9 Jahren

Clare ist die jüngere Schwester von zwei älteren Brüdern. Besonders ihren 12 Jahren älteren Bruder Luke liebt Clare sehr. Er ist Held in einer schimmernden Rüstung. Ihre Liebe zu ihm ist trotz seiner häufigen Gefängnisaufenthalte scheinbar unerschütterlich. Warum Luke so oft in Gefängnis muss, wird Clare von ihren Eltern immer mit dem Satz „Er war zur falschen Zeit am falschen Ort“ beantwortet. Luke kehrt nach vier Jahren frühzeitig aus der Haft zurück. Clare hofft, dass er sich dieses Mal geändert hat. Doch es kommt alles anders. Luke wird erneut verhaftet und auch Clare gerät unter Verdacht. Die Ereignisse stellen ihr bisheriges Leben auf den Kopf und gefährden ihre Zukunft. Clare beschließt herauszufinden, wer ihr Bruder wirklich ist und geht seiner Vergangenheit auf den Grund. Was sie dort herausfindet, ist schlimmer als befürchtet.

Der Titel des Romans lässt für meinen Geschmack wenig auf den Inhalt schließen und hat sich mir auch eine ganze Zeit lang nicht erschlossen. Ich fand ihn relativ nichts sagend. Erst im späteren Leseverlauf wurde aufgeklärt was bzw. wer „Die Mitte von allem“ ist. Das werde ich nicht verraten, damit die Lesespannung erhalten bleibt. Im Nachhinein betrachtet finde ich ihn sehr passend. Das Cover zeigt zwei Geschwister, bei denen es sich um Luke und Clare handeln könnte bzw. um Geschwister. Dennoch sieht das jüngere Kind eher nach einem kleinen Jungen aus als nach einem Mädchen. Zusammen mit Titel erscheint das Buch dadurch doch relativ unauffällig und blass im Buchladen, was meiner Meinung nach dem Inhalt des Buches nicht gerecht wird.

Die Kapitel wechseln in den ersten zwei Dritteln des Romans zwischen „Jetzt“ (Gegenwart) und „Damals vor xy Jahren“ (Vergangenheit). Die Vergangenheitsabschnitte sind relativ kurze Kapitel, die alle Erinnerungen von Clare sind aus ihrer Kindheit. Die „Jetzt“-Kapitel dagegen sind umfangreicher und beginnen mit dem Anruf von Luke, dass er vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Der Leser begleitet während des ganzen Romans Clares Sicht auf die Geschehnisse. Das letzte Drittel spielt nur noch im „Jetzt“. Die „Damals“-Kapitel stellen eine direkte Verbindung zu den Wurzeln von Clares Liebe und auch vor allem die Liebe ihrer Mutter zu Luke dar. Eine Liebe, die meiner Meinung nach über ihre Grenzen hinaus ging und Opfer von allen Familienmitgliedern gefordert hat. Besonders Clares und Lukes Mutter versucht mit allen Mitteln den Schein einer heilen Familie trotz Luke „Eskapaden“ auf jegliche erdenkliche Weise zu bewahren. Dies geschieht auf Kosten von Clare und ihrem Bruder Peter. Clares Mutter begegnet ihr selber mit einer Lieblosigkeit, die mehr den Eindruck erweckte Clares sei eine Küchenmagd statt ihre Tochter. Oft habe ich mich dabei erwischt, dass ich die Mutter am liebsten mal durchschütteln würde. Gegenüber Luke jedoch ist deutlich die grenzenlose Liebe zu spüren. Sobald er wieder aus dem Gefängnis kommt, wird ihm jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Seine Taten werden verschleiert und runter gespielt. Als Luke erneut aus der Haft nach Hause kommt, ist bereits von Anfang an klar, dass es auch diesmal wieder in einer Katastrophe enden wird. Als Leser sieht man dabei zu, wie die Familie versucht die nahende Katastrophe mit verschiedenen Mitteln hinauszuzögern. Clares ist Teil dieses Systems, welches um Luke herum aufgebaut wurde. Es wird ganz deutlich, dass auch alle mehr mitbekommen haben von Lukes Machenschaften und dennoch davor ganz bewusst die Augen verschließen. Anfänglich erscheint es wie ein Teufelskreis, aus dem niemand ausbrechen kann und will. Eine Wandlung bei Clare kommt erst mit Luke erneuter Verhaftung und der Verdächtigung der Polizei einer Komplizenschaft von ihrer Seite. Eine Verdächtigung, die Clares komplettes soziales Leben auf den Kopf stellt und sie immer mehr in einer Außenseiter Rolle treibt als Schwester eines Verbrechers. Clare wird fängt zum ersten Mal an ihren Bruder Luke zu hinterfragen und geht auf Forschung in der Vergangenheit. Was sie da herausfindet, hat selbst mir den Atem gestockt. Sehr bewundernswert hat mir Clares Umgang damit gefallen und dass sie ihren Bruder endlich mal im wahren Licht betrachtet. Sie löst sich von dem berühmten Spruch „Blut ist dicker als Wasser“, da Lukes Taten mit ihrem eigenen Verständnis von Unrechtsein und Straftaten kollidiert. Sie geht noch weiter und sieht auch eine Mitschuld bei ihren Eltern, durch den jahrelangen Schutz. Es ist ganz deutlich, dass sie sich hier weiter entwickelt und auch ein Stück weit von ihrem Familienskelett, welche sie über den Roman verfolgt und den Namen „Skel“ trägt, löst ohne selbst daran zu zerbrechen. Trotz allem gibt es für sie eine Zukunft.

Das Buch zeichnet sich durch eine wahnsinnige Intensität aus, sodass ich es kaum aus Hand legen konnte. Selten hat mich ein Roman so begeistert und ging mir nah wie dieser hier. Oft konnte ich auch Parallelen zu meinem eigenen Leben ziehen und habe mich immer wieder mit der Frage beschäftigt, wie weit Liebe in einer Familie gehen kann und darf. Wann es in Ordnung ist ein gewisses Verhalten von Familienmitgliedern nicht mehr akzeptieren zu wollen und können? Wann ist es in Ordnung sich davon zu distanzieren? Anna Shinodas gibt es uns Antworten darauf. Dennoch obliegt die Entscheidung jedem selbst. Ich habe daraus gelernt, dass es wichtig ist, hier auch an sich selbst zu denken und was und wer gut für einen selbst ist. Für diesen wunderbaren Roman vergebe ich 5 Sterne.

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