Cover des Buches Chronic City (ISBN: 9783608501070)
Babschas avatar
Rezension zu Chronic City von Jonathan Lethem

Rezension zu "Chronic City" von Jonathan Lethem

von Babscha vor 13 Jahren

Rezension

Babschas avatar
Babschavor 13 Jahren
Lese auf der Anzeigetafel: Neuer Lethem unterwegs. Einfahrt: in Kürze. Für mich Grund genug, am Testleseschalter schnell ein Ticket zu besorgen und mich dann gemeinsam mit den Anderen in froher Erwartung zum Bahnsteig zu bewegen. Und dann fährt er ein, der „New-York-City-Express“, unser Testlesezug. Was zu diesem Zeitpunkt jedoch niemand ahnt, ist, dass alle Wagen der ersten Klasse abgekoppelt und wahllos durch Waggons der zweiten und dritten Kategorie ersetzt wurden, der Speisewagen nur weitgehend unverdauliche, schwer im Magen liegende Speisen mitführt, die Befüllung des Kohletenders nur für die Befeuerung von maximal der halben Strecke reicht und zu allem Überfluss Leerwaggons angehängt sind, die die Geschwindigkeit des Zuges streckenweise bis auf Kriechgeschwindigkeit verlangsamen werden. Guten Mutes aber steigt man erst mal vorne ein, macht sich´s bequem, schaut hinaus in die Leselandschaft und los geht´s: xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Die story? Im Milieu der Upper East Side New Yorks lässt der Autor mehrere grundverschiedene Personen aufeinander treffen: Chase, antriebs- und orientierungslos, hält sich als geduldetes Anhängsel der Upper Class ganz passabel über Wasser, Richard, Vertrauter des Bürgermeisters, smart und mit allen Wassern gewaschen, auf der anderen Seite dann Perkus, die eigentliche Hauptperson des Buches, ein exzentrischer Intellektueller mit Hang zu Verschwörungstheorien und selbst gebastelten Joints, daneben Oona, seine Mitstreiterin aus Revoluzzertagen und spätere Geliebte von Chase. Sie alle werden in einem mehr oder weniger obskuren Handlungsrahmen so zueinander in Beziehung gesetzt, dass sie nach und nach Perkus´ eigenartiger Aura erliegen und teilweise die eigene Identität einbüßen. Dies hat Folgen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Derweil im Zug? Erster Unmut unter den Mitreisenden. Fragen kommen auf: Wohin fahren wir überhaupt? Sind wir noch im richtigen Gleis? Eigentümliche, vernebelte Landschaften draußen lassen kein klares Urteil zu. Wo sind eigentlich Zugführer und Zugbegleiter abgeblieben? Erste Rufe nach Zwischenhalten werden laut. Alles setzt sich weiter Richtung hintere Waggons in Bewegung. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Halbe Strecke geschafft. Massive Verlangsamung des Zugtempos bereits an leichten Steigungen. Niemand da, an den man sich wenden könnte. Erste Fahrgäste haben die Notentriegelungen betätigt und erwägen den Absprung, können allerdings von den Mitreisenden noch abgehalten werden. Niemand möchte gern allein auf dem führerlosen Geisterzug zurück bleiben. Man drängt weiter Richtung Zugende in der Hoffnung, hier Antworten und Erklärungen zu finden. Werden Kohle und Dampf bis zur Ankunft reichen? Dann: Leichte Entspannung, der Nebel klart etwas auf, der Zug beschleunigt. Jetzt durchhalten. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Das Ende ist in Sicht. Der Zug rollt unerklärlicher Weise immer noch, angetrieben nur noch von gutem Willen und dem sehnlichen Wunsch, anzukommen. Jetzt endlich auch ein paar klärende Durchsagen an die Reisenden, die allerdings keine grundlegend neuen Erkenntnisse oder Stimmungsverbesserungen mehr bewirken. Endlich: Zieleinfahrt. Knirschend und ruckelnd kommt der Lesezug zum Stillstand. Weitgehend unzufriedene Gesichter. Soweit erkennbar aber alle noch an Bord. Erwartungsvolle Blicke des Empfangskomittees am Bahnsteig. Schweigendes Kopfschütteln als Antwort. Überstanden. Jetzt raus hier. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Fazit: Schade, aber aus meiner Sicht kein überzeugender neuer Wurf von Lethem. Da waren die New Yorker Vorgängerbände, vor allem die „Festung der Einsamkeit“, um Längen besser. Die verworrene story ist überfrachtet mit sich wiederholenden, teils episch lang ausgebreiteten Zustandsbeschreibungen der Beteiligten und hat keinen klaren, stringenten Handlungsfaden. Die Hauptprotagonisten bleiben blass und unspezifisch und können den Leser emotional weder für noch gegen sich einnehmen. Was bleibt, ist Ratlosigkeit. Hoffen wir auf die Zukunft.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks