Cover des Buches Die Bradshaw-Variationen (ISBN: 9783498009342)
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Rezension zu Die Bradshaw-Variationen von Rachel Cusk

Rezension zu "Die Bradshaw-Variationen" von Rachel Cusk

von textworker vor 13 Jahren

Rezension

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textworkervor 13 Jahren
Ernüchterung und fatale Folgen Die Bradshaw-Variationen von Rachel Cusk Aus 32 Variationen über ein Thema besteht der Roman „Die Bradshaw-Variationen“ von Rachel Cusk. Darin stellt sich die Autorin der Herausforderung, ihr Anliegen dem Leser in Variationen näher zu bringen. Es geht um Lebensformen, die zerfallen und sich neu formieren. Im Zentrum steht die Frage, ob Kunst mit dem herkömmlichen Familienleben und den gewohnten Strukturen im bürgerlichen Leben in Einklang zu bringen ist. Zunächst plätschern die Variationen recht munter vor sich hin. Schon drängt sich die Frage auf, ob man von 32 Variationen über ein Thema kontinuierlich Großartiges erwarten darf. Nachdem alle Bradshaw-Familien-Mitglieder (Brüder, Eltern, Schwägerinnen, Nichten und Neffen) und sogar die polnische Untermieterin Olga als Außenstehende von Rachel Cusk vorgestellt worden sind, denkt man als Leser: jetzt könnte mal etwas passieren. Es tut sich was, natürlich, in der Liebe zur Musik, im Verhältnis zur Liebe, auch verändern sich die Dinge, die Identitäten, auch die Zuneigungen, das Selbstverständnis, es werden laufend neue Töne angeschlagen. Die wirklich starken Aussagen liegen tief eingebettet im Text. Es ist, wie es ist: Das Leben selbst verändert sich. Vor allem in den Beschreibungen der Innenwelt von Tonie und Thomas kommt dieser Wandel zum Ausdruck. Doch eine dramatische Entwicklung – sofern man sie denn erhofft - lässt noch auf sich warten. Im Vordergrund stehen Thomas und Tonie mit ihrer Tochter Alexa. Sie haben ihr System Familie auf den Kopf gestellt, anders geordnet, die Rollen neu verteilt. Geht ihr Lebensmodell auf? Werden die Regeln des familiären Zusammenlebens missachtet? Schon bald stellen sich Reibungen ein, zeigen sich erste Verfallserscheinungen in der Beziehung zwischen Thomas und Tonie. Kunst und bürgerliches Leben vertragen sich eben nicht. Könnte man meinen. Doch so einfach ist es auch wieder nicht. Die Abwandlungen des Themas sind überaus vielfältig, sie schlagen im Kopf des Lesers Wurzeln und treiben noch im Nachhinein neue Blüten, sofern man sich als Leser auf die Merkwürdigkeiten der Charaktere einlässt. In welcher Form gelingt ein Leben? Und wie bringe ich Familie, Beruf und Kunst unter einen Hut? Was passiert beim Rollentausch? Welche Erwartungen haben andere? Und warum beherrschen falsche Vorstellungen das Gefühlsleben? Im Laufe der Zeit verändern sich nicht nur die Verhältnisse. Die Lebensmodelle der handelnden Personen werden auf eine harte Probe gestellt, sie machen einen Prozess der Wandlung durch. Wie auch das Klavierspiel von Thomas. Vor allem sind es aber die feinen Beobachtungen und distanzierten Betrachtungen, die den Lesegenus ausmachen. Ein Ehemann wird betrogen. Ein krankes Kind wird erst vernachlässigt, dann gerettet. Ein Hund stirbt. Und rettet eine Familie vor dem Kollaps. Doch in jedem Fall öffnet sich ein Weg zur Neuordnung. Das ist gut so. Und mit dem Abschluss der letzten Variation wird die Komposition für den Leser insgesamt stimmig. Das, was bislang für sich stand, die vielen kleinen Episoden, die Beziehungen, die Momentaufnahmen aus Kunst und bürgerlicher Gesellschaft, fügen sich jetzt zu einem grandiosen Gesellschaftsbild zwischen falschen Erwartungen, vagen Hoffnungen und riskanten Ansprüchen. Offen bleibt, wie immer im Leben, welche Lebensform für wen ein Gewinn, welche ein Verlust ist. Vielleicht wird manch eine/einer enttäuscht sein, keine zusammenhängende Geschichte, keine fortlaufenden Ereignisse vorzufinden. Allein der Titel „Variationen“ gibt die Richtung schon vor. Und gerade das macht wiederum den Reiz des Buches aus. Es ist ein lesenswertes Buch, es erfordert allerdings Wachsamkeit. Schon allein vom Sprachstil der Autorin her ist es beeindruckend. In ihrem Tonfall herrscht eine unaufgeregte Erzählweise, die sich nicht aufdrängt, aber doch durch die Kraft der Bilder Eindrucksvolles bietet. Das, was meist typisch ist für einen Roman, findet sich in den Bradshaw-Variationen nicht. Anstrengend? Vielleicht. Aber in jedem Fall gewinnbringend. Zum Schluss ist alles offen. Wie im wirklich wahren Leben. Doch jede Figur hat im Rhythmus der Variationen eine Lösung für sich entwickelt. Und Kunst lässt sich für Thomas auch im „Trillern eines Vogels“ entdecken. Fazit: „Die Bradshaw-Variationen“ von Rachel Cusk sind ein kleiner und denkwürdiger Höhepunkt im Lesesommer 2011.
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