Rezension
J
johnspringvor 15 Jahren
Das Buch enthält grob drei Teile: Zuerst geht es um Mulischs alter ego, der nach Wien zu einer Lesung reist. Dort trifft er dann zweitens ein altes Ehepaar, das ihm von Siegfried, Hitlers Sohn, berichtet. Diese Geschichte versetzt ihn - Mulischs alter ego - in großen geistigen Furor, woraufhin drittens seine Phantasie und sein angelesenes geistesgeschichtliches Wissen miteinander durchgehen. - Der Mittelteil des Buches, also der, in dem es tatsächlich um Siegried geht, ist wirklich stark geschrieben. Man merkt, daß Mulisch hier in seinem Element ist und daß er hier schreibt, worüber er eigentlich schreiben wollte. Das erste Drittel des Buches dagegen ist eine intellektuelle Beleidigung des Lesers, voll von überflüssigem Text und Metaphern, die sowas von aus den Fingern gesaugt sind, daß man sich fragt, ob vielleicht ein experimenteller Metapherncomputer sie generiert hat; eine Schreibe wie von einem Schüler (und immer brav ein Adjektiv dazu) - also wirklich: In diesem Drittel wünscht man sich sehnlichst, den verantwortlichen Lektor - so es überhaupt einen gab - würgen zu können. Das Ende des Buches glänzt dann mit einer umfänglichen Verwurstung abendländischer Geisesgeschichte zu einer Wiener Melange, die in ihrer Dreistigkeit etwas an den DaVinci Code erinnert, nur dabei leider jeder Spannung entbehrt. - Aber glücklicherweise ist das Buch ja ziemlich dünn, also z.B. als Lektüre für eine längere Zugfahrt zu empfehlen. Wenn man großzügig Seiten und Absätze überfliegt, kann man die schwachen Teile überstehen und sich am Starken erfreuen. Man sollte nur einfach nicht zuviel erwarten, insbesondere nicht an irgendwelchen tieferen Einsichten. So gesehen wäre 2,5 oder sogar 3 Sterne vielleicht eine fairere Wertung... Aber der Ärger über die mir zugemuteten Sprachbilder sitzt dafür einfach zu tief.