Cover des Buches Esswood House (ISBN: 9783937897073)
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Rezension zu Esswood House von Peter Straub

Esswood House

von Elmar Huber vor 7 Jahren

Kurzmeinung: mmer mehr verlässt ESSWOOD HOUSE die konventionellen Genre-Bahnen und endet in einem experimentellen Strudel.

Rezension

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Elmar Hubervor 7 Jahren

„Es gibt nichts Vergleichbares“, hatte ein anderes, damals noch als Freund angesehenes Fakultätsmitglied zu Standish – dem gutgläubigen, jungen Standish – gesagt. „Der Ort ist trotz allem, was die Bibliothek beherbergen soll, praktisch ein Geheimnis. Er ist noch in Privatbesitz, und die Seneschals akzeptieren nur einen oder zwei Forscher pro Jahr. Offenbar hat sich seit den Ruhmestagen, als Edith Seneschal uneingeschränkt herrschte und Künstler im Westflügel, ganz zu schweigen vom Heuschober, Lustbarkeiten nachgingen, viel verändert. Die Familie lebt noch dort, aber in geregelten – und recht seltsamen – Verhältnissen, munkelt man.“ Er war ein in jeder Hinsicht guter Munkler, dieser vorgebliche Freund.

STORY
Der junge Englisch-Professor William Standish fliegt New York nach England, um dort, in der berühmten Bibliothek von Esswood House, Recherchen über Leben und Werk von Isobel Standish anzustellen, die selbst eine beträchtliche Zeit auf dem Anwesen verbracht hatte. Insgeheim träumt er davon eine Biographie zu verfassen, möglicherweise sogar eine Gesamtausgabe ihres literarischen Werkes vorzubereiten. Wahrhaft ein besonderer literarischer Coup, handelt es sich bei Isobel doch um Williams „Beinahe-Großmutter“, nämlich die Schwester seine Großmutter und die erste Ehefrau seines Großvaters. Die Besitzer von Esswood House, die Seneschals, gelten als unberechenbar, was die Vergabe und den Rückzug ihrer Stipendien angeht, sollte sich ein Bewerber, aus welchen Gründen auch immer, des Gastrechts als nicht würdig erweisen. So bedeutet die Einladung für Standish eine einmalige Chance, sich einen akademischen Satus zu erwerben und sich einen Namen im Literaturbetrieb zu machen. Mit widerstreitenden Gefühlen lässt William also seine schwangere Frau in New York zurück, und tritt seine Reise an. Schon der Weg vom Flugplatz nach Esswood House wird für Standish zu einer Nervenprobe; nirgends scheint eine vernünftige Ausschilderung und Wegbeschreibung vorhanden. Endlich im Haus angekommen, wird er von einer unbekannten Schönheit empfangen, die ihn an den Verwalter Robert Wall weiterreicht; die Seneschals selbst bekommt Standish nie zu Gesicht. Auf viele, teils skurrile Ereignisse im Haus kann er sich keinen Reim machen und auch Isobels Werke und persönliche Aufzeichnungen geben Rätsel auf. Und auch der Vikar des nahen Ortes ergeht sich in vagen und beunruhigende Andeutungen: Wenn Standish tatsächlich auf Esswood House wohnen würde, dann wäre er wohl alleine dort.

„Auf der anderen Seite befanden sich ein kahler Treppenabsatz aus glanzlosem Holz und eine Flucht schmaler Stufen, die an einem Fenster in einem Erker vorbei nach unten führten und dann auf eine Weise, die Standish fast heimlichtuerisch erschien, weiter abwärts gewendelt verliefen. […] Nach der dritten oder vierten Krümmung der Treppe sah er hinauf, von wo er gekommen war, konnte aber nur die glatte Haut der Wände und die nackte, steile Spirale der Stufen erkennen. Er fragte sich, ob er den Ausgang zum ersten Stock irgendwie übersehen hatte und in die Waschküche oder das Verließ, oder was immer sie hier im Keller hatten, hinabstieg.“

MEINUNG
Der Amerikaner Peter Straub gilt als Meister der Form, was er nicht zuletzt durch seinen „Blaue Rose“-Zyklus (KOKO, MYSTERY, DER SCHLUND) untermauert hat, der auf hohem sprachlichem Niveau zwischen Thriller, Drama und Mystery balanciert. Seine Novelle ESSWOOD HOUSE beginnt – ebenso redegewandt – wie klassisches Gruselgarn mit einem Protagonisten, der alleine und unsicher auf fremden Terrain agieren muss und dieses Abenteuer schon mit einer grundsätzlichen inneren Unruhe angeht. Die merkwürdigen Geschichten über Esswood House, die an seiner Universität im Umlauf sind, verfehlen nicht ihre Wirkung. Nervös deswegen, doch gleichzeitig aufgekratzt, seinen akademischen Status mit einem Schlag festigen und gleichzeitig seine eigenen Wurzeln erkunden zu können, entscheidet sich Standish, diese einmalige Chance für seinen akademischen Aufstieg zu nutzen. Im Gegenzug muss er seine schwangere Frau quasi schutzlos in New York zurück zu lassen und es besteht die Möglichkeit, dass er bei der Geburt seines Kindes gar nicht anwesend sein wird.

Die befremdlichen Anekdoten, die William Standish auf seinem Weg passieren, die absonderlichen Gepflogenheiten, die in Esswood House herrschen, Gestalten, die nur aus der Ferne zu sehen sind, bis hin zu seinen Träumen, einer ungewohnten sexuellen Spannung und dem Unverständnis der Bevölkerung, wenn er sich als Bewohner von Esswood House zu erkennen gibt, deuten auf eine klassische Geisterhausgeschichte. Tatsächlich wollte Straub, wie er im Nachwort schreibt, eine „Geschichte, fünfzig Seiten oder so, über eine Gouvernante schreiben […], die ein entlegenes Landhaus besucht, um dort zwei sehr verstörte junge Menschen zu unterrichten und zu versorgen“, nur um festzustellen, dass dies bereits Henry James mit dem Geisterhauklassiker DIE DREHUNG DER SCHRAUBE erledigt hatte und zur Überzeugung kam, dass diesem unbestrittenen Meisterwerk nichts mehr hinzu zu fügen ist.

Unter dem Einfluss von Robert Aickman – Straub sollte zu der Zeit ein Vorwort für Aickmans THE WINE DARK SEA schreiben – legte Straub den Fokus der Geschichte auf Standishs malträtiertes Innenleben die Handlung von ESSWOOD HOUSE nahm einen eher ungeordneten, stimmungsgesteuerten Verlauf. Der Akademiker verliert dabei mehr und mehr den Boden unter den Füßen und zwar schon sehr viel früher, als dass man es eindeutig verorten könnte. So ist dies dem Leser lange Zeit nicht bewusst und er wähnt sich immer noch in einer Spukhausgeschichte, in der der Schrecken von außen kommt. Straub hinterlässt zwar einige Hinweise, doch sind diese schwer zu entdecken. Erst das langgestreckte und anstrengend zu lesende Finale macht deutlich, dass hier gar nichts mit konventionellen Dingen zugeht. Wie es oft bei Aickman passiert, bietet auch Straub hier kein „rundes“ Ende an. Ein literarisches Experiment, von dem Straubs Stammverleger wenig begeistert waren.

Dankenswerter Weise wurde das Nachwort in die deutsche Ausgabe übernommen, das Straubs dahingehende Intention und einige Dinge in ESSWOOD HOUSE erklärt, und den Roman auf diese Art doch noch angenehm abrundet.

Die ursprüngliche, sehr viel kürzere Version der Geschichte mit dem deutschen Titel FRAU GOTT (OT: MRS. GOD) ist in Peter Straubs Kurzgeschichtensammlung HAUS OHNE TÜREN enthalten.

FAZIT
Immer mehr verlässt ESSWOOD HOUSE die konventionellen Genre-Bahnen, unterläuft die Erwartungen an eine Geistergeschichte und endet in einem experimentellen Strudel.

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