Cover des Buches Der Historiker (ISBN: 9783833307652)
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Rezension zu Der Historiker von Elizabeth Kostova

Rezension zu "Der Historiker" von Elizabeth Kostova

von LadyMacbeth vor 13 Jahren

Rezension

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LadyMacbethvor 13 Jahren
Ich muss ehrlich sagen, dass ich den Inhalt von “Der Historiker” kaum beschreiben kann – zu vielschichtig und facettenreich ist dieser Roman, um ihn in ein paar wenigen Sätzen zusammenzufassen, ohne gleich zu viel zu verraten. Die nachfolgende Rezension ist daher mit Vorsicht zu genießen, denn ich kann nicht versprechen, dass ich ‘nichts ausplaudere’. Ich möchte aber zunächst ganz untypisch beginnen, nämlich mit einem Zitat aus “Der Historiker”, das ich für absolut treffend halte: “Es ist eine Tatsache, dass wir Historiker uns für Dinge interessieren, die zum Teil unser eigenes Ich widerspiegeln, vielleicht den Teil, den wir am liebsten nicht näher untersuchen würden, es sei denn auf dem Feld unserer Wissenschaft. Und je mehr wir in unsere Interessen eintauchen, desto mehr ergreifen sie von uns Besitz.” (S. 314) Warum ich diesen Satz zitiere? Zunächst einmal bin ich der Meinung, dass er den Kern dessen, was Historiker antreibt, trifft. Damit meine ich nicht Menschen, die mal eben Geschichtswissenschaft studieren – sondern Personen, die in ihren Studien aufgehen und sich so sehr in die Vergangenheit verstricken, dass sie beinahe zur Flucht aus der Gegenwart wird. Menschen, die eine Leidenschaft für die Geschichte und die Geheimnisse, die sie birgt, empfinden. Okay, okay… Ich komme ja schon zur Rezension. Was hat also dieser Satz mit der Rezension des Buches zu tun? Er drückt ziemlich genau aus, was sowohl mit den Protagonisten als auch mit den Lesern des Buches (sofern sie denn Gefallen an Kostovas Geschichte finden) geschieht: Eigentlich fürchtet man sich vor dem, was kommt – möchte den Hut vor den mysteriösen Dingen ziehen, die vor sich gehen und einfach so weitermachen wie bisher – aber das funktioniert nicht, denn da ist ein Sog, dem man nicht widerstehen kann. Die Geschichte ergreift nach und nach Besitz vom Denken. So begeben sich die Protagonisten auf eine Reise quer durch die (osteuropäische) Welt, um Geheimnisse zu lüften, die sie eigentlich fürchten; sie können nicht einfach umkehren, weil die Geschichte längst Besitz von ihnen ergriffen hat. Und der Leser sitzt gebannt vor den Buchseiten und liest und blättert und liest und blättert bis tief in die Nacht hinein, weil auch er sich nicht entziehen kann. Ich halte Kostovas “Historiker” für wunderbar recherchiert und konnte mich gar nicht “sattlesen” an den vielen Beschreibungen von Bibliotheken, alten Pergamenten, alten Büchern und Schriften, historischen Orten und Begebenheiten ~ aber dafür muss man, zugegebenermaßen, ein Faible haben. Wer eine mittelalterliche Handschrift im Original gesehen, vielleicht sogar angefasst hat, wird verstehen, welch ein Zauber davon ausgeht. Für mich als (angehende) Historikerin (mit Leib und Seele) war alleine diese Seite des Buches ein wahrer Hochgenuss, denn mit eigenartigen Quellen beginnt im “Historiker” die ganze Geschichte – so wie im wahren “Historiker-Leben” auch. Von unterschiedlichen Blickwinkeln – nämlich mit dem Blick aus drei verschiedenen Generationen – wird vor dem Leser eine Geschichte aufgerollt, die sich einerseits an Quellen orientiert und andererseits ins Phantastische abdriftet, ohne dabei überladen zu sein oder sich in Klischees zu ergehen. Ja, “Der Historiker” ist ein Vampirroman – aber ganz anderer Gestalt als Twilight oder Interview mit einem Vampir; und auch, wenn Kostova immer wieder Zitate des Dracula-Autors Bram Stoker einstreut, erschafft sie hier eine völlig neue Vampirgeschichte, losgelöst von der Mainstream-Vampirliteratur. “Der Historiker” ist mehr als ein Buch über Nackenbeißer: ein Abenteuerroman, bis zu einem gewissen Grad ein Familiendrama und – zumindest teilweise – auch noch ein guter literarischer Abriss über südosteuropäische Geschichte. Ich habe zunächst befürchtet, dass ich mit den unterschiedlichen Zeitperspektiven – 1930er, 1950er und 1970er Jahren – Mühe haben würde, doch Elizabeth Kostova hat die Fäden so geschickt verwoben, dass ein Rädchen perfekt in das andere übergreift und sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Stimmig sind auch die Figuren, die sich zugegebenermaßen eher wenig entwickeln (doch wenn sie sich entwickeln, dann in eine sehr plausible Richtung), die Auswahl der Orte und Begebenheiten und letzten Endes auch Kostovas Art den “Historiker” zu erzählen: Aus Büchern, Notizen, Aufzeichnungen in Archiven, Gesprächen und Briefen jeglicher Art, gepaart mit erzählenden Passagen, rollt sich vor dem Leser eine Geschichte auf, die mitreißend und spannend ist. Der Historiker hätte zweifellos eines meiner Jahreshighlights werden können, wenn, ja wenn da die letzten rund 230 Seiten nicht gewesen wären (bzw. anders gewesen wären). Es fällt mir schwer zu sagen, was mich gestört hat. Vielleicht war es die Tatsache, dass Elizabeth Kostova hier auf einmal wirklich mit einem Klischee arbeitete – oder vielleicht auch der genannte Auslöser für alle Ereignisse. Vielleicht war es auch das viel zu versöhnliche Ende. Auf jeden Fall konnte der Schluss mich nicht mehr so mitreißen und fesseln wie der Rest des Romans. Fazit “Der Historiker” ist genau die richtige Lektüre für dunkle und verregnete Herbst-Abende. Er ist spannend, vielleicht etwas gruselig, mysteriös und mitreißend – und erzählt eine Vampirgeschichte, die irgendwie anders ist. Geschickt werden hier historische Gegebenheiten in eine Fantasy-Geschichte eingewoben; so geschickt, dass man als Leser den Spuren der Protagonisten folgen kann, ohne ständig daran erinnert zu werden, dass es sich ja eigentlich um einen phantastischen Roman handelt. Für mich persönlich konnte das Ende nicht ganz an den Rest des Romans anknüpfen, weshalb ich 'nur' 4 von 5 Sternen vergebe.
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