Cover des Buches Der Augenblick (ISBN: 9783961521241)
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Rezension zu Der Augenblick von Irene Matt

Das Innenleben von Täterinnen und Tätern. Oder: Warum es sich lohnt, genauer hinzuschauen

von Buecherspiegel vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Interessante Einsichten hinter den Kulissen von Kriminalfällen bzw. den Täterinnen und Tätern mit Schwächen

Rezension

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Buecherspiegelvor 6 Jahren

In „Der Augenblick“ beschreibt Irene Matt wie es ist, von einem Augenblick zum Nächsten von einer unbescholtenen Person zum Verbrecher/zur Täterin zu werden. Um anschließend von der Gesellschaft vorverurteilt und vom Staat entsprechend behandelt zu werden. Doch Täter ist nicht gleich Täter. Manchmal liegen tief in uns begraben Gründe, warum bei einem Menschen ein Schalter umgelegt wird und „es“ passiert. Danach stehen die Täter da und wir selbst, die Gesellschaft, die Opfer (sofern sie es noch können), die Hinterbliebenen, Angehörige beider Seiten also, können nicht begreifen, wieso die Tat geschah.

Hier setzt nun der von Irene Matt, in einem Roman versteckten, Kriminalgeschichte diese Thematik an. Dabei erscheint mir dieser wie eine Kunstform, eine Mischung aus Krimi, Roman und verschachtelten Kurzgeschichten, die Sachbuchthematiken einen Rahmen geben will. Jegliche philosophische Grundprinzipien bekommen hier ihre Möglichkeit sich einzubringen. Was ist gut, was schlecht, welche Möglichkeiten könnte, sollte, müsste der Staat bieten, um nicht alle Verbrechen und die Täterschaft über einen Kamm zu scheren. Das ist zum Teil schwer zu ertragen, denn alle Taten könnten oder sind so passiert, wie geschildert. Vorstellbar sind sie allemal.
Zum Inhalt: Die Hauptkommissarin Alexandra Keller ist urlaubsreif, so schaltet sie ihr Handy aus, packt ihren Koffer und erholt sich. In der Zwischenzeit wird ein Kind ermordet, die Umstände der Tat wie auch das Auffinden der Leiche mysteriös. Trotz aller Möglichkeiten der Polizei findet sich der Täter nicht. Erst als die Person, Renate Weiss, sich selbst in Begleitung eines Geistlichen, Pater Pirmin, die Tat gesteht, kann das Verbrechen aufgeklärt werden. Schon die Erzählweise, bis die Tat geschieht und die Begebenheiten danach, lassen einen kalte Schauer über den Rücken gleiten.

Doch die Aufklärung ist nicht das Ende, hier beginnt die eigentliche Geschichte erst. Einer der Ausbilder von Keller, der Fallanalytiker Hermann Rau, möchte bei einem Therapie-Projekt herausfinden, warum das Kind zum Opfer von Renate Weiss wurde. Und nicht nur diese, sondern fünf weitere Kandidaten, alles Personen mit für Außenstehende unbegreiflichem Tathergang, hat Hermann Rau sich ausgesucht. Bei allen sieht Rau die Möglichkeit einer Resozialisation nach einer Therapie. Mit eingebunden ist ein forensischer Psychiater, Nikolaus Kleeberg, der den Advokatus Diaboli unserer Autorin gibt. Allerdings ist dieser Protagonist so überzeichnet dargestellt, dass man sich kaum vorstellen kann, ausgerechnet eine so überhebliche, von Neid und Missgunst zerfressene Person in der Forensik vorzufinden. Es beginnt nun die Arbeit der Psychotraumatologie in Einzelgesprächen, die nicht dargestellt werden, dafür Beispiele aus der Gruppenarbeit sowie die Tagebuchführung der Renate Weiss. Auch Träume der Teilnehmer werden analysiert und hinterfragt. Am Ende weiß auch Renate Weiss, warum gerade sie zur Täterin geworden ist. Und die Moral von der Geschicht? Die kann sich jeder bei jedem der sechs vorgestellten Fälle selber bilden.

Die Theatralische Einleitung des Klappentextes stimmt, wie bei vielen Büchern, nicht so wirklich, es kommt ganz anders als man vermutet, aber da kann auch eine gewisse Absicht dahinter stecken. Auf jeden Fall macht Irene Matt anhand ihres Therapie-Krimis deutlich, wie sehr ihr die ehrenamtliche Tätigkeit als Telefon- und Krisenseelsorgerin sowie als Mediatorin, am Herzen liegt.

Ärgerlich sind beim Lesen logische Ungenauigkeiten wie zum Beispiel die Zeitspanne des Urlaubs der Hauptkommissarin. Da fragt man sich, welches Lektorat hier am Werk war. Auch stolpert man über einen Absatz, der eindeutig zum Löschen vorgesehen war und einem nun ein regelrechtes Augenstolpern beschert. Die wiederholten Anmerkungen über die Ehescheidung Kellers sind nervig. Das Satzzeichen falsch gesetzt werden, ist in neueren Veröffentlichungen fast schon Standard geworden, wie auch fehlende Worte oder sonstige Schreibfehler. Wer einen anderen Roman von Irene Matt bereits gelesen hat, bemerkt den Unterschied zwischen den Schriftbildern sofort, ebenso den Stil der Überarbeitung.


Weitere Informationen über die Autorin und ihre weiteren Bücher finden sich unter: www.irenematt.de

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