Rezension zu Die Mittagsfrau von Julia Franck
Rezension zu "Die Mittagsfrau" von Julia Franck
von electric_eel
Rezension
electric_eelvor 13 Jahren
Ein Buch über ein Frauenleben, so dicht und einfühlsam geschrieben, dass es mir zeitweise den Atem nahm. Der Autorin gelingt eine wundervolle Verknüpfung von Helenes Leben, der Hauptperson des Buches, mit der Zeitgeschichte (1. Weltkrieg, Goldene Zwanziger, Naziregime) und gesellschaftspolitischen Begebenheiten. Helene erlebt ihre Kindheit als ungeliebte Tochter einer psychisch kranken Mutter und eines abwesenden Vaters. Dieser kehrt schließlich schwerverletzt aus dem 1. Weltkrieg heim. Ihre einzige Konstante ist ihre geliebte, ältere Schwester Martha. Nach dem Tod des Vaters ziehen sie zur Tante nach Berlin und finden sich in den (be-)rauschenden Goldenen Zwanzigern wieder. Hier lernt sie auch ihre große Liebe kennen: den Philosophiestudenten Carl. Die intelligente und bildungshungrige Helene findet ihren Weg, so scheint es … doch dann kommt alles anders. Persönliche Schicksalsschläge und die Machtergreifung der Nationalsozialisten durchkreuzen die Lebensentwürfe der halbjüdischen Schwestern. Wie tief die Einschnitte in Helenes Seele sind, wird deutlich, als sie völlig apathisch ihren Sohn Peter zurücklässt. Ihre Kraft scheint nicht mehr für beide zu reichen. Die bildhafte Sprache und Virtuosität von Julia Franck machen die Empfindungen von Helene erlebbar. Es entsteht ein Psychogramm eines zerstörten Frauenlebens mit all seinen Höhen und Tiefen. Die Rolle und der Stellenwert der Frau, ihre Bildungschancen, gleichgeschlechtliche Liebe, das hehere Bild der "deutschen" Frau/Mutter werden hier auf ganz einprägsame Weise in die Geschichte eingeflochten. Zeitweise hat es mich emotional richtig mitgenommen und man kann verstehen, wie Menschen zu dem werden, was sie sind. Ein unheimlich dichtes, emotionales Buch, das ich nur weiter empfehlen kann.