Cover des Buches Nachts, wenn der Tiger kommt (ISBN: 9783421046079)
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Rezension zu Nachts, wenn der Tiger kommt von Fiona McFarlane

Auf leisen Tigertatzen

von Wortklauber vor 10 Jahren

Rezension

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Wortklaubervor 10 Jahren

Die betagte Ruth lebt seit dem Tod ihres Mannes allein mit zwei Katzen in einem Strandhaus an der australischen Küste. Hinter dem Garten beginnen die Dünen und dahinter beginnt das Meer. Wenn die Wale wandern, kommen sie bis in die Bucht. Der Kontakt zu ihren beiden Söhnen, die längst eigene Familien gegründet haben, beschränkt sich auf Feiertagsbesuche und Telefonate. Um die Ordnung ihrer Tage zu wahren, beginnt Ruth, Rituale zu entwickeln, Entscheidungen von Zufälligkeiten abhängig zu machen, wie der Zahl der Wellen, die an den Strand laufen. Ruths Tage ähneln sich, werden belanglos. Sie vergisst Dinge, stellt sich selbst in Frage, manchmal denkt sie an ihr Ende.

Eines Nachts spürt Ruth die Anwesenheit eines Tigers, der durch ihr Haus streift. Diesen beunruhigenden Gedanken hält sie im Zaum, indem sie sich ins Gedächtnis ruft, dass es in Australien keine Tiger gibt. Auch in Fidschi, wo sie ihre Kindheit als Tochter eines missionierenden Arztes und einer Krankenschwester verbracht hat, sind keine großen Raubtiere heimisch. Wohl aber kennt sie von dort tropischen Regenwald - den Dschungel, den der Tiger auf seinen nächtlichen Streifzügen durch ihr Haus mitzubringen scheint. Ruth sieht den Tiger nicht, sie weiß, dass er nicht da sein kann - und gleichzeitig weiß sie, dass er sich in ihrer Nähe aufhält.

Am nächsten Morgen steht die resolute Frida vor Ruths Haustür. Sie behauptet, von der staatlichen Fürsorge geschickt worden zu sein, um nach ihr zu sehen. Ruth weiß nicht so recht, was sie davon halten soll, aber sie weist ihr auch nicht die Tür. Sie weiß nur zu gut, dass ihr Dinge entgleiten, also nimmt sie die Hilfe freudig an. Frida scheint zudem eine patente Person zu sein. Innerhalb kürzester Zeit hat sie das Haus auf Vordermann gebracht. Nicht zuletzt ist ihre Gesellschaft eine Bereicherung für Ruth.

Derweil schweifen Ruths Gedanken immer öfter in ihre Jugendzeit ab, sie denkt an ihre Jugendliebe Richard, einen Arzt, den sie als junges Mädchen auf Fidschi kennen gelernt hat. Sie haben beide andere Menschen geheiratet, aber ihr Kontakt ist nie abgerissen, obwohl sie sich nie wieder getroffen haben. Nun, da sie beide verwitwet sind, wünscht Ruth sich, ihn noch einmal zu sehen und lädt ihn zu sich ein. Der Tiger hat zuerst Frida und dann Richard zu ihr geführt - so stellt es sich für Ruth dar.

Dann merkt Ruth, dass Frida immer mehr Raum für sich beansprucht. Offenbar verbringt sie viel mehr Zeit im Haus als Ruth ursprünglich angenommen hat, während sie selbst - nach dem Verkauf des Wagens auf Fridas Betreiben hin - kaum noch hinaus kommt. Zudem bestärkt Frida sie den Tiger betreffend. Es kommt zu Zusammenstößen der beiden Frauen. Ruth richtet ihre Aggression gegen Fridas Sachen und Frida ...

Der Roman wird in der dritten Person (fast) komplett aus Ruths Sicht erzählt. Die Schilderungen sind damit unzuverlässig. Der Leser kann lange nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich ist es so, aber es könnte auch alles anders sein. Wenn Ruths Leben in diesem Haus am Meer ein Stück Stoff wäre, dann wäre der mit Fäden durchwirkt, die vor langer Zeit gewoben wurden; teilweise beginnen sich Szenen aus Ruths Vergangenheit in die Gegenwart zu stehlen und dort nebeneinander mit dem Jetzt zu existieren. Und dieses Stück Stoff wäre löchrig, denn Ruth kann zwar beobachten, aber nicht unbedingt die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen.

In dem Debütroman von Fiona McFarlane gibt es spannende Abschnitte, trotzdem ist er kein Thriller. Die Geschichte spinnt sich über weite Strecken um diese beiden Frauen in dem einsamen Haus am Meer, trotzdem ist es kein Kammerspiel. "Nachts, wenn der Tiger kommt" ist ein Roman über das Altern, über Verletzlichkeit, über Verluste - und es ist dennoch kein trostloser Lesestoff. Darin wie in der Einfühlsamkeit der Autorin, ihrer Fähigkeit, lebendige, glaubwürdige, mehrdimensionale Figuren zu zeichnen und in der schönen Sprache liegen klare Stärken des Romans. Man darf gespannt sein, was es von Fiona McFarlane noch zu lesen geben wird.

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